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Montag, 25. Dezember 2023

Michael Buback gibt nicht auf

Immer mehr Menschen fragen sich heutzutage, wann es eigentlich angefangen hat, dass die Arroganz der Macht die rechtsstaatlichen Prinzipien zersetzte. Die Antwort ist, dass dieser Prozess ein schleichender war und viel früher begann, als die meisten von uns annehmen würden. Als ich noch in der DDR eingemauert war, dachte ich tatsächlich, dass die Bundesrepublik Deutschland ein zuverlässig funktionierender Rechtsstaat wäre, mit einer unabhängigen Justiz und einer freien Presse. Ich war weit davon entfernt, die BRD zu idealisieren, denn mich hat immer irritiert, dass die Witwe des berüchtigten Volksgerichts-Richters Freisler trotz der vielen unrechtmäßigen Todesurteile, die ihr Gatte zu verantworten hatte, Witwenrente bezog. Eine Ironie der Geschichte ist, dass die SED, die dies vehement anprangerte nach der Vereinigung als PDS mit ihrem Vorsitzenden Gregor Gysi sich für die Stasitäter mit dem Schlachtruf stark machte, es dürfe kein Rentenstrafrecht geben. Dreißig Jahre später hat sich das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung der Bundesregierung angeschlossen, dass jemand bereits ein Feind der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, wenn er den Staat „delegitimiert“ und seine Repräsentanten „verächtlich“ macht. Hans-Georg Maaßen hat das auf X so kommentiert: „Diese Entscheidung ist gefährlich, denn sie kann so verstanden werden, dass schon überspitzte Kritik an der Bundesregierung bei Beamten, Richtern und Soldaten dazu führt, dass ihr Verhalten als verfassungsfeindlich angesehen wird und sie ihren Job, ihre Pensionsansprüche und ihren Krankversicherungsschutz durch die Beihilfe verlieren.

Wie sah es In den 80er Jahren in der BRD aus? Die Republik hatte mit den Folgen des RAF-Terrors zu kämpfen. Ich fand es imponierend, wie ein entschlossener Rechtsstaat die Täter zur Strecke brachte und verurteilte. Ich teilte die Mehrheitsmeinung, dass diese Urteile Terroristen betrafen, die für die Morde verantwortlich waren. Das war ein Irrtum.

Das erste Opfer der RAF-Mordserie war der damalige Generalbundesanwalt Siegfried Buback, der mit seinen Begleitern am Karfreitag 1977 von RAF-Terroristen in Karlsruhe erschossen wurde. Bundeskanzler Helmut Schmidt verkündete auf der staatlichen Trauerfeier für die Ermordeten: Der Rechtsstaat „weiß sich Siegfried Buback und Wolfgang Göbel und Georg Wuster schuldig, ihre Mörder zu ergreifen und vor Gericht zu stellen.“

Schon am Abend des Tattages wurden RAF-Mitglieder als mögliche Täter namentlich benannt. Am Tag danach wurden Günter Sonnenberg, Christian Klar und Knut Folkerts zur Fahndung ausgeschrieben. Am 10. Mai 1977 gab es einen Haftbefehl gegen Verena Becker wegen Mittäterschaft am Karlsruher Attentat. Nach ihrer Verhaftung wurde das Verfahren gegen sie aber eingestellt, später auch das gegen Sonnenberg, der mit ihr verhaftet worden war. Schließlich wurden am 2. April 1985 Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar als Attentäter in Karlsruhe verurteilt, wie im Juli 1980 schon Knut Folkerts. Das Attentat auf Buback schien aufgeklärt und die Täter ihrer gerechten Strafe zugeführt worden zu sein.

Aber Im März 2007 hatte der RAF-Aussteiger Peter-Jürgen Book Michael Buback davon unterrichtet, dass keiner der drei Verurteilten zu den Tätern von Karlsruhe gehörte. Für Michael Buback war das der Anlass, sich intensiv mit den Ermittlungen zu beschäftigen. Das Ergebnis seiner Recherchen veröffentlichte der Sohn in seinem Buch „Der zweite Tod meines Vaters, indem er zahllose Ermittlungspannen, die mit Schlampereien nicht zu erklären waren, aufdeckte: Nicht berücksichtigte Zeugenaussagen, verschwundene Asservate, nicht nachgegangene Hinweise warfen die Frage auf, ob die Ermittlungsbehörden vielleicht den wirklichen Tathergang kannten, ihn aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich machen wollten. Mit seiner Frage, wie ein aufgeklärter Mord das Wohl des Staates gefährden könne und welches Interesse es geben konnte, die wahren Täter zu decken, trat Buback eine Lawine los, die sein und das Leben seiner Familie stark veränderte. Er musste fortan mit der systematischen Schädigung seines Rufes kämpfen. Die Unterlagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz könnten viele Fragen beantworten, sie wurden aber 2008 von Innenminister Schäuble mit einem Sperrvermerk versehen. Eine Veröffentlichung würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten. Den Angehörigen hatte Schäuble im Juli 2007 mitgeteilt, dass „sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch das Bundeskriminalamt seinerzeit über ihre jeweiligen Befragungen und Vernehmungen sowie die dabei gewonnenen Erkenntnisse umfassend und schriftlich in Kenntnis gesetzt hätten.“ Die Akte ist in der Bundesanwaltschaft nicht auffindbar. Trotz des scharfen Gegenwinds, der ihm vor allem von Behörden und teils auch in den Medien entgegenschlug, recherchierte Buback weiter. Er wollte wissen, wer der Mörder seines Vaters war. Seine Ermittlungen konzentrierten sich auf Verena Becker, die zu Beginn öffentlich als möglich Täterin genannt worden war. Dutzende Zeugen hatten ausgesagt, dass die zweite Person auf dem Attentats-Motorrad eine Frau war oder eine Frau gewesen sein könnte. Diese Person hatte die tödlichen Schüsse abgegeben. Buback bekam Hinweise, dass es sowohl im Verfassungsschutz als auch in der RAF Personen gab, die überzeugt waren, dass Becker die Attentäterin gewesen sei und dies gegenüber Dritten geäußert hatten. Verena Becker wurde 1989 von Bundespräsident Richard von Weizäcker begnadigt, obwohl sie bis heute über das Karlsruher Attentat schweigt. Im Jahr 2007 berichtete der „Spiegel“, dass Becker geheime Informantin des Verfassungsschutzes gewesen sei. Am 6. April 2010 wurde Verena Becker wegen dreifachen Mordes in Karlsruhe angeklagt. Der zweijährige Prozess wurde hauptsächlich in Stammheim geführt. Die Bubacks waren Nebenkläger, Ehefrau Elisabeth in Vertretung ihrer Schwiegermutter. Von diesem Prozess handelt das zweite Buch von Michael Buback: „Der General muss weg!“.

Es ist sicher einer der seltsamsten Prozesse, die in der Geschichte der Bundesrepublik stattgefunden haben. Es wurden in diesem Prozess keine Protokolle und keine Tonbandmitschnitte angefertigt. Was wir vom Prozessverlauf nachlesen können, stammt von den Mitschriften Elisabeth Bubacks. Es dürfte nicht oft vorkommen, dass die Anklage und die Verteidigung am gleichen Strang ziehen und den Nebenkläger attackieren. Schon früh stellt sich für den Leser heraus, dass der Prozess anscheinend geführt wurde, um Becker im Ergebnis per Urteil zu bescheinigen, dass sie nicht die Todesschützin war. Über weite Strecken war der Chefankläger Walter Hemberger damit beschäftigt, Michael Buback anzugreifen, in zum Teil beleidigender, sogar ehrabschneiderischer Weise. Sein Schlussplädoyer beschäftigte sich mehr mit Michael Buback, als mit der Angeklagten. Die kam hauptsächlich in den Passagen seiner Rede vor, in denen es darum ging, dass sie auf keinen Fall die Schützin gewesen sei. Buback hielt in seinem Plädoyer ruhig und sachlich dagegen. Er fügte Beweis an Beweis und Indiz an Indiz an, die für Beckers Täterschaft sprachen. Er benannte noch einmal die schlimmsten Ermittlungsfehler, wie das Verschwinden des Fluchtautos, den Verkauf des Tatmotorrads, die Nichtweitergabe von wichtigen Informationen oder die Erstellung von Berichten, die von den Befragten nicht unterschrieben worden waren und im Prozess nicht als ihre Aussagen wiedererkannt wurden. Die Merkwürdigkeiten begannen schon am Tattag. Das Attentat fand an einer Kreuzung in Stuttgart statt. Aber anstatt die Autofahrer zu befragen, die das Attentat mitansehen mussten, wurden sie ohne Registrierung vom Tatort weggeleitet. Georg Wuster, einer der Begleiter Bubacks, hatte überlebt, war ansprechbar und blieb es vier Tage lang im Krankenhaus, wo er vom Justizminister besucht wurde. Niemand von den Ermittlern hat ihn befragt, bevor er, nach ärztlicher Einschätzung auf dem Weg der Besserung, unerwartet verstarb.

Sofort nach dem Plädoyer von Buback meldete sich Chefankläger Hemberger noch einmal zu Wort. In einem scheinbar spontanen Wutausbruch warf Hemberger Buback vor, mit einer „durch nichts zu rechtfertigende Unverfrorenheit“, einem integren Behördenleiter und seinen Mitarbeitern Rechtsbeugung vorgeworfen zu haben und drohte sogar mit eventuellen rechtlichen Konsequenzen. Buback hatte nichts dergleichen getan, sondern nur auf die Tatsache hingewiesen, dass der Verfassungsschutz Generalbundesanwalt Kurt Rebmann darauf hingewiesen hatte, dass Stefan Wiesniewski ein Schütze von Karlsruhe sei, Rebmann aber kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte. Das Framing für die Presse war damit gegeben. Die meisten Medien berichteten von dem „Eklat“, dass Buback den Behörden Rechtsbeugung vorgeworfen habe. In der „Süddeutschen“ stand sogar, Buback hätte lediglich seine „Verschwörungstheorie“, dass Becker die Schützin gewesen sei, referiert und endete mit der Frage, ob Buback „ganz bei Trost“ sei. Damit war der Blick auf die sachliche und überzeugende Argumentation von Buback verstellt.

Was können wir aus diesem Prozess lernen? Die deutsche Staatsanwaltschaft unterliegt politischen Weisungen. Sie kann gar nicht unabhängig ermitteln. Das ist ein schwerer Makel, der beseitigt werden muss. Zeugen, zumal von Schwerverbrechen sollten unabhängig von Aussagegenehmigungen aussagen können, denn anders ist die Wahrheitsfindung nicht möglich.

Wer war Siegfried Buback, an dessen Mordaufklärung so wenig staatliches Interesse herrschte? Er war ein korrekter Beamter, wie man ihn sich wünscht. Als junger Bundesanwalt musste er in der „Spiegelaffäre“ Rudolf Augstein verhaften und vernehmen. Augstein hat Buback aus Anlass zur Ernennung zum Generalbundesanwalt gratuliert und sein neuestes Buch geschickt, mit einer Widmung „…zur Erinnerung an gemeinsame und schöne Tage“. Buback war sowohl mit dem Fall Julius Steiner, der während des Misstrauensvotums der Unions-Bundestagsfraktion für Willy Brandt gestimmt hatte, als auch mit dem Fall des Kanzlerberaters Günter Guillaume befasst. In letzterem riet er Brandt, nicht zurückzutreten.

Buback war alles andere als ein Parteisoldat. Er war parteilos und widersprach politischen Anweisungen, wenn er sie für falsch hielt. Das hat den politischen Anweisern kaum gefallen.   Vera Lengsfeld

In Berlin stand 1977 gegenüber einer Haltestelle der S-Bahn in großen Buchstaben auf einer Hauswand: "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht".  


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