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Dienstag, 25. Dezember 2018

100 Jahre Schmidt

Die Würdigungen zu Helmut Schmidts 100. Geburtstag sind durchweg respektvoll. Respektvoll, aber selektiv, und zwar so selektiv, daß mehr ausgeblendet wird, als bei solcher Gelegenheit üblich. Vor kommt Helmut Schmidt „der Macher“, der Manager, der Retter Hamburgs bei der Sturmflut von 1962, der Kanzler, vielleicht auch „Schmidt Schnauze“, der Kettenraucher und Arbeitswütige, der Hanseat, der Kämpfer gegen den Terrorismus.
Es fehlt eigentlich immer der tragisch Gescheiterte, „der große Mann mit kleiner Wirkung“, wie der Historiker Golo Mann schon zu Schmidts Lebzeiten urteilte, einer, der für andere Gelegenheiten vorgesehen war, die sich aber nicht boten.
Das hatte ganz wesentlich damit zu tun, daß die Bundesrepublik nach dem Ende der Ära Adenauer in eine Führungskrise geriet, die weder die Nachfolger aus den Reihen der Union, noch Willy Brandt, der erste sozialdemokratische Bundeskanzler, lösen konnten. Brandt, der Fraktionschef Herbert Wehner und Schmidt bildeten eine „Troika“ an der Spitze der SPD, aber die Spannungen zwischen ihnen waren offensichtlich und verschärften sich noch nach dem überraschenden Sturz Brandts.

Schmidt folgte ihm im Amt, aber Brandt opponierte heimlich oder offen gegen ihn und ließ sich willig zur Stimme der innerparteilichen wie der neuen außerparlamentarischen Opposition der Bürgerinitiativen und Basisbewegungen machen. Gegen dieses Bündnis konnte sich Schmidt zuletzt nicht behaupten.
Schmidts Rücktritt 1982 war ganz wesentlich darauf zurückzuführen, daß die SPD-Linke ihm die Unterstützung der amerikanischen Nachrüstung nicht verzeihen wollte. Dabei hat Schmidt mit einer für ihn ungewöhnlichen Geduld immer wieder erklärt, warum er die Aufstellung von Mittelstreckenraketen als notwendig erachtete. Hörigkeit gegenüber Washington war das nicht.

Für ihn als Realisten ging es vielmehr um das empfindliche militärische Gleichgewicht in Europa, das erhalten und nicht durch irgendwelche Schwärmereien fürs „Frieden schaffen ohne Waffen“ gefährdet werden sollte. Daß er sich damit nicht nur gegen die tonangebenden Kreise, sondern auch gegen eine einflußreiche Strömung in der eigenen Partei stellte, irritierte ihn kaum.
Schmidt war von seinem ganzen Wesen ein Einzelgänger, wegen seines Fleißes und seiner Kompetenz widerwillig geschätzt, aber kühl und jemand, von dem behauptet wurde, daß er mit dem Genossen-Du stets Schwierigkeiten hatte. Eine Feststellung, die im Zusammenhang gesehen werden muß, mit dem Grund, den er für seinen Entschluß zum Eintritt in die SPD genannt hat.
Gesprächsweise äußerte er einmal, daß es im wesentlichen das „Erlebnis der Kameradschaft im Kriege“ war und daß er dann, als junger Wehrmachtsoffizier in britischer Gefangenschaft begriffen habe, daß der Kameradschaft und dem Sozialismus „letztlich ähnliche“ Vorstellungen und Werte zugrunde lägen.

Mit dieser Haltung hat Schmidt in seiner Partei früh Anstoß erregt, die immer noch auf Marx, Planwirtschaft und Pazifismus eingeschworen war. Als er 1958 freiwillig an einer Reserveübung der Bundeswehr teilnahm, kostete ihn das seinen Sitz im Fraktionsvorstand, und auch eine Stellungnahme zur Erhebung vom 20. Juli 1944 im Folgejahr sorgte für erhebliche Irritation: Darin erklärte Schmidt, daß er wie die meisten Deutschen den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes nicht von Anfang an habe erkennen können.
Als der schließlich durchschaubar geworden sei, hätten das Attentat auf Hitler und der anschließende Staatsstreichversuch zu einem weiteren Dilemma geführt, da sie „das Leben vieler Soldaten an der Front zusätzlich gefährdeten, während andererseits die von uns für sittlich geboten erachtete ‘Pflichterfüllung’ zur Verteidigung unseres Landes gleichzeitig und zwangsläufig der Fortdauer des Hitler-Systems zugute kam. Anders ausgedrückt: Wir hofften auf das Ende der Nazi-Herrschaft und konnten doch die bedingungslose Niederlage unseres Volkes keineswegs wünschen!“

Schmidt sprach damit etwas aus, was viele ehemalige Soldaten und überhaupt die Angehörigen der Kriegsgeneration so sahen, aber nicht die Doktrinäre in den Reihen der SPD. In der Partei gehörte er nie ganz dazu, verfügte über keine Hausmacht, trotz der Unterstützung durch die „Seeheimer“ und obwohl es viele Mitglieder und Wähler gab, die seinetwegen und nur seinetwegen der Partei in den siebziger Jahren die Treue hielten. Sie zog an, was die linken Intellektuellen und die Schwärmer abstieß: ein auch aus dem Protestantismus gespeister Wirklichkeitssinn, der Schmidt dazu führte, daß er im „Sozialismus“ nie eine Utopie oder ein Wolkenkuckucksheim sah, sondern eine gerechte, auf Ausgleich der Gegensätze beruhende Ordnung der Nation. Er stand damit in einer Überlieferung, die von Ferdinand Lassalle über Friedrich Ebert, Gustav Noske, Hermann Heller, Carlo Mierendorff und Julius Leber bis zu Kurt Schumacher reichte. Nichts, wovon seine Partei irgendetwas wissen will.   KW

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