Ein Geheimdienst, der die eigenen Bürger bespitzelt, ist in jeder freiheitlich verfassten Demokratie eine Absurdität. In Deutschland heißt dieses Relikt autoritärer Herrschaft „Verfassungsschutz“ und gilt als Ausweis einer „wehrhaften Demokratie“, die die Lehren aus den totalitären Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts gezogen haben will. Auch unter den Prämissen des „antitotalitären Konsenses“ der alten Bundesrepublik war das eine zweischneidige Konstruktion mit hohem Mißbrauchspotential.
Für die deutsche Linke, die sich 1968 auf den langen Marsch zur Eroberung der Institutionen und der Diskurshegemonie gemacht hatte, war der Verfassungsschutz zunächst ein Hindernis. Angesichts wachsender Kritik an Regelanfragen und „Berufsverboten“ inszenierte der Inlandsgeheimdienst Äquidistanz, indem er noch die unbedeutendste „rechtsextremistische“ Bestrebung auflistete – oder bisweilen gar im Zuge eines staatlichen Beschaffungsextremismus erst selbst inszenierte.
Eine neue Qualität erlangte die parteipolitische Instrumentalisierung mit dem nach 1990 einsetzenden „Kampf gegen Rechts“ und der Verfassungsschutz-Beobachtung der im Gefolge der ersten Asylkrise überraschend erfolgreichen Republikaner. Der Siegeslauf der AfD nach der Migrationskrise von 2015 war unter dieser Perspektive ein alarmierendes Déjà-vu.
Dennoch widersetzte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz unter seinem damaligen Leiter Hans-Georg Maaßen zunächst den Forderungen, der neu aufgetretenen Konkurrenz mit denselben Mitteln zu Leibe zu rücken. Die noch frische Erfahrung einer Serie von Niederlagen in Prozessen gegen die Beobachtung der Republikaner und anderer Zielobjekte, darunter auch diese Zeitung, dürfte dabei keine geringe Rolle gespielt haben.
Nach dem handstreichartigen Austausch Maaßens gegen den CDU-Parteisoldaten Thomas Haldenwang ist von solcher Zurückhaltung so gut wie nichts mehr übrig. Sofort nach Amtsantritt preschte Haldenwang mit der vom Behördenauftrag nicht gedeckten öffentlichen Erklärung von Teilen der AfD zum „Prüffall“ vor und steckte dafür eine weitere Abfuhr vor Gericht ein.
Davon unbeeindruckt gehen Bundesverfassungssschutz und Landesämter in Salamitaktik weiter gegen die Oppositionspartei vor. Auf die Einstufung einzelner Gliederungen – namentlich des Jugendverbands und des inzwischen aufgelösten „Flügels“ – folgt die Benennung ganzer Landesverbände als „Verdachtsfall“. Im Januar droht diese Einstufung der Gesamtpartei, mit allen damit verbundenen Nachteilen im politischen Wettbewerb. Ein Schelm, wer da zu Beginn eines entscheidenden Wahljahres Methode vermuten möchte.
Die Rabulistik Haldenwangs, der über weite Strecken bloße Meinungsbewertung betreibt und den „Menschenwürde“-Artikel des Grundgesetzes als Gummiparagraph zweckentfremdet, ist atemberaubend. Dass beispielsweise auf dem letzten Bundesparteitag „gemäßigte“ Kandidaten in allen Wahlgängen erfolgreich waren, wertet der VS-Chef als Beleg für ein weiteres Erstarken eines von ihm so verschlagworteten ominösen „völkischen Lagers“, weil die Mehrheiten ja nur knapp gewesen seien.
Der Ideologie-Jargon von Verfassungsschutz-Verlautbarungen ist bereits ein Gradmesser für die Transformation der Behörden zum Kampfinstrument der etablierten Politik, die sich der Diskurshegemonie der Linken und ihrem „antifaschistischen“ statt antitotalitären Grundkonsens völlig ausgeliefert hat. Haltung verdrängt Qualifikation bei der Besetzung von Leitungspositionen. So auch im Falle des Thüringer Behördenchefs Stephan Kramer, der das Landesamt ungeniert als Karrierebeschleuniger nutzt: 2021 bewirbt sich der notorische Scharfmacher, der eine Vorreiterrolle bei der Beobachtung der AfD auf Landesebene übernommen hatte, um ein SPD-Bundestagsmandat.
Daß Politiker der Linken wie Petra Pau sich kritisch zur VS-Beobachtung der rechten Konkurrenz äußern, ist kein Widerspruch zur parteipolitischen Indienstnahme des Verfassungsschutzes. Erklärtes Ziel der umgetauften SED, die in Thüringen vor der Regierungsübernahme noch die Auflösung des Landesamts für Verfassungsschutz angestrebt hatte, ist ein institutionalisierter „Kampf gegen Rechts“, der von „gesellschaftlichen“ Einrichtungen ohne die Restriktionen einer formal zur Neutralität angehaltenen Behörde geführt werden soll.
Die Verzahnung mit halbstaatlichen Lobbygruppen wie der „Amadeu-Antonio-Stiftung“ der Ex-Stasi-Zuträgerin Anetta Kahane, in deren Stiftungsrat auch Kramer sitzt, schreitet rasch voran. In Rekordgeschwindigkeit geriet so die „Querdenken“-Bewegung zum Beobachtungsobjekt: Die Kahane-Organisation gab mit der Denunziation als „antisemitisch“ und „verschwörungstheoretisch“ die Stichworte, etablierte Medien fungierten als Verstärker, und das einem CDU-Innenminister unterstellte baden-württembergische Landesamt lieferte.
„Querdenken“-Chef Michael Ballweg verweist vergebens auf das breite Spektrum seiner Bewegung, in der es mehr Anhänger von Grünen und Linken als der AfD gibt und extremistische Trittbrettfahrer nur eine Randerscheinung sind. Legten die Verfassungsschützer gleiche Maßstäbe an alle an, müßten sie wohl sämtliche Bundestagsparteien wegen extremistischer Kontakte „beobachten“. Mit einem politisch einseitigen Inlandsgeheimdienst, der auf Zuruf Kritiker etablierter Machtgeflechte an den Pranger stellt, entfernt Deutschland sich mit Siebenmeilenstiefeln von elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen. JF
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