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Donnerstag, 19. September 2024

Irgun

Für die Jüngeren unter uns dürfte die erste Frage gewesen sein: Was ist da eigentlich explodiert im Libanon? Denn Pager sind für viele heute so weit weg aus dem Alltag wie Faxgeräte und Wählscheibentelefone. Die kleinen Taschenschmeichler stammen aus den 90er-Jahren, als Mobiltelefone und deren Tarife noch teuer waren und die SMS ihre große Zeit hatte. 160 Zeichen maximale Länge. Das reicht aber zum Beispiel für Alarme, und deshalb werden Pager auch heute noch in einigen Bereichen gern verwendet, etwa bei der Feuerwehr. Seit dem 17. September wissen wir, dass auch die Terrormiliz Hisbollah Pager für die interne Kommunikation einsetzt. Oder genauer gesagt: eingesetzt hat.

Schon von Osama bin Laden wissen wir, dass er mit einigem Grund keine Mobiltelefone verwendet hat, und auch die Terroristen der Hisbollah wollten vermeiden, über die Nachverfolgung verwendeter Sendemasten ins Fadenkreuz etwa der israelischen Armee zu geraten. Also verzichtet man ganz auf Smartphones, die überall im Netz Spuren hinterlassen, und baute für die Kommunikation ein eigenes Pager-Netzwerk auf, mit dem man verschlüsselt Befehle verteilen und das Terroristen-Tagwerk organisieren konnte. Die entsprechenden Endgeräte waren also nicht in der Hand von ahnungslosen Zivilisten, sondern genau dort, wo sie nun Schaden anrichteten: bei Terroristen und ihren Helfern.

In der Sorge, abgehört und geortet zu werden, sorgte die Hisbollah also letztlich selbst dafür, dass die Sprengsätze an ihr Ziel kamen: die Hosentaschen der selbsternannten Gotteskrieger. Etwa 4000 Besitzer der Pager wurden bei den Explosionen verletzt, mindestens neun starben. Die Bilder und Videos vom Geschehen zeigen Chaos, Überraschung und viele um die Körpermitte herum blutende Männer. Die Kliniken in Beirut wurden geradezu geflutet mit verletzten Kämpfern. Eine weitere Flut brach sich in den sozialen Medien Bahn. Der Hashtag #pager sprang schnell auf Platz eins der X-Trends. Angesichts der Verletzungen war viel Häme unterwegs – besonders in den arabischen Ländern, die keine Freunde des Iran oder dessen Proxys sind. Von der „Einteierung der Hisbollah“ war zu lesen. Die Explosionen erfolgten tausendfach und fast gleichzeitig. Art und Häufigkeit der Attacke ließen schnell den Verdacht aufkommen, der israelische Geheimdienst stecke dahinter. Das liegt nahe, wir dürfen allerdings davon ausgehen, dass weder dieser noch die israelische Regierung jemals irgendeine Presseerklärung zum Thema abgeben werden.

Doch was genau war eigentlich passiert? Hatte man durch einen Software-Hack oder Virus die Lithiumbatterien in den Pagern zur Explosion gebracht? Doch das wäre nicht schnell genug gegangen, und die Wirkung wäre viel zu gering. Schnell war klar, dass es sich um einen Plastiksprengstoff, vermutlich PETN, handelte, von welchem in den Geräten jeweils zirka 20 Gramm verbaut waren. Die Pager stammten von einer taiwanesischen Firma und wurden von einer ungarischen Firma in Budapestin Lizenz gebaut. Dort hatte die Hisbollah wohl insgesamt 5000 Geräte bestellt und nach der Lieferung an ihre Kämpfer verteilt. Irgendwo auf dem Weg von Europa nach Beirut kam dann der Sprengstoff hinein und passierte offenbar, ohne Verdacht zu erregen, die Logistik der Terrororganisation. Dazu muss man wissen, dass Plastiksprengstoffe normalerweise Marker enthalten, die sie etwa in Kontrollen an Flughäfen sichtbar machen. Sogar nach einer Explosion ist dadurch wie mit einer Seriennummer die Rückverfolgung möglich. Sehr wahrscheinlich fehlten diese Marker in dem hier verwendeten Material, was die Sprengsätze fast unentdeckbar machte. Auch das ist eine Botschaft.

Die Hisbollah jedenfalls wurde kalt erwischt, gewissermaßen im Schlaf. Und der Absender schickt nicht nur an die Pager eine Nachricht. Wichtigster Adressat waren die Mullahs in Teheran, in deren Auftrag die Hisbollah nun seit fast einem Jahr täglich Raketen auf Israel abfeuert. Sie lautet: Wir kriegen euch überall, also hört besser auf damit. Der zweite Adressat sind arabische Nachbarländer wie Saudi-Arabien, die Emirate oder Jordanien, wo der Iran und seine Hilfstruppen gleichermaßen verhasst sind. Sie lautet: Wir sind stärker. Der Gesichtsverlust der Hisbollah dürfte in der mit Ehrbegriffen aufgeladenen arabischen Welt nämlich schwerer wiegen als der tatsächliche Blutzoll. In Riad und Dubai hat man auch verstanden, dass die Hisbollah das Ziel der Aktion war, nicht die Zivilbevölkerung des Libanon – die bekommt solche Pager nicht. Die Botschaft an den Westen lautet: Wenn ihr uns aus Furcht die Unterstützung im Kampf gegen den Terror versagt, kämpfen wir eben nach den Regeln und mit den Mitteln, die hier verstanden werden.

Wie erwartet haben Hisbollah und der Iran bereits Vergeltung angekündigt. Doch hätte man die erste Wut im Nachhinein gern heruntergeschluckt, was die Geschichte glaubhafter hätte erscheinen lassen, die man nun zur Gesichtswahrung zu verbreiten beginnt: Israel habe panisch den Knopf gedrückt, weil das Pager-Bomben-Netzwerk kurz davor gestanden habe, entdeckt zu werden. Man habe die Kommunikation der Hisbollah ausschalteten wollen, um dann ungehindert einen Großangriff der IDF auf den Libanon zu starten. Das sei aber verhindert worden und die ganze Sache somit eigentlich – sie ahnen es, liebe Hörer – ein großer Sieg für die Hisbollah. Dummerweise scheint das auch der Verursacher der Explosionen im Kalkül zu haben und brachte nur einen Tag nach den Pagern auch zahlreiche Funkgeräte zur Explosion. Wieder mit zahlreichen Verletzten. Die Walkie-Talkies stammten offensichtlich aus derselben Lieferung, und die Hisbollah hatte es versäumt, sie seit gestern noch schnell wegzuwerfen. Pikantes Detail: Während man die Pager aus der Ferne aktivieren kann, mussten für die Funkgeräte Personen in einem engeren Umkreis vor Ort sein. Das lässt die Hisbollah nun rätseln, mit wem sie es eigentlich zu tun hat und wie dicht man ihr bereits auf den Fersen ist.  Letsch

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