Was hat Sie veranlasst, sich an die Übertragung dieses Werks zu wagen?
Das Gefühl, das Werk müsste neu übersetzt werden, hatte ich schon
seit längerem. Denn wenn man spanischsprachige Literatur übersetzt,
stößt man in nahezu jedem Werk auf ein Zitat aus dem Quijote. Als
Übersetzer schaut man sich dann die gängigen Übersetzungen an und stellt
fest, dass das, worauf der Autor Wert gelegt hat, in der Übertragung
nicht richtig herauskam. So hatte ich öfter von der Notwendigkeit einer
Neuübersetzung gesprochen, ohne dass ich daran gedacht hätte, dass ich
selbst das tun sollte.
Dann kam vom Hanser Verlag der Vorschlag, diese Arbeit in Angriff zu
nehmen. Am Anfang war ich etwas erschrocken. Aber als ich dann ein
Kapitel versuchsweise übersetzt hatte, war ich gebannt von der Arbeit.
Ich bemerkte nämlich, dass sich der ganze Roman im Grunde um nichts
anderes als die Sprache dreht. Und das ist für Übersetzer natürlich ein
kleines El Dorado. Der gesamte Roman handelt eigentlich nur davon, wie
sich zwei völlig unterschiedliche Gestalten – Don Quijote und Sancho
Panza –, die völlig verschiedenen Gesellschaftsschichten entstammen, in
Gesprächen einander annähern. Und wie sie sich immer besser verstehen,
aber auch missverstehen, wie sie einander parodieren und nachahmen – all
das zeigt Cervantes durch das Medium der Sprache. Hinzu kommt natürlich
der enorme Figurenreichtum – alle Protagonisten haben eine eigene
Stimme. Nimmt man dann noch die ganzen Sprach- und Wortspiele und die
Sprichwörter hinzu, ergibt sich ein ungeheures Spielfeld für die
Sprache. Aber vor allem das Verhältnis zwischen Don Quijote und Sancho
Panza hat mich fasziniert. Und da war mir klar, dass ich die Übersetzung
übernehmen muss.
Von welchen Prinzipien haben Sie sich bei Ihrer Arbeit leiten lassen?
Don Quijote ist eine Figur, die so sehr mit bestimmten Vorstellungen
besetzt ist, dass sich sehr schwer dagegen ankämpfen lässt. Dennoch
wollte ich das feststehende Don-Quijote-Bild ebenso wie das von Sancho
Panza untergraben, um wieder Bewegung in die Bilder kommen zu lassen.
Die anderen Übersetzer haben immer versucht, aus Don Quijote ein
bestimmtes Symbol zu machen. Zunächst hat man ihn als Narren
dargestellt, der moralisch zu verurteilen sei. Später dann, in der
Romantik, galt er als Idealist. Jede Zeit hat versucht, ihn ihrem
Weltbild entsprechend zu vereinnahmen. Mir kam es demgegenüber darauf
an, Don Quijote nicht auf eine Interpretation festzulegen. Darum habe
ich versucht, die Vielschichtigkeit der Figuren zu bewahren, indem ich
ihre Sprache differenzierter wiedergebe und einzelne Details deutlicher
hervortreten lasse und die Figuren eben nicht sprachlich denunziere –
indem ich sie übertrieben schwülstig oder altertümlich reden lasse. Ich
wollte den Figuren Freiraum für die sprachliche Entwicklung lassen. Denn
auch bei Cervantes ist die Sprache sehr subtil, sie ändert sich
bisweilen von Satz zu Satz oder sogar innerhalb eines einzigen Satzes.
Darum weiß man eigentlich nie genau, was Don Quijote eigentlich antreibt
und wie bewusst er sich seiner Taten und Motive ist. Ebenso offen ist
auch, ob er die anderen nicht sogar für seine Zwecke einspannt und die
Wirklichkeit sozusagen zwingen will, sich nach seinen Vorstellungen zu
verhalten: also kein verblendeter Narr, sondern jemand, der sein
radikales Uneinverständnis mit der Welt vorführt. Indem man diese
Nuancen berücksichtigt, kann man das herkömmliche Quijote-Bild
langfristig vielleicht ein wenig verändern – vielleicht. Möglich ist
aber auch, dass sich gegen eine 400 Jahre alte Tradition gar nichts
ausrichten lässt. Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass man ein etwas
differenziertes Bild des Ritters bekommt.
Auf welche Hilfsmittel haben Sie bei Ihrer Übersetzung zurückgegriffen?
Eine wesentliche Vorlage war die neu herausgegebene kritische Ausgabe
von Francisco Rico. Sie fasst alle bisherigen Ausgaben zusammen und
bietet ungeheuer viel Material. Erstaunt hat mich aber, dass diese
eigentlich akademische Ausgabe auch Dinge erklärt, die ein
durchschnittlicher spanischer Leser heute eigentlich sehr wohl noch
verstehen müsste. Denn so fern scheint mir die Sprache Cervantes´ nun
doch nicht zu sein. Im Zeitalter des Internets hat man zudem die
Möglichkeit, eine Unmenge historischer spanischer Wörterbücher
einzusehen. Außerdem habe ich natürlich den Covarrubias genutzt, das
Standardwerk zum Sprachstand der Cervantes-Zeit. Auch dieses Werk war
mir eine große Hilfe. Demgegenüber muss man sich vorstellen, dass der
erste Übersetzer des Cervantes, Pahsch Basteln von der Sohle – ein
Pseudonym von Joachim Caesar –, für seine 1623 erschienene Übertragung
nicht einmal ein spanisch-deutsches Wörterbuch zur Verfügung hatte. Das
gab es damals noch gar nicht. Insofern war das eine ungeheure
Pionierleistung. Außerdem war mir eine zehnbändige, 1948 von Rodriguez
Marín editierte Ausgabe von Nutzen, die zu sämtlichen nicht ganz so
üblichen Ausdrücken und Redewendungen Belege aus dem Zeitalter
Cervantes´ bringt. Und das ist für einen Übersetzer natürlich eine große
Hilfe.
Zugleich habe ich natürlich auch über das Deutsche sehr viel gelernt.
Denn auf der Suche nach Quijote-tauglichen Wörtern habe ich immer wieder
den gesamten Sprachschatz vom Barock bis zur Gegenwart durchforstet. So
habe ich gleich noch eine kleine Entdeckungsreise durch die eigene
Sprache unternehmen dürfen: eine weitere Freude für mich bei dieser
sechsjährigen Arbeit. Susanne Lange
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