Stationen

Samstag, 2. Dezember 2023

Ich habe Tolkien noch nicht gelesen

Es liegt wohl daran, dass ich immer noch zu süchtig nach Dantes "Göttlicher Komödie" bin, um Zeit zu finden, mich Tolkien zu widmen. Aber zwei sehr von mir geschätzte Autoren äußern sich anlässlich von Tolkiens 50. Todestag:

 

Michael Ende schrieb einmal, dass jedes echte Buch in gewissem Sinne eine „Unendliche Geschichte“ sein könne. Gemeint ist damit zweifellos, dass ein solches „Buch der Bücher“ dem Leser zwei Gelegenheiten bieten muss: Zum einen muss es eine Welt erschaffen, die so komplex und gleichzeitig metaphysisch ist, dass man sich ganz in ihrer Unendlichkeit zu verlieren vermag und sich die Grenzen zwischen bloß mechanischer, rein mentaler Leseerfahrung und einer gewissen absoluten, äußeren „Echtheit“ verwischen; zum anderen ist eine Geschichte nur dann im wahren Sinne „unendlich“, wenn sie ihrem Leser die Möglichkeit bietet, an und mit ihr zu wachsen – und nicht nur einmal, sondern wiederholt, bei jedem neuen Lesen.

Tolkiens gewaltiger mythopoetischer Sagenteppich, dessen vielbeschworener „Herr der Ringe“ eigentlich nur die Spitze des Eisbergs darstellt, entspricht diesen Anforderungen zweifellos in grandioser Weise – und erheblich mehr als das.

Denn hinter den zahllosen Sagen der drei Zeitalter Mittelerdes steht ein ganzes Lebenswerk, dessen eigentliche Essenz in ihrer Unabgeschlossenheit und ihrer selbst für den Autor unauslotbaren Tiefe liegt: Die Welt Ardas ist weniger ein zur Publikation bestimmtes „Werk“ als vielmehr die Gesamtheit der zahllosen Forschungsreisen, welche Tolkien wieder und wieder durch jene Sekundärschöpfung unternahm, die sich, wie jede echte Schöpfung, gewissermaßen als „größer“ als ihr Schöpfer erwies, weil es ihr gelang, ein wenig an jenem Unendlichen teilzuhaben, das wir nur durch die Vermittlung jener „ever-present Person who is never absent and never named“ wahrnehmen können, wie Tolkien in seinen Briefen (Nr. 192) einmal schrieb.

Dies erklärt aber auch, wieso Tolkiens Werk gleichzeitig ein Katalysator für das innere Wachstum nicht nur seines Autors, sondern auch seiner Leser ist: Nur wenige, die sich in die Geschichte Mittelerdes vertiefen und mit der Fähigkeit gesegnet sind, die aufgenommenen Bilder sich auch innerlich anzuverwandeln, können sich der Konsequenz entziehen, dass die zahllosen archetypischen Legenden der drei Zeitalter allmählich in ihrem Unterbewusstsein Wurzeln fassen und zu einem regelmäßigen Vergleichsmaßstab des eigenen seelischen Wachsens werden, so dass schließlich ihr gesamtes Leben unter den Bann Mittelerdes gerät.

Von all diesen Erkenntnissen war ich freilich noch weit entfernt, als ich schon in kindlichem Alter durch die Lektüre des „Hobbits“ erstmals mit Tolkien vertraut wurde, wenn auch noch ohne unmittelbare Folgen. Ein bloßes „Kinderbuch“, so nahm ich das Büchlein damals altklug und unbedarft wahr, und gab dem als „realer“ und „erwachsener“ empfundenen Karl May deutlich den Vorzug. […]

Einige Jahre später geschah es dann: Bei einem Gang durch die „Mayer’sche Buchhandlung“ in Aachen kauften meine Eltern mir die „grüne“, im Kartonschuber zusammengefasste Ausgabe des „Herrn der Ringe“, die ich mit wachsender Begeisterung las – und es war rasch um mich geschehen. Den „Hobbit“ sah ich daraufhin in völlig neuem Licht, und ein Exemplar des „Silmarillions“ musste unverzüglich angeschafft werden und wurde ebenso rasch verschlungen. In kürzester Zeit glaubte ich, mir die Welt Mittelerdes einverleibt zu haben, und doch war ich selbst es, der – bis heute – in sie eingegangen war, ohne dies je bereut zu haben.


Die folgenden Jahre – „damals“, in der grauen Frühzeit der 1990er, noch ganz ohne Amazon und Internet – standen unter dem Zeichen des verzweifelten Versuchs, möglichst alle weiteren verstreuten Schriften Tolkiens ausfindig zu machen und zu erwerben. Kaum ein Besuch in der englischen Buchhandlung Brüssels – das geographisch nächstgelegene Tor zur englischen Geisteswelt – verging ohne die Anschaffung eines weiteren Bandes von Christopher Tolkiens „History of Middle Earth“ (dessen Lektüre mir allerdings ebenso aufgrund noch sehr rudimentärer Englischkenntnisse wie auch der fragmentarischen Natur dieser Sammlung große Schwierigkeiten bereitete), eines neuen „Tolkien-Kalenders“ oder eines neuen Bildbandes mit Fan-Art; und der Schreibtisch meines damaligen Schlafzimmers wurde zu einer Art Altar, auf dem ich stolz meine Schätze ausbreitete und meist verständnislosen Schulkameraden vorführte.
Ich trat auch in Austausch mit der deutschen „Inklings-Gesellschaft“, doch überstieg deren Interesse an Tolkiens Mitstreitern und Zeitgenossen letztlich meinen damaligen Horizont, der an Fantasy, nicht Literatur oder gar Theologie interessiert war. Selbst meine Handschrift durchlief eine dramatische Transformation: Tolkiens „Elbenschrift“ rannte die ohnehin offene Tür meiner Liebe zu fremden Alphabeten ein, und so erlangte ich rasch große Fertigkeit darin, kurze Unterrichtsnotizen vielmehr in feanorischen als lateinischen Buchstaben anzufertigen und selbst meine eigene Handschrift durch schwungvolle Schleifen „elbisch“ umzuformen – zum großen Leidwesen meiner Lehrer, die sich vorher über meine hässliche, nunmehr aber meine allzu ästhetisierende, in beiden Fällen natürlich völlig unlesbare Handschrift beklagten.
Dann wurde es wieder still um Tolkien: Zwar schaute ich mit wachsender Begeisterung, aber auch einigen kleineren Reserven die Peter-Jackson-Verfilmungen (Wo waren der Alte Wald, Tom Bombadil und vor allem die Säuberung des Auenlandes geblieben?), Mittelerde trat aber während meiner Studienzeit ein wenig in den Hintergrund meiner Interessen, die sich vor allem auf den Bereich der Alten Geschichte und der Kulturkomparatistik verlagert hatten.


Eigentlich war es erst während der schweren Jahre an der Universität Brüssel, als mein Buch „Auf dem Weg ins Imperium“ mich unter den größtenteils offen antichristlich und linksliberal eingestellten Kollegen zunehmend zur persona non grata machte, dass ich Tolkien (wieder)entdeckte, und zwar an der Arbeit zu meinem Buch „Was tun?“, in dem ich versucht hatte – eher für mich selbst als für potentielle Leser, auf die ich gar nicht zu hoffen wagte –, die Grundlinien eines konservativen, abendlandpatriotischen Lebensstils zu skizzieren, der es ermöglichen sollte, auch heute, inmitten von Verrat und Verfall, weiterhin dem Wahren, Schönen und Guten treuzubleiben.

Zwar hatte ich auch in der Zwischenzeit regelmäßig, also eigentlich jedes Jahr, den „Herrn der Ringe“ und das „Silmarillion“ neu gelesen und oft auch auf den langen Autofahrten nach Brüssel als Hörbuch angehört, aber erst meine konservative „Selbstfindung“ eröffnete mir eine neue Dimension des Werkes: zum einen als eine Art Widerstandsliteratur, zum anderen als ein Schritt weg vom Spengler’schen Relativismus hin zu einem christlich fundierten moralischen Absolutismus.

Es ist daher wohl kaum übertrieben zu sagen, wenn ich neben Martin Mosebachs „Häresie der Formlosigkeit“ und Ratzingers „Einführung in das Christentum“ Tolkiens Werk – und zwar eher noch das „Silmarillion“ als den „Herrn der Ringe“ – als die drei ersten Marksteine auf meinem (Rück-)Weg ins Christentum bezeichne.
Und noch ein weiterer, von mir bislang ignorierter Aspekt wurde mir dank der Beschäftigung mit Tolkiens kreativem Prozess zunehmend deutlich, je mehr ich mich im Rahmen meines aufkeimenden Interesses für das, was C. G. Jung einmal „aktive Imagination“ genannt hat, mit visionären Techniken verschiedenster Zivilisationen auseinandersetzte: Nämlich dass Tolkien die schon fast monomanisch jahrzehntelang immer wieder umgeschriebenen und ausgefeilten Geschichten seines Legendariums nicht „einfach nur so“, also gewissermaßen aus ästhetischer Selbstbespiegelung, verfasste, sondern den Schöpfungsprozess explizit als Verwirklichung einer Vision betrachtete, die ihm im tiefsten Wortsinne „wahr“ erschien (doch dazu gleich mehr).

Daran schloss sich auch das verstärkte Interesse am biographischen Hintergrund Mittelerdes, denn wenn es bislang die „Geschichten“ waren, nicht die eigentlich eher unspektakuläre Vita ihres Autors, war es nunmehr zunehmend der eigentliche Schöpfungsprozess, der mein Interesse weckte und meine Lektüre der Sekundärliteratur steuerte: Nicht mehr Mittelerde „trotz“ Tolkien, sondern gerade „wegen“ Tolkien.

Je mehr ich mich in meinen eigenen Publikationen zu Fragen der modernen Kulturkritik äußerte und die Kraft zum Widerstand gegen die gegenwärtige, gewissermaßen post-abendländische Mehrheitsgesellschaft aus der Heroik der Tolkienʼschen Figuren schöpfte, desto mehr wurde mir auch ganz explizit bewusst, wie unzeitgemäß sich bereits Tolkien selbst in seinem Briefverkehr empfunden hatte, dessen Äußerungen zur damaligen politischen und kulturellen Situation seiner eigenen Lebenszeit ihn wohl heute, würde er sie lediglich wortwörtlich wiederholen, in kürzester Zeit Lehrstuhl und soziales Ansehen kosten würden.   David Engels


Unlängst offenbarte ich einer lieben Bekannten, dass ich jeden Teil der Filmtrilogie „Der Herr der Ringe” von Peter Jackson mindestens zehnmal gesehen habe, was sich bei drei altersmäßig etwas voneinander entfernten Söhnen recht einfach erklärt. Sie befand sich auf der Suche nach kinetomatographischer Unterhaltung für die älteren ihrer fünf Sprösslinge, aber meine Empfehlung kam nicht gut an, zumindest bei der Mama, die sich schrecklich gelangweilt hatte. (Vielleicht hatte sie auch bloß verabsäumt, sich eine Flasche Wein zu öffnen; epische Dreistünder mit viel Breitwand verlangen geradezu gebieterisch danach.) So wie die bisweilen spröde Maid bei den Filmen ausstieg, können Sie, geneigte Leserin, jetzt natürlich auch aus diesem Text aussteigen, denn er wird von J. R. R. Tolkien handeln, und ich habe keine Ahnung, wie die Besucher des Kleinen Eckladens zu diesem Genre stehen.
Was mich betrifft: Die Filme lösten mit ihrer Bildgewalt, ihrem Sagenton, ihren kolossalen Schlachtenszenen und ihrem Pathos – wer (m/w/d) kann die Kavallerieattacke der Rohirrim zum Entsatz von Minas Tirith anschauen, ohne eine Gänsehaut zu bekommen? – etwas ein, wovon ich als Kind immer geträumt hatte, auch technisch; zu meiner Zeit war ein Filmdrache ja entweder eine vergrößert eingespiegelte Eidechse oder ein lächerlich bewegungsunfähiges Stück Pappmaché.
Langeweile hin, Mitgerissenheit her: Das Genre Fantasy gilt als ähnlich unseriös wie der historische Roman, und auch ich hatte (und habe) erhebliche Vorbehalte (gegen beide, obwohl ich selbst einen historischen Roman geschrieben habe), die meisten historischen Romane neigen ja ebenfalls gen „Fantasy”, und es steht zu befürchten, dass Fantasy die Zukunft der Vergangenheit sein wird, in einer gewissen Konkurrenz zum historiographisch verbrämten Schuldkult und zur universitären weißen Verbrechenskunde. Womit hier schon mal der Gedanke der relativen Subversivität dieses anrüchigen Genres auftauchen soll, allein der darin waltenden Heteronormativität wegen.

Ich hätte von allein wohl nie Tolkien gelesen, doch die Buben interessierten sich nach den Filmen auch für die Bücher, und mein Jüngster, der lesefaulste der drei, brachte es soweit, dass ich ihm den gesamten „Herr der Ringe” vorlas. Als Korrektiv zur dramaturgisch geschlosseneren, aber zugleich glatteren Kino-Version ist das geschriebene Original unverzichtbar. Die erste Lektion lautet: Tolkien hat ein Genre (mit)begründet, zu dem er selbst nur am Rande, ja vielleicht überhaupt nicht gehört. Das Werk des 1892 in Südafrika geborenen Briten, im Hauptberuf Philologe und Professor für Sprachwissenschaft in Oxford, ist vielmehr ein eigenes Genre, was weniger mit seinem archetypisch-genretypischen Personal zu tun hat – Zauberer, Feen, Elben, Zwerge, Trolle, Drachen, Orks, Ritter; die Hobbits oder der Balrog sind seine eigenen Kreationen –, sondern vor allem mit seiner Profession. Der erste Reiz, der erste Zauber, die Faszinationsleimrute gewissermaßen, entsteht, sogar in der Filmversion, durch die geheimnisvolle Poesie der Namen, sowohl jene der Protagonisten – Gandalf, Saruman, Galadriel, Théoden, Denethor, Smeagol, die Nazgûl, die Uruk-hai –, als auch der Orte: Gondor, Rohan, Mordor, Isengart, Minas Tirith, Minas Morgul, Amon Sûl, Kazad-Dûm, Barad-Dûr, Edoras, Lórien, Dol Guldur… – wobei „Mittelerde”, wo die Handlung von „Der Hobbit” und „Der Herr der Ringe” spielt (altnordisch Midgard), keine erdachte Welt ist, sondern „it was”, wie der Verfasser betonte, „already there“.

Im Anfang war das Wort: Das wäre das rechte Lebensmotto eines Philologen. Dieser weiland zu Oxford noch nicht mit der Drittmitteleinwerbung belästigte Professor (er)fand in seiner Muße ganze Reiche, Landschaften, Völker, Mythen und die Geschichte dreier Zeitalter mit all ihren Herrschern und Heimsuchungen, und dies geschah nicht aus dem Geiste der Musik, aus welchem ein deutscher Kollege die antike Tragödie hob – obgleich im Tolkienschen Schöpfungsbericht die Erde (Arda) durch den Gesang der Ainur, engelsgleicher Wesen, erschaffen wird –, sondern Tolkiens Welt entsteht aus Worten, so wie im Mythos der Alten Ägypter der Schriftgott Thot die Schöpfung spricht. Der eskapistische Philologe hat sich erst die Sprachen erdacht und danach die Völker, ihre Länder und Geschichten dazu.
So heißt die berühmte Gravur im Einen Ring – „One ring to rule them all, one ring to find them, one ring to bring them all, and in the darkness bind them” – in der Dunklen Sprache Saurons und der Orks: Ash nazg durbatulûk, ash nazg gimbatul, ash nazg thrakatulûk agh burzum-ishi krimpatul. Die Sprache des Sternenvolks der Elben – es gibt zwei elbische Hauptidiome: Quenya und Sindarin – klingt dagegen weihevoll: Na-chared palan-díriel o galadhremmin ennorath, Fanuilos, le linnathon nef aear, sí nef aearon! („Von der baumbewachsenen Mittelerde habe ich entfernte Länder geschaut, und nun will ich zu dir singen, Fanuilos, auf dieser Seite, hier auf dieser Seite des Großen Meeres.”)

Warum erzähle ich das alles? Will ich Sie vielleicht animieren, Elbisch zu lernen, damit Sie ein Idiom kennen, mit dem Sie in der Öffentlichkeit unbehelligt schöne Gespräche führen können? Nicht wirklich. Auch die Dunkle Sprache bringt Sie kaum weiter, denn die heutigen Orks sprechen andere. Der Anlass ist ein soeben erschienenes Buch zur 50. Wiederkehr von Tolkiens Todestag am 2. September 1973 – Exegeten des Legendendichters haben dieses Datum übrigens mit der Verteilung der Ringe der Macht in Zusammenhang gebracht:

Drei Ringe den Elbenkönigen hoch im Licht,
Sieben den Zwergenherrschern in ihren Hallen aus Stein,
Den Sterblichen, ewig dem Tode verfallen, neun,
Einer dem Dunklen Herrn auf dunklem Thron
Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn.

Besagtes Buch ist ein Kompendium von zehn Aufsätzen und trägt den Titel „Aurë entuluva!”, zu deutsch: „Der Tag soll wieder kommen!” Das war der Kampfschrei Húrins, eines großen Kriegers aus dem Ersten Zeitalter, der sich allein gegen eine buchstäblich erdrückende Feindesübermacht stellte und sein Leben opferte; es ist ein Ruf nach der Nemesis. Herausgegeben hat es der geschätzte David Engels, Professor für Römische Geschichte in Brüssel und Präsident der Oswald Spengler Society, der auch das Eröffnungskapitel beisteuerte, in welchem er sich als intimer Kenner und Liebhaber des Tolkienschen Universums offenbart.
„Tolkien verstehen und lieben bedeutet recht eigentlich, das Abendland verstehen und lieben”, schreibt der Historiker im Vorwort, des Briten Werk sei heute „eine Art Widerstandsliteratur“. Sozusagen eine konservative Revolution, die vor unserer Zeit spielt. Dass der Engländer kein Linker war, ist klar; man erkennt es allein daran, dass er authentische Sagen, Mythen, Legenden erdachte – wenn ein Linker eine Legende schreibt, nennt er das Ergebnis ja „Theorie” oder „Diskurs”. Der Schöpfer von Mittelerde hegte einen Widerwillen gegen Weltverbesserer, Maschinen – es ist der auf die dunkle Seite übergelaufene Zauberer Saruman, der eine Art Industrielle Revolution in Gang setzt –, gegen Naturzerstörung, jede Art von Egalitarismus – in seiner Welt akzeptiert man Ränge und Stände als wesensgerecht, „anstatt zum Schaden der Ordnung eine künstliche Gleichmacherei einzufordern“, wie Engels (David, nicht Friedrich) schreibt –, gegen überhaupt alles Moderne. Darin ähnelt er seinen Landsleuten Gilbert K. Chesterton (der auf Tolkien großen Einfluss ausübte) und Evelyn Waugh, beides brillante, originelle Autoren und – Katholiken.

Das Auenland (im Original: the Shire), die Welt der Hobbits, die von allen Tolkien-Charakteren die meisten Sympathien auf sich vereinen, ist das ländliche England vor der Industriellen Revolution: bodenständig, ultrakonservativ, veränderungsunwillig, spleenig; in diesen gemütlichen Cottages und Gärten gibt es keine Maschinen, keinen Stress, keine Führer, Gutsherren, Präsidenten, Generäle oder Gewerkschaftsfunktionäre, dafür aber Kamine, bequeme Sessel, Pfeifen und fünf Mahlzeiten am Tag (hier muss man sich die englische Küche vielleicht wegdenken), es ist ein „Schlupfwinkel der Ahnungslosen“, wie einer der Beiträger schreibt, ein deutscher Schulleiter, siebenfacher Vater und „Besitzer von knapp sechs Regalmetern Tolkien’scher Primär- und Sekundärliteratur sowie unzähliger Tertiärwerke” namens Michael Hageböck.

Für Rohan wiederum, die Heimat der Rohirrim, der „Pferdemenschen” oder, wie Homer sie nennen würde (Voß’sche Übersetzung): der Rossebändiger, stand die Welt der alten Angelsachsen Modell; die Halle des Königs Théoden heißt „Medused” wie jene von Beowulf, des Grendelbezwingers. Und Gondor? Der amerikanische Autor und Historiker Charles A. Coulombe, Verfasser des Buchs „Vicars of Christ: A History of the Popes“ und für seine Verdienste um den Heiligen Stuhl zum Ritterkommandeur des Ordens des Heiligen Sylvester ernannt, deutet es so: „Für mich waren die Dúnedain (die Menschen aus dem Westland Númenor, die nach dem Untergang ihres Reiches nach Mittelerde zurückkehrten – M. K.) in gewissem Sinne die Römer. Arnor ist das untergegangene Westliche Reich, die Rohirrim sind die christianisierten Germanen (Franken, Angelsachsen, Dänen usw.), und Gondor ist das prekär überlebende Byzantinische Reich – mit Minas Tirith als Konstantinopel. Mordor sieht geographisch für mich vage wie die Türkei aus, und natürlich tun die Ostlinge und Haradrim ihren Dienst an der Stelle der Hunnen, Mongolen und Sarazenen. Die Belagerung von Minas Tirith beginnt als Konstantinopel im Jahr 1453, endet aber triumphal als Wien im Jahr 1683 – Rohan und seine Prinzen nehmen den Platz von Jan Sobieski und seinen geflügelten Husaren ein.”

Tatsächlich stehe Gondor „für Rom”, sekundiert der eben erwähnte Tolkien-Sachverständige Hageböck. Bezeichnenderweise sei Minas Tirith auf einem siebenfachen Hügel errichtet. „Mit dem wiedervereinigten Gondor entsteht das Reich neu.” Und Bruchtal (im Original: Rivendell), der Sitz des Herrn Elrond, eines Elbenherrschers, sei „eine Stätte des wachen Widerstandes, wo im Gegensatz zum verträumten Auenland allen glasklar vor Augen steht, dass die Welt gefallen ist und der Kampf niemals enden wird”. Die Welt ist gefallen – das ist die Grundstimmung in Tolkiens Kosmos. Die Geschichte der Drei Zeitalter vollzieht sich als langer Verfallsprozess, begleitet von der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies der (elbischen) Frühzeit. In David Engels Worten: „Mittelerde ist durchzogen von einer stetig wachsenden Sehnsucht nach der Vergangenheit; ein echter Kontinent für Historiker.“ Und Geschichtenerzähler. Zugleich wächst aus dieser romantischen Rückschau immer wieder die Hoffnung auf eine Neu- oder Wiedergeburt.

Früher oder später bemerkt der aufgeweckte Leser – außer mir; ich musste darauf gestoßen werden –, dass er es mit einem christlich inspirierten Werk zu tun hat. Die „eigentliche Essenz des Tolkien‘schen Universums”, statuiert Engels, sei „das permanente Streben des Helden nach dem Wahren, Schönen und Guten, das allerdings aufgrund der Unzulänglichkeit aller irdischen Geschöpfe zum Scheitern verurteilt ist, wenn es nicht in letzter Sekunde von oben mit dem Sieg belohnt wird – freilich ein bittersüßer Sieg, ist dieser doch immer verbunden mit der Einsicht, den Erfolg als Gnade, nicht aber als Anrecht errungen zu haben. Der Sieg des Tolkien’schen Helden ist daher auch nur eine Belohnung seines Strebens, nicht aber das unmittelbare Resultat der eigenen heroischen Tat – ein zutiefst christlicher, ja genuin katholischer Gedanke.“

Der exemplarische Fall eines solchen „von oben”, vom Schicksal, verfügten Triumphes, der auch das strebende Bemühen eines eigentlich Gescheiterten krönen kann, manifestiert sich in der Figur des Frodo. Dieser gänzlich unheroische Hobbit hat die unmögliche Mission auf sich genommen, den Ring der Macht unbemerkt ins dunkle Reich seines Besitzers Sauron zu tragen, um ihn dort in den Feuern des Schicksalsberges zu vernichten – der einzige Ort, an dem das fatale Geschmeide aus der Welt geschafft werden kann. Der Zauberkraft des Rings immer mehr verfallend, versagt Frodo in letzter Sekunde und will ihn für sich behalten; einzig dem Eingreifen Gollums, der den Schmuck in seinen Besitz bringen will, verdankt sich dessen schlussendlich zufällige Zerstörung. Frodo, der als Retter Mittelerdes vor der Macht Saurons in die Annalen eingehen wird, hat eigentlich versagt, doch eine „Eukatastrophe“ – eine Begriffsschöpfung Tolkiens, die „gute Katastrophe” oder „gute Wendung” bedeutet – hat bewirkt, dass seine Mission doch gelingt. Die größte aller Eukatastrophen ist Tolkien zufolge die Passion Christi. Wie ich nun aus der Lektüre des Sammelbandes erfahren habe, wird der Ring der Macht an einem 25. März zerstört, am Tag von Mariä Verkündigung, an dem, wie die Christenheit glaubt, das Wort Fleisch und Gott Mensch wurde; nach der Tradition ist es auch das Datum der Kreuzigung. Das heißt, die Erbsünde und der Eine Ring enden am selben Tag. Das ist natürlich kein Zufall. „Actually”, schrieb Tolkien, „I am a Christian and indeed a Roman Catholic.”


Als er nach dem Erscheinen seines Buchs „Auf dem Weg ins Imperium” unter den „größtenteils offen antichristlich und linksliberal eingestellten Kollegen” an der Universität Brüssel „zunehmend zur Persona non grata” wurde, habe er Tolkien „(wieder)entdeckt”, bekennt Herausgeber Engels; neben Martin Mosebachs „Häresie der Formlosigkeit“ und Joseph Ratzingers „Einführung in das Christentum“ sei es das „Silmarillion” noch vor „Der Herr der Ringe” gewesen, das seinen „(Rück)weg ins Christentum” markiert habe. Ein bemerkenswertes Statement. Aus meiner Erstleser-Perspektive hatte der Verfasser des „Herrn der Ringe” nicht viel mehr getan, als nordisch-keltische Sagen wiederzubeleben, umzudichten sowie mit neuem Personal und neuen Handlungssträngen zu bereichern. Eine christliche „Botschaft” – dieser amusische Begriff in gebotener Zurückhaltung verwendet – war mir, wie gesagt, nicht aufgefallen.

Nahezu alle Beiträger des Sammelbandes vertreten freilich diese Ansicht, und das keineswegs nur im theoretischen Sinne; für einige war die Tolkien-Lektüre ein sogenanntes Erweckungserlebnis, ja eine Metanoia. Der amerikanische Autor Joseph Pearce etwa, Direktor des „Center for Faith and Culture” am Aquinas College in Nashville, Tennessee, Mitherausgeber der St. Austin Review, Verfasser zahlreicher Biographien (Shakespeare, Oscar Wilde, C.S. Lewis, Chesterton, Solschenizyn und natürlich Tolkien), war in seinem früheren Leben Mitglied der britischen „National Front” und Herausgeber des NF-Periodikums Nationalism Today, praktisch ein Rechtsextremer. Wegen seiner Schriften wurde er zweimal, 1981 und 1985, nach dem „Race Relations Act” angeklagt und schließlich wegen „Hassverbrechen“ zu einem Jahr Haft verurteilt. Im Gefängnis entdeckte er den „Herrn der Ringe“, ein Buch, „das mein Leben veränderte“. Es war „die Welt der Moral, in die ich eintrat“, erinnert sich Pearce, ein „edles Werk, in dem sich der Edelmut in mutigen Taten der Selbstaufopferung angesichts scheinbar unüberwindlicher Hindernisse manifestierte“. Danach konvertierte er zum Katholizismus. „Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen” (Lukas, 15,7). Dies Grundstürzende, Lebensverändernde der Lektüre bezeugt auch ein anderer Beiträger, ein niederländischer Organist, der über einen Freund und Musikerkollegen erzählt, den die Tolkien-Lektüre „vom linken Revoluzzer und Jakobinerverherrlicher zum reaktionären Monarchisten und traditionellen Katholiken” bekehrte.

Offenbar verstand bzw. versteht es der Schöpfer von Mittelerde, mit seinen Werken Menschen zum Glauben zu führen, ohne spirituell unmusikalischen Lesern etwas aufzudrängen. Schauen wir deshalb auf ihre „Botschaft”. Da wäre zunächst die von Pearce erwähnte Welt der Moral, und zwar einer absoluten, gleichsam transzendentalen Moral, die weder Ironie noch Relativismus kennt. Stattdessen eignet ihr ein „ein anti-aufklärerischer Anklang, dem zugrunde liegt, daß Charaktereigenschaften wie Mut, Güte, Glaube, Demut und Treue einen höheren Wert haben können als vermeintliche Vernunft“ (so der Historiker und Politikwissenschaftler Marco Gallina in seinem Beitrag). Die Liste solcher erstrebenswerten Eigenschaften wäre noch zu ergänzen mit der Barmherzigkeit – sowohl Bilbo als auch Frodo schonen Gollums Leben, obgleich er nach dem ihren trachtet –, außerdem mit “Lauterkeit und Reinheit“ (Hageböck). Eine ebenfalls recht christlich anmutende „Verherrlichung der Bescheidenheit, die ein Lieblingsthema Tolkiens gewesen zu sein scheint“, entdeckt Damien Bador, ein französischer Luftfahrtingenieur, Spezialist für die von Tolkien erfundenen Sprachen, (Mit-)Herausgeber bzw. Autor von „L’Encyclopédie du Hobbit” und „Le monde des Hobbits”; von ihm stammt übrigens der treffende Begriff „Realitätsillusion“ für Tolkiens Welt. Mittelerde, fasst Herausgeber Engels zusammen, sei „ein Aufruf zum inneren Wachstum“.
Als weitere kryptochristliche Indizien werden von den Autoren angeführt: die Imitatio Christi in der Gestalt Frodos, die Auferstehung Gandalfs, der durchaus erlöserhafte Züge trägt, die wiederkehrende Mariensymbolik, etwa bei Galadriel, der Fall der Engel und die luziferische Auflehnung Morgoths in den Sagen der Frühzeit, das Tolkiens eigenen Worten zufolge an die Eucharistie erinnernde Lembas-Brot … – Ich mache hier einen Schnitt. Ob christlich oder nicht, über den Tolkienschen Mythenteppich führt jedenfalls kein Weg in die Moderne. Der erfindungsreiche Professor hat sich denn auch eine Leserschaft gewünscht, die „eine Art heimliche romantische Sehnsucht nach Kavalieren” („a sort of lurking romantic longing for ‘cavaliers’”) hegt.

***

Wie bedeutend aber ist Tolkien als Autor? Da ich für die Antwort selbst noch zu unentschieden bin, hole ich mir einen Kronzeugen. „Wenn sich die morbiden Nebelschwaden der kraftlosen Avantgarden erst einmal verzogen haben, wird das 20. Jahrhundert vielleicht als das goldene Zeitalter der epischen und phantastischen Literatur erscheinen. Es hat bereits das Auftauchen von Howard, Lovecraft und Tolkien erlaubt. Drei völlig verschiedene Welten. Drei Säulen einer Traumliteratur, die von der Kritik im gleichen Maße verachtet werden, wie sie vom Publikum geschätzt werden. Das macht aber nichts. Die Kritik gesteht letztendlich doch immer ihre Fehler ein, oder genauer gesagt, die Kritiker sterben irgendwann.“

Diese Worte stehen in Michel Houellebecqs Essay „Gegen die Welt, gegen das Leben”, der ersten Veröffentlichung des bedeutendsten französischen Autors der Gegenwart, einem erstaunlichen Debüt, das sich mit der phantastischen Schreckensliteratur H. P. Lovecrafts beschäftigt. Lovecraft verabscheute die Realität und erklärte realistische Literatur für unvereinbar mit dem Schönen (was bei einem Verfasser von ausschließlich Horrorgeschichten etwas schrill wirken mag, aber immerhin schrieb er nie für ein Publikum). Der frühe Houellebecq sah es ähnlich: „Das Leben ist schmerzhaft und enttäuschend. Folglich ist es nutzlos, neue realistische Romane zu schreiben. Was die Realität im Allgemeinen betrifft, so wissen wir bereits, woran wir sind; und wir haben keine Lust, noch mehr darüber zu erfahren.“ Glücklicherweise hielt er sich nicht daran.

Zutiefst literarisch bei Tolkien ist das Schreiben auf eigene Rechnung und zum eigenen Pläsier. Der bereits zitierte Damien Bador schätzt, dass die Gesamtheit der Manuskripte, in denen er sich seinen erfundenen Sprachen und Alphabeten widmet, den Umfang seiner Erzähltexte erreicht, und bereits das „Silmarillion” war ja nicht unbedingt für ein Publikum gedacht.

Mein Vorbehalt gegen „Fantasy”, auch dieses Levels, lässt sich leicht aushebeln mit dem Hinweis, dass ja realistische Romane ebenfalls nicht die Wirklichkeit abbilden, dass Dichter immer zugleich finden und erfinden, dass Realismus nicht „wahrer” ist als Symbolismus, dass der Bedürftige in jedem Genre gestillt werden kann. Nochmals Kamerad Houellebecq, nochmals aus seiner Erstlingsveröffentlichung: „Dem Leben in all seinen Formen eine Alternative zu bieten, eine ständige Opposition gegenüber dem Leben, eine ständige Zuflucht vor dem Leben zu sein: Das ist die höchste Mission des Dichters auf dieser Erde.”


Na gut, einverstanden.

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Mittelerde ist heute ein literarisches Weltreich, „Der Herr der Ringe” einer der erfolgreichsten Romane des 20. Jahrhunderts, und insofern war es nicht verwunderlich, dass auch unsere Linken dort Fuß zu fassen such(t)en. Ohne gewisse zeitgeistige Verrenkungen und trendkonforme Umdeutungen konnte das selbstverständlich nicht geschehen. Zwei Tendenzen sind zu beobachten: die Adaption, das heißt Übernahme durch Verfälschung, und die Denunziation, bei klarer Bevorzugung von Version eins; der Autor ist einfach zu populär. Im Gegensatz zu Frau Rowling kann er auch nichts mehr twittern, das sich gegen ihn verwenden lässt. Wenn Tolkien heute noch lebte und sich öffentlich so äußerte wie zum Beispiel in seinen Briefen, verlöre er in kürzester Zeit seinen Lehrstuhl und sein Ansehen, aber das träfe ja auf nahezu jeden bedeutenden Autor der Vergangenheit zu; dafür leben wir schließlich in der besten aller Gegenwarten.

Wie die Adaption an den Zeitgeist läuft, zeigte am bislang anschaulichsten und zugleich beknacktesten ein Sommerseminar der Tolkien Society anno 2021, das unter dem Motto „Tolkien and Diversity“ stand; die Vorträge behandelten Themen wie „The Queers in The Lord oft the Rings“, „Transgender Realities in The Lord of the Rings“, „The Invisible Other: Tolkien’s Dwarf-Women and the ‘Feminine Lack’” oder “Destabilizing Cishetero Amatonormativity in the Works of Tolkien”. Frodo und Sam sind von diesem Schlag „Forschender” natürlich längst als Schwulenpaar identifiziert worden. Die Gleichschaltung Mittelerdes an den Wokismus ist im vollen Gange, wie auch die durchdiversifizierte Amazon-Serie „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht” demonstrierte, die von der Kritik in den verheucheltsten Tönen gelobt wurde, aber beim rassistischen Publikum durchfiel. Das Ziel ist eine Überformung und schließliche korrigierende Umschreibung der Tolkienschen Geschichten und anderer Klassiker, so wie parallel dazu ja auch die tatsächliche Geschichte im woken Sinne überformt und umgeschrieben wird. Da man die Werke selbst (noch) nicht einschneidend korrigieren kann – bei Kinderbuchklassikern wurden erste Zensurerfolge bereits vermeldet –, geschieht es in Verfilmungen und in der Sekundärliteratur.


Der polnische Politologe Ryszard Derdziński beschreibt, wie er, elfjährig, im kommunistischen Polen in einem Antiquitätengeschäft den „Hobbit” und das „Silmarillion” entdeckte. „Damit begann das literarische Abenteuer meines Lebens.“ Derdziński wurde später Tolkien-Übersetzer und ist derzeit damit beschäftigt, die gesamte Geschichte Mittelerdes ins Polnische zu übertragen. Auch hier ertönt das Leitmotiv: „Das Wachstum meines Tolkienismus war auch vom Wachstum meines eigenen Glaubens begleitet.“ Im Kommunismus hatte er den Gesinnungsterror der staatlichen Zensur erlebt, und entsprechend bestürzt zeigt er sich heute über dessen Wiederkehr im Namen des Wokismus. Bis vor kurzem war Derdziński Mitglied der britischen Tolkien-Gesellschaft, verließ sie allerdings „mit der bitteren Erkenntnis, daß der wahre Tolkien den Aktivisten in den westlichen Ländern zunehmend im Wege steht“. So seien christliche Inhalte im Forum der Society gelöscht oder unterdrückt worden; bei fortgesetzter Zuwiderhandlung seien Foristen gesperrt worden.

Ein Beispiel wiederum für die Denunziationsvariante ist das Buch „Jungfrauen im Nachthemd – Blonde Krieger aus dem Westen. Eine motivpsychologisch-kritische Analyse von J.R.R. Tolkiens Mythologie und Weltbild” aus dem Jahr 2003, dessen Autor Tolkien ein in weiten Teilen faschistisches Weltbild attestiert. Die Vorwürfe kann sich jeder an den Fingern abzählen: die mangelhafte Frauenemanzipation, der angebliche Rassismus – das Böse ist äußerlich erkennbar, die verschiedenen Völker haben eine Rangordnung –, die Tatsache, dass jedes Volk einer Bestimmung folgt, die Trennung von Gut und Böse, die Darstellung eines sauberen Krieges, die Verherrlichung des Kämpfers und dergleichen Anstößigkeiten mehr.

Der Kritik verfallen vor allem die Frauengestalten im „Herrn der Ringe”, zunächst einmal, weil es dort nur wenige namentlich genannte Frauenzimmer gibt, sodann weil zwei davon, Arwen und Rosie, ausschließlich die Belohnung für den Helden darstellen, und eine dritte, Eowyn, sich zwar gegen jene Rolle wehrt, die der strukturelle Sexismus der Rohirrim ihr zuweist, sie aber am Ende durch die Heirat mit einem Helden aus Gondor doch annimmt, statt eine Band/ein Frauenbataillon/eine Zeitschrift zu gründen und eine „Mein-Bauch-gehört-mir”-Kampagne zu starten. Eowyn zog davor übrigens in den Krieg und tötete Saurons stärksten Kämpfer, den Hexenkönig von Angmar. Galadriel wiederum, ihrer sozialen Zuschreibung nach eine Elfe, ist unter allen Zauberern Mittelerdes der (!) mächtigste. Und weit und breit niemand, der sie unterdrückt…

Die schöne Frau als Trophäe oder Errungenschaft des erfolgreichen Mannes ist allerdings eine anthropologische Grundtatsache, nicht aus der Welt zu schaffen, da von beiden Seiten gewünscht. Verfasser feministischer und „antifaschistischer” Agitpropliteratur gehen bei diesem Wettbewerb freilich leer aus und müssen gemeinhin mit Weibern vorlieb nehmen, um die sie nur in seltenen Fällen beneidet werden. Um das wenigstens erwähnt zu haben.

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John Rhys-Davis, der in Peter Jacksons Trilogie den Zwerg Gimli verkörpert – er ist, by the way, in der Realität einen halben Kopf größer als die Darsteller von Aragon und Legolas, die ihn im Film weit überragen –, erklärte in einem Interview:

„Ich glaube, Tolkien sagt, dass einige Generationen herausgefordert werden – und wenn sie dieser Herausforderung nicht gewachsen sind, werden sie ihre Zivilisation verlieren. Das hat bei mir einen echten Widerhall gefunden. Es ist skrupellos, dass zu viele Ihrer Journalistenkollegen nicht verstehen, wie gefährdet die westliche Zivilisation ist und was für ein Juwel sie ist… Die Abschaffung der Sklaverei ist das Ergebnis der westlichen Demokratie. Wahre Demokratie kommt aus unserer griechisch-jüdisch-christlichen westlichen Erfahrung. Wenn wir diese Dinge verlieren, dann ist das eine Katastrophe für die Welt.

In Europa findet eine demographische Katastrophe statt, über die niemand sprechen will, die wir uns nicht zu erwähnen trauen, weil wir so vorsichtig sind, um niemanden rassistisch zu beleidigen. (… ) Aber wenn es darum geht, die westliche Zivilisation durch eine andere Zivilisation mit anderen Kulturellen Werten zu ersetzen, dann ist das etwas, worüber wir wirklich diskutieren sollten – denn ich bin für die Kultur der toten, weißen Männer!“

Da hat ein Mime sehr viel verstanden.

Ich zitierte vorhin Tolkien mit den Worten: „Actually I am a Christian and indeed a Roman Catholic.” Der Passus geht allerdings weiter: „So I do not expect ‘history’ to be anything but a ‘long defeat’ – though it contains (and in a legend may contain more clearly and movingly) some samples or glimpses of final victory.”

Im dritten Teil des „Herrn der Ringe” spricht Gandalf Ähnliches zu Denethor, dem Truchsess von Gondor: „The rule of no realm is mine, neither of Gondor nor any other, great or small. But all worthy things that are in peril as the world no stands, those are my care. And for my part, I shall not wholly fail of my task, though Gondor should perish, if anything passes through this night that can still grow fair or bear fruit and flower again in days to come.” Zu deutsch: „Kein Reich beherrsche ich, weder Gondor noch irgendein anderes, ob groß oder klein. Doch alles, was Wert hat in dieser Welt, so wie die Dinge jetzt liegen, steht unter meiner Obhut. Und ich für meinen Teil werde mit dieser Aufgabe nicht völlig scheitern, auch wenn Gondor untergehen sollte, wenn irgend etwas diese Nacht übersteht, das in kommenden Tagen noch wachsen, Früchte tragen und blühen kann.“

Mordor existiert. Die freien Völker Mittelerdes aber auch.   Michael Klonovsky

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