Stationen

Dienstag, 25. Dezember 2018

Ein guter Artikel in der Main-Post??

Die „arabische Seele“ ist schlecht auf die Verunsicherungen der modernen Welt eingestellt. Starke religiöse Prägung verhindert einen offenen und distanzierten Blick auf verschiedene Lebenswirklichkeiten. Viele Muslime sind gefangen in aus westlicher Sicht überkommenen Familien- und Geschlechterbildern und haben bei Konflikten kaum Lösungsstrategien, sondern reagieren mit Angst. Dies ist die Sichtweise des Psychotherapeuten und Autors Dr. Burkhard Hofmann – eine Sichtweise, die er im Buch „Und Gott schuf die Angst“ ausführlich darstellt.
Frage: Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Dr. Burkhard Hofmann: Ich behandle seit zehn Jahren regelmäßig Patienten in den Golfstaaten und fliege regelmäßig für Therapiesitzungen dorthin. Dass Angst bei den Therapiesitzungen ein so überdurchschnittlich oft wiederkehrendes Thema war, hat mich überrascht. Vieles war insgesamt verstörend. Um mich, quasi in einem Akt der Selbsthygiene, von dieser Verstörung lösen zu können, habe ich das, was ich erfahren habe, in Form von Sitzungsprotokollen aufgeschrieben. Daraus ist dann ein Buch geworden.
Worin besteht die arabische Angst?
Hofmann: Angst haben alle Menschen – und die größte Angst ist die vor dem Tod. Alle Religionen, ob der Islam oder das Christentum oder das Judentum, versuchen ja letztlich, diesem Trauma etwas entgegenzusetzen. Durch Tröstung, Sinnstiftung. Und natürlich durch eine Jenseitsverheißung. Jetzt entsteht aber dadurch, dass Religion Vorschriften macht und durchaus auch mit schrecklichen Strafen beim Nichtbefolgen droht – Stichwort: Hölle – neue Angst. Also ist bei Religion der Ausgangspunkt die Angst und auf dem Rückweg entsteht wieder Angst. Ich habe beobachtet, dass gerade bei meinen arabischen Patienten die Angst vor der Hölle sehr stark ist.
In der Gedankenwelt eines gläubigen Muslims spielt offenbar der Umstand, dass jede Mutter die Macht hat, ihren Kindern das Himmelreich zu verwehren, eine große Rolle. Können Sie das erklären?
Hofmann: Es ist bei Muslimen kulturfremd, Bindungen zur Familie zu lösen, aus dem System Familie auszubrechen. Es gibt einen Hadith, der besagt, das Paradies liege zu Füßen der Mutter. Ich selbst bin sicherlich kein Koranexperte, kann aber sagen: Meine Patienten verstehen diesen Satz dahingehend, dass die eigene Mutter dem Gläubigen den Zugang zum Himmel verwehren kann – selbst wenn Allah den Gläubigen aufnehmen würde.
Die Araber, mit denen Sie gesprochen haben, fürchten also, dass sie in dem Moment, wo sie sich von der Mutter lossagen oder nur lösen, das ewige Leben verspielen?
Hofmann: So wurde es mir vermittelt. Bei uns im Westen ist die Loslösung von der Herkunftsfamilie etwas Wichtiges, was im Zuge des Erwachsenwerdens passieren sollte. Im Mittleren Osten ist die Loslösung von der Familie, die Emanzipation von dem, was Familie erwartet, kaum möglich. Weshalb Muslime oft in Familienverbänden unterwegs sind und einzelne Mitglieder der Familien oft sehr unselbstständig bleiben, auch im Erwachsenenalter. Arabische Familien sind zusammen und bleiben häufig zusammen. Das ist einerseits etwas Wunderbares: Man ist nie allein; hat Unterstützung bei Krankheit, Leiden und Tod. Gleichzeitig ist dieser Zwang zum Zusammensein aber auch bedrückend, weil man nie zu sich kommt, nie in Loslösung von der Familie reifen kann.
Das sogenannte Separationsverbot oder auch Trennungsverbot ist also eine Ursache der Angst, weil die Notwendigkeit, sich mit der Familie und gerade mit der Mutter gut zu stellen, eine Vorbedingung fürs Paradies ist. Und schafft man das nicht, kommt Angst auf.
Hofmann: Nahezu jeder Patient, der durch die Tür kam bei mir, kam mit einer Angst-Symptomatik. Viele berichteten von Psychopharmaka, die sie gegen die Angst nahmen; berichteten von Abhängigkeit von Suchtstoffen. Wenn ich die Mutter nicht klar und schonungslos in den Blick nehmen darf, dann habe ich Mühe, in mir ein Mutterbild zu schaffen, das zutreffend ist. Dabei ist es aus westlicher Sicht wichtig, für den Reifeprozess, realistische Bilder beider Elternteile zu entwickeln. Auch hier in unserem Kulturkreis ist diese Aufgabe nicht einfach; denn um zur inneren Wahrheit zu gelangen, bedarf es einer gewissen inneren Schonungslosigkeit. Es bedarf der Distanzierung. Aber für einen Menschen aus dem arabischen Kulturkreis ist es ungleich härter und angstbesetzter, diese Auseinandersetzungsprozesse durchzustehen.
Sie stellen bei arabischen Männern einen „Mangel an Struktur“ fest, der oft zu einem gesteigerten Risiko-Verhalten wie Drogen, Alkohol, Wettfahrten führt. Wie kommt das?
Hofmann: Zu distanzierte Elternliebe führt oft dazu, dass im Erwachsenenleben ein gutes Selbstbild fehlt. Eine liebevolle und bergende Elternliebe dagegen erzeugt im Kind Selbstliebe und Selbstverankerung. Und diese Verankerung in sich selbst ist ja letztlich das wichtigste Werkzeug eines jeden Menschen gegen die Angst im Leben. Es ist in der Mittel- und Oberschicht üblich, Kinder rund um die Uhr durch eine asiatische Nanny betreuen zu lassen, die dem Kind dienen, es aber nicht lieben. Sie verwöhnen letztlich die Kinder – und verwöhnte, strukturarme Kinder halten dann im Erwachsenenalter wenig aus. Weshalb sie schnell anfangen, ihre Verunsicherung, ihre Ängste zu betäuben mit Drogen etwa oder bei Wettfahrten oder anderen Risikoaktivitäten. Männer haben zu Letzterem mehr Gelegenheit als Frauen.
Sie sagen, der Glaube führt dazu, dass arabische Seele schlecht auf Globalisierung vorbereitet ist.
Hofmann: Viele Patienten befinden sich in einer zum Teil mit großer Anstrengung aufrechterhaltenen Glaubensgewissheit. Aber der Verlust droht; davor haben sie Angst. Im Westen haben wir viele Glaubensüberzeugungen losgelassen, viele von uns leben in einer postreligiösen Zeit. Das färbt uns eher depressiv. Vor dem Verlust habe ich Angst, nach dem Verlust die Trauer. Hierzulande lebt jeder mit einem Stück Unglauben; das macht geistig beweglich. Und diese Beweglichkeit ist etwas, was wir brauchen.
Im Umkehrschluss würde das heißen, dass der strenggläubige Islam eine gewisse Unbeweglichkeit im Denken fördert.
Hofmann: Im Islam darf die Religion als Ganzes nicht infrage gestellt werden, das ist verpönt. Ich erlebe schon eine Unbeweglichkeit im Denken durch das Fehlen einer offenen Diskussionskultur, durch viele Tabuthemen. An dieser Stelle muss man zum Verständnis sagen, dass durch politische Strukturen und fehlende Pressefreiheit Informationsströme und damit die Diskussionskultur sehr geregelt werden.
Sie sagen, man dürfe sich keine Illusion über Machbarkeit von Integration von strenggläubigen Muslimen machen. Muss man das verstehen als Absage an die in großen Teilen Deutschlands gelebte Willkommenskultur?
Hofmann: Ich glaube, Integration entscheidet sich an der Fähigkeit der Ankömmlinge, ein Stück Selbstdistanz haben zu können. Selbstdistanz, aus der heraus sie Integration überhaupt erst betreiben können. Wenn sie das Leben ihres Herkunftslandes unverändert weiterleben wollen, können sie nur scheitern. Wir als Bürger des Gastlands brauchen diese Selbstdistanz aber auch; das ist unsere Pflicht.
Unter Selbstdistanz verstehen Sie, dass man auf sich und seine Motive wie von außen gucken kann.
Hofmann: Selbstdistanz bedeutet, dass man sich etwas anderes als die eigene Lebensweise wenigstens vorstellen kann. Ich muss also imstande sein, meine Position zu relativieren und nicht absolut zu setzen. Strenggläubige Muslime tendieren nun weniger dazu, aufgrund der Prägung durch Religion und Kultur, diese Selbstdistanz zu üben. Ich habe bei meinen Sitzungen strenggläubige Muslime erlebt, die allein bei der Aufforderung, ihr Gottesbild zu hinterfragen, eine Panikattacke bekamen.
Sie haben, als Psychotherapeut, Ihre Probleme mit der Vollverschleierung von Frauen.
Hofmann: Wichtig für Kinder ist es doch zu sehen, wie ihre Mutter agiert. Was sie fühlt. Und Emotionen spiegeln sich im Gesicht. Dass Kinder in arabischen Ländern ihre Mütter oft vollverschleiert erleben müssen, hilft ihnen nicht, Gefühle und Kommunikation zu entschlüsseln.
Haben Sie Angst, als Islamgegner wahrgenommen zu werden?
Hofmann: Es gibt immer Leute, die einen in eine gewisse Schublade stecken wollen; davor fürchte ich mich schon. Aber ich denke, es ist wichtig die Menschen, die zu uns kommen, zu verstehen.
Frage: Lassen sich Ihre Erfahrungen mit Menschen aus den reichen Golfstaaten auf Muslime anderer Länder übertragen?
Hofmann: Ich glaube, mit gewissen Einschränkungen, ja.   Main-Post

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