Stationen

Donnerstag, 17. Dezember 2020

Matteo Salvini und die CDU

Trotz Umfragetief: Die ehemalige Lega Nord, heute als LEGA bekannt, arbeitet an einer zukünftigen Mitte-Rechts-Regierung. Sie sucht laut Eigenerklärung neue stabile Beziehungen in Europa und zeigt sich dabei auf ganz neuen Pfaden: Man trifft auf sie bei der CDU in Berlin.

»Conte wird fallen, aber das Centrodestra ist noch nicht bereit«, meint der Mann, der für Matteo Salvinis LEGA an einer möglichen Regierungskoalition arbeitet: Giancarlo Giorgetti. LEGA-Vize und im Kabinett Conte I Staatsekretär des Ministerrats.
Wie nun mehrere italienische Tageszeitungen, darunter die renommierte La Repubblica, berichten, traf sich Giorgetti im Herbst mit Vertretern der CDU in Berlin. Bereits seit einiger Zeit arbeitet Giorgetti an einer Aussöhnung mit der Europäischen Volkspartei (EVP), in der die Union aus CDU und CSU, als letzte große christdemokratische Kraft in Europa, nach wie vor führend ist.
Ausgerechnet dort, im Herzen des EU-Establishments, möchte sich die LEGA als stabile und vertrauenswürdige Kraft präsentieren. Als Wegmarke auf diesem Pfad der Annäherung ist italienischen Medien zufolge ein Arbeitspapier in Entstehung, das sich mit Ideen eines Neustarts der durch die Coronakrise gebeutelten europäischen Wirtschaft befaßt.
Es gehe um den Umgang mit Schulden sowie um den vereinfachten Zugang für kleine und mittlere Unternehmen zu Unterstützungsgeldern. Diese kleinen und mittleren Unternehmen sind nicht nur das Rückgrat der italienischen Wirtschaft, sondern zuletzt auch in Sachen Wahlpräferenz eine wichtige Stütze der LEGA.
In Berlin traf sich Giorgetti nach Medienberichten mit mehreren Vertretern der CDU, unter anderem mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Marian Wendt aus Sachsen, Vorsitzender des Petitionsausschusses und Mitglied der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe.

Für CDU und CSU sei es wichtig, daß »die Lega die Absicht zeigt, tatsächlich eine Partei der Mitte zu werden, daß sie aufhört mit der populistischen und antieuropäischen Rhetorik der vergangenen Jahre, insbesondere hinsichtlich der Zuwanderung«, äußert sich Wendt gegenüber Repubblica.
Auf verschlossene Türen stoßen Giorgetti und die LEGA also keineswegs. Die LEGA sei eine Partei, die in einigen Regionen Italiens seit Jahrzehnten erfolgreich regiere, so Wendt weiter väterlich, wenngleich es bis zu einem Wechsel der LEGA in die Fraktion der Europäischen Volkspartei, so Wendt nur ein wenig tadelnd, noch »ein weiter Weg« sei.
Nominell wählt Italien erst 2023 eine neue Abgeordnetenkammer. An ein Durchhalten der jetzigen Regierungskoalition, die laut Giorgetti nur durch eine »günstige Sternenkonstellation« noch stehe, glaubt auf der Halbinsel indes niemand ernsthaft.
Giancarlo Giorgetti ist ein mächtiger Strippenzieher. Ein über die Parteigrenzen hinweg geschätzter Politikprofi, der seit über einem Vierteljahrhundert im Parlament sitzt. Giorgetti weiß, welche Hindernisse einer rechten Regierung drohen, insbesondere auch auf europäischer Ebene.
»Wenn man Regieren will, dann bedarf es eines Systems starker und stabiler internationaler Beziehungen. Und die befinden sich im Entstehen.« Mit diesen Worten wurde Giorgetti bereits 2019 in der 89. Sezession zitiert. Galt solch eine Wende vielerorts noch als völlig abwegig, immerhin dementierte Salvini persönlich dieses Manöver erst im September 2020, so arbeitet Giorgetti nun doch daran, sich diese stabilen Beziehungen zu schaffen, um der LEGA als zukünftig führender Regierungspartei den Rücken gegen Angriffe aus Brüssel und Straßburg freizuhalten.

Ein gewagtes Vorgehen, das in den eigenen Reihen und rechts der italienischen »Mitte« nicht überall gut ankommt. In einer etwaigen Mitte-Rechts-Regierung befände sich eine moderatere LEGA dann zwischen der generisch eher christdemokratischen Forza Italia einerseits und der klassischen Rechtspartei der Fratelli d'Italia andererseits wieder (die ihrerseits gewisse Eskapaden hinter sich hat, was die Zugehörigkeit zu anderen Parteien betrifft).
Die dezidiert rechten »Brüder Italiens« um die ehemalige Jugendministerin Giorgia Meloni, bei den letzten großen Wahlen im März 2018 mit 4 Prozent noch Kleinpartei, stehen in Umfragen mittlerweile bei 17 Prozent, Tendenz steigend, während für die LEGA derzeit noch rund 24 Prozent prognostiziert werden, Tendenz fallend.

Einerlei, ob Giancarlo Giorgettis waghalsige Wende in die Mitte und in Richtung Angela Merkels EVP aufgeht: In Italien weiß man, daß rechts der Mitte Millionen Stimmen zu holen sind – und auch
von anderen geholt werden, wenn man sie selbst nicht mitnimmt. Giorgetti sieht jedoch auch hinsichtlich seines derzeitigen Parteichefs Änderungsbedarf. Salvini habe seinen außerordentlichen politischen Erfolg auf Fundamenten gebaut, die außerhalb der Palazzi, den Regierungspalästen, liegen, nämlich auf der Straße und in den sozialen Medien.

Dies treibe ihn jedoch dazu, den politischen Vorgängen und Manövern, wie sie in eben jenen Palazzi eingefädelt werden, nicht zu trauen. Um Italien zu regieren, brauche es jedoch »Bündnisse und Glaubwürdigkeit«.
»Es reicht eben nicht, bloß eine große Wählerzustimmung zu haben. Den hatte die PCI [die Kommunistische Partei Italiens, Anm. d. Verf.] auch, aber niemals hat man die auch nur in die Nähe des Regierens gelassen«, äußerte sich Giorgetti, der Machtstratege, gegenüber der Tageszeitung Corriere della Sera. Ob Giorgetti seine Parteifreunde und zukünftige Koalitionspartner darauf einzuschwören weiß, steht offen.

Mit Widersprüchen kennt man sich jedenfalls auch bei der LEGA bestens aus. Nicht selten muß sie sich in Italien selbst von linker Seite »antiitalienische« Politik vorhalten lassen, denn in Brüssel und Straßburg sitzt die LEGA (noch) am Tisch der »Herren des Nein« (Signori del no), den europäischen Rechtspopulisten der Fraktion Identität und Demokratie (ID), aus deren Reihen immer wieder mit schrillen Ausfällen in Richtung der Südeuropäer hantiert wird, insbesondere hinsichtlich Währungs- und Schuldenfragen.
Aber, so stellt auch der Kommentator der Repubblica richtigerweise fest: Am Tisch der nordeuropäischen Neinsager zu sitzen, das ist das eine. An den Tisch der wirklichen Entscheider des einstmals befehdeten EU-Apparats, der EVP, zu wechseln: Das ist etwas ganz anderes.
Die Rechtsparteien stehen also einmal mehr am Scheideweg – zweifelsohne nicht nur in Deutschland.  John Hoewer

Nachtrag vom 22. 12.

Heute Abend war Salvini in eine Talkshow eingeladen (denn in Italien gibt es - wie in den USA - im Gegensatz zu Deutschland ein Gesetz, das pluralistische Gepflogenheiten schützt; die Art, wie in Deutschland mit der AfD umgesprungen wird, wäre in Italien illegal). In dieser Talkshow wurde ihm richtigerweise vorgehalten, dass die EU-Gelder Italien nie in Aussicht gestellt worden wären, wenn er noch Teil der Regierung gewesen wäre, weil er mit der AfD und Orban flirtet. Dem widersprach er gar nicht. Er konzentrierte sich einfach auf die Tatsache, dass er und Berlusconi Konzepte haben, um auch wirklich an die EU-Gelder (die vor allem deutsche Gelder sind) zu gelangen, während Conte, die linken Parteien und die 5-Sterne-Bewegung immer noch konzeptlos umherirren. Mit anderen Worten, das ganze Geheimnis hinter Salvinis Annährung an die CDU besteht darin, dass er das Geld einsacken möchte, das Conte dank Merkels Engagement zugesagt wurde.

Und das gefällt den italienischen Wählern, denn das ist italienische Tradition! Schon die Spanische Treppe, die in Wirklichkeit eine französische ist, weil sie von den Franzosen bezahlt wurde, ist das Ergebnis eines Jahrzehnte dauernden Hin-und-Hers, bei dem die Franzosen immer den Kürzeren zogen. Conte und Salvini sind wie der gute Polizist und der böse Polizist in amerikanischen Krimis. Oder wie Aydan Özoğuz und ihre Brüder. Oder wie Mamma und Pappa... Die Italiener (auch die Wähler) sind pfiffig, sie wissen, dass sie pfiffig sind und sind stolz darauf, pfiffig zu sein. Also, nicht wundern, wenn Salvini tatsächlich das Geld entgegennehmen sollte, das Conte in Aussicht gestellt wurde. Er sagte noch vor zwei Monaten, er traue der EU nicht, Portugal und Spanien hätten das Geld abgelehnt, sogar Griechenland habe es abgelehnt, er sehe keinen Grund, weshalb Italien sich in dieses Dornengestrüpp begeben solle... Aber jetzt nutzt er die Gunst der Stunde, die darin besteht, dass die Regierungskoalition unter heftige Spannung geraten ist. Nicht wundern, falls Salvini irgendwann das Geld entgegennimmt, für welches Conte den Holländern mühselig eine Zusage abgerungen hat. Und nicht wundern, wenn Salvini später Deutschland irgendwann vorwirft, das Geld sei Italien aufgezwungen wurden.


Und Deutschland? Hören wir, was ein Idealist wie Kubitschek uns zu sagen hat:

Seit Monaten rennen in dutzenden Städten Bürger gegen ebenso strikte wie inkonsequente, gegen ratlose, sinnlose, »alternativlose« Maßnahmen an.
Sie rennen gegen die Maßnahmen an und meinen die Regierung, meinen die Regierung und sehen dahinter ein Geflecht aus Politik, Staatsdienern und Staatsmedien, staatsnahen Medien, staatsnahen Konzerne und einer staatstragenden »Zivilgesellschaft« – eine festgeknüpfte Matte, aus der keiner fallen möchte, der einmal darin zu liegen kam.

Tag für Tag schafft der Staat, schaffen die Behörden neue Stellen, die den Anspruch neu entdeckter Randgruppen oder an ihrer Arbeit gehinderter Lockdown-Opfer geltend zu machen, ihn zu besprechen, auszuhandeln, zu formalisieren und zu erfüllen vorgeben.
Unser Staat, der einmal ein schlanker Fechter war, ist zur alles erdrückenden, jeden säugenden Sau geworden. Die zehn, zwölf Millionen Leute, die alles bezahlen, schuften Jahr für Jahr bis Mitte August nur für ihre Abgaben, manche noch viel länger. Sie täten es ohne zu murren, solidarisch und pflichtbewußt und dankbar für die Absicherung in ernster Lage, wenn sie wüßten, daß derjenige, der ihnen nimmt, dem sie zu geben haben, sparsam und effektiv, ausgleichend und – was für ein seltsames Wort in diesem Zusammenhang! – ebenfalls dankbar zu wirtschaften verstünde.
Aber: Dieser Staat ist weder sparsam noch achtsam, und er ist dabei, diejenigen zu erdrücken, die ihn tragen. Er tritt uns nicht gegenüber wie ein Vater seinen erwachsenen Kindern, sondern wie der Soma-Verteiler den Epsilon-Semi-Kretins in Aldous Huxleys Roman Schöne Neue Welt: Infantilisierung und Absättigung, Entmündigung und Almosen.

Gut: Uns und diejenigen, die sich nicht abhängig machen lassen, infantilisiert er nicht, er kriminalisiert sie, bestraft sie, stößt sie aus, vergleicht sie mit schlimmen Typen aus der Geschichte und gibt vor, mit großem Verantwortungsbewußtsein vor der Weltöffentlichkeit und unserer schuldbeladenen Vergangenheit »den Anfängen zu wehren«.
Lassen wir ihm diese Phrase. Welchen Anfängen wehrt er? Doch bloß denen, die seinen weltanschaulich gegen das eigene Volk gewendeten Mißbrauch beenden und ihn für unser Volk reformieren wollen, und er wehrt denen, die an eine solche Reform nicht mehr glauben, sondern den totalen Staat total in Frage stellen. Der Staat wehrt unseren Anfängen.
Glauben wir noch an Reformierbarkeit? Glauben wir an den Rückbau jener Millionen Stellen, die der Staat schuf und die er an seine Zitzen hängte, um alles zu verwalten und Abhängigkeiten zu schaffen, gegen die man kaum mehr anwählen, gegen die man kaum eine Partei platzieren kann? Glauben wir noch, daß es Politiker geben könnte, die den Staat zu einem erneut würdigen, schlanken, effektiven Gebilde reformieren und zugleich verhindern könnten, daß er zur Beute globaler, vernutzender, ortloser, asozialer Spieler würde?

Glauben wir an Entbürokratisierung plus Staatsidee? An effektive Solidarität? An Patriotismus und Freiheit, an Selbständigkeit und Schutz, an Staatsdienst und Dankbarkeit?
Ich glaube nicht mehr daran. Das hat lange genug gedauert. Es lag an meiner Überzeugung, man könne ohne Rücksicht auf wirtschaftliche, technische und soziale Bedingtheiten doch so etwas wie »reine Politik« treiben, also: eine Staatsidee Gestalt werden lassen, die den Bedingtheiten übergeordnet wäre, etwas wie Dienstbereitschaft, Selbstkontrolle, Bescheidenheit, Effektivität.
Diese mobilisierende Vorstellung hat sich als Illusion erwiesen, der Weg zur Ernüchterung führte von Pegida über den Aufstieg der Alternative zuletzt mit Siebenmeilenstiefeln dorthin, wo zigtausend Bürger hilflos gegen eine zynische Staatsmacht anrennen.
Hoffen wir, daß nach jeder Demonstration, nach jeder neuen Zwangsmaßnahme wieder tausend Bürger diesem Staat verlorengehen. Unsere Aufgabe ist es dabei, zu verhindern, daß diese Menschen zugleich an eine diffuse »Freiheit« verlorengehen. (Die Verzweiflung ist ihnen ins Gesicht geschrieben, man muß nur einmal in die Abendgesichter blicken, wenn es vor der Polizeikette hart auf hart geht.)

»Die Rechte kann heute keine rein konservierende Funktion haben – ihre Funktion muß vielmehr auf weite Strecken eine sprengende sein«, schrieb Armin Mohler einmal. Sie müsse »eine sichere Witterung dafür besitzen, wieviel sie sprengen darf, ohne die Substanz zu verletzen.« Dies ist heute mehr denn je unsere Aufgabe. Wir müssen über den Staat anders nachdenken.   Kubitschek

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.