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Sonntag, 23. Juni 2019

Friede dem Freimut der Hütten, Krieg der Paläste Erbärmlichkeit

Peter Gauweiler ist eine Ausnahmeerscheinung im politischen Leben Deutschlands. Bayerisches Urgestein. Ein Mann klarer Worte und entschiedener Aussprache, insofern ganz der Ziehsohn von Franz Josef Strauß, in dessen Nachfolge ihm eine große Politikerkarriere offenzustehen schien. 
Die ersten Schritte auf der Karriereleiter absolvierte er erfolgreich. Gauweiler wurde Kreisverwaltungsreferent in München, wo er sich den Ruf eines scharfen Law-and-Order-Politikers mit dem Beinamen „Der Schwarze Peter“ erwarb und als Verkörperung einer CSU angesehen werden konnte, wie sie war, bevor sie von den Strauß-Epigonen weichgespült wurde. Als er dann Staatsminister (im Umweltressort) wurde, sahen viele in ihm, der ein begnadeter Redner ist und sein Publikum fesseln kann, den künftigen bayerischen Ministerpräsidenten.
Leiden am Konformismus, der den Bundestag prägt
Daraus wurde nichts. Nachdem die Verpachtung des Mandantenstamms seiner Kanzlei als angeblich rechtswidrig – was nicht zutraf – skandalisiert worden war, endete 1994 seine Karriere abrupt; Gauweiler wurde von Ministerpräsident Edmund Stoiber zum Rücktritt gezwungen. Das war für ihn bitter. Aber es war vielleicht sogar ein Glück. Denn es ist diese neue Phase seines Lebens, in der er die Qualitäten entwickelte, die ihm einen Ausnahmestatus unter den deutschen Politikern verschafft haben.
Zunächst zog Gauweiler sich weitgehend – sein Landtagsmandat behielt er – auf seinen Beruf als Rechtsanwalt zurück. Er ist ein leidenschaftlicher und sehr erfolgreicher Strafverteidiger. Gemeinsam mit seinen Partnern hat er aufsehenerregende Wirtschaftsprozesse gewonnen – am berühmtesten wohl die Schadensersatzklage für den Medienunternehmer Leo Kirch gegen die Deutsche Bank. Seine beruflichen Erfolge verschafften ihm eine persönliche Unabhängigkeit, die das besondere Merkmal seines zweiten Politikerdaseins wurde. 
Dieses startete 2002, als er als Abgeordneter in den Bundestag gewählt wurde. Er gewann das Direktmandat in einem Münchener Wahlkreis, der bisher ständig von der SPD gehalten wurde. Er wurde dreimal wiedergewählt und gehörte dem Parlament bis 2015 an. In dieser Zeit entwickelte sich Gauweiler zu einem Solitär. Er litt unter dem Konformismus, der den Bundestag immer mehr prägte, ebenso wie unter dem erbärmlichen Niveau vieler Debatten.
Es waren zwei Politikfelder, die ihn in immer größeren Gegensatz zu seiner eigenen Fraktion brachten: Das eine Gebiet könnte man „Friedenspolitik“ nennen, wenn der Begriff nicht links besetzt wäre – „Nichtinterventionspolitik“ wäre daher vielleicht besser. Gauweiler kritisierte westliche Militärinterventionen im Irak oder in Afghanistan. Schon gegen den Kosovo-Krieg hatte er protestiert.
Gegen die ständig fortschreitende Zentralisierung
Das andere Gebiet war die EU-Politik. Gauweiler wandte sich gegen die ständig fortschreitende Zentralisierung. Er stimmte im Bundestag gegen den Verfassungsvertrag und dann gegen den Vertrag von Lissabon, später rebellierte er gegen die vielen Maßnahmen zur „Euro-Rettung“ – ein Abgeordneter, der sein freies Mandat ernst nahm und gegen die Mehrheit der eigenen Fraktion entschied, wenn die Vernunft ihm das gebot.
Damals begann meine Zusammenarbeit mit ihm. Gauweiler konnte sich mit seinen Herzensangelegenheiten in der eigenen Fraktion nicht durchsetzen. Aber er sah, daß er mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht etwas bewirken konnte. Er engagierte mich für seine Klage gegen den Einsatz von „Tornado“-Kampfflugzeugen der Bundeswehr in Afghanistan, dann gegen den Vertrag von Lissabon. Und danach klagten wir gegen den ersten „Euro-Rettungsschirm“, später gegen den „Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)“, schließlich gegen die Staatsanleihenankaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB). 
Der Erfolg dieser Klagen war unterschiedlich. Meist erreichten wir einschränkende Präzisierungen der jeweiligen Verträge und Verbesserungen der parlamentarischen Kontroll- und Entscheidungsrechte. Der größte Erfolg war das Urteil zum Vertrag von Lissabon, zu messen an der Lautstärke des Aufschreis in Brüssel und bei den Befürwortern der Regierungspolitik. 
Aus Gewissensgründen vom Parteiamt zurückgetreten
Was Gauweiler unabhängig vom Prozeßausgang in jedem Fall erreicht hat, war es, Öffentlichkeit herzustellen für Anliegen, die im Bundestag nicht wirklich debattiert, sondern nur durchgewunken wurden. Auch die Gegner Gauweilers haben anerkannt: Die Debatten, die in einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie im Bundestag hätten stattfinden müssen, haben bezüglich des Vertrages von Lissabon und der „Euro-Rettung“ im Bundesverfassungsgericht stattgefunden. 
Gauweiler hat für seine Klagen in der eigenen Partei und Fraktion große Anerkennung gefunden – aber meist hinter vorgehaltener Hand. Seine Popularität bei den Parteimitgliedern war so groß, daß er 2013 zum stellvertretenden Parteivorsitzenden der CSU gewählt wurde. Das konnte nicht lange gutgehen. Als im März 2015 der Parteivorsitzende Seehofer Gauweiler zur Parteiräson zwingen wollte, antwortete dieser: „Von mir ist öffentlich verlangt worden, daß ich – weil CSU-Vize – im Bundestag so abstimme, daß ich mich für das Gegenteil dessen entscheide, was ich seit Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht und vor meinen Wählern vertrete und was ich als geltenden Inhalt der CSU-Programme verstehe. Dies ist mit meinem Verständnis der Aufgaben eines Abgeordneten unvereinbar.“ Er trat vom Parteiamt zurück und legte sein Mandat nieder. 
Aus Rechts-links-Schablonen ausbrechen
Mit seinen Stellungnahmen zu großen politischen Themen findet er auch ohne politisches Amt nach wie vor große Aufmerksamkeit. In der öffentlichen Wahrnehmung hat er sich vom CSU-Hardliner der ersten Phase seines Politikerlebens zu einem politischen Intellektuellen gewandelt, der nicht nur im Bierzelt poltern, sondern auch feinsinnige, historisch grundierte und stilistisch blendende Feuilletonartikel schreiben kann. 
Und der vor allem die geistige Freiheit zeigt, aus festgefahrenen Rechts-links-Schablonen auszubrechen – ein selbstbewußter politischer Selbstdenker, der sich hohen Respekt in allen politischen Lagern erworben hat und auch Politiker der Linken zu seinen Freunden zählt. Wer sich fragt, wie je die politischen Gräben überwunden werden können, die unser Land immer tiefer spalten, sollte auf Peter Gauweiler schauen, der an diesem Samstag 70 Jahre alt wird. 
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Prof. Dr. Dietrich Murswiek ist Emeritus für Völker- und Verfassungsrecht an der Universität Freiburg und war für Peter Gauweiler Prozeßbevollmächtigter mehrerer Verfassungsbeschwerden zum Thema EU und Euro. 2016 erschien sein Buch „Die Eurokrise vor dem Bundesverfassungsgericht“. Vor kurzem gab er der JUNGEN FREIHEIT ein ausführliches Interview zum Thema EU und Grundgesetz (JF 21/19).

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