Ein paar Worte zum Jubiläum des Grundgesetzes, das jetzt fast so alt ist
wie der Habermas und solide Chancen hat, dessen momentanes Alter auch
noch zu erreichen (wobei ich nicht darauf wetten würde), ein paar Worte
zum Grundgesetz erbat sich, allerdings etwas zu spät, der Veranstalter
des Burschentages, wo ich am Samstag sprach (siehe Acta vom 16.) Aber da
war die Rede schon fertig geschrieben und ohnehin zu lang. Überdies
fällt mir zu diesem Thema wenig ein. Ich wurde unter der auf dem Papier
ja ganz nett klingenden Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
realsozialisiert und weiß also, wie leicht diese Gummiparagraphen
wiegen, wie flexibel sie sich auslegen lassen: "Alle politische Macht in
der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Werktätigen in Stadt
und Land ausgeübt. Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen der
sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates." (Artikel 2.1, Fassung
von 1974).
Zunächst einmal: Das Grundgesetz ist eine Verfassung
und zugleich auch wieder nicht, zumindest keine endgültige. Das haben
sich nicht die Reichsbürger ausgedacht, sondern die Elter 1 und Elter 2
des GG selber, dessen Artikel 146 bekanntlich lautet: "Dieses
Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands
für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem
Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke
in freier Entscheidung beschlossen worden ist."
Gewiefte Advokaten behaupten
jetzt freilich: "Artikel 146 gibt keine Handlungsempfehlung vor. Er
besagt nicht, dass das Grundgesetz durch eine vom Volk bestimmte
Verfassung abgelöst werden soll oder muss. Es besagt nur, dass das Grundgesetz durch eine vom Volk bestimmte Verfassung abgelöst werden kann.
Anders ausgedrückt besagt Artikel 146 also lediglich: 'Sobald Gesetz B
in Kraft tritt, verliert Gesetz A seine Gültigkeit.' Damit wird aber in
keiner Weise impliziert, dass Gesetz A bis zu diesem Zeitpunkt keine
Legitimität besitzt."
Nein, das nicht. Doch diese Argumentation
wirkt trotzdem nicht ganz wasserdicht. In Art. 146 wird ein "in freier
Entscheidung" statuiert und in Aussicht gestellt. Wie unser Auge nach
dem Schließen automatisch ein Nachbild eines betrachteten hellen Objekts
in dessen Komplementärfarbe bildet, wird hier die unfreie Entscheidung
vor dem inneren Auge vorstellig. Ein satanischer Vers?
Die
satanischen Verse, Sie erinnern sich, so heißt nicht nur ein Roman von
Salman Rushdi, mit dem sich der Schriftsteller in die Sphäre der
drohenden rituellen Schächtung emporgeschrieben hat, es soll diese Verse
tatsächlich geben. Der Schaitan, heißt es, hat sie gesprochen. Die
Begebenheit ist in der islamischen Überlieferung festgehalten, es geht
um Sure 53, Verse 19-20: "Was meint ihr wohl zu al-Lat und al-'Uzzā und
auch zu Manāt, dieser anderen, der dritten?" Nach einer bei at-Tabarī
erhaltenen Überlieferung fuhr Mohammed nach der Erwähnung der
heidnischen Göttinnen des vorislamischen Mekka aufgrund der
Einflüsterung Satans fort mit den nicht kanonisierten Worten: "Das sind
die erhabenen Kraniche. Auf ihre Fürbitte darf man hoffen."
In der
gültigen Fassung sind die heidnischen Götzen eliminiert, doch Satan
versucht immer wieder, an dieser Stelle in den heiligen Text
einzudringen; ein überaus poetischer Gedanke. Den historischen
Hintergrund – es ging wohl um eine zwischenzeitliche Konzession an einen
heidnischen Stamm – schenken wir uns, denn wir müssen uns den
satanischen Versen des hl. Grundgesetzes zuwenden. Die "freie
Entscheidung" in Artikel 146 ist so einer. Manche behaupten inzwischen,
das im GG notorisch als Souverän herumgeisternde "deutsche Volk" stamme
ebenfalls aus der Höllen und ihrer Spelunck. Ich hinwiederum würde eher
die Formulierung, die Bundesrepublik sei ein "sozialer Bundesstaat"
(Art. 20.1) und "sozialer Rechtsstaat" (28.1) zu den Einflüsterungen von
Meister Urian zählen, denn das Framing des Rechtsstaats mit
dem Attribut "sozial" – statt des kurzen und bündigen "Die
Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat" – hat Letzterem
gewissermaßen ein Fußeisen angelegt, welches im Laufe der Jahre und der
politischen Linksdrift immer schwerer wurde, und womöglich kann der arme
Rechtsstaat eines Tages deshalb nicht mehr laufen. Ähnlich steht es um
den Bombast des ersten Satzes, wonach der Schutz der Menschenwürde die
wichtigste Aufgabe des Staates sei, präludierend hineingraviert in eine
Gesetzestafel, die gleichsam auf Leichenbergen errichtet wurde, aber
niemand wäre damals auf die satanische Idee gekommen, Deutschland werde
dereinst moralisch noch weiter als jemals militärisch expandieren und
den halben Globus mit dem elastischen Anakondamaul seines
Menschenwürdeparagraphen zu umschließen suchen.
Und wie verhält es
sich mit dem Vers "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht"? Auch ein
satanischer? Nein. Teuflisch ist dessen Praxis. Teuflisch ist, dass bei
uns Terroristen, IS-Kombattanden und andere Radikale ungehindert ins
Land strömen und der Satz inzwischen lautet: Politische Verfolger genießen Asylrecht.
PS:
Was die von Art. 146 in Aussicht gestellte, in freier Entscheidung
beschlossene Verfassung betrifft: Die wird für die Bundesrepublik
heutigen Zuschnitts nie gelten, die wird sich allenfalls ein deutsches
Restvolk auf einem Sezessionsterritorium geben. MK
Was die SPD in den 70-ern nicht schaffte, wird hoffentlich Tauber und Weber jetzt auch nicht gelingen.
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