Stationen

Montag, 24. Juni 2019

70 Jahre GG

Ein paar Worte zum Jubiläum des Grundgesetzes, das jetzt fast so alt ist wie der Habermas und solide Chancen hat, dessen momentanes Alter auch noch zu erreichen (wobei ich nicht darauf wetten würde), ein paar Worte zum Grundgesetz erbat sich, allerdings etwas zu spät, der Veranstalter des Burschentages, wo ich am Samstag sprach (siehe Acta vom 16.) Aber da war die Rede schon fertig geschrieben und ohnehin zu lang. Überdies fällt mir zu diesem Thema wenig ein. Ich wurde unter der auf dem Papier ja ganz nett klingenden Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik realsozialisiert und weiß also, wie leicht diese Gummiparagraphen wiegen, wie flexibel sie sich auslegen lassen: "Alle politische Macht in der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Werktätigen in Stadt und Land ausgeübt. Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen der sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates." (Artikel 2.1, Fassung von 1974).

Zunächst einmal: Das Grundgesetz ist eine Verfassung und zugleich auch wieder nicht, zumindest keine endgültige. Das haben sich nicht die Reichsbürger ausgedacht, sondern die Elter 1 und Elter 2 des GG selber, dessen Artikel 146 bekanntlich lautet: "Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
Gewiefte Advokaten behaupten jetzt freilich: "Artikel 146 gibt keine Handlungsempfehlung vor. Er besagt nicht, dass das Grundgesetz durch eine vom Volk bestimmte Verfassung abgelöst werden soll oder muss. Es besagt nur, dass das Grundgesetz durch eine vom Volk bestimmte Verfassung abgelöst werden kann. Anders ausgedrückt besagt Artikel 146 also lediglich: 'Sobald Gesetz B in Kraft tritt, verliert Gesetz A seine Gültigkeit.' Damit wird aber in keiner Weise impliziert, dass Gesetz A bis zu diesem Zeitpunkt keine Legitimität besitzt."
Nein, das nicht. Doch diese Argumentation wirkt trotzdem nicht ganz wasserdicht. In Art. 146 wird ein "in freier Entscheidung" statuiert und in Aussicht gestellt. Wie unser Auge nach dem Schließen automatisch ein Nachbild eines betrachteten hellen Objekts in dessen Komplementärfarbe bildet, wird hier die unfreie Entscheidung vor dem inneren Auge vorstellig. Ein satanischer Vers?
Die satanischen Verse, Sie erinnern sich, so heißt nicht nur ein Roman von Salman Rushdi, mit dem sich der Schriftsteller in die Sphäre der drohenden rituellen Schächtung emporgeschrieben hat, es soll diese Verse tatsächlich geben. Der Schaitan, heißt es, hat sie gesprochen. Die Begebenheit ist in der islamischen Überlieferung festgehalten, es geht um Sure 53, Verse 19-20: "Was meint ihr wohl zu al-Lat und al-'Uzzā und auch zu Manāt, dieser anderen, der dritten?" Nach einer bei at-Tabarī erhaltenen Überlieferung fuhr Mohammed nach der Erwähnung der heidnischen Göttinnen des vorislamischen Mekka aufgrund der Einflüsterung Satans fort mit den nicht kanonisierten Worten: "Das sind die erhabenen Kraniche. Auf ihre Fürbitte darf man hoffen."
In der gültigen Fassung sind die heidnischen Götzen eliminiert, doch Satan versucht immer wieder, an dieser Stelle in den heiligen Text einzudringen; ein überaus poetischer Gedanke. Den historischen Hintergrund – es ging wohl um eine zwischenzeitliche Konzession an einen heidnischen Stamm – schenken wir uns, denn wir müssen uns den satanischen Versen des hl. Grundgesetzes zuwenden. Die "freie Entscheidung" in Artikel 146 ist so einer. Manche behaupten inzwischen, das im GG notorisch als Souverän herumgeisternde "deutsche Volk" stamme ebenfalls aus der Höllen und ihrer Spelunck. Ich hinwiederum würde eher die Formulierung, die Bundesrepublik sei ein "sozialer Bundesstaat" (Art. 20.1) und "sozialer Rechtsstaat" (28.1) zu den Einflüsterungen von Meister Urian zählen, denn das Framing des Rechtsstaats mit dem Attribut "sozial" – statt des kurzen und bündigen "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat" – hat Letzterem gewissermaßen ein Fußeisen angelegt, welches im Laufe der Jahre und der politischen Linksdrift immer schwerer wurde, und womöglich kann der arme Rechtsstaat eines Tages deshalb nicht mehr laufen. Ähnlich steht es um den Bombast des ersten Satzes, wonach der Schutz der Menschenwürde die wichtigste Aufgabe des Staates sei, präludierend hineingraviert in eine Gesetzestafel, die gleichsam auf Leichenbergen errichtet wurde, aber niemand wäre damals auf die satanische Idee gekommen, Deutschland werde dereinst moralisch noch weiter als jemals militärisch expandieren und den halben Globus mit dem elastischen Anakondamaul seines Menschenwürdeparagraphen zu umschließen suchen.
Und wie verhält es sich mit dem Vers "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht"? Auch ein satanischer? Nein. Teuflisch ist dessen Praxis. Teuflisch ist, dass bei uns Terroristen, IS-Kombattanden und andere Radikale ungehindert ins Land strömen und der Satz inzwischen lautet: Politische Verfolger genießen Asylrecht.

PS: Was die von Art. 146 in Aussicht gestellte, in freier Entscheidung beschlossene Verfassung betrifft: Die wird für die Bundesrepublik heutigen Zuschnitts nie gelten, die wird sich allenfalls ein deutsches Restvolk auf einem Sezessionsterritorium geben.   MK


Was die SPD in den 70-ern nicht schaffte, wird hoffentlich Tauber und Weber jetzt auch nicht gelingen.

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