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Donnerstag, 29. November 2018

Böse Hexe Grütters

Publico: Der von Linkspartei-Kultursenator Klaus Lederer und Kulturstaatsministerin Monika Grütters gefeuerte Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen Hubertus Knabe hatte sich vergangene Woche auf seinen Posten zurückgeklagt – was Lederer mit der Einsetzung eines neuen Direktors und anderen Maßnahmen zu durchkreuzen sucht. Wie beurteilen Sie diesen Gedenkstätten-Krieg?
Vaatz: Mit der Entlassung Knabes soll ein Enthauptungsschlag gegen die Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen geführt werden. Dazu ist offenbar jedes Mittel recht. Ich glaube aber, jetzt hat Herr Lederer überzogen. Es gibt ein so genanntes Maßregelungsverbot, das aus meiner Sicht ausschließt, jemanden, der gekündigt wurde, dafür zu bestrafen, dass er sich wehrt. Und das ist mit der sofortigen Kündigung von Knabe am vergangenen Sonntag geschehen. Neue Fakten, die ein solches Vorgehen rechtfertigen würden, liegen gegen ihn ja nicht vor.
Publico: Warum ist Hubertus Knabe eine solche Reizfigur?
Vaatz: Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Knabe hat in seiner Forschung die Unterwanderung der westlichen Linken durch die Staatssicherheit vor 1990 zum Thema gemacht. Er hat damit ein meinungsbildendes Milieu angegriffen, das zum unwissentlichen und teilweise sogar zum wissentlichen Verbündeten der DDR geworden war. Jetzt handelt eine große Koalition von Anwälten des DDR-Regimes wie Lederer und denjenigen im Westen, die den Mantel des Schweigens über ihre Nähe zur SED-Diktatur breiten wollen. Ihnen ist Knabe lästig. Daher hat die Stasiunterlangen-Beauftragte Marianne Birthler ihn schon vor 18 Jahren aus der Behörde entfernt.
Publico: Wie passt ihre Parteifreundin in dieses Bild, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters?
Vaatz: Das weiß ich nicht. Wenn sie mit dem vermeintlichen Sprecher der DDR-Opfer Dieter Dombrowski einig ist, wähnt sie sich offenbar auf der sicheren Seite. Nur hat Dombrowski offenbar längst die Seiten gewechselt. Es scheint so, dass er in Brandenburg eine CDU-Koalition mit den Linken ansteuert. Ich bin gespannt, wie lange sich die Opferverbände von ihm noch an der Nase herumführen lassen. Andererseits ist Monika Grütters als Kulturministerin ein Stück weit auch auf das Wohlwollen genau des Milieus angewiesen, das ich gerade erwähnt habe. Ich halte aber ihre Haltung für korrigierbar.
Publico: Manche vermuten, dass sie bei der nächsten Wahl für die Berliner CDU mit dem Ziel antreten will, eine Koalition mit der Linkspartei zu schmieden.
Vaatz: Das ist Spekulation. Aber ein solcher Versuch würde die Partei vor eine Zerreißprobe stellen.
Publico: Soll mit der Entlassung Knabes etwas Grundsätzliches bezweckt werden?
Vaatz: Allen soll gezeigt werden, dass die umbenannte SED jetzt die Lufthoheit besitzt. Die Linkspartei ist zwar immer dabei, wenn es gilt, die Bundesrepublik zur materiellen Wiedergutmachung der DDR-Verbrechen in Anspruch zu nehmen, entzieht aber Schritt für Schritt den DDR-Opfern die Interpretationshoheit über ihre eigene Vergangenheit und ihr eigenes Schicksal. Die Entlassung Knabes soll demonstrieren: Jetzt ist Schluss mit der Aufarbeitung aus Perspektive der Opfer.
Publico: Aber ist dieser Vorwurf nicht unbegründet, da Herr Lederer sich ja nach eigenen Worten in keiner Weise in die Suche eines Nachfolgers einmischen will, sondern hier Ihrer Partei eine Schlüsselrolle zufällt?
Vaatz: Herr Lederer weiß, dass es für Knabe kaum gleichwertigen Ersatz gibt. Deshalb ist es sehr klug von ihm, sich herauszuhalten, um die zu erwartende Fehlbesetzung dann der CDU in die Schuhe zu schieben – und nebenbei die Kraft des verhassten Publikumsmagneten Hohenschönhausen schwinden zu sehen.
Publico: Ein Historiker hat Knabe vorgeworfen, er habe die Führungen von Besuchern durch die Ausstellung in Hohenschönhausen „manipulativ“ gestaltet. Was sagen Sie dazu?
Vaatz: Das ist infam von Herrn Kowalczuk. Ich hielt ihn immer für integer, aber man lernt dazu. In der Sache ist der Vorwurf unzutreffend. Wie dort die Dinge präsentiert werden, entschied der Beirat. Er beschloss ein Curriculum, nach dem verfahren wird. Wenn die Art der Führungen durch das ehemalige Stasi-Gefängnis manipulativ sein soll, dann kann man übrigens gleich alle Gedenkstätten schließen, egal welcher Art. In einer Gedenkstätte werden die Sachverhalte dargestellt, derer gedacht werden soll. Und natürlich stellt die Gedenkstätte die Geschichte aus Perspektive der Verfolgten und nicht den anstrengenden und entbehrungsreichen Arbeitsalltag des Wachpersonals dar. Was denn sonst?
Publico: Sollten Besucher auch nach dem zweiten Rauswurf Knabes noch in die Gedenkstätte kommen?
Vaatz: Freilich. Und die Gelegenheit nutzen, um ein Gespräch mit Frau Birthler zu fordern, die vom Stiftungsrat in der Affäre um Knabe zur so genannten Vertrauensperson berufen wurde, und sie fragen, inwieweit sie die einstweilige Vernichtung der wirtschaftlichen und beruflichen Existenz von Herrn Knabe mit manipulativ-denunziatorischen Methoden wegen der noch zu untersuchenden Verfehlungen seines Untergebenen für verhältnismäßig hält; ob sie ihre Berufung an die Gedenkstätten nicht aus Gründen der Befangenheit hätte ablehnen müssen.
Publico: Was erwarten Sie in dieser Affäre von Ihrer Parteifreundin Monika Grütters?
Vaatz: Ihre Zustimmung zu den Maßnahmen gegen Knabe zurückzuziehen. Sowohl die vom 25. September als auch die vom letzten Sonntag.


Arnold Vaatz, geboren 1955 in Weida, gehörte zu DDR-Zeiten zur Bürgerrechtsbewegung. Weil er den Reservedienst bei der NVA verweigerte, wurde er 1982 zu sechs Monaten Haft verurteilt, die er in der Strafanstalt Unterwellenborn verbüßte.
1989 gehörte der Mathematiker in Dresden zur „Gruppe der 20“, die sich aus der Protestbewegung gegen das SED-Regime bildete. Nach mehreren Stationen in der sächsischen Landesregierung wechselte Vaatz in den Bundestag.
Seit 2002 ist er stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion.    Publico


  • Vor 20 Jahren gründete Kanzler Schröder das Amt des Staatsministers für Kultur und Medien.
  • Monika Grütters hat aus dem Orchideenposten eine Schlüsselstelle der Bundesrepublik gemacht, sie verfügt über viel Einfluss.
  • Ihre Machtfülle ist in vielerlei Hinsicht bedenklich.

Von Jörg Häntzschel
Ein Treffen wird über Signal verabredet, die Messenger-App, auf die Edward Snowden schwört. Andere Anrufe kommen von anonymen Telefonnummern. Trifft man die Informanten im Restaurant, wird erst mal der Raum gescannt. Da lärmt eine Reisegruppe, an den anderen Tischen unbekannte Gesichter: gut. Zu den Bedingungen: keine Zitate, das Gespräch hat nie stattgefunden. Und immer wieder heißt es, das ist off the record, das haben Sie nicht von mir, das dürfen Sie nicht schreiben. Wenn sich die Tür öffnet, schreckt der Blick hoch. Ist das nicht etwas übertrieben? Wir sind in Berlin. Es geht nicht um Waffengeschäfte, sondern um schöne Dinge, um Kunst, Musik, Theater. Doch es geht eben auch um viel Geld, um 1,8 Milliarden Euro, die dieses Jahr verteilt werden, und um die Frau, die das Geld verteilt: Monika Grütters, seit 2013 Staatsministerin für Kultur und Medien. Intendanten, Museumschefs, Direktorinnen, die man zu ihr befragt, fürchten nichts so sehr wie ihren Zorn. Sie wollen dieses Geld auch in Zukunft haben.
Deshalb wird es auch kein kritisches Wort geben, wenn sie sich am Montag alle treffen, um das 20. Jubiläum des Kulturstaatsministeriums (BKM) zu feiern. Gegründet wurde es 1998, in der Cocktail Hour der goldenen Neunziger, von Gerhard Schröder. Der SPD-Kanzler, selbst Künstlerfreund, wollte an die Zeiten vor der Ära Kohl anknüpfen, als Günter Grass noch Reden für Willy Brandt schrieb. Außerdem wartete das wiedervereinigte Berlin darauf, auf Hauptstadtniveau kulturell bespielt zu werden. Das alte Prinzip, nach dem Kultur Ländersache ist, war an seine Grenzen gekommen. Als die Länder protestierten, behalf man sich mit einem Trick: Statt der Kultur ein eigenes Ressort zu geben, machte man das BKM zu einer Abteilung des Bundeskanzleramts. Grütters ist eigentlich nur Staatssekretärin, kein Kabinettsmitglied.

Spätestens beim Abschied hat man verstanden, wie sie ihr Reich zusammenhält

Kaum einer ihrer Vorgänger hielt sich lange, am kürzesten die Intellektuellen Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin und Christina Weiss. Bernd Neumann blieb länger, doch erst Grütters ging ganz in dem Amt auf. Keine kämpft so entschlossen, keine hat sich so viel Macht gesichert, keine verfügt über mehr Stellen - 300 sind es heute - , keiner macht mehr Geld locker als sie. Zwischen 1999 und 2014 wuchs der Etat nur von 1,1 auf 1,3 Milliarden Euro. Unter Grütters stieg er auf 1,8 Milliarden. Allein dieses Jahr beträgt der Zuwachs neun Prozent. Und das in Zeiten, da viele europäische Länder ihre Kultur verkümmern lassen. Und dennoch: Glücklich ist unter Grütters niemand. Sie hat eine Pyramide der Abhängigkeiten installiert, an deren Spitze sie steht. "Geht ihr jemand auf den Geist", erzählt der Chef einer Institution aus eigener Erfahrung, "tut sie alles, um ihn fertigzumachen."
"Wie schön, dass Sie da sind!" Strahlend und mit Gebäck und Blumen spielt Grütters dem Besucher in ihrem Büro im siebten Stock des Kanzleramts (Merkels Büro ist im achten) anfangs die herzliche Nachbarin vor. Umso unerwarteter drücken einen dann die ersten Salven aus ihrem rhetorischen Arsenal in den Sessel: Endlosmonologe, mit denen sie heiklen Fragen vorbeugt, Präzisionsauskünfte zu entlegensten Themen, strategisch platzierte Vertraulichkeiten, Schmeicheleien und jähe Schärfe. Wer ihr auf den Zahn fühlt, dem droht sie auch mal mit dem Anwalt. Spätestens beim Abschied hat man verstanden, wie sie ihr Reich zusammenhält.
In Berlin umfasst es außer den Theatern und Opern praktisch alles. Das BKM finanziert nicht nur die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) mit ihren 17 Museen, mit Bibliotheken und Archiven. Sondern auch das Jüdische Museum, die Akademie der Künste, das Deutsche Historische Museum (DHM), die Deutsche Kinemathek, den Gropius-Bau, die Berlinale, das Haus der Kulturen der Welt, die Berliner Festspiele und alle Gedenkstätten.
Auch jenseits von Berlin ist das BKM aktiv. Es finanziert das Literaturarchiv in Marbach, die Deutsche Nationalbibliothek und die Bundeskunsthalle in Bonn, es fördert die Stiftung Weimarer Klassik, das Bauhaus, die Bayreuther Festspiele und die Ruhrtriennale. Monika Grütters untersteht die deutsche Filmförderung, die Villa Massimo in Rom und das Deutsche Studienzentrum in Venedig. Sie verleiht die Filmpreise, aber auch Preise für Schriftsteller, Übersetzer, Theater, Kinos, Filmverleiher. Mit dem fünften von ihr neu ausgelobten Preis will sie Verlage auszeichnen.

Preis des Machterhalts: Die besten Köpfe der deutschen Kultur können nicht offen sprechen

Geht man die lange Liste von Institutionen durch, staunt man über vieles, was in ihre Zuständigkeit fällt - warum ist sie Chefin der Deutschen Welle? - aber auch über vieles, was bei anderen Ministerien angesiedelt ist. Das Goethe-Institut beim Auswärtigen Amt, Archäologie beim Wissenschaftsministerium, Integration beim Sozialen, Politische Bildung beim Inneren. Ein improvisierter Ressortzuschnitt ist zu einer Dauerlösung geworden. Auch das ist Teil des Problems.
Ebenso erstaunlich ist aber Grütters' Ungreifbarkeit. Die 56-Jährige kommt aus Münster, aber geht als alte Berlin-Pflanze durch. Sie ist seit der Pubertät in der CDU, aber weniger konservativ als viele SPD-Leute. Sie hat Kunstgeschichte studiert, aber sie ist Hardcore-Politikerin. Ihr nächstes Karriereziel: Regierende Bürgermeisterin. Diese Mischung qualifiziert sie wie kaum jemanden für ihren Job. Wer interessierte sich bislang in der Politik schon für Kultur? Wer sonst investiert dafür seine Karriere, um am Ende nicht mal ein Ministeramt zu bekommen?

Grütters Einfluss beschränkt sich nicht auf ihre Häuser

Viele rühmen ihre Liberalität. Sie sprach sich für das umstrittene Megaprojekts Dau aus und kritisierte die jüngste Absage des Konzerts von Feine Sahne Fischfilet in Dessau. Andere bemängeln ihre Fixierung auf Repräsentationskultur. Kürzlich hat das BKM etwa den Berliner Anteil der Förderung der Berliner Philharmoniker übernommen, obwohl niemand verstand, warum. "Sie will sich mit denen zeigen", erklärt der Chef eines Hauses. Beides ist richtig, beides trifft nicht den Punkt. Grütters hat keine kulturelle Agenda, oder: Ihre kulturelle Agenda ist Funktion ihrer politischen Agenda und die lautet, Freunde gewinnen, Feinde neutralisieren, den eigenen Einfluss mehren, um am Ende politische Erfolge vorweisen zu können. Da sie den Geldhahn zu- oder aufdrehen kann, da sie über die Vergabe der meisten Posten entscheidet, fällt ihr das nicht schwer.
Doch sie begnügt sich nicht mit den "Zuwendungen". Sie oder ihre Beamten sitzen selbst in den Aufsichtsgremien der Institutionen. Diese Praxis, sonst undenkbar, ist im deutschen Kulturbetrieb nicht unüblich, problematisch ist sie dennoch. In der SPK etwa ist Grütters Vorsitzende des Stiftungsrats, im DHM ist ihre rechte Hand, Günter Winands, Vorsitzender des Kuratoriums. "Er ist der eigentliche Direktor", heißt es aus BKM-Kreisen. "Das DHM ist eine Regieveranstaltung der Regierung."
Grütters weist das weit von sich: "Wir mischen uns in die Inhalte aus Respekt vor der Autonomie der Häuser grundsätzlich nicht ein." Und erklärt, nur so ließen sich die Häuser kontrollieren: "Eine Aufsicht über die Finanzströme und eine good governance muss der, der die finanzielle Hauptlast trägt, schon führen." Andere sehen es umgekehrt. Nicht nur hemme man so die Entwicklung der Institutionen, auch eine "effektive Kontrolle ist so nicht möglich". "Der Staat hat sich rauszuhalten."
Doch der Einfluss von Grütters beschränkt sich nicht auf ihre eigenen Häuser. Sie sitzt in zwei Dutzend Gremien und ist Schirmherrin etlicher Kulturinitiativen. Ihre Beamten sitzen in 110 weiteren Kulturorganisationen. Zu denen gehören das Deutschlandradio und das Münchner NS-Doku-Zentrum, das Bauhaus-Archiv und die Thomas-Mann-Villa in L.A., der Deutsche Musikrat und die DFB-Kulturstiftung. Und da Grütters' Untergebene ihrerseits in weiteren Gremien sitzen - wie die Leiterin der Bundeskulturstiftung, Hortensia Völckers, bei der Documenta - pflanzt sich ihr Einfluss fort. Ziel ist maximale Verflechtung. "Das System ist eine Spinne", heißt es aus BKM-Kreisen.
Ein Produkt dieses Systems ist die betuliche Doku "Schatzkammer Berlin", die im Frühjahr in die Kinos kam und dort vor leeren Sälen lief. Sie feiert die SPK, wurde koproduziert von der Deutschen Welle und erhielt Geld von der Filmförderung. Alles aus einer Hand - und grandios misslungen.

"Disruption" dient bei ihr weniger der Innovation, sie ist Teil einer Strategie des Herrschens

Das System setzt Konsens und Goodwill voraus. Grütters aber, die gestalten und Macht ausüben will, nützt es nun für ihre eigenen Zwecke. Als Anfang des Jahres die Neubesetzung der Berlinale-Leitung anstand, plante Grütters, den Nachfolger von Dieter Kosslick ganz allein zu küren. 80 Filmschaffende protestierten, sie forderten einen transparenten Prozess, eine Findungskommission. Doch die Kommission, die Grütters schließlich einberief, bestand statt aus unabhängigen Experten nur aus drei Personen: Grütters selbst, einem Berliner Staatssekretär und Mariette Rissenbeek, der Chefin von German Films, der "Auslandsvertretung" des deutschen Films. Alle drei gehörten dem Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes an, der Muttergesellschaft der Berlinale, dem Gremium, das über die Berufung entscheidet, und deren Vorsitzende Grütters ist.
Und wer bekam einen der zwei Posten? Rissenbeek selbst (der andere ging an Carlo Chatrian aus Locarno). Die meisten vergaßen das absurde Verfahren, weil sie sich über das Ergebnis freuten. Doch Grütters hat daraus nicht gelernt. Sie schimpft bis heute auf die Filmleute und behauptet, sie hätte alleine dieselbe Wahl getroffen. "Man darf auch mal unterstellen, dass es Kulturminister gibt, die wissen, was sie tun, die ein breites Netzwerk haben, die sich in der Szene gut auskennen."

Auch sonst entscheidet sie am liebsten allein. Als sie das von ihrem Vorgänger ignorierte Humboldt Forum in Fahrt bringen wollte, brauchte sie einen prominenten Kopf. Sie fand ihn in Neil MacGregor und erklärte ihn zu einem von drei "Gründungsintendanten". Dass MacGregor nur einen Beratervertrag hatte, keinerlei Entscheidungshoheit, und zwei Drittel seiner Zeit für die BBC und für ein Museum in Indien arbeitete, nahm sie zugunsten des Star-Effekts in Kauf.

"Strategische Überlegungen existieren nicht"

MacGregors Ernennung und Scheitern illustrieren aber auch gut, wie sehr sie oft auf Glamour und PR setzt, ohne Rücksicht auf Verluste. Eines ihrer aktuellen Lieblingsprojekte ist das Museum des 20. Jahrhunderts, das die Architekten Herzog & de Meuron auf das letzte freie Grundstück des Berliner Kulturforums bauen werden. Standort, Entwurf und Konzept des Museums wurden fast einhellig verrissen. Grütters peitschte das Projekt dennoch durch die Instanzen. Dass der Bau statt 200 Millionen Euro mehr als 400 Millionen kosten wird, ist der Preis für ihren Sieg.
Das Museum, eines von vielen Prestigeprojekten, wäre weniger umstritten, wenn es in den alten Häusern nicht an allem fehlte. "Für die Pflege des Altbestandes gibt es kein Geld, er bröselt weg." Gehe es so weiter, müssten in Berlin in absehbarer Zeit Häuser schließen. "Der Bund stattet seine Institutionen miserabel aus", sagt der Chef eines Hauses. "Er wird seiner Verantwortung nicht gerecht."

Grütters tut das als Weinerlichkeit ab. "Ich habe bei der SPK immer wieder Millionensummen draufgelegt." Sie will statt Klagen mehr Ehrgeiz, mehr Blockbuster, mehr Innovation, mehr Führung. Sie mag teils recht haben, aber sehr konstruktiv wirken ihre Machtspiele mit SPK-Chef Hermann Parzinger nicht.
Auch die Entscheidung, im Humboldt Forum keinen Eintritt zu verlangen, und die übrigen Museen damit in einen Preiskampf zu zwingen, ist so ein PR-Stunt. "Da muss ich mir doch ein grundsätzliches Modell überlegen", sagt ein Kulturpolitiker. Ein anderer sieht hier ein größeres Defizit. "Sie fragt nicht: Was tut langfristig gut? Strategische Überlegungen existieren nicht." Grütters beteuert, sie habe mit den Beteiligten gesprochen, außerdem sei mehr Konkurrenz unter den Institutionen und innerhalb dieser durchaus gesund.
Doch disruption dient bei ihr weniger der Innovation, sie ist Teil einer Strategie des Teilens und Herrschens. Besonders wenn sie persönlich involviert ist, gibt sie Kommandos und erwartet Gehorsam, auch wenn es nicht immer ausgesprochen werden muss. Das konnte man an der Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt" ablesen, die Grütters bei der Bundeskunsthalle in Auftrag gab. Selbstverständlich konnten die Kuratoren die problematische Rolle des BKM dort nicht zum Thema machen. Selbstverständlich beteten sie das offizielle Narrativ von der Raubkunstsammlung nach und taten alles, um zu verschleiern, dass unter den mehr als 2000 Werken nur sechs Raubkunstfälle waren.
Grütters festigt ihre marktbeherrschende Stellung immer mehr, bläht ihren Apparat immer weiter auf. Doch da sie ideologisch so ungreifbar bleibt, da ihre Einmischungen nur strategischer Art sind, und da die "Zuwendungsempfänger" weiter auf Zuwächse hoffen können, üben sie sich in Duldsamkeit. Politik und Presse sehen nicht so genau hin. Kultur ist gut, mehr Kultur ist besser, wo ist das Problem? Ohnehin sind die großen Scheine, mit denen sie den Betrieb füttert, kleine Münzen, verglichen mit dem, was für Autobahnen, Waffen oder Renten ausgegeben wird.
Doch es kann nicht richtig sein, wenn es keinen Wettbewerb um wichtige Stellen gibt, wenn Posten heute noch auf Lebenszeit besetzt werden, wenn die besten Köpfe in der deutschen Kultur nicht offen über ihre Arbeit sprechen können, weil sie fürchten, in Berlin sonst nie wieder einen Job zu finden. Die intellektuelle Lähmung ist schon jetzt spürbar.
Und was, wenn die jetzige Schönwetterperiode endet? Wenn die Etats sinken? Oder wenn Grütters' Job nach der nächsten Wahl an die AfD geht? Dann fände ihr Nachfolger beim Amtsantritt perfekte Strukturen vor, um den deutschen, vor allem den Berliner Kulturbetrieb ideologisch auf seine Linie zu bringen.
Auch Grütters selbst ist übrigens Opfer einer Kulturpolitik, in der Machtausbau auf Kosten der Offenheit geht. Kein Thema, erzählt sie, beschäftige sie gerade so wie der Umgang mit den Objekten aus der Kolonialära. Doch die guten, aufregenden Ideen dazu, die am Telefon aus ihr heraussprudeln, will sie hier nicht gedruckt sehen. Das wäre zu gefährlich.   Süddeutscher Beobachter


Wer die Affäre Hubertus Knabe verstehen will, also die Absetzung des langjährigen Direktors der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen durch den linken Kultursenator Berlins Klaus Lederer, sollte bei Walter Ulbricht nachschlagen.
„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Auf diese Weise organisierte der Stalinist ab Anfang Mai 1945 die kommunistische Machtübernahme in Ostdeutschland.
Ob Lederer das Zitat kennt, ist nicht bekannt. Jedenfalls nimmt er sich ein Beispiel daran, denn gegen Knabe, den strikt antikommunistischen Historiker, verfährt der Kultursenator nach einem leicht abgewandelten Prinzip: „Es muss alles rechtsstaatlich aussehen …“

Doch rechtsstaatlich ist Lederers Vorgehen wirklich nicht. Schon der ursprüngliche Vorwand für die Absetzung, Knabe sei nicht entschieden genug gegen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs vorgegangen, hat sich als falsch herausgestellt. Angeblich konnte die Senatskulturverwaltung die entsprechende Akte nicht finden.
Jetzt hat Lederer eine einstweilige Entscheidung des Berliner Landgerichts von einer anderen, mit der Sache überhaupt nicht befassten Kammer aushebeln lassen. Eine derartige Missachtung des Rechtsstaates müsste zu seiner Entlassung durch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) führen.
Sollten Gerüchte zutreffen, laut denen die Senatsjustizverwaltung unter dem grünen Justizsenator Dirk Behrendt in dieser Sache Druck auf das Landgericht ausgeübt habe, Lederer zu unterstützen, wäre auch Behrendt reif für den Rücktritt – oder gleich der gesamte rot-rot-grüne Senat. Es ist aber noch schlimmer.

Auch die christdemokratische Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sich zu sehr von Lederers politischem Feldzug gegen Knabe einnehmen lassen. Sie hat immerhin noch eine Chance.
Ein Bericht der mit Knabe persönlich verfeindeten früheren Stasiunterlagen-Beauftragten Marianne Birthler hat offenbar nur üble Nachrede zutage gefördert und scheint entlastende Aussagen zu ignorieren. Das gäbe Grütters die Möglichkeit, Knabe in sein Amt zurückkehren lassen.
Allerdings: Die Reputation der Stasiopfer-Gedenkstätte ist massiv beschädigt. Das ist genau das, was Klaus Lederer vermutlich wollte. Es sollte nur alles rechtsstaatlich aussehen.  Sven Felix Kellerhoff







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