Nachdem Gauck selber das "Dunkeldeutschland"-Narrativ in die Welt gesetzt hatte, plädiert er jetzt für "erweiterte Toleranz in Richtung rechts“. Immerhin.
Auf die erweiterte Toleranz in Deutschland - nach links UND nach rechts - warte ich seit 1972. In den 90-ern kam, dank Gysi und Fischer, die Tolerierung der Linken. Jetzt kommt hoffentlich bald die der Rechten. Man nennt so etwas Normalisierung. Bzw. Genesung.
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Wir waren in Berlin, um an der 1. Medienkonferenz der AfD teilzunehmen. Wir betraten um 9 Uhr das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus.Und vielleicht ist der Eintritt in dieses Gebäude und die
Beschreibung der Anlage sehr dafür geeignet, etwas über die Atmosphäre
zu sagen, über die wir uns auf der frühen Rückfahrt Klarheit verschaffen
wollten. (Wir blieben nicht bis zum Schluß und waren daher auch nicht
am Jubel über den Stargast aus den USA, Milo Yiannopoulos, beteiligt,
der nach dem offiziellen Ende der Konferenz noch seinen Auftritt hatte.)
Wir diskutierten stattdessen auf einer von schwerem Regen verlangsamten
Rückfahrt über das Angekommensein im Bundestag, das atmosphärisch
vorgegeben war.
Das atmosphärisch Vorgegebene: dieses Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
direkt am Reichstagsufer, das wir durch Sicherheitsschleusen betraten,
das zu groß, zu perfekt ist mit seinem einem antiken Theater
nachempfundenen Foyer. Durch zwei riesige, kreisrunde Fenster hat man
Teile des Regierungsviertels im Blick, und sofort lag architektonisch
das Wort "Blase" nahe - ein vermeintliches dem vorbeijoggenden,
vorbeischippernden, vorbeiflanierenden Volke Nahesein, aber trotzdem
ganz Woanderssein, nämlich hinter Sicherheitsschleusen und hinter dickem
Glas und nacktem Beton in Räumen, die sieben, zehn, fünfzehn Meter hoch
sind - moderne Selbstfeier Angekommener.
Das alles ist gar nicht volksnah oder demokratisch oder für "erste Diener des Staates" gebaut.
Und weil das so ist, blieb mir das nicht erhalten, dieses zunächst,
also für anderthalb Stunden konservierbare gute Gefühl, an dieser
Medienkonferenz teilnehmen zu können, selbstverständlich,
verdientermaßen. Dem Bau, den riesigen Fenstern, dem ganzen
abgeschotteten Gehabe - allem fehlen die Demut und der ständige Hinweis
daran, daß man sich nicht in Räumen bewegt, die man sich selbst gebaut
hat, sondern daß einem dies vom Volk hingestellt worden ist.
Wer sind wir denn, daß uns dies "angemessen" vorkommen dürfte? Was
lernt man, wenn man lernt, sich in solchen Gebäuden, solchen Umgebungen
zu bewegen, mit großer Selbstverständlichkeit und - das macht die Frage
absurd - vielleicht sogar in der grünen, linken, Überzeugung, daß dieses
Volk, das diese Gebäude hingestellt, aufgebaut, bezahlt hat, eine
zufällig zusammengewürfelte Angelegenheit sei, die man ebenso zufällig
neu zusammenwürfeln und austauschen dürfe.
Abschweifung, gut, aber so etwas kann man schon denken, während man
hinter den riesengroßen Rundfenstern steht und von draußen nichts, gar
nichts mehr hört. Und darum ist es vielleicht doch kein Abschweifen,
dieses Fragen nach dem Eindruck, den das Angekommensein in eine solche
Architektur auf das Reden und Aussprechen und Ausrufen macht.
Hundert Blogger, Youtuber, Facebooker, Publizisten, Macher, Verleger
(Kositza und ich kannten vielleicht die Hälfte), ein knappes Dutzend MdB
der AfD-Fraktion im Bundestag, Bystron, Schulz, Hemmelgarn, Höchst,
Spaniel, Hartwig, später noch Müller, Braun, Weyel, Böhringer und
Jongen, im Fraktionsbesprechungsraum, einem großen, runden Saal mit
Tischen in zwei ineinanderliegenden Kreisen und einer Halbtribüne.
Beginn der Medienkonferenz: Die Auftaktrede von Martin Renner war
gut, wirklich gut. Er sprach von der "bewußten
Gesellschaftsumgestaltung", die vom politischen Establishment (also dem
Gegner) vorgenommen würde, und dieser Gegner setze dabei natürlich bei
der Umgestaltung des Menschen an, denn mit dem alten Schlage sei keine
neue Gesellschaft möglich.
Dieser Prozeß laufe von oben nach unten ab, keineswegs also
demokratisch, sondern mittels ausgeübter Herrschaft, und wenn es bisher
die Aufgabe der Medien gewesen sei, solche Vorgänge transparent zu
machen und für Klarheit zu sorgen, sei diese vierte Gewalt längst vom
Kontrolleur zum Herold geworden, zur Gouvernante. Besser als der Begriff
Lügenpresse sei daher der Begriff Erziehungspresse, und die Aufgabe der
versammelten "freien Medien" müsse es zweifelsohne sein, die
freigewordene Position des Kontrolleurs einzunehmen.
Das ist eine Kernaufgabe, zweifelsohne, und ihre Beschreibung führte
zu einer Kernfrage, die unausgesprochen über der Konferenz hing: Wie
mächtig sind die freien Medien eigentlich, wie weit über die eigenen
Resonanzräume hinaus werden sie wahrgenommen, oder anders: Inwiefern
findet eine spürbare und gegen die Erziehungsmedien wirkmächtige
Ausweitung der Resonanzzone statt?
An diesem Punkt kam es zu einem einleuchtenden Vorschlag, einer im
Verlauf der Konferenz sogar mehrere Male halb ärgerlich und mit
Nachdruck vorgetragenen Forderung: Wenn nun erklärtermaßen den
"alternativen Medien" die Rolle der medialen Gegenmacht zugewiesen
werde, müsse sich dies in Exklusivität niederschlagen, und dies könne es
nur dann, wenn die AfD besondere Meldungen, Mitteilungen,
Hintergrundinformationen nicht mehr über die Medien des Establishments
spiele, sondern über das alternative Spektrum. Nur dies nämlich
garantiere hohe Klickraten und damit Möglichkeiten der
Gegenfinanzierung.
Die Macht der noch immer Übermächtigen durch konsequenten Ausschluß
von exklusiver Information dazu zu zwingen, sich bei den Alternativen zu
bedienen und ihnen dadurch hinterherlaufen zu müssen - das könnte in
der Tat ein Strategiewechsel sein. Unterfüttert wurde das durch eine
kurze Ausführung zur Wirkmächtigkeit von Teilvorgängen in sozialen
Netzwerken: Für die rasende Verbreitung eines Welt-Artikels
etwa waren ganze fünf AfD-Abgeordnete zuständig - sie schaufelten 30
Prozent der späteren Leser auf die Seite dieser natürlich immer noch dem
Establishment zugeordneten Zeitung.
Was da zwischen den Zeilen anklang: Der Idealismus und der stille
redaktionelle Alltag der "Alternativen" zahlt sich noch nicht aus - es
sind Rentner oder Privatiers oder Freizeittäter, die das Netzwerk der
AfD-nahen Blogger und Youtuber knüpfen. Dazu kommen ein paar
professionelle Zeitungen, Zeitschriften und Verlage, die vom Gedruckten
leben und davon ins Netz investieren.
Eine der wichtigsten Wortmeldungen aber machte deutlich, wie rasch
der Idealismus an seine materiellen Grenzen kommt. Nach dem Vortrag des
Medienanwalts Höcker kam für ein paar Minuten die Sprache auf das
eklatante Mißverhältnis zwischen dem Stundensatz eines idealistischen,
politisch aber wirkungsvollen Bloggers auf der einen und einem Anwalt
auf der anderen Seite, der vom Blogger beauftragt werden muß,
Verleumdungskampagnen oder Unterlassungsforderungen des politischen
Gegners abzuwehren, notfalls vor Gericht.
Die Summen, die da für einen einzigen Schriftsatz zu Buche schlagen
können, für eine Vorbeurteilung eines Falls, für eine Telefonberatung
und dann vor allem für Gerichtstage, sind für Idealisten astronomisch
und hängen als Verhängnis über der täglichen Arbeit.
Man diskutierte einen Fond an, den man gemeinsam würde ausstatten
können, also eine Art Streikkasse, eine solidarische Finanzierungsstelle
für in Not geratene politische Opfer, sozusagen eine "Alternative
Hilfe". Das ist keine schlechte Idee, und EinProzent beispielsweise hat hier und da im Rahmen des Möglichen schon Hilfe leisten können.
Aber immer war dabei eines klar, und das müßte einmal grundsätzlich
geklärt werden, bevor man über EinProzent so einen Fond aufsattelte:
Sprechen wir von einer lückenlosen "idealistischen Kette" oder nicht?
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Es ist die idealistische
Kette der Linken, die an dieser Stelle als Vorbild herangezogen werden
muß. Dort gibt es Anwälte, die sich ehrenamtlich neben ihrer Brotarbeit
um Aktivisten kümmern, die Rechtsbeistand benötigen, ganze Netzwerke
solcher Anwälte; und es gibt Ärzte, die Illegale behandeln, ohne
Krankenschein, ohne Chipkarte, ohne Abrechnungsmöglichkeit. So etwas ist
ebenso idealistisch wie solidarisch, und es macht die idealistischen
Kette lückenlos, denn eine Demonstration anzumelden oder zu bloggen oder
Gesicht zu zeigen - das kann riskant sein, und es gibt dafür kein Geld
oder jedenfalls nicht viel.
Es darf eben am Ende der "idealistischen Kette" nicht jemand sitzen,
der den in Not geratenen Idealisten behandelt wie jeden anderen
Mandanten oder Patienten. Am Ende dieser Kette könnte auch jemand
sitzen, der vielleicht mit fünftausend Euro im Monat nach Hause geht
(wer von den "Alternativen" verdient Fünftausend im Monat?), und nicht
mit dem drei-, vier-, fünffachen.
Über dies einmal offen und deutlich zu sprechen, ist kein Sozialneid.
Vielmehr ist dies ein lagegemäßes Nachdenken über unterschiedliche
Wahrnehmungen: Ist der Kampf um eine Alternative in unserem Land eine
innere Notwendigkeit oder ein Geschäftsfeld? Natürlich ist er eine
Notwendigkeit, und diejenigen, die ihn auf Feldern mit wenig
Verdienstmöglichkeit, aber mit viel Einsatz kämpfen, dürfen am Ende
nicht auch noch für ihren Einsatz zahlen müssen. Es geht stets um
Solidarität mit denen, die dort an der Arbeit sind, wo man "aufgerieben"
wird.
Aber das bringt mich an den Anfang zurück: Diese Frage nach der
Solidarität, nach der lückenlosen "idealistischen Kette", war in der
Architektonik des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses nicht recht am Platze -
wie soll man auch über Stundensätze sprechen, während man hinter
riesigen Rundfenstern auf die Spree blickt.
Vielleicht ist diese Fehlwahrnehmung oder milder: diese
Selbstzufriedenheit an diesem Tag auch der Grund für eine seltsame
Aussage, auf die ich zuletzt noch zu sprechen kommen muß: Als die noch
junge "Vereinigung der freien Medien" präsentiert wurde, stellte Bystron
an die Macher dieses Vereins die Frage, welche Ziele der Zusammenschluß
verfolge. David Berger und Michael Stürzenberger sprachen über
Synergieeffekte, anwaltliche Beratung und gemeinsame Recherchen, das war
ja alles klar, und dann fiel der Satz, der wohl ein übergeordnetes Ziel
markieren sollte: Wir alle seien doch darum bemüht, den
verlorengegangenen "herrschaftsfreien Diskurs" wiederherzustellen.
Das hätte nicht kommen dürfen, jedenfalls nicht ohne ironische
Gänsefüßchen oder spöttischen Ton: Denn eine naivere Anfängervokabel ist
kaum denkbar.
Zum einen kann man nicht etwas "Wiederherstellen", das es in der
Politik nie gab, überhaupt nie gab, wo es etwas von Belang zu
entscheiden gab und gibt. Es gibt keinen herrschaftsfreien Diskurs
jenseits des Küchentischs und des berühmten "Habermasschen Oberseminars"
(und selbst an solchen Orten ist der Diskurs nur dann herrschaftsfrei,
wenn es um nichts Entscheidendes geht).
Zum zweiten ist das, selbst wenn es einer sein soll, kein toller
Sprachtrick, mit dem man irgendwie weiterkäme. "Herrschaftsfreier
Diskurs" bewegt sich auf demselben Niveau wie der in einer Arbeitsgruppe
wiederum vorgebrachte Vorschlag, man solle die politischen Gegner
grundsätzlich als rotlackierte Faschisten bezeichnen (auch eine jener
blendenden Ideen, auf die alle Halbjahr einer der 2015-Gefallenen kommt
und sie als die seine ausgibt).
Nein, leider: Das klang ernst. Woher kommt aber die Sehnsucht nach
herrschaftsfreiem Miteinander bei sorgsam uneigennützigem Austausch so
entgegengesetzter Positionen wie: Grenzen - auf oder zu; Privatisierung
der Gewinne und Sozialisierung der Verluste - ja oder nein;
hochempfindliche Identitätspolitik oder robuste Politik für den
Ottonormalbürger - ja oder nein?
Es geht doch um Macht, immer, um Deutungsmacht, Wortsetzungsmacht,
Durchsetzungsmacht, und wir haben doch allesamt eine Macht
kennengelernt, die das, was sie wollte, einfach tat, ohne lange darüber
zu diskutieren - zack, von oben in Gang gesetzt: Wenigstens das, wenn
nicht noch mehr, haben wir 2015 doch alle gelernt, und wenn es dazu eine
alternative Haltung gibt, dann die, daß man es so staatsstreichig von
oben nicht täte, selbst wenn man es könnte.
Gut ist, daß es nun Medienkonferenzen geben kann. Aber laßt uns mal
Ernst machen mit dem, was unsere Arbeit auf eine neue Stufe der
Wahrnehmung und Professionalisierung heben würde. Laßt uns nicht harmlos
reden, nicht über das Harmlose.
Nach viel Selbstverharmlosung jedenfalls mag die frenetische Stunde des Milo Yiannopoulos
am Abend wenigstens ein Spektakel gewesen sein, eine Art
Lockerungsübung, ein Fassade-Streicheln, oder eben der Auftritt eines
Vorboten: So sieht der Heilsbringer aus, wenn die Welt wirklich zur
allerletzten Welt geworden ist.
Aber ich kann nicht mitreden. Kositza und ich waren nämlich längst
schon wieder auf dem Rückweg in ein Dorf, das samt Schrebergärten ins
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus geschoben und unter Dach und Fach gebracht
werden könnte. GK
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