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Mittwoch, 13. Dezember 2023

Die Auflösung der „Academia Christiana“ ist bedenklich

Selbst in Deutschland ist mittlerweile bekannt geworden, dass die „Academia Christiana“, eine trotz ihres recht jungen Bestehens schon beinahe legendär anmutende und stetig wachsende Organisation zur katholischen Jugendbildung, durch den französischen Innenminister aufgelöst worden ist. Ebenso bezeichnend wie bedenklich sind hier zwei Aspekte.

Der französische Innenminister agiert fragwürdig

Zunächst das rein Formale: Gérald Darmanin, der französische Innenminister, hat diese Auflösung in mehreren öffentlichen Interviews und unter Verweis auf ebenso vage wie unbelegte Gründe bekannt gegeben, bevor „Academia Christiana“ überhaupt die Möglichkeit erhalten hat, eine Stellungnahme zu formulieren oder die entsprechenden Nachfragen und Richtigstellungen in Gang zu setzen. Der Vorwurf bewusster Prozedurfehler zum Zwecke von Einschüchterung und Rufmord dürfte wohl kaum unbegründet sein und könnte sogar zum Scheitern des Ministerbeschlusses führen – man erinnere sich an die analogen Debatten um den deutschen Verfassungsschutz und seinen umstrittenen medialen Umgang mit diversen laufenden Beobachtungs- und Verbotsverfahren.
Nun das Inhaltliche.

Das offizielle Schreiben des Innenministers ist zur Zeit noch Verschlusssache, aber Gérald Darmanin hat in mehreren Interviews vor einem Millionenpublikum einige schwerwiegende Gründe explizit zitiert, allen voran die Planung „bewaffneten Widerstand gegen Staat beziehungsweise Personengruppen“, die „Idealisierung des Vichy-Regimes“ und den „Aufruf zur Diskriminierung einzelner Personengruppen“, auf die wir kurz eingehen wollen. Ich selbst bin zwar kein Mitglied der „Academia Christiana“, sondern habe lediglich mehrfach als Redner an den Sommerakademien dieser Organisation teilgenommen, so dass meine Perspektive notwendigerweise ebenso begrenzt ist wie sie voreingenommen scheinen könnte. Soviel aber wage ich zu sagen, dass mir alle drei Gründe ehrlicherweise völlig absurd scheinen.

Was ist „Academia Christiana“?

„Academia Christiana“ versteht sich als eine Bildungsorganisation, die junge Menschen an traditionelle katholische Werte wie Glaube und Familie heranführt, sie zum Stolz auf die kollektiven Leistungen der vergangenen Generationen animiert, ihnen zu einem ungeschönten Verständnis der gegenwärtigen moralischen wie politischen Situation Frankreichs verhilft, sie zur Vernetzung mit Gleichgesinnten einlädt und in diesem Kontext auch ein großes Gewicht auf Elemente wie gesunde Ernährung, traditionelle französische Volkstänze, regionale Verankerung, den (fakultativen) Besuch von „alter Messe“ und Rosenkranzgebet oder sportliche Betätigung legt. 

Dass für die Teilnehmer an den Akademien neben Dauerlauf und Volleyball auch ein paar Stunden Einführungen ins Boxen auf dem Programm stehen, kann kaum als Vorbereitung auf den Bürgerkrieg gewertet werden, ebenso wenig wie die in der Tat regelmäßig verbalisierte Angst vor einer baldigen „guerre civile“ in Frankreich ein Alleinstellungsmerkmal der „Academia Christiana“ ist, sondern mittlerweile ganze Regalwände füllt und in so gut wie jeder Talkshow von links wie rechts besprochen wird – inklusive durch den französischen Präsidenten selbst.

Die Vorwürfe sind absurd

Auch von einer Idealisierung des Vichy-Regimes, welches im Zweiten Weltkrieg mit den Nationalsozialisten kollaborierte, kann meines Wissens nach keine Rede sein: Dass neben hunderten anderer Autoren (verschiedenster politischer Ausrichtung) auf den Auslagen der Sommerakademien in der Tat auch Bücher von Maurras oder Brasillach verkauft werden, kann wohl ebenso wenig als ein Bekenntnis zur „collaboration“ mit Nazi-Deutschland gesehen werden wie die Tatsache, dass jene Werte, die vom Vichy-Frankreich rhetorisch immer wieder beschworen wurden – „travail, famille, patrie“ –, auch für die „Academia Christiana“ eine wichtige Rolle spielen: Nach der Logik des Ministers müsste dann ja auch die Französische Republik aufgelöst werden, weil sie sich auf Werte wie „liberté, égalité, fraternité“ beruft, die auch in der totalitären Sowjetunion hochgehalten wurden.

Der Aufruf zur Diskriminierung schließlich – gemeint scheint hier wohl eine angebliche Fremdenfeindlichkeit oder Islamophobie – scheint mir vollends absurd. Dass Frankreich ein massives Problem mit Islamismus und Migrantenkriminalität hat, wie in der Tat auf den Sommerakademien der „Academia Christiana“ regelmäßig besprochen wird, lässt sich auch in jeder Rede Emmanuel Macrons nachlesen; und dass eine französische traditionell-katholische Jugendorganisation von der Wahrheit des eigenen Glaubens und dem Reichtum der eigenen abendländischen Kultur überzeugt ist und diese aus religiösen wie patriotischen Gründen anderen Überzeugungen und Zivilisationen vorzieht, sollte wohl ebenfalls kaum strafrechtliche Folgen nach sich ziehen dürfen.

Der französische Laizismus steckt in der Sackgasse

Doch hinter all diesen haltlosen Gründen, die zudem anhand des mir bekannten Materials nur ganz indirekt durch Hörensagen, Framing und gezieltes Weglassen von Informationen begründet werden können, steckt ein viel tieferes Unbehagen, das wohl das eigentliche Motiv der Auflösung darstellen dürfte: „Academia Christiana“ hat in der Tat zwar nicht formal, aber doch emotional der laizistischen Republik die Unterstützung aufgekündigt und ist zum immer größer werdenden Sammelbecken einer Jugend geworden, die angesichts islamistischer Parallelgesellschaften, Clankriminalität, allgegenwärtigem Linksradikalismus, inkompetentem Pariser Zentralismus und einem hoffnungslos diskreditierten politischen System jegliche Hoffnung aufgegeben hat, dass durch Beschwörung semantischer Leerstellen wie „Republik“, „Laizität“ oder „Zusammenleben“ der französische Staat noch irgendwie organisch von innen reformiert werden könne.

Somit verlagert sich die Hoffnung jener von der „Academia Christiana“ repräsentierten Jugend zunehmend vom Politischen aufs Kulturelle und bemüht sich, durch Gründung von Familien, Vereinen und Schulen ebenso wie durch exemplarische Verbindung traditionell-katholischer Lebensführung mit den Realitäten der Moderne eine eigene Parallelgesellschaft nach Art der frühen Christen zu schaffen, welche jenes Vakuum auffangen soll, das von der Fünften Republik scheinbar nicht mehr mit Sinn gefüllt werden kann. Gerade das aber – also eine echte moralisch-kulturelle Alternative zur Moderne sein zu wollen und ein eigenes Spielfeld für die Auseinandersetzung der Zeit zu bestimmen, anstatt sich als bloßen politischen Gegner der herrschenden Eliten zu inszenieren oder, wie die Islamisten, die gewaltsame Konfrontation zu suchen und somit selbst ins soziale Aus zu schießen – kann und wird die laizistische Republik Frankreich der „Academia Christiana“ niemals vergeben.    David Engels (Tagespost)

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