Vor einigen Tagen fuhr ich nach Prag, um dort
mit Matthias Matussek und dem CSU-Politiker Martin Kastler am
Cevro-Institut über die Zukunft des Konservatismus zu diskutieren. Bei
dem Cevro-Institut handelt es sich um eine private Hochschule mit einer
recht internationalen Studentenschaft. Zukunft des Konservatismus, das
Thema interessierte mich. Es berührt meine Ansichten als Libertärer,
ohne sich mit ihnen ganz zu decken.
Leute mit mathematischem Interesse wissen, was es mit Näherungswerten
und Teilmengen auf sich hat. Außerdem hatte mir die freundliche
Einladung eine Gratisgelegenheit geboten, Prag zum ersten Mal seit
meinem letzten Besuch 1985 wiederzusehen und vergleichende
Laienwissenschaft zu betreiben.
Das Auditorium war trotz der Vorweihnachtszeit gut gefüllt.
Es fehlte, angesichts des Themas, die aus Deutschland vertraute
Protestabordnung, die das Ereignis zu verhindern suchte. Als ich vor ein
paar Wochen bei der Konferenz „Freiheit unternehmen“ der Students for
Liberty an der Universität Jena zu einer Podiumsdiskussion über
Politische Korrektheit eingeladen war, kam ich gerade an, als der
übliche Antifa- und Junge-Irgendwas-Trupp wieder abmarschiert war. Deren
Anliegen hatte nicht darin bestanden, mitzudiskutieren, wozu sie zwar
nicht auf dem Podium, aber im Saal natürlich herzlich eingeladen gewesen
wären, sondern die ihrer Meinung nach faschistische und rassistische
Konferenz zu verhindern. Wozu ihr dann allerdings doch die Truppenstärke
fehlte, besonders plietsch waren sie außerdem auch nicht, ihr Manifest
las sich noch dümmer als Verlautbarungen der Antifa Nord oder Kommentare
von Hengameh Stokowski.
In Berlin hätte es vermutlich anders
ausgesehen, was Verhinderung angeht. Die entsprechende Bewegung stammt
von dem Schlachtfeld der US-Universitäten und nennt sich de-platforming:
Es geht nicht darum, gegen andere anzuargumentieren, sondern sie daran
zu hindern, ihre Argumente vorzubringen. Wie gesagt, in Prag gibt es das
Phänomen der schwarzen Deplatformgarden nicht.
Es fallen auch ein
paar andere Unterschiede ins Auge. Unsere famose und patente
Diskussionsmoderatorin und Fremdenführerin Alexandra Mostyn zeigte uns
den Weihnachtsmarkt auf dem Altstadtplatz.
Kein einziger Polizist mit Schutzweste und sicherheitsgefühlfördernder
Kugelspritze dort. Das verstärkt den Kontrast zum so genannten
Weihnachtsmarkt auf dem Potsdamer Platz in Berlin noch ein bisschen,
aber eigentlich nur unwesentlich, denn lauschiger als in dieser
betonplattenumstellten Depressionsförderungsanlage ist es praktisch in
allen Städten der Welt.
Am Tag nach der Diskussion im Cevros-Institut spazierte ich zur
Altneu-Synagoge in der Maiselova, die ich bis dahin nur von Erwähnungen
in den Tagebüchern Franz Kafkas kannte, dessen Geburtshaus ganz in der
Nähe steht. Auf dem verschlossenen Dachboden der um 1270 errichteten
Altneuschul liegen gerüchteweise die Reste des von Rabbi Löw
geschaffenen Golem. Eine andere Legende sagt, dass Tauben – allerdings
Tauben himmlischer Abstammung – das Haus bisher vor jedem Feuer
schützten. Jedenfalls handelt es sich um die älteste Synagoge Europas,
eines der ältesten Gebäude Prags, kaum verändert durch die Jahrhunderte.
Der Besucher muss den Knauf einer kleinen Eisentür drehen, dann steigt
er herab, denn der Boden liegt unter dem Straßenniveau. Es fehlen auch
hier Polizisten und Eingangskontrollen, wie es sie in Deutschland und
Frankreich vor jeder wichtigen jüdischen Einrichtung gibt. Nebenan vor
dem alten Judenrathaus mit der rückwärtslaufenden Uhr, in dem heute die
jüdische Gemeinde der Stadt sitzt, steht ein Zivilist, der Touristen
nützliche Hinweise gibt. Beispielsweise, wo die nächste Toilette ist (im
jüdischen Informationszentrum gegenüber).
Nirgends Wachposten, auch vor dem jüdischen Museum in der Maiselsynagoge
nicht. Das liegt vermutlich nicht nur an den Taubenflügeln und
Golemresten, sondern daran, dass es im Land keine gewalttätigen Muslime
gibt. Gewiss, die Gewalttätigen machen immer nur einen Bruchteil der
Muslime aus. Aber wo schon die islamische Gemeinde sehr überschaubar
ist, kommt dieser Bruchteil offenbar gar nicht erst zusammen.
Wie Alexandra Mostyn versichert, kann sich eine Frau in Prag
problemlos auch nachts um zwei durch die Altstadt bewegen und selbst
über den hinteren Teil des Wenzelsplatzes, wo spätabends alles Mögliche
feilgeboten wird („unser Görlitzer Park“, so AM). Natürlich nicht so
grün wie das Berliner Pendant.
In Prag ist also vieles von dem gar nicht erst auf die Plattform geraten,
was Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop in der vergangenen Woche
unter „Vielfalt, Tempo und Lebenslust“ eindrucksvoll
zusammenfasste. Nämlich in einem Tweet an ihre grüne Parteihassgestalt
Boris Palmer, der aus dem von ihm regierten Tübingen für ganz kurze Zeit
in den „Reichshauptslum“ (Don Alphonso)
gereist war. Er fasste seinen Provinzlereindruck mit dem Satz zusammen,
an Berlins Stadtrand gehörten Schilder mit der Aufschrift „Vorsicht, Sie verlassen den funktionierenden Teil Deutschlands“.
Die Berliner Erregungsmaschine funktionierte allerdings Ruckzug. Pop tweetete also an Palmer:
„Wenn
du Metropole, Vielfalt, Tempo und Lebenslust nicht erträgst, kannst du
anderswo die Kehrwoche zelebrieren und dich als Hilfssheriff blamieren.“
Und Sawsan Chebli, Staatssekretärin für Allerhand und Sprecherin aller Berliner, informierte Palmer auf Twitter: „Wir Berliner brauchen Sie hier nicht.“ Im übrigen, stellte Chebli fest, würde Palmer an einer „gefährlichen Sucht nach Aufmerksamkeit“
leiden. Rätselhaft bleibt, was Pop mit Tempo meinte. Selbst der Abriss
des BER geht ja ausgesprochen schleppend voran; kürzlich wurde –
vermutlich durch einen übereifrigen Mitarbeiter – entdeckt, dass die
Kabelschächte des Flughafens unter Wasser stehen. Es muss also alles
raus, sofern sich Kabel drin befinden.
Was echtes Berliner Tempo beziehungsweise „soso, die Lebenslust“
(der Musterungsarzt in „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull”)
angeht: Das spielt sich vor allem im entschieden nichtstaatlichen
Bereich beziehungsweise auf den hinteren Zeitungsseiten ab. In der
vergangenen Woche schoss ein Deutschalbaner einem Nebenbuhler auf der
Straße in den Kopf. Vor einigen Wochen erwischte eine Kugel irgendwie
unbeabsichtigt eine Frau bei einem Streit in einem Café, davor belegte
irgendjemand wegen Mißhelligkeiten einen Laden mit der Schrotflinte. Im
September erschoss jemand den Clanchef Nidal R. auf dem Tempelhofer
Feld, wo er flanierte. In kaum einer anderen Stadt wird so temporeich
geballert, denn überreich existieren in dieser Stadt nicht nur nach
teuflischem Ratschluss über die Straßen gewürfelte Baustellen, Tauben
ungöttlicher Abkunft, Wachschutz auf allen Weihnachtsmärkten und vor
allen jüdischen Einrichtungen (gut, das gibt es flächendeckend in
ganz Deutschland), mobile Apotheker und öffentliche Toiletten in ihrer
Doppelfunktion als U-Bahnhöfe, sondern eben auch Schießwaren aller Art.
Übrigens
auch so viel Arbeit für Schimmelbekämpfer wie nirgends sonst. Im ersten
Halbjahr 2018 gab Berlin 6 814 897 Euro für die Schimmelbeseitigung im
Gesundheitsamt Mitte und die Anmietung von Ersatzquartieren aus, dazu
kommen noch ein paar schimmelnde Schulen, die selbst für
Hauptslumverhältnisse als versifft gelten.
Sicherlich, in Berlin
findet man – so viel Gerechtigkeit muss sein, außerdem lebe ich
unterbrochen von Münchenaufenthalten dort – auch sehr schöne Ecken,
nämlich die, in die der Senat mit seinem Jauchespritzmopp nicht
hinkommt.
Vielleicht hilft ja etwas Lehm von der Prager
Judenschul, jedenfalls bräuchte Berlin einen mit KI aufgerüsteten Golem,
der die Berliner vor dieser Stadtregierung beschützt. Von mir aus kann
er auch das Gesicht von Boris Palmer haben. Wendt
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