Europa hingegen ist bloß
eine internationale Organisation ohne eigene militärische Mittel.
Großbritannien ist in der Tat mit einigem Abstand die führende
Militärmacht Europas. Nach den Vereinigten Staaten hat das Land den
größten Wehretat innerhalb der NATO,
die Bruttotonnage seiner Marine übersteigt die von Frankreich und
Deutschland zusammengenommen. Die britischen Spionagefähigkeiten
übersteigen die der anderen europäischen Länder bei weitem und die
strategische Kultur des Landes sucht, vielleicht mit der Ausnahme von
Frankreich, in Europa ihres gleichen. Mit seinen Militärbasen in
Gibraltar und Zypern wacht Großbritannien auch über die Ein- und
Ausfahrt ins Mittelmeer und es ist das einzige europäische Land, das
eine tatsächlich globale militärische Präsenz hat. Während
Großbritannien jetzt die EU verlässt, bleiben diese strategischen Fakten
bestehen.
Auch die
britischen geostrategischen Ziele in Europa ein Kräfteverhältnis
zugunsten eines liberalen Europas zu wahren, werden sich nicht ändern.
Auf dieser Grundlage hat Großbritannien eine seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs
ununterbrochene militärische Präsenz auf dem europäischen Festland
gewahrt. In Deutschland sind 5000, in Estland 850 und in Polen 150
Soldaten stationiert und Kampfjets der britischen Luftwaffe RAF sind
regelmäßig über Rumänien, Litauen und Island im Einsatz.
Großbritannien
hat mehr Truppen in anderen Nato Staaten stationiert als alle anderen
Verbündeten mit Ausnahme der Vereinigten Staaten. Anders als Frankreich,
das nicht Mitglied der Nuklearen Planungsgruppe der Nato ist, dient die
nukleare Abschreckung Großbritanniens zudem „unter allen Umständen“ dem
Schutz des gesamten Nato-Gebiets.
Für Großbritannien bleibt die Nato der Kern europäischer Geopolitik und
allgemeiner Garant des Friedens in Europa. Entsprechend rangiert die EU
im weiteren auf britischer und amerikanischer strategischer Stärke
beruhenden atlantischen Rahmen nur auf einem untergeordneten Rang. Viele
EU-Länder scheinen daher davon überzeugt zu sein, dass es an der Zeit
ist, eine EU-„Souveränität“ bzw. -„Autonomie“ zu entwickeln – in
Richtung dessen, was EU Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als
„Verteidigungsunion“ bezeichnet hat. Ohne eine substantielle Steigerung
der europäischen Verteidigungsausgaben scheint dieses Ziel jedoch kaum
verwirklichbar.
Kooperation mit Großbritannien notwendig
Nach jahrelangen Kürzungen seines
Militärhaushalts hat Frankreich nicht mehr die Mittel (obwohl das Land
Atomwaffen unterhält, ist sein Verteidigungshaushalt mit dem
Deutschlands vergleichbar). Deutschland verfügt weder über das volle
Spektrum militärischer Fähigkeiten noch hat es den politischen Willen,
diese aktiv (militärische Interventionen) oder passiv (Abschreckung)
einzusetzen. Daraus folgt, dass die Europäer mehr mit Großbritannien
werden kooperieren müssen, wenn sie militärische Mittel und Fähigkeiten
bewahren, geschweige denn erweitern wollen. Britische Bedenken in Bezug
auf die Richtung, die eine solche Verteidigungsunion nehmen könnte und
deren Potential, die Nato zu unterlaufen, könnten solche Partnerschaften
schwierig machen.
Für die Verteidigungszusammenarbeit
zwischen Großbritannien und der EU könnten sich daher EU-externe
Strukturen, in die EU-Staaten eingebunden sind, wie etwa die
Interventionsinitiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron
und die britisch-französischen Combined Expeditionary Forces als
fruchtbarer erweisen. Manche der in diese Initiativen eingebunden Länder
sind näher an Großbritanniens aktiver strategischer Kultur, die der EU
völlig fehlt.
Britische Truppen bleiben in Deutschland
In ihrem verteidigungspolitischen
Strategiepapier aus dem Jahr 2010 (Strategic Defence and Security
Review) hatte sich die britische Regierung für einen Abzug der in
Deutschland verbleibenden Truppen bis 2020 ausgesprochen. Angesichts des
revisionistisch-aggressiven Kurses Russlands ist diese Entscheidung nun
zurückgenommen worden. Britische Truppen werden in Deutschland bleiben.
Dieses geänderte strategische Engagement Großbritanniens bildet die
Basis für eine mögliche Zusammenarbeit zwischen London und Berlin,
insbesondere in Hinblick auf das gemeinsame Interesse Russland an der
Ostflanke der Nato in Schach zu halten.
Wie auch die
Vereinigten Staaten könnte Großbritannien leicht die Geduld verlieren,
sollte Deutschland seine Verteidigungsausgaben nicht erhöhen, nicht
zuletzt weil Berlin bereits zugesagt hat, diese bis 2024 auf 2 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts hochzuschrauben. Sollte sich Deutschland nicht
voll einbringen, würde dies kein gutes Licht auf Europas
wirtschaftlichen Motor werfen, insbesondere wenn ärmere Alliierte wie
die baltischen Staaten, Rumänien oder Polen die vereinbarten Sätze
bereits beitragen.
In der Tat ist nicht auszuschließen, dass Großbritannien in zunehmend
jeder Form europäischer strategischer Zusammenarbeit ablehnend gegenüber
stehen wird, sollte der Graben zwischen der EU und Großbritannien
größer werden. Dies ist eine Frage, die die EU und die Länder Europas
sorgfältig analysieren müssen. Für Europäer könnte das zunehmend wichtig
werden, dann nämlich, wenn die Vereinigten Staaten entweder vom
Unwillen vieler europäischer Länder ihr volles Gewicht einzubringen müde
werden oder ihren Fokus mehr auf Ostasien legen. Dann könnten sich alte
Freunde noch immer als die besten Freunde erweisen. Alan Mendoza
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