Peter Gauweiler ist eine Ausnahmeerscheinung im politischen Leben
Deutschlands. Bayerisches Urgestein. Ein Mann klarer Worte und
entschiedener Aussprache, insofern ganz der Ziehsohn von Franz Josef
Strauß, in dessen Nachfolge ihm eine große Politikerkarriere
offenzustehen schien.
Die ersten Schritte auf der Karriereleiter absolvierte er
erfolgreich. Gauweiler wurde Kreisverwaltungsreferent in München, wo er
sich den Ruf eines scharfen Law-and-Order-Politikers mit dem Beinamen
„Der Schwarze Peter“ erwarb und als Verkörperung einer CSU angesehen
werden konnte, wie sie war, bevor sie von den Strauß-Epigonen
weichgespült wurde. Als er dann Staatsminister (im Umweltressort) wurde,
sahen viele in ihm, der ein begnadeter Redner ist und sein Publikum
fesseln kann, den künftigen bayerischen Ministerpräsidenten.
Leiden am Konformismus, der den Bundestag prägt
Daraus wurde nichts. Nachdem die Verpachtung des Mandantenstamms
seiner Kanzlei als angeblich rechtswidrig – was nicht zutraf –
skandalisiert worden war, endete 1994 seine Karriere abrupt; Gauweiler
wurde von Ministerpräsident Edmund Stoiber zum Rücktritt gezwungen. Das
war für ihn bitter. Aber es war vielleicht sogar ein Glück. Denn es ist
diese neue Phase seines Lebens, in der er die Qualitäten entwickelte,
die ihm einen Ausnahmestatus unter den deutschen Politikern verschafft
haben.
Zunächst zog Gauweiler sich weitgehend – sein Landtagsmandat behielt
er – auf seinen Beruf als Rechtsanwalt zurück. Er ist ein
leidenschaftlicher und sehr erfolgreicher Strafverteidiger. Gemeinsam
mit seinen Partnern hat er aufsehenerregende Wirtschaftsprozesse
gewonnen – am berühmtesten wohl die Schadensersatzklage für den
Medienunternehmer Leo Kirch gegen die Deutsche Bank. Seine beruflichen
Erfolge verschafften ihm eine persönliche Unabhängigkeit, die das
besondere Merkmal seines zweiten Politikerdaseins wurde.
Dieses startete 2002, als er als Abgeordneter in den Bundestag
gewählt wurde. Er gewann das Direktmandat in einem Münchener Wahlkreis,
der bisher ständig von der SPD gehalten wurde. Er wurde dreimal
wiedergewählt und gehörte dem Parlament bis 2015 an. In dieser Zeit
entwickelte sich Gauweiler zu einem Solitär. Er litt unter dem
Konformismus, der den Bundestag immer mehr prägte, ebenso wie unter dem
erbärmlichen Niveau vieler Debatten.
Es waren zwei Politikfelder, die ihn in immer größeren Gegensatz zu
seiner eigenen Fraktion brachten: Das eine Gebiet könnte man
„Friedenspolitik“ nennen, wenn der Begriff nicht links besetzt wäre –
„Nichtinterventionspolitik“ wäre daher vielleicht besser. Gauweiler
kritisierte westliche Militärinterventionen im Irak oder in Afghanistan.
Schon gegen den Kosovo-Krieg hatte er protestiert.
Gegen die ständig fortschreitende Zentralisierung
Das andere Gebiet war die EU-Politik. Gauweiler wandte sich gegen die
ständig fortschreitende Zentralisierung. Er stimmte im Bundestag gegen
den Verfassungsvertrag und dann gegen den Vertrag von Lissabon, später
rebellierte er gegen die vielen Maßnahmen zur „Euro-Rettung“ – ein
Abgeordneter, der sein freies Mandat ernst nahm und gegen die Mehrheit
der eigenen Fraktion entschied, wenn die Vernunft ihm das gebot.
Damals begann meine Zusammenarbeit mit ihm. Gauweiler konnte sich mit
seinen Herzensangelegenheiten in der eigenen Fraktion nicht
durchsetzen. Aber er sah, daß er mit Klagen vor dem
Bundesverfassungsgericht etwas bewirken konnte. Er engagierte mich für
seine Klage gegen den Einsatz von „Tornado“-Kampfflugzeugen der
Bundeswehr in Afghanistan, dann gegen den Vertrag von Lissabon. Und
danach klagten wir gegen den ersten „Euro-Rettungsschirm“, später gegen
den „Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)“, schließlich gegen die
Staatsanleihenankaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB).
Der Erfolg dieser Klagen war unterschiedlich. Meist erreichten wir
einschränkende Präzisierungen der jeweiligen Verträge und Verbesserungen
der parlamentarischen Kontroll- und Entscheidungsrechte. Der größte
Erfolg war das Urteil zum Vertrag von Lissabon, zu messen an der
Lautstärke des Aufschreis in Brüssel und bei den Befürwortern der
Regierungspolitik.
Aus Gewissensgründen vom Parteiamt zurückgetreten
Was Gauweiler unabhängig vom Prozeßausgang in jedem Fall erreicht
hat, war es, Öffentlichkeit herzustellen für Anliegen, die im Bundestag
nicht wirklich debattiert, sondern nur durchgewunken wurden. Auch die
Gegner Gauweilers haben anerkannt: Die Debatten, die in einer
funktionierenden parlamentarischen Demokratie im Bundestag hätten
stattfinden müssen, haben bezüglich des Vertrages von Lissabon und der
„Euro-Rettung“ im Bundesverfassungsgericht stattgefunden.
Gauweiler hat für seine Klagen in der eigenen Partei und Fraktion
große Anerkennung gefunden – aber meist hinter vorgehaltener Hand. Seine
Popularität bei den Parteimitgliedern war so groß, daß er 2013 zum
stellvertretenden Parteivorsitzenden der CSU gewählt wurde. Das konnte
nicht lange gutgehen. Als im März 2015 der Parteivorsitzende Seehofer
Gauweiler zur Parteiräson zwingen wollte, antwortete dieser: „Von mir
ist öffentlich verlangt worden, daß ich – weil CSU-Vize – im Bundestag
so abstimme, daß ich mich für das Gegenteil dessen entscheide, was ich
seit Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht und vor meinen Wählern
vertrete und was ich als geltenden Inhalt der CSU-Programme verstehe.
Dies ist mit meinem Verständnis der Aufgaben eines Abgeordneten
unvereinbar.“ Er trat vom Parteiamt zurück und legte sein Mandat nieder.
Aus Rechts-links-Schablonen ausbrechen
Mit seinen Stellungnahmen zu großen politischen Themen findet er auch
ohne politisches Amt nach wie vor große Aufmerksamkeit. In der
öffentlichen Wahrnehmung hat er sich vom CSU-Hardliner der ersten Phase
seines Politikerlebens zu einem politischen Intellektuellen gewandelt,
der nicht nur im Bierzelt poltern, sondern auch feinsinnige, historisch
grundierte und stilistisch blendende Feuilletonartikel schreiben kann.
Und der vor allem die geistige Freiheit zeigt, aus festgefahrenen
Rechts-links-Schablonen auszubrechen – ein selbstbewußter politischer
Selbstdenker, der sich hohen Respekt in allen politischen Lagern
erworben hat und auch Politiker der Linken zu seinen Freunden zählt. Wer
sich fragt, wie je die politischen Gräben überwunden werden können, die
unser Land immer tiefer spalten, sollte auf Peter Gauweiler schauen,
der an diesem Samstag 70 Jahre alt wird.
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Prof. Dr. Dietrich Murswiek ist Emeritus für Völker- und
Verfassungsrecht an der Universität Freiburg und war für Peter Gauweiler
Prozeßbevollmächtigter mehrerer Verfassungsbeschwerden zum Thema EU und
Euro. 2016 erschien sein Buch „Die Eurokrise vor dem
Bundesverfassungsgericht“. Vor kurzem gab er der JUNGEN FREIHEIT ein
ausführliches Interview zum Thema EU und Grundgesetz (JF 21/19).
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