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Samstag, 11. Mai 2024

Wir gratulieren!

 


 

Don Alphonso #DIEWELT 7. 5. 24 (kurzer Auszug):

"Mit dem neuen § 188 StGB haben sich die Anzeigenhauptmeister der Berliner Republik ein Mittel zur Kritikerbekämpfung beschafft, das die Meinungsfreiheit gefährdet. Selbst harmlose Wortspiele können sich damit schnell zur ministeriellen Affaire auswachsen."

"Auffällig mit vielen offensichtlich gestellten und präzise gestalteten Bildern sind etwa Markus Söder oder Robert Habeck – und weil letzterer bundespolitisch wichtiger ist, sollte der Beitrag ein wenig an ihm aufgehängt werden. Bilder gibt es auf seinem Instagram-Account genug, und manche, die besonders kumpelhaft und wie ein ganz normaler, schlecht angezogener Mensch wirken sollten, finden sich dort auch. Manche quittieren solche unrasierten Zwielichtbilder mit Sprüchen wie „Haste mal ne Mark“, und somit bringen sie es zu einer gewissen Prominenz im Netz."

"Ein Wirtschaftsminister, der in einer Gruppe von Bahnhofsalkoholikern – und jetzt kommt es – von seiner äußeren Erscheinung – denn nur darum geht es, allein um die im Netz verbreiteten, legeren Bahnhofsbilder am Boden und mit Hoodie – nicht negativ auffallen würde. Nicht negativ auffallen kann alles Mögliche sein, denn wenn ich im Smoking in die Staatsoper gehe und an einer Demonstration der Grünen Jugend vorbeikomme, falle ich auch nicht negativ auf. Sprich, es gibt also eine Menge von Deutungsebenen, man kann es so und so sehen, und als Journalist gehe ich davon aus, dass man mich und meinen Kollegen nach dem beurteilt, was da konkret steht: Nichts wirklich konkretes, kein Name, natürlich keine Bezeichnung als Alkoholiker, ein reiner Stilvergleich, der letztlich sehr weit offen gelassen wird, und der mit „nicht negativ“ auch positiv begriffen werden kann. Funktioniert das, fragte mein Kollege. Probieren wir es aus, sagte ich, und tat das, was man halt so macht: Ich probierte den Spruch bei Twitter aus.

"ein Wirtschaftsminister, der mit seiner äusseren Erscheinung in einer Ansammlung von Bahnhofsalkoholikern nicht negativ auffallen würde"

"Unter dem Tweet witzelte der Souverän des Staates mit Bemerkungen wie „Vorsicht: ist das nicht diese gefährliche Delegitimierung des Staates?!?“ oder „Deshalb braucht es ja auch einen extrem teuren Hoffotografen. Fehlen nur noch Puder und Perücke“. Wie es immer so ist, wurde der Tweet natürlich bei Twitter angeschwärzt, in der Hoffnung, die Firma würde mir daraufhin den Account sperren. Aber die Aussage war so vage und unverbindlich, dass man dort nicht den geringsten Grund sah, wegen so einer Lappalie, wie sie vermutlich tausendmal in der Stunde vorkommt, aktiv zu werden."

"Dessen ungeachtet hat sich jemand dann Anfang März 2023 die Mühe gemacht, mich anonym bei der Berliner Internetwache anzuzeigen. Die Sachverhaltsbeschreibung ist so ausgeführt, dass man dem Denunzianten mehr als nur juristisches Basiswissen unterstellen kann. Er behauptet, dass es sich dabei um Beleidigung von Herrn Habeck nach § 188 StGB handeln soll und sieht auch ein öffentliches Interesse nach § 194 StGB gegeben. Nebenbei liefert der Denunziant noch eine falsche Adresse meiner Person mit, die aus unerfindlichen Gründen schon länger in linken Kreisen kursiert. Nachdem es unter Beteiligung eines bestimmten, netzbekannten und feindlich gesinnten Juristen schon einmal einen erfolglosen Versuch gab, mir mit Hilfe eines aus dem Kontext gerissenen Tweets juristische Schwierigkeiten zu machen, habe ich natürlich einen gewissen Verdacht – aber die Grünen unterhalten auch Personal zu expliziten Feindbeobachtung, und dass ich dort auf einer Liste stehen könnte, wäre keine Überraschung: Ich habe am 13. Mai 2021 das mittlerweile berühmte Hühner-Schweine-Kühemelker-Video entdeckt, ausgegraben und verbreitet, das in der Folge den Grünen noch viel Ärger im Wahlkampf bereitet hat. Kurz: Die Liste denkbarer Denunzianten ist lang, und dass so etwas anonym möglich ist, ist nicht eben ein schöner Zug dieses unseres Rechtsstaates. Es öffnet nämlich Rache und Missbrauch Tür und Tor."

"Danach wird Herr Habeck angeschrieben, ob er Strafantrag gegen mich stellen will, und nach den Unterlagen, deren Einsicht meine Anwältin angefordert hat, verfährt Herr Habeck auch sehr schnell entsprechend. Und so zwischen Mai und Juni geht das Verfahren weiter an die Staatsanwaltschaft München, die für mich als Bayer zuständig ist, und weiter zur Kripo Rosenheim, in deren Aufgabengebiet ich tatsächlich lebe. Bis dahin hat, ohne dass ich das wusste, vom hochbezahlten Minister persönlich über diverse juristische Einrichtungen bis zur Polizei der Staat schon einiges an Arbeitsleistung in einen Tweet investiert, bei dem früher bei uns in Bayern der fragliche Minister mich irgendwann beiseitegenommen und gesagt hätte, dass er das nicht so nett fand, aber mei. Ich mein, ich mache das nicht erst seit gestern: Früher kannte man sich und klärte das direkt. Niemand hatte Lust auf jammerläppische Anzeigen und Folgebeiträge, in denen er als klagefreudiges Glaskinn und empfindlicher Lätschenbene dem robusten Volk zum Fraß vorgeworfen wurde. So war das früher und natürlich würde ich, nur um das hier klarzustellen, niemals Herrn Habeck öffentlich als Lätschenbene bezeichnen."

"Denn wie gesagt, ich habe ja nur eine bessere Formulierung aus dem Text eines anderen verbreitet, und wenn man mich von Mann zu Mann angerufen hätte, wie früher so mancher gefürchtete CSUler, hätte man das auch unter Männern klären können. Jedenfalls bekam ich dann eine Vorladung und machte das, was man automatisch machen sollte: Ich schaltete meine Anwältin ein, die erst einmal Akteneinsicht verlangte. Ende Juni wusste ich dann erst, worum es überhaupt ging. Meine Anwältin hat sehr gelacht und nach Rosenheim einen Brief geschrieben, dass ich Herrn Habeck überhaupt nicht namentlich erwähnt habe, zudem gäbe es ja viele Wirtschaftsminister, und wieso gerade er sich betroffen gefühlt haben mag? Und der Rest, die Beurteilung von äußerer Erscheinung, würde unter die Meinungsfreiheit fallen. Hätte man es dabei belassen, hätte sich der Staat nach den Anfangsinvestitionen reichlich von jenem Geld sparen können, das er Ihnen, liebe Leser, in seiner grenzenlosen Weisheit abzunehmen beliebt. Stattdessen sah es die Staatsanwaltschaft anders, und so schickte mir das Gericht in Miesbach einen Strafbefehl über 3200 Euro plus Kosten des Verfahrens wegen jenes Gummiparagraphen 188 StGB."

"Immerhin kein Gefängnis, man wird bescheiden in Ampelzeiten wie diesen. Die Summe hätte keine Vorstrafe bedeutet und ist eigentlich so niedrig, dass man es auch hätte akzeptieren können. Was der Strafbefehl aber absolut nicht gewürdigt hat, war die Vorsicht meiner Formulierungen – er unterstellte mir direkt, dass ich Herrn Habeck gezielt schädigen wollen, und ich hätte es billigend in Kauf genommen, dass meine Äußerungen geeignet waren, das Vertrauen und die Integrität in Zweifel zu ziehen. Ich sage das ja nur ungern, aber wenn ich keine Äußerungen mehr tätigen darf, nach denen andere das Vertrauen und die Integrität von Dienern des Volkes in Zweifel ziehen könnten, braucht es keinen Journalismus mehr. Dann reicht auch ein „Neues Deutschland“ oder eine Schrifttumskammer oder der deutsche Verband der Ampelpanegyriker. Abgesehen davon gibt es doch eine ganze Reihe von Urteilen im Bereich des Äußerungsrechts, die klarstellen, dass man eben nicht gerade die schlimmste Deutung zu betrachten habe, sondern alle Möglichkeiten berücksichtigen sollte – die bekanntlich im Tweet bewusst angelegt waren. Und da habe ich mir dann gedacht: so nicht. Und habe den Strafbefehl nicht akzeptiert, und die spezialisierte und mitunter auch gefürchtete Kanzlei Höcker mandatiert."

"So kam es dann zu einem umfangreichen Schriftsatz, der deutlich zeigte, dass Herr Habeck ein bestimmtes Selbstbild prägt, indem auf seinem eigenen Instagramaccount gezielt Bilder in nachlässiger Kleidung von sich selbst im Bahnhofsumfeld und Alkohol in Bierflaschen verbreitet werden, die nicht nur mir und meinem Bekannten aufgefallen sind – auch die „Süddeutsche“ mokiert sich über seinen wörtlich „Schlabberlook“. In Miesbach wurde der Fall dann vor dem Amtsgericht von Richter Leitner verhandelt, der es inzwischen zu bundesweiter Berühmtheit gebracht hat: Er hat auch den Prozess gegen den Gmundner Bauunternehmer Michael Much wegen dessen grünenkritischer Plakate geleitet. Das sollte erst in einen Strafbefehl in Höhe von 6000 Euro münden. Als Much den Strafbefehl nicht akzeptierte und unter Begleitung der Bundespresse den Prozess suchte, bekam er von Leitner seinen verspäteten Freispruch. Mein Prozess war schon im Oktober letzten Jahres, und ich konnte wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen. In dieser Instanz urteilte Leitner gegen mich, und für die schon bekannten Kosten aus dem Strafbefehl plus Prozesskosten."

"Mein Anwalt kündigte sofort Revision an, und so landete das Verfahren nun am letzten Montag vor dem Landgericht in München. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil auch der Staatsanwalt in Revision gehen kann, aber der Richter hat offensichtlich meine Erklärung und die Ausführungen meines Anwalts insoweit gewürdigt, dass es zu einem Freispruch kam. Die gewiss nicht geringen Kosten des Verfahrens, wenn es dabei bleibt, trägt der Staat und mit ihm der Steuerzahler – von den CO₂-Emissionen, die ich durch meine Raserei nach München für den Strafantrag des Klimaministers verursacht habe, will ich an dieser Stelle gar nicht reden. Es geht mir auch gar nicht darum, dass ich oder andere in Bezug auf Habecks selbst gepflegtes Erscheinungsbild nun die obige Formulierung wiederholen können. Das Spannende an diesem Urteil wird die Frage sein, ob man sich seitens der Justiz von allen Interpretationsmöglichkeiten die schlimmste Deutung aussuchen und dann ein Urteil sprechen kann. Wenn das so wäre, würden wir am Anfang einer unbegrenzten Jagdsaison der Politik gegen alle Formen von Machtkritik stehen. Dann müsste man nur einen Staatsanwalt finden, der den Herrn Ministern ihre beleidigten Gefühle gern abnimmt und mit dem Gummiparagraphen 188 StGB saftige Strafen verteilt."

"Nehmen wir einmal an, ich würde einer rein erfundenen, nicht ganz schlanken Politikerin F. nachsagen, dass ihre Tiktok-Tänze geeignet sind, die Grazilität von Nilpferden in den Schatten zu stellen: Wäre man böswillig, könnte man mir deshalb ein Verfahren wie gegen Hadmut Danisch anhängen. Schließlich sei es denkbar, dass ich sie in den Augen eines unbedarften Lesers mit nicht eben dünnen Nilpferden verglichen und sie damit als fett bezeichnet hätte. Tatsächlich sage ich aber nur, dass sie die Grazilität einer Tiergattung in den Schatten stellen kann, und das kann viel bedeuten. Solche Stilmittel, die den Lesern Optionen lassen und nicht plump wie allgegenwärtige „Nazischlampe“- und „Faschist“-Bezeichnungen sind, gehören nun mal zum Spiel mit Worten und Gedanken. Tatsächlich sind meine geliebten Vorbilder wie Mirabeau und Diderot während der Aufklärung wegen solcher geistreichen Formulierungen in den Kerker geworfen worden. Mich wollte man nur finanziell bestrafen, und möglicherweise mit diesem seltsamen Fotografen im Gerichtssaal an den Pranger stellen. Nun ist es zum Glück anders gekommen, und möglicherweise wird das Aktenzeichnen meines Freispruchs in Zukunft bei anderen Verfahren ebenfalls dazu beitragen, der bemerkenswert hohen Anzeigenlust besonders grüner Politiker Einhalt zu gebieten. Womit der Ärger, den ich mit der Sache hatte, und die Kosten, die der Steuerzahler damit haben wird, zumindest eine positive Folge haben."

"Meines Erachtens sollte man den § 188 StGB schleunigst ersatzlos streichen und Politiker wie jeden anderen Bürger behandeln. Erstens reichen die Paragraphen zu übler Nachrede und Beleidigung auch für Politiker völlig aus. Zweitens ist die schwammige Formulierung „öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“ katastrophal – für Journalisten ist es nicht die Aufgabe, denen das Leben leichter und angenehmer zu machen, ganz im Gegenteil.

Und drittens gibt das jedem weinerlich-selbstverliebten Selbstdarsteller bis hinunter auf die kommunale Ebene ein Mittel in die Hand, mit Massenanzeigen ohne Risiko und Kosten für sich selbst gegen Andersdenkende vorzugehen, nach dem Motto, bestrafe einen, erziehe hundert."

"I fought this law and I won. Vielleicht, so hoffe ich, habe ich die Türe zu der Hölle etwas zugedrückt, die mit diesem Gesetz geöffnet wurde. Es war teuer. Es hat mein Vertrauen in das System und in die Politik nicht eben verbessert. Aber das System dort oben in Berlin mit seinen Ministern, Gegnerbeobachtern, anonymen Anzeigenportalen und komischen Fotografen, die erstaunlicherweise Prozesstermine mit der Kamera begleiten und nach dem Freispruch gar kein Statement wollen – dieses System hatte auch keinen Spaß mit mir. Man darf sich niemals einschüchtern lassen. Und wenn es das letzte ist, was man tut. Ich denke, wir sind jetzt für diesmal quitt."



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