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Freitag, 10. Mai 2024

Marie-Thérèse Kaiser

 


Solifonds

Nihal Sariyildiz




In ihrer unfreiwillig parodistischen Weise brachte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Lage in Deutschland im Herbst 2016 in einer Rede auf den Punkt: Wenn wir anfangen, dabei mitzumachen, dass Fakten beiseitegewischt oder ignoriert werden können, dann sind verantwortbare und konstruktive Antworten in der Sache nicht mehr möglich. Nachdem Merkel die Gefahr eines postfaktischen Zeitalters beschworen hatte, wurde der Begriff virulent und zum Wort des Jahres gewählt. Politiker, Medienmacher und Journalisten verwenden den Begriff „postfaktisch“ seitdem für alles und jedes, was den offiziellen Regierungsvorgaben und Verlautbarungen widerspricht. „Postfaktisch“ soll bedeuten, dass politische Entscheidungen bis dato auf der Grundlage von Fakten getroffen wurden, es nun aber einen bedeutenden Teil in der Bevölkerung gibt – Dunkeldeutsche, Rechtspopulisten, Querdenker –, der die Realität leugnet und in dessen Welt Fakten nicht mehr gelten.

Wir haben es hier offensichtlich mit einer kompletten Umkehr und der Projektion eigener Anteile auf diejenigen zu tun, die noch davon ausgehen, dass die Realität oder physikalische oder biologische Gesetzmäßigkeiten für die Politik handlungsleitend sind. Dass das Aussprechen von unzweifelhaften Fakten – es gibt nur zwei Geschlechter – nun unter Strafverdrohung steht, da das Geschlecht als rein soziales Konstrukt gilt, ist nur ein Beispiel für die Ablösung der Realität durch verordnete Fiktionen. Wir sind immer mehr dazu gezwungen, Offensichtliches zu leugnen und als Tatsachen anzuerkennen. In Köln wird derzeit mit Piktogrammen gegen sexuelle Belästigungen in den Schwimmbädern geworben. Zu sehen sind phänotypisch weiße Jungs, die dunkelhäutige Mädchen schubsen. Es sind in der Regel aber nicht Malte-Torben und Wolf-Sören, sondern die Mohammeds und Ibrahims, die, wie in Berlin, jeden Sommer Sperrungen der Bäder wegen Massenschlägereien und sexuellen Übergriffen verursachen. Man stelle sich einmal vor, dass auf den Bildern dunkelhäutige Männer blonde Mädchen belästigen. Der Rassismusaufschrei wäre sicherlich bis in die Bundeshauptstadt zu hören. Entschuldigungen und Reue der Verantwortlichen würden rasch folgen und die Plakate postwendend ausgetauscht. Was bezwecken diese Piktogramme beim Betrachter? Offenbar transportieren sie eine Botschaft, die uns eine Realität zeigt, die wir anzuerkennen haben, auch wenn wir wissen, dass sie de facto eine Umkehr der wirklichen Verhältnisse darstellt. Damit erfüllen sie das Grundprinzip von Propaganda.

Der englische Psychiater Theodore Dalrymple kommt in seinen Studien über kommunistische Gesellschaften zu dem Schluss, dass der Zweck von Propaganda nicht darin besteht, zu überreden oder zu überzeugen und auch nicht zu informieren, sondern zu demütigen. Je weniger die Propaganda der Realität entspricht, desto erfolgreicher. Denn wenn Menschen angesichts offensichtlicher Lügen dazu gezwungen werden, schweigen zu müssen, verlieren sie die Fähigkeit zum Widerstand. Heute muss ich einen Mann, der sich Frauenkleider anzieht, als Frau bezeichnen, selbst wenn alle biologischen Tatsachen dagegen sprechen. Heute muss ich die Masseneinwanderung als Chance und Bereicherung empfinden, auch wenn der tägliche Augenschein in meiner Stadt das genaue Gegenteil zeigt. Heute muss ich der Transformation in eine ökosozialistische Zukunft zustimmen, obwohl alle ökonomischen Parameter auf einen rasanten Niedergang Deutschlands hinweisen.

Regierungen und Medien tun dabei alles, die Bevölkerung mithilfe unterschiedlicher Instrumentarien auf Linie zu bringen. Besonders deutlich wird das etwa durch die Existenz staatlich subventionierter „Faktenchecker“, deren Aufgabe darin besteht, den Uneinsichtigen die „Wahrheit“ zu vermitteln. Obwohl in der Regel ohne irgendeine fachliche Qualifikation, bieten sie der Regierung eine Grundlage, diejenigen zu diskreditieren oder zu zensieren, die von den vorgegebenen Dogmen abweichen. Bei den Themen Migration, Corona und Klima wird das besonders deutlich sichtbar. Damit wird einem Totalitarismus Vorschub geleistet. Denn jeder, der die verkündeten Wahrheiten in Frage stellt, gilt als Häretiker, Leugner, Schwurbler und am Ende als rechts. Natürlich sind Demokratien nicht einer Wahrheit verpflichtet, die es in politischen Fragen noch gar nicht geben kann. In einer Demokratie müssen Mehrheiten organisiert werden. Die Wahrheitsfindung ist kein substanzielles Element von Demokratie, aber Demokratien leben im innersten Prinzip von einem Wahrheitspluralismus. Niemand hat das Recht, andere Meinungen auszuschließen, sie zu diskreditieren oder sogar zu verbieten. Letzteres können wir aber seit Jahren in Deutschland beobachten, indem oppositionelle Meinungen und Positionen auf vehemente Ablehnung stoßen und nicht mehr öffentlich diskutiert werden können, da sie in projektiver Umkehr als „postfaktisch“ gelten. Die inzwischen übliche Haltung, den politischen Gegner als rechts zu diffamieren, gilt heute als couragiert. Alleinige Hoffnung macht, dass Ideologien und Fiktionen noch immer durch die materielle Lebenswirklichkeit korrigiert wurden. Das ist heute bereits auf vielen Feldern der Fall, was gleichzeitig aber zur Folge hat, dass der Hass und die Wut der sogenannten Anständigen und Toleranten sie verstärkt gegen das Korrektiv wenden, das abwertend mit dem „Postfaktischen“ gleichgesetzt wird. Es gilt hier aber der alte Kinderspruch: Wer es sagt, ist es selber.    Meschnig 

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