8. September 2024, etwa 23 Uhr. Caren Miosgas Sendung mit Sahra Wagenknecht ist gerade zu Ende gegangen. Auch abseits der Frage, warum die mediale Dauerpräsenz Partei-Inhaberin von der ARD damit ungerührt fortgesetzt wird, ist doch einiges bemerkenswert.
Es mag sein, dass Wagenknecht in der Sendung einige Male in die Defensive getrieben wurde. Dafür spricht ihr zuweilen sehr bemüht spöttischer Gesichtsausdruck, der manchmal leicht ins Zucken überging. Das ist aber längst nicht die ganze Wahrheit, im Gegenteil. Wieder hat es Sahra Wagenknecht fast durchgängig verstanden, das Gespräch zu dominieren, indem sie regelmäßig fast jedem ihrer Gesprächspartner ins Wort fiel und die Gesprächsführung übernahm. Noch immer scheint es niemanden zu gelingen, diese Politikerin bei ihren Lügen zu stellen. Und zwar deswegen, weil es in solchen Sendungen stets eine Schieflage gibt, die Wagenknecht zugutekommt. Die anderen Teilnehmer – in diesem Fall Thorsten Frei von der CDU und der Journalist Michael Bröcker – sprechen im Kammerton des arglosen Diskurses. Sahra Wagenknecht aber redet in aggressiver Freundlichkeit auf einer anderen Ebene. Sie argumentiert nicht, sie propagiert. Sie betet ein ums andere Mal ihre Litanei herunter. Redet von den existenziellen Ängsten „der“ Bevölkerung, von Schulen, Krankenhäusern, Angst vor dem Krieg, Altersarmut etc. – ohne je auch nur in einem Punkt konkret zu werden. Und man lässt es ihr durchgehen, dass sie – bürgerlich gewandet – im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Agitprop betreibt.
Ihre Stärke besteht auch darin, dass sich – aus welchen Gründen auch immer – niemand in solchen Reden traut, auf eine fundamentalere Ebene zu springen. Etwa indem man nicht ihren Flötenreden hinterherhechelt. Sondern mit Aplomb auf den Tisch haut. Ein paar Beispiele: Wenn von der Ukraine die Rede ist und Wagenknecht das Lied von den Verhandlungen anstimmt, könnte ja einmal wenigstens ein Gesprächsteilnehmer – Frau Wagenknecht zum kurzzeitigen Schweigen verurteilend – sie ultimativ auffordern zu erklären, ob sie ernsthaft glaube, Putin sei an einem Ausgleich interessiert. Oder er könnte sie fragen, ob sie ernsthaft glaube, Putin würde sich – nach Tschetschenien, nach der Annexion der Krim, nach dem 24. Februar 2022, dem Beginn des Überfalls auf die Ukraine – in Zukunft an irgendwelche Absprachen oder Verträge halten. Niemand zwingt sie, ihre Verhandlungsidee auch nur ansatzweise zu konkretisieren. Angesichts der Tatsache, dass Sahra Wagenknecht vor der Rede des ukrainischen Staatspräsidenten das Plenum des Bundestages verließ, könnte man sie ja einmal fragen, ob sie das auch getan hätte, wenn Wladimir Putin an gleicher Stelle geredet hätte. Doch das tut niemand. Man lässt es zu, dass sie – mit einigem Geschick – alle ihre medialen Auftritte in Propagandaveranstaltungen umfunktioniert.Eine der penetrantesten Erfahrungen aus der Miosga-Sendung: Sahra Wagenknecht sprach unzählige Male über und für die Interessen „der Menschen“. Niemand fuhr ihr mit der Frage in die Parade, warum sie sich anmaßt, für die Menschen zu sprechen. Niemand forderte sie auf, hier präziser zu werden, Ross und Reiter zu benennen, ihre Menschen konkret werden zu lassen. Und niemandem fiel offensichtlich auf, dass Wagenknecht von den Menschen in genau der gleichen Tonlage spricht, in welcher in der kommunistischen und DDR-Terminologie von demProletariat, der Arbeiterklasse die Rede gewesen war.
Man müsste Sahra Wagenknecht als eine politische Hasardeurin frontal angreifen und dürfte sich nicht in ihre beschauliche argumentative Puppenstube locken lassen. Man müsste ihr ihre Diffamierung der Bundesrepublik als ein Abbruchunternehmen, ihre maßlose Dramatisierung der sozialen Lage unerbittlich vorhalten. Man müsste sie zwingen, zu bekennen, ob sie die deutsche Westbindung für ein Verhängnis hält oder nicht. Man müsste sie nachdrücklich fragen, welche Ideen sie für eine europäische Friedensordnung hat. Ob sie die EU weiterentwickeln oder national ausbremsen will. Und ob sie in der Migrationsfrage – die ja einmal ein Herzensanliegen der Linken war – auch nur den Schimmer einer Idee hat, die über die rechtskonservative Forderung nach Grenzkontrollen und absoluter nationaler Souveränität wenigstens ein paar Zentimeter hinausreichen.
Mir Sahra Wagenknechts BSW wird man leider rechnen müssen. Es wäre aber ein Treppenwitz der bundesdeutschen Geschichte, wenn Öffentlichkeit und Politik es zuließen, dass die modern getrimmte Retrotruppe Wagenknechts es schafft, Parteien wie die CDU nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Das BSW ist sehr alter Wein in neuen Schläuchen. Es wäre bedrückend, wenn Öffentlichkeit und Politik unfähig wären, diese einfache Wahrheit zu erkennen. Thomas Schmid
Übrigens spricht nichts dagegen, sehr alten Wein in neuen Schläuchen zu transportieren. Es ist der Federweiße, der die alten Schläuche platzen ließe. Deswegen wird er ja in Flaschen verfüllt, deren Deckel das CO2 austreten lassen, damit die Flaschen nicht platzen. Sarah Wagenknecht ist roter Federweißer: eine Kommunistin wie Salvador Allende und Enrico Berlinguer. Sie will nämlich ohne Blutvergießen dorthin gelangen, wo Fidel Castro mit Blutvergießen hingelangte. Und dazu versteckt sie sich hinter Ludwig Erhards sozialer Marktwirtschaft.
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