Natürlich beides, von Anfang an. Aber vor 50 Jahren sagte man, etwas schematisch, aber nicht verkehrt, wer mit 20 nicht links ist, habe kein Herz, wer es mit 30 immer noch ist, habe kein Hirn. Jedenfalls entsprach dieser Spruch, den ich erst viel später zum ersten Mal hörte, damals genau meinen Beobachtungen. Und einer der wenigen klugen Lehrer, die ich damals hatte, erzählte uns, dass sogar Cicero am Beginn seiner Laufbahn links gewesen war, insofern er als junger Mann seine Aktivität sozialen Belangen zuwandte (aus welcher Schrift er das herauslas, weiß ich nicht mehr; vielleicht "In Verrem", aus dem das schöne Wortspiel ius verrinum stammt).
Aber meine Beobachtungen lehrten mich, dass der Spruch nicht mehr stimmt: die Menschen reifen nicht mehr. Meine Generation ist anscheinend die erste, bei der der Normalfall darin besteht, dass schon die Zwanzigjährigen entweder Herz oder Hirn haben (oder gleich eine Art Hirnzknorpel) und sich auch mit 30 nichts daran ändert.
Eine seltene Ausnahme ist der scharfsinnige und scharfzüngige Michael Werner, der nicht nur sehr luzide Texte über die Gegenwart im BeklopptenReichDeutschland schreibt, sondern nebenbei auch schöne Lieder schreibt, Er bestätigt mir durch seine wundervolle Emotionalität, was ich vor 50 Jahren nur vermutete: dass wahre Rationalität nur möglich ist, wenn man eine unbefangene Emotionalität besitzt, in der überschwängliche Zärtlichkeit, Anhänglichkeit und Treue genauso hemmungslos zum Ausdruck kommen wie berechtigter Hass. Wo die Emotionalität kastriert wird, bahnt sie sich ihren Weg hingegen in Form irrationaler, pseudorationaler Analysen, bei denen der Analytiker zum Hampelmann des eigenen Unbewussten wurde (wenn die Psychoanalyse zu etwas nützeist, dann dazu diesen Zusammenhang zu erkennen).
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