Seit genau einem Jahr amtiert Sebastian Kurz als Bundeskanzler, er zog
am 18. Dezember 2017 am Ballhausplatz ein. Für die „Süddeutsche“ lag es
nah, weniger auf volkswirtschaftliche Daten zu schauen, sondern zur
Erklärung der Popularität von Kurz ein Interview mit dem österreichischen Historiker Oliver Rathkolb zu führen, Autor des Buchs „Die paradoxe Republik“.
Auf die Frage nach der Bilanz für das Mitte-Rechts-Kabinett, das seit einem Jahr Österreich regiert, meint Rathkolb:
„Kanzler
Kurz lässt der FPÖ eine lange Leine. Dafür steht sie ihm nicht im Weg.
Die ÖVP setzt ihre konservative und wirtschaftsfreundliche Politik um…
Die FPÖ beschränkt sich auf Symbolpolitik. Dazu gehören die Erhöhung des
Tempolimits auf Autobahnen oder dass weiterhin in der Gastronomie
geraucht werden kann. Was mich irritiert, ist die fehlende
Zukunftsvision. In Fragen zu Klima, Migration oder Bildung ist die
österreichische Regierung in Richtung Vergangenheit unterwegs.“
Was fällt dem Historiker noch auf?
„Kurz
hat erkannt, dass die Österreicher Streit in der Politik ablehnen. Ihm
gelingt es, nach außen hin zu vermitteln: Das ist die erste Koalition,
die arbeitet und nicht streitet. Das kommt bei den Österreichern sehr
gut an.“
Oliver Rathkolb ist auch Herausgeber einer Studie, die sich mit dem beschäftigt, was er „autoritäre Sehnsucht“
nennt. Beziehungsweise, ins Nüchterne übersetzt: mit dem verbreiteten
Wunsch der Wähler, einigermaßen vernünftig und unter Berücksichtigung
ihrer Interessen regiert zu werden. Diese autoritäre Sehnsucht
jedenfalls, stellte Rathkolb fest und referiert es gegenüber der
Süddeutschen, habe mit dem Amtsantritt von Kurz und dessen Vizekanzler
Heinz-Christian Strache 2017 deutlich abgenommen – weil sich offenbar
viele Österreicher nicht mehr sehnen, sondern meinen, die Regierung
erledige ihr Programm nicht schlecht.
Rathkolb: „Seit seinem
Amtsantritt ist unseren Umfragen zufolge die autoritäre Sehnsucht
nachweislich nach unten gegangen – weil viele das Gefühl haben: Jetzt
werden wir geführt. Er fährt zudem einen härteren Asyl- und
Migrationskurs, was seine Wähler und Wählerinnen goutieren.“
„Seine Fans“, fragt die Münchner Zeitung besorgt, „beklatschen
auch, dass Kurz Österreich zurück auf die internationale Bühne und auf
viele Magazincover gebracht hat. Schwingt da auch ein ‚Wir sind wieder
wer’ mit?“
Auch dazu weiß der Historiker eine Antwort, die auf die Fragesteller möglicherweise irritierend wirkt:
„Interessanterweise
haben Kurz und Strache dasselbe politische Vorbild: den früheren
SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky. In der Erinnerung der Österreicher ist das
der letzte große Staatsmann. Kurz hat in einem Punkt auch Ähnlichkeit
mit Kreisky: Er schafft es so zu kommunizieren, dass ihn
jeder versteht.“
Mit anderen Worten: Sebastian Kurz verfolgt
seit einem Jahr eine wirtschaftsfreundliche Politik, vermeidet
Koalitionskrach, die Partei rechts von ihm treibt die Alpenrepublik
nicht etwa in die Diktatur, sondern beschränkt sich auf Kleinthemen. In
der Migrations- und Asylpolitik verfolgen beide einen mehrheitsfähigen
Kurs. Außerdem pflegt Kurz eine politische Rhetorik, die Schachtelsätze
meidet und einigermaßen klare Aussagen enthält.
Mit Tricks dieser Art ist es natürlich keine Kunst, gut in Umfragen abzuschneiden.
Es folgt noch eine Frage der Süddeutschen zu den Protesten in Österreich gegen die Kurz-Regierung, die unter dem Motto „Wehret den Anfängen“
stehen. Die Zahl der Protestler, trübt Rathkolb die Stimmung, sei sehr
übersichtlich. Vor allem – das erwähnt er zwar nicht, aber es fällt in
diesen Tagen besonders auf – im Vergleich zu den
Anti-Macron-Demonstranten in Paris. (aber das Beste kommt hier...)
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