Verkünde den Sieg und ziehe ab! Dieses Rezept befolgt US-Präsident am
19. Dezember per Twitter mit dem Rückzug seiner 2.000 Soldaten aus dem
Krieg gegen das ISIS-Kalifat in Syrien. Die Schockstarre bei den
Verbündeten, aber auch der siegesgewisse Hohn bei den Gegnern, kann
nicht überraschen. Die Verteidiger des Präsidenten werden wiederholen,
dass die vielen Milliarden Dollar für diese Kriegszone nichts gebracht
hätten und Amerika daheim und gegenüber Ostasien viel größere Sorgen
habe.
Ungeklärt dürfte bleiben, warum die Konflikte trotz enormer Verluste
weitergehen. Da fast immer die Demografie unausgelotet bleibt, soll ihr
Beitrag zur Dauerhaftigkeit des Tötens über Jahrzehnte hinweg – Europas
Erfahrung von 1500 bis 1945 – in den Blick genommen werden.
Zwischen 1900 und 2015 legt der Islam um den Faktor 9 von 200 Millionen auf 1,8 Milliarden Menschen zu.
Das Christentum als mengenmäßig noch stärkstes Bekenntnis schafft nur
eine Vervierfachung (von 560 Millionen auf 2,3 Milliarden). Seit 1950
gelingt dem Islam ein Zugewinn von knapp 1,4 Milliarden Menschen. Iran,
Libanon, Tunesien und die Türkei mit zusammen 180 Millionen Einwohnern
sind mit zwei oder weniger Kindern pro Frauenleben aus dem explosiven Zuwachs bereits heraus. Das gilt auch für die rund 20 Millionen Bürger in den reichen Scheichtümern zwischen Bahrein und Kuwait.
Doch neun muslimische Länder gehören zu den aktuell 68 Nationen mit
einem heißen Kriegsindex über 3, wobei auf 1.000 rentennahe Männer von
55 bis 59 Jahren 3.000 Jünglinge zwischen 15 und 19 den Lebenskampf
aufnehmen. Es geht außerhalb des Nahen Ostens um Afghanistan (5.99; 36
Mill.), Sudan (4.65; 42 Mill.), Mauretanien (4.17; 5 Mill.) und Pakistan
(3.39; 200 Mill.). Gut 100 Millionen Menschen – 1950 sind es erst 15
Millionen – gehören zum arabischen Raum: Iraq (5.80; 40 Mill.),
Palästina (5.46; 5 Mill.), Jemen (5.41; 29 Mill.), Syrien (4.02; 18
Mill.), Jordanien (3.95; 10 Mill.).
Zusammen haben sie seit 1960 knapp 40 kriegerische Auseinandersetzungen hinter sich gebracht (Siehe auch hier).
„Nur“ bei sieben ging es um die Vernichtung der Juden Israels. Der Raum
mag beim Massakrieren Pausen einlegen. Doch mindestens bis 2030 wird er
mit dem Herstellen eines Gleichgewichts zwischen Ambitionen und
Positionen weitermachen müssen. Da es für potenzielle Kämpfer immer
schwieriger wird, außerhalb ihrer Region an Arbeit oder Sozialhilfe zu
gelangen, wird der blutige Aufstieg gegen heimische Eliten zum
naheliegenden Ausweg. Denn ökonomisch geht es nicht voran. So melden im
Jahre 2017 die fünf Länder neun (9!) hochkarätige PCT-Patente an. Aus
Israel kommen mehr als zweihundertmal so viele.
Da es bei den Angegriffenen zumeist ebenfalls um Muslime geht, kann
ihre Beseitigung nur mit einem Auftrag des Allhöchsten ausreichend
gerechtfertigt werden. Insofern liefert das Kalifat unter Abū Bakr
al-Baghdadi eine ideologisch kaum überbietbare Angriffsbasis. Er hat 98
Prozent seiner Gebiete und gut 60.000 Mann verloren. Ist die Zahl erschreckend? Gewiss! Bedeutet sie ein Ende der Fähigkeit, Verluste zu absorbieren? In keiner Weise.
Zwischen 2015 und 2030 steigt allein in Irak und Syrien die Zahl der
15-29-Jährigen um 3,5 Millionen Mann (7,75 auf 11,25 Millionen). Wenn
besorgt gemeldet wird, dass immer noch 30.000 Mann zum Kalifen stehen,
hat diese Warnung etwas Rührendes. Die Zahl junger Männer, die
bestenfalls durch Gewalt nach oben kommen können, liegt hundertfach
höher. Die 2.000 Amerikaner ständen auf verlorenem Posten.
Genozid-Ankündigungen rufen sie nicht nur nach Israel herein. Auch
Kurden bekommen – und das nicht allein aus Ankara – Vergleichbares zu
hören. Der vergreisende Westen, bei dem jeder Gefallene eine
Familienlinie auslöscht, kann nicht sonderlich viel tun. Aber eine
strategische Rückendeckung für den Überlebenskampf der Bedrohten bleibt
möglich. Die Ahndung syrischer Giftgasangriffe mit begrenzten
Luftschlägen könnte dabei Mittel der Wahl werden.
Gunnar Heinsohn (*1943) lehrt seit 2010 Kriegsdemographie am NATO
Defense College (NDC) in Rom. Am 23. Oktober 2018 hat er die
Grundsatzrede zum 15. Geburtstag des Joint Warfare Center (JWC) der NATO
in Stavanger gehalten.
Trump is smarter than the generals
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