Stationen

Sonntag, 21. Mai 2023

Eigentlich war Künast schon abscheulich genug

Man kann mit den Herausforderungen nur bis zu einem gewissen Punkt wachsen. Irgendwann ist genug.

Ich habe eigentlich nichts gegen Seilschaften, Beziehungen und Vetterleswirtschaft, die man den Bayern so gerne vorwirft. Ich bin, im Gegenteil, davon überzeugt, dass gute Seilschaften die wahre Stärke eines jeden Landes sind. Bismarck, der sagte,  Nepotismus sei eine gute Sache, wenn die Nepoten etwas taugen, kann ich nur zustimmen. Ich füge hinzu, dass der persönliche Eindruck im Gespräch die Tauglichkeit eines Nepoten viel besser und schneller feststellen lässt als ein sogenanntes objektives, anonymes Auswahlverfahren. Nur wo es eine gute Seilschaft gibt, kann ein gutes Regelwerk eingerichtet werden, mit dem erreicht werden kann, was die zeitgemäßen Idioten als compliance bezeichnen. Das gilt für die Unternehmen in Ostwestfalen, für die Benediktiner, für die preußischen Beamten, für die Mafia, für die Burschenschaften, für die Freimaurer, für die Jesuiten und jede andere effiziente Organisation. Nur gibt es inzwischen offenbar zu wenig Seilschaften, die noch etwas taugen.

Ich war erst seit wenigen Monaten in Italien, als mir auffiel, dass die Angestellten des Telefoncenters an der Hauptpost in Florenz alle sehr sympathisch und intelligent waren, während diejenigen des Telefoncenters am Bahnhof alle unsympathisch waren und nicht gerade helle, obwohl es sich bei beiden um staatliche Einrichtungen handelte. In Deutschland hätte man in beiden Fällen anonyme Gleichförmigkeit angetroffen. Aber an der Hauptpost stellte sich Jahre lang immer ein Wohlfühlgefühl ein; eine gute Seilschaft hatte dafür gesorgt, dass dort nur Bekannte von jemandem, der jemanden kannte, der wiederum jemanden kannte, eingestellt worden waren. Am Bahnhof war es natürlich genauso, nur waren dorthin Kreise gelangt, mit denen ich nichts zu tun haben wollte. Irgendwann wurde das Center am Bahnhof geschlossen und die Telefonkabinen dort zu Bahnhofstoiletten umfunktioniert, während sich das Center an der Hauptpost sogar noch eine Zeit lang hielt, als sich in den 90ern die Mobiltelefone ausbreiteten.

Bei den zahlreichen Hochzeits- und Kommunionsessen, die ich in Italien ausgerichtet habe, beobachtete ich, wie homogen dort die Sippen sind. Es sind einem nie nur einige Individuen sympathisch (wie in Deutschland, wo sich schwer tut zusammenzukommen, wer wirklich zusammengehört), sondern entweder ist einem die ganze Sippe unsympathisch oder die ganze Sippe, oder zumindest die meisten ihrer Komponenten, ist einem sympathisch. Familienkultur besteht genau hierin: Der ganze Clan hat, völlig unwillkürlich, seinen eigenen Stil. In Italien ist die Familie eben wirklich wichtiger als der Staat. Es ist, im Guten wie im Schlechten, das lange Echo der tribus. Von den Ramnes zu den Medici, zu den Colonna und Frescobaldi (und Agnelli, Pirelli, Orlando, Berlusconi, De Benedetti) des heutigen Italien. In Deutschland ist der Staat wichtiger als die Familie. Das ging auch lange gut, jedenfalls solange die Segnungen der deutschen Beamtenschaft (Beamte können in D nicht streiken, können aber auch nicht entlassen werden; dieser Rest Obrigkeitsstaat hat lange gute Dienste gewährleistet) nicht durch amerikanisches Qualitätsmanagement ruiniert wurden.


Die wahre Herausforderung unter den Zumutungen, mit denen man sich abfinden muss, besteht nicht darin, sich einzugestehen, dass Martin Schulz 10 mal so sympathisch ist wie Ricarda Breitwielang, sondern darin, dass man nicht leugnen kann, dass der brillante Marcello Dell'Utri 10 mal so sympathisch ist wie Schulz.


Deutschland befindet sich in einer Art Wachkoma. Wie kommen wir da wieder raus? Im Moment hat man den Eindruck, die Schläuche werden nach und nach abgezupft und die lebenserhaltenden Maßnahmen dann irgendwann abgeschaltet.

Elogium ironiae ipsius

Der Albtraum besteht darin, dass inzwischen Positionen die Mehrheit sind, wie die von Sektierern vom Schlage eines Marshall B. Rosenberg, der vorschlägt, "das alte Konzept von 'Richtig' und Falsch' zu verlassen und statt dessen zu einer Sprache der erfüllten und unerfüllten Bedürfnisse zu finden". Das erste, was diese Halunken bei ihrem Feldzug gegen die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge zerstören, ist die Sprache. Wo bisher Bedürfnisse gestillt wurden und Wünsche erfüllt, wird en passent ein Bewunschnis erfunden, damit Wünsche zu Bedürfnissen umgelogen werden können und der Wunsch zum Vater und Herrscher des Gedankens wird. Die Ironie dieser perversen Entwicklung besteht darin, dass sich nur noch ausgerechnet Leute wie Josef Ratzinger und einige wenige andere Kirchenfürsten wie Marian Eleganti, außer dem Dalai Lama und ein paar im Gefolge Karl Poppers sich verstehende Köpfe dieser schauderhaften Drift entgegenstellen.


"Laut einer neuen Umfrage finden 79 Prozent der Befragten, dass die Demokratie heute stärker angegriffen wird, als noch vor fünf Jahren. Eine noch größere Mehrheit sieht es als Aufgabe der Bundesregierung, sich mehr für eine lebendige und starke Demokratie einzusetzen." Schreibt die WELT

Nun könnte man glauben, den hier Befragten gehe es um mehr Meinungsfreiheit und Debatte, um weniger Sprech- und Sprachverbote, weniger Cancel-Culture und Kontaktschuldvorwürfe, weniger Genderdruck und Politkorrektheit. Pustekuchen. Die WELT-Redakteure interpretieren die Umfrageergebnisse als Schrei nach mehr Aktionismus à la Demokratiefördergesetz. Sie zitieren sogar Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Gerade in diesen Zeiten werde deutlich, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt und Demokratie nicht selbstverständlich seien. Und das ist wohl wahr – gerade wenn man unter Demokratie die Umsetzung grüner Maßnahmen zur Weltenrettung versteht. Die setzen schließllich den sofortigen Ausstieg aus der CO2-Produktion voraus. Sofort bzw. spätestens gestern. 

Einen "gesellschaftlichen Zusammenhalt" wird es also nicht geben. Stattdessen entschiedene Maßnahmen. Abweichler und Andersdenkende werden ganz anders an die Kandare genommen, und Demokratie wird ganz neu definiert. Meinungsfreiheit ist kein Selbstzweck und muss gegenüber Prioritäten wie Klimarettung zurückweichen. Überhaupt: Wenn für ein hohes Ziel (Klimarettung, Menschenwürde) gehobelt wird, wen stören da die Späne?

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