Die Welt von vor zwanzig Jahren ist uns schon entglitten. Es bedarf schon außerordentlicher Anstrengungen, sich zu erinnern, wie es eigentlich gewesen ist – zu Beginn des Internetzeitalters, des Social-Media-Zeitalters, des multipolaren Weltzeitalters, als unsere größten Probleme in Deutschland das Dosenpfand und das Ladenschlussgesetz waren. Auf den Tag genau vor zwanzig Jahren trafen sich in Frankfurt am Main ein paar lose befreundete Publizisten, um etwas aus der Tatsache zu machen, dass es ein neues Veröffentlichungsinstrument namens Internet gab. Das war vielversprechend. Wir, die wir alle in großen Zeitungen und Zeitschriften schrieben: Henryk Broder beim „Spiegel“, Dirk Maxeiner und Michael Miersch bei der „Welt“, Cora Stephan ein bisschen überall, genauso wie der hier Vortragende, wir fanden die Möglichkeit, einen Text ohne chefredaktionelle Genehmigung zu publizieren, höchst attraktiv. Wer möchte nicht sein eigener Chefredakteur sein?
Die Vertriebskosten des neuen Mediums waren ja fast null; man brauchte bloß ein bisschen Software und einen Internetanschluss. Eine Stimmung wie beim Fall des Eisernen Vorhangs hatte uns ergriffen: Die Freiheit des Wortes – sie war Wirklichkeit geworden. Man musste die Chance nur nutzen und ein wenig Zeit opfern. Letzteres stellte ein Problem dar, denn überbeschäftigt waren wir natürlich alle, und Geld gab es für diese schöne Hobbytätigkeit natürlich keines. So wanderten bei diesem Treffen am 6. September vor zwanzig Jahren die Blicke der Anwesenden betreten zu Boden, als es um die Frage ging, wie oft denn wohl jeder einen Beitrag für das neue Medium liefern würde. Wir einigten uns schließlich darauf, daß es wünschenswert wäre, wenn wenigstens zweimal pro Woche ein neuer Text erschiene. Niemand hätte im Traum daran gedacht, dass sich dieses Unternehmen zum meistgelesenen politischen Autorenblog in deutscher Sprache entwickeln würde: ein Onlinemagazin, das mittlerweile im Durchschnitt alle zwei Stunden einen neuen Artikel publiziert, das sind 400 pro Monat.
Aus der spielerischen Nebenbeschäftigung einiger weniger ist eine vielbeachtete Veröffentlichungsmaschine geworden mit monatlich etwa sechs Millionen Seitenaufrufen und 1,4 Millionen individuellen Lesern. Für diesen Erfolg gibt es einen einfachen Grund: das Versagen der Mainstreampresse. Der Journalismus ist auf breiter Front heruntergekommen zu Regierungsaffirmation und Desinformationsproduktion. Und er trieft vor Naivität und Eiferertum zugleich. Ein Medium, das sich dem verweigert, hat von vornherein beste Aussichten, erfolgreich zu werden, denn zwar lässt sich ein Teil der Allgemeinheit gern weiterhin verdummen, aber ein anderer Teil eben nicht. Allein diese Tatsache führt zu einem Strukturwandel der Öffentlichkeit. Zu diesem Strukturwandel gehört auch, daß Journalismus kein bloßer Meinungskampf mehr ist. Natürlich haben sich Zeitungen als Tendenzbetriebe schon immer gegenseitig befeindet. Links gegen rechts, progressiv gegen konservativ, mitunter auch boshaft und untergriffig: das gehört zum normalen Geschäft. Neu ist der Vernichtungswille, mit dem eine Seite auftritt: Gemästet aus staatlichen Fördertöpfen, organisiert als Moralmeute zielen diese Mitglieder einer Meinungspolizei nicht auf Texte und Argumente, sondern auf die Existenz eines konkurrierenden Mediums. Die „Achse des Guten“ hat das mehrfach erlebt und zum Glück überlebt: Kampagnen, die mit dem Schlachtruf „kein Geld für rechts“ die Werbeeinnahmen zu kappen und die Redaktion zu ruinieren suchten.
Das Rechts-Framing trifft ja mittlerweile jeden, der die Energiewende kritisiert, der behauptet, dass es zwei Geschlechter gibt, der das Klimakatastrophennarrativ anzweifelt, die Einhaltung geltenden Rechts an der Landesgrenze fordert und sich gegen staatlich aufgezwungene Masken und Spritzen wehrt. Insbesondere während des Corona-Regimes hat sich die „Achse des Guten“ dank einiger wissenschaftlicher Autoren, die selbstverständlich nur unter Pseudonym schreiben konnten und können, als seriöseste und reichweitenstärkste Quelle der Gegeninformation in deutscher Sprache etabliert. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs schwenkte die „Achse“ auf einen dezidiert antirussischen Kurs ein, der sich von der herrschenden Nato-Propaganda kaum noch abhob. Da entstand eine bedauerliche Scheidelinie zum Kontrafunk, der ursprünglich aus einem Podcast-Produkt der „Achse“ hervorgegangen ist, nämlich einer wöchentlichen Diskussionssendung namens „indubio“. Dieses Audioformat ist jedoch ebenso wie die Videos, die natürlich für Klickzahlen sorgen, der „Achse“ eigentlich wesensfremd. Denn das Wesen der „Achse“ sind Texte, und zwar von hoher Qualität. Deshalb spielt Design eine sehr untergeordnete Rolle. Der blassblaue Hintergrund und die eher langweilige Aufmachung der Artikel, von der mitunter grellen bis genialen Bebilderung abgesehen, zeigen: Hier gilt’s dem Leser, hier herrscht Handwerk, hier zählen Inhalte – eine herkunftsorientierte Haltung, und schon insofern natürlich rechts. Burkard Müller-Ulrich
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