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Sonntag, 24. März 2024

Im Wiedergutwerdungstaumel

 


Bezüglich der clownesken „Demokratie wählen“-Choreographie auf der Leipziger Buchmesse bin ich im Kommentarbereich meines Beitrags über folgenden Text gestolpert: „Zum Abschluss der Konferenz wurde eine Ehrung des Genossen Stalin gefordert. Natürlich standen alle auf (so wie sie auch während der Konferenz bei jeder Erwähnung seines Namens aufgesprungen waren). ... Drei Minuten lang, vier Minuten lang, fünf Minuten lang dauerte der stürmische Beifall, der sich zu einer Ovation steigerte. Aber die Handflächen taten schon weh und die erhobenen Arme schmerzten schon. Und die älteren Leute keuchten vor Erschöpfung. Selbst für diejenigen, die Stalin wirklich verehrten, wurde es unerträglich albern.

Doch wer würde es wagen, als Erster aufzuhören? ... Immerhin standen NKWD-Männer in der Halle und applaudierten, um zu sehen, wer zuerst aufhören würde! Und in dem dunklen, kleinen Saal, den der Anführer nicht kannte, ging der Applaus weiter - sechs, sieben, acht Minuten! Sie waren am Ende! Die Sache war gelaufen! Sie konnten nicht mehr aufhören, bis sie mit einem Herzinfarkt zusammenbrachen! Im hinteren Teil des Saals, der überfüllt war, konnten sie natürlich ein wenig schummeln, weniger häufig, weniger kräftig, nicht so eifrig klatschen - aber dort oben beim Präsidium, wo alle sie sehen konnten?

Der Direktor der örtlichen Papierfabrik, ein unabhängiger und willensstarker Mann, stand beim Präsidium. Er ist sich der ganzen Falschheit und Unmöglichkeit der Situation bewusst und applaudiert trotzdem weiter! Neun Minuten! Zehn! Voller Angst beobachtet er den Sekretär des Kreisparteikomitees, aber dieser wagt es nicht, aufzuhören. Unzurechnungsfähigkeit! Bis zum letzten Mann! Mit gespielter Begeisterung in den Gesichtern, die sich gegenseitig mit schwacher Hoffnung anblicken, werden die Bezirksvorsitzenden immer weiter applaudieren, bis sie auf der Stelle umfallen, bis sie auf Bahren aus dem Saal getragen werden! Und selbst dann würden die Übriggebliebenen nicht zögern...

Dann, nach elf Minuten, nahm der Direktor der Papierfabrik eine geschäftsmäßige Miene an und setzte sich auf seinen Platz. Und, oh, ein Wunder geschah! Wo war die allgemeine, ungehemmte, unbeschreibliche Begeisterung geblieben? Alle anderen blieben wie erstarrt stehen und setzten sich. Sie waren gerettet.

Das Eichhörnchen war klug genug gewesen, von seinem sich drehenden Rad zu springen. So aber entdeckten sie, wer die unabhängigen Menschen waren. Und so gingen sie daran, sie zu beseitigen. Noch in derselben Nacht wurde der Fabrikdirektor verhaftet." Alexander Solschenizyn, Archipel Gulag

 

Naja, so weit sind wir noch nicht.

Aber man spürt, dass hier ein Trend Gestalt angenommen hat, der in diese Richtung geht, und zu recht hat jemand betreffs des obigen Bildes die Frage gestellt: Halten die auf dem Bild Anwesenden diesen Affenzirkus wirklich für Demokratie oder wissen sie, dass es nur eine Show ist, die zur Massenverarschung gehört?

 

Es ist eine Trance, in der die genannten beiden Möglichkeiten sich verquicken und zu Selbstverarschung im Kollektivrausch werden (und am peinlichtsten ist, dass die deutschen sogar weltfremd genug sind, um aus dieser Melange eine außenpolitische Mission zu machen). Das Entweder-Oder ist entwaffnet und besiegt. Es ist immer noch der Wiedergutwerdungstaumel, in den Merkel den Teil der Bevölkerung versetzt hat, den man einst als "deutsches Volk" bezeichnete. (Dieser Taumel begann übrigens als winziger Keim aus einem einsamen Korn zu brechen, als Joschka Fischer - beim Ringen um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat - sagte: "Wir-sind-wieder-wer gibt's mit mir nicht")

Die klugen, intelligenten Anständigen sind nicht mal mehr im Promillebereich anzutreffen, nur noch als Spurenelemente. Man kann ja keine deutsche Radiosendung mehr ertragen und schon gar nicht das Fernsehen (bei Sat1 gibt es wenigstens manchmal einen unterhaltsamen Film mit angenehmen Reklameunterbrechungen, während derer man auf die Toilette gehen kann). In den englischsprachigen, konventionellen Medien sieht es ähnlich düster aus. Es ist ein Glück, polyglott zu sein in diesen Zeiten, denn man möchte ja nicht ständig immer nur alternative Medien konsumieren. Italien gehört glücklicherweise zu den gesünderen Nationen (Cesare Musatti meinte sogar, die Italiener seien das gesündeste Volk der Welt), aber auch Portugal und Dänemark sind anheimelnd. Leider verstehe ich kein ungarisch. Das winzige Israel hat auffallend viele Sender, wo man gute und interessante Musik hören kann. Hier wird man fündig. 

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