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Mittwoch, 26. Juni 2019

Mit Merkels Europa kann Putin machen, was er will

Putin nimmt sich Hitlers Tausend-Mark-Sperre als Vorbild

Mit wirtschaftlichen Sanktionen will Moskau Georgien davon abbringen, sich der Nato und der EU zu nähern. Das Ziel ist klar, und die Taktik ist uralt.
Am 1. Juli 1933 trat die Tausend-Mark-Sperre in Kraft. Deutsche Staatsbürger mussten beim Grenzübertritt nach Österreich, sofern er nicht im kleinen Grenzverkehr erfolgte, eine Gebühr von 1000 Reichsmark zahlen. Damit sollte die österreichische Fremdenverkehrswirtschaft geschädigt werden, um das von nationalsozialistischen Umtrieben bedrohte Österreich Hitler gefügig zu machen. Als Vorwand benutzte Berlin die Ausweisung des bayerischen NS-Justizministers Hans Frank durch die Regierung Dollfuß. Frank, später Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete, hatte in Graz Österreich als „deutschen Teilstaat“ bezeichnet.

86 Jahre später, am 8. Juli, tritt ein von Präsident Putin verhängtes Embargo gegen Georgien in Kraft. Es untersagt den Luftlinien den Passagierverkehr zwischen Russland und der ehemaligen Sowjetrepublik. Russische Reiseagenturen streichen Georgien aus dem Angebot, weil russische Touristen dort angeblich gefährdet seien. Damit soll ein kleines Land wirtschaftlich geschwächt werden, das nicht bereit ist, sich mit der russischen Okkupation der abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien - einem Fünftel seines Territoriums - abzufinden.
Als Vorwand dienten Putin die heftigen Proteste der georgischen Opposition gegen den Auftritt des kommunistischen russischen Abgeordneten Sergei Gavrilov im Parlament von Tbilisi (Tiflis). Gavrilov hatte dort auf russisch Georgien als russische Heimat bezeichnet und die “orthodoxe Brüderlichkeit” beschworen. Da er auf Einladung der prorussischen Regierungspartei sprach, schlug der nationale Protest rasch in Demonstrationen gegen die Regierung um, die seit einer Woche anhalten. Mehr als 240 Personen wurden bei den brutalen Einsätzen der Polizei verletzt. Russen befanden sich nicht darunter. Es gibt keinen Russenhass in Georgien, die Wut richtet sich gegen Russland als Besatzungsmacht.
Die Unruhen kommen Moskau gelegen, weil sie dazu beitragen, das am Westen orientierte Land zu destabilisieren. Indes zieht Putin die Daumenschrauben weiter an. Jetzt wird auch georgischer Wein boykottiert, weil er auf einmal nicht mehr den russischen Qualitätsansprüchen genügt. Ökonomische Sanktionen, politische Destabilisierung und militärische Bedrohung sind die Methoden, mit denen Putin die ehemaligen Sowjetrepubliken erpresst, die sich der Nato annähern möchten: Georgien, Moldawien, Ukraine.
Das ist derselbe russische Präsident, der sich gegen die Sanktionen verwehrt, die wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim gegen sein Land verhängt wurden. Unter wirtschaftlichen Sanktionen leiden allerdings vor allem kleine und schwache Länder. Russland ließ sich davon bisher nicht von seinem Kurs abbringen. Da müsste die Nato schon mit einer glaubwürdigen militärischen Abschreckung reagieren, wie sie Polen und die baltischen Republiken schon seit langem fordern. Doch zu einem solchen mutigen Schritt fehlt es in Westeuropa an Weitsicht und politischem Willen.
Im April 2008 schmetterten Deutschland und Frankreich auf dem Nato-Gipfel in Bukarest den Vorschlag der USA und Polens ab, der Ukraine und Georgien die Mitgliedschaft in der Allianz in Aussicht zu stellen. Nur wenige Monate später fielen russische Truppen in Georgien ein. Putin war sich sicher, dass die Nato nichts unternehmen würde, und er nützte die Chance. Als billige Hilfskräfte der Nato dürfen georgische Soldaten ihren Kopf hinhalten. Aber für die Sicherheit ihres Landes gibt es bis heute keine Garantie.
Die Regierungen Litauens und der Ukraine raten ihren Bürgern, den Urlaub heuer möglichst in Georgien zu verbringen. Ich war gerade dort und kann mich dem nur anschließen. Es ist ein wunderbares, ein stolzes, ein religiös und kulturell europäisch geprägtes Land. Und meinen bescheidenen Ansprüchen genügt die Qualität der georgischen Weine bei weitem.   Karl-Peter Schwarz

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