Stationen

Samstag, 24. November 2018

In kontrapunktischer Freundschaft


Mit dem Siegeszug der Grünen und der hastigen Mit-Verfassung eines Globalen Migrationpaktes durch die Merkel-Regierung stellt sich die Alternative zwischen anthropologischem Realismus und linker Utopie neu. Schon 1969 wurde sie diskutiert - in einer legendären Auseinandersetzung zwischen Arnold Gehlen und Theodor W. Adorno. Der Blick zurück lohnt sich.
Bisweilen gewinnen abgelegte Bücher, die man erneut hervorkramt, eine ganz besondere Strahlkraft. Blitzartig erhellen sie die geistige Situation des Tages. So kann es ergehen mit Arnold Gehlens umstrittenem Essay Moral und Hypermoral von 1969, verfasst also in den stürmischen Tagen der »Studentenrevolte.« Er hat das Recht auf Wiedervorlage.
Schon damals erkannte Gehlen wie kein Zweiter die moralische Selbstvergrößerung der linken Intellektuellen zu Weltrettern und ihre hochgerüsteten politischen Machtfantasien - und er polemisierte dagegen mit seinem konservativen Pamphlet.

Gehlen schrieb über die Notwendigkeit intakter Institutionen wie Familie, Staatsmacht, Rechtspflege, denn er sah, wie Nietzsche, den Menschen als »nicht festgestelltes Tier«, als weltoffenes instinktschwaches Wesen, das dieser Geländer bedürfe. Er war, was die Menschennatur angeht, wie jeder Konservative Pessimist, umgeben von Utopisten. »Wenn der Zeitgeist eine Emulsion aufgelöster Einrichtungen zusammenbrauen will«, so deklarierte er, »ist es notwendig, dagegen aufzustehen.«
Mit »Einrichtungen« meinte Gehlen Institutionen wie Ehe, Gerichte, Nation, die er bedroht sah durch eine intellektuelle »Quasi-Aristokratie« von »Theologen, Soziologen, Philosophen, Redakteuren und Studenten.« Er wollte der »auflösenden« Tätigkeit dieser »sog. Intelligenz« widerstehen.
Nun erleben wir, in einer gespenstischen geschichtlichen Dialektik, wie ausgerechnet eine CDU-Kanzlerin an einem nationalen Umbau bastelte, den die 68er, die sich schließlich resigniert mit ihren roten Fahnen und Heldenpostern in Lebensreformer-WGs zurückgezogen hatten, schon aufgegeben hatten: mit beeindruckender Entschlossenheit schleift sie noch in ihrem Abgang jubiläumsgerecht ein halbes Jahrhundert später die Institutionen, die jene erst in einem langen Marsch durch Unterwanderung erobern wollten – was ihnen tatsächlich zu einem gewissen Grade gelungen ist.
Doch das System Merkel hat den Job von oben vollendet, sozusagen auf den letzten Metern ihrer Regentschaft, und es wird auch ohne sie weiter durchs Weltmeer pflügen mit Kurs auf ein neues Atlantis der Brüderlichkeit wie dem, das die UNO mit ihrem Global Compact for Migration (unter Mitwirkung von Merkel-Sherpas) soeben ins globale Kartenwerk fantasiert hat.
Der ist, unter Mithilfe von Merkels Sherpas verfasst, mit seinen Verpflichtungen zu unbegrenzter Immigration samt Fürsorgepflicht ein kalter linksgrüner Putsch gegen den Nationalstaat, das alles hinter dem Rücken des Wahlvolkes.
Das System Merkel hat mit der Abschaffung der Wehrpflicht gleich auch die Armee funktionsunfähig gemacht, es verantwortet die Auflösung der traditionellen Familie durch die »Ehe für alle«, es gibt die Rechtsverletzungen an einer niedergelegten Staatsgrenze als humanitäre Dienstleistung aus, es stellt die innere Sicherheit der Bürger zur Disposition und spaltet die Nation konsequenter, als es die sozialistischen Strategen der Studentenrevolte je vermocht hätten.
Viel wichtiger noch, dieses System etablierte eine linke Diskurshoheit mit Hilfe eines geradezu Orwellschen Kontrollwahns - mit Netzdurchsuchungen, politisch korrekten Sprachvorgaben, dienstfertigen Staatsmedien, einer freiwillig gleichgeschalteten Presse und der moralischen Jagd auf Dissidenten, die als »Nazis« verunglimpft werden. Kritik am Migrationspakt soll als »rassistisch« verboten werden, er soll von der Presse als positive Bereicherung begleitet werden. Der autoritäre Staat hat sich auf links gewendet. Rechts war einst eine legitime politische Position. Heute ist nur noch links erlaubt.
Das alles hatte die Kanzlerin kaltblütig und konsequent erkauft mit dem politischen Bedeutungsverlust der eigenen, der einst so stolz konservativen Regierungspartei. Eine »linken Hypermoral« gibt mittlerweile den Ton an, ein buchstäbliches Weltverbesserertum, eine Selbstvergottung des restlos aufgeklärten grünen Menschen, der das Wetter, bzw. »das Klima« regulieren möchte und dafür ausgerechnet den deutschen Wohlstandsbringer, die Autoindustrie, in die Knie zwingt, die Atomenergie über Nacht abschafft und dem Land statt überfälliger Infrastrukturverbesserungen eine kostspielige Energiepolitik verordnet, die wegen ihrer immer noch mangelhaften Umsetzung von Brüssel mit hohen Strafen belegt wird, von jener europäischen Zentralbürokratie also, an die ohne jede demokratische Abstimmung zunehmend Hoheitsrechte abgetreten wurden.
Die EU zerbrach über der deutschen Hypermoral – sie begehe, so der französische Schriftsteller Houellebeqc, Mord an den europäischen Ländern. Ihr Friedenszweck ist längst zur frommen Plattitüde verkommen.
Die ideologischen Weichenstellungen des Merkelsystems sind nachhaltiger: Patriotismus oder Heimatliebe sind Anachronismen geworden und werden als »dumpfe Blut-und-Boden«-Ideologeme verfemt, denn das Ziel ist ein Weltstaat.
In ihren Reden löste die Kanzlerin das deutsche Volk schon mal zur »Bevölkerung« auf oder zu »denen, die schon länger hier leben«, zerstreute es also wie ihre sympathisierenden grünen Besserverdiener in Individualisten und Kosmopoliten – der Rest hat mit der Invasion von Millionen von kulturfremden, in festen Sippen verankerten Muslimen fertig zu werden – »wir schaffen das!«
Kurz: Wo die alten Kommunarden nur quasselten, schuf die deutsche Kanzlerin Tatsachen im Namen eines universellen Humanitarismus.
In seiner Schrift spürt Gehlen den Ursprüngen dieser moralischen Überdehnungen nach, dieser plötzlichen deutschen Allgüte, die Franz Werfel bereits 1945 seherisch in seinem Science-Fiction-Roman Stern der Ungeborenen vorwegnahm. Werfel: »Der Gebrauch des Wortes Humanitätsduselei‹ kostete achtundvierzig Stunden Arrest.«
Gehlen entdeckt die Wurzeln dieser Hypermoral in der Philosophie der Kyniker und Stoiker in der hellenistischen Dekadenzphase des vierten vorchristlich Jahrhunderts, die als Urväter der Konsumkritik die Bedürfnislosigkeit predigten und die Nächstenliebe über den Familien- und Stammesverband ins Weltganze hinausdehnten, und die sich dabei als pazifistische und leicht kontrollierbare Ideologielieferanten der Königsmacht so eilfertig andienten wie heutige Netzaktivisten den Weltkonzernen aus dem Silicon Valley.
Gehlen erkennt darin das Geltungs-Streben der kritischen Eliten – Platos Träumereien vom Idealstaat, der von Intellektuellen geführt sein sollte in einer weisen Tyrannis, winken aus der Tiefe der Geschichte.
Gehlens Überlegungen zur Moral sind anthropologische, realpraktische, menschengemäße. Er sieht mehrere Moralen in Konkurrenz, im Untertitel heisst seine Schrift Eine pluralistische Ethik. Für Gehlen gibt es vier Quellen von Moral: Das Ethos der Gegenseitigkeit im Wirtschaftsleben, die physiologischen Tugenden im instinkthaften Schutz der Kleinen, das Ethos der Institutionen, zumal des Staates, sowie endlich das familien- oder sippenbezogene ethische Verhalten aus Liebe und Frieden, das sich bis zum grenzenlosen Humanitarismus steigern lässt.
In Zeiten der Erschütterung (wie sie nach den Weltkriegen die Deutschen und nach den Pelopponesischen Kriegen die Griechen erlebten) kann sich eine Einzelmoral zur Herrin über die konkurrierenden aufschwingen.
So kann es kommen, dass der hypertrophierte Humanitarismus diktatorische Züge annimmt, der etwa das Staats- oder Rechtsethos in die Knie zwingt und den Überlebenswillen eines Volkes im Kern verletzt. Der große Konservative Edmund Burke, Zeitgenosse der französischen Revolution, sprach von der »bösartigen Nächstenliebe.« Gehlen, zeitgeistnäher, schrieb: »…man wird mit der Zumutung, ein moralisches Organ für Ereignisse von Weltdimension zu haben, nie fertig, es sei denn, man verwandle dieses Organ in
ein Protestgeschütz.« Womit er die billigen Entlastungen der Demonstranten in den Straßen meinte.
Schon damals, 1969, ermaß Gehlen die Kluft der Protestierenden zum gesunden Menschenverstand und zum einfachen Mann:
Das Problem der deutschen Intellektuellen liegt eben darin, dass zwar genug Offiziere den Degen schwingen, aber sie haben keine Truppen, und der Feind ist weg. Oder nicht zum Stehen zu bringen. So sehen sie zwar ihr Wort nicht die Dinge bewegen, aber immerhin die Setzmaschinen und die Fernsehscheiben.“
Diese Sätze schrieb er, ohne ahnen zu können, dass dereinst eine deutsche Kanzlerin, die in der Erziehungsdiktatur der DDR sozialisiert wurde, nicht nur die Setzmaschinen, sondern auch die ganz großen Dinge bewegen würde.
Für das Ethos der Institutionen einzutreten, trage einem Autor, so befürchtete Gehlen damals zu Recht, den Ruf ein, »Reaktionär, Faschist, Rhodesier, Ibo oder sonst etwas Geächtetes und Abgebuchtes« zu sein.
Der Spiegel bekräftigte in seiner Rezension: »Dienst am Staatsethos (so Gehlen) sei nur noch zu dem Preis möglich, daß der Zeitgeist in Gelächter ausbreche: einem Preis, den Gehlen in seinem Buch ungeniert gezahlt hat.«
Allerdings ist die Geschichte damit noch nicht zu Ende, die dialektische Bewegung ist noch unabgeschlossen.

Ebenfalls 1969, am 22.April, hielt Theodor W. Adorno eine Vorlesung an der Frankfurter Universität. Längst war der Kopf der Kritischen Theorie und feinsinnige Kulturmarxist den rebellierenden Studenten suspekt geworden. Sie lärmten mit Zwischenrufen, so dass der stets hochkonzentrierte und druckreif formulierende Gelehrte damit drohte, die Vorlesung abzubrechen.
Da stürmten Studentinnen das Podium, sie fuhren dem Professor über den Kopf, küssten ihn, rissen ihre Lederjacken auf und entblößten ihre Brüste. Adorno verließ mit Tränen in den Augen den johlenden Hörsaal. Es war die letzte Vorlesung, die er je halten sollte.
Einige Wochen später starb Theodor W. Adorno, der marxistische Denker gegen die institutionellen Zwänge einer kapitalistischen Gesellschaft, die er den Studenten als einzigen großen »Verblendungszusammenhang« hypnotisierend beschrieb, und als ein »falsches Ganzes«, in dem, wie er in seiner Minima Moralia ausführte, »ein richtiges Leben« nicht möglich sei.
Wie aber kann ein richtiges Leben gelingen?
Adorno schien beweisen zu wollen, dass eine marxistische Kritik, die aufs Ganze zielt, die ideologischen Schleier zerreißen und den Weg zu einem befreiten Menschen freilegen könne. Ein akademisches Unternehmen mit dem Rücken zur Zeit, die sich vorahnend in der Negativen Dialektik verrätselte, einem kaum mehr einzufangenden, praxisfernen Solipsismus auf der Suche nach dem archimedischen Punkt, an dem das falsche Ganze auszuhebeln sei, um den befreiten Menschen hervortreten zu lassen.
Er war der marxistische Utopist, Gehlen der Realist, doch immerhin: Gehlen und Adorno, sie diskutierten leidenschaftlich und mit Respekt und spürbarer Hochachtung voreinander und gaben ein Beispiel dafür, wie der »herrschaftsfreie Diskurs«, um den Adorno-Assistenten Jürgen Habermas ins Spiel zu bringen, wie also »Debattenkultur« gelingen kann.
Die beiden waren sich einig über die Tatsache verinnerlichter Institutionen, für Adorno eher im Sinne einer verdinglichten und daher menschenfeindlichen, für Gehlen einer notwendigen Unfreiheit - die TV-Aufzeichnung der beiden miteinander Streitenden ist noch leicht abrufbar über Youtube. Thema der Debatte: »Freiheit und Institution.«
Gehlen und Adorno waren Antipoden. Arnold Gehlen war kompromittiert durch seine Mitgliedschaft in der NSdAP; Adorno, der jüdische Emigrant, hatte dessen Berufung auf einen Lehrstuhl nach Heidelberg verhindert. Ja, Adorno hatte »nichts gegen Rache als solche…«, wie er seinen Eltern aus dem kalifornischen Exil 1943 schrieb. »Also: möchten die Horst Güntherchen in ihrem Blut sich wälzen und die Inges den polnischen Bordellen überwiesen werden, mit Vorzugsscheinen für Juden.« Lorenz Jäger in seiner FAZ-Rezension: »Da mag auch den in der Wolle gefärbten Adorniten ein Schauder überlaufen.«
Nun waren wir alle in der Wolle gefärbte Adorniten. Adornos brillante Dialektik der Aufklärung, die er gemeinsam mit Max Horkheimer verfasste, beklagte im Polyphem-Kapitel die Selbstverleugnung des freien Trieb-Menschen durch Rationalität und Vernunft, die er als Preis für seine Rettung aus mythologischem Zwang zu entrichten hatte. Das leuchtete ein – Selbstverhärtung als Überlebenshilfe.
Nach Adorno wird Aufklärung zum kalten Zwang, betrieben schließlich von einer kapitalistischen Megamaschine, die den Menschen auf seine Verwertbarkeit reduziert, durchaus einsehbar dieser Teil.
Allerdings: Seine Diatrieben gegen die amerikanische Unterhaltungsindustrie, die uns nur zur bequemeren Ausbeutung verdumme, dieser andere lebensnähere Teil, der sich gegen Pop, Hollywood und den Jazz richtete, den er bereits analog zum Naziverdikt der »Entartung« in seinen frühen Musikkritiken verdammte, ließ uns kalt – immerhin sollte sich der Italo-Western bald der lateinamerikanischen Befreiungskämpfe annehmen und Jim Morrison und die Doors in der Hollwood Bowl ihr legendäres LSD-Konzert mit Titeln wie Light My Fire abbrennen - der innere Mensch tanzte hedonistisch in die Freiheit.
Adorno bezeichnete sich zwar theoretisch als Parteigänger der Marxisten, aber im Gegensatz zu diesen war er nicht fortschrittsgläubig, sondern mindestens ebenso pessimistisch gestimmt wie Gehlen. Er empfahl kritisches Denken, das auch vor dem Fortschritt, auch vor der Aufklärung nicht innehält.
Der Gebrauch der Vernunft, so Adorno, bedeutet eben nicht, wie es noch Kant optimistisch wollte, automatisch Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit, er kann auch, als instrumentelle Vernunft, in die düsterste Hölle führen, wie die Nazis mit der Technologisierung des Massenmordes an den Juden bewiesen.
Und selbstverständlich hatte Adorno nicht nur das, sondern auch das realsozialistische Reich der Unfreiheit der sowjetischen Gulags vor Augen.
Er empfahl der »Aufklärung« eine Selbstaufklärung, denn: »Die vollends aufgeklärte Welt erstrahlt im Glanz triumphalen Unheils.« Eine wahrhaft apokalyptische Warnung.
Adorno hätte den theologisch getönten Schluss von Gehlens Pamphlet, so meine Vermutung, besser verstanden als der damalige Spiegel-Rezensent: »In einem bewußt rätselhaft angelegten Schlußabsatz (erhebt Gehlen) Anklage, ein irgendwer wolle (in Deutschland?) »das Reich der Lüge« errichten. »Der Antichrist«, bemerkt er dazu noch geheimnisvoller, trete in der »Maske des Erlösers auf.«
Das liest sich wie die gespenstische Vorahnung auf die heutige Zivilreligion mit ihrer humanitaristischen Rhetorik und dem Versprechen unbegrenzter Machbarkeit.
Doch das dialektische Pendel ist noch nicht ausgeschwungen und das Großprojekt, zu dem das System Merkel die Deutschen verurteilt zu haben scheint, noch nicht ausgereizt.

Die humanitäre Maske der Erlösung aus ihrer historischen Schuld verrutscht den Deutschen zunehmend, und das je mehr, desto heftiger sie aufgezwungen wird.
Die einfachen Bürger protestieren an den Wahlurnen. Sie beginnen, den Eliten zu misstrauen und ihrem Großprojekt der Neuerfindung des Volkes, das sie mit den Ausplünderungen des Steuerzahlers und der Sozialkassen auch noch selber zu finanzieren haben, das alles unter Amtshilfe der Kirchen, die im Humanitarismus eine neue Zivilreligion entdeckt haben, die leichter an den Mann zu bringen ist, eine ohne Gott, welchen sie ihren Gläubigen ohnehin nicht mehr zumuten wollen.
Nein, den sogenannten Volksparteien rennen die Wähler in Scharen davon, nicht nur an den linken Rand, sondern auch nach rechts. Und ausgerechnet dort bildet sich mit der Identitären Bewegung eine intelligente, kreative und gewaltfreie Jugend-Apo, die nicht den Umsturz der Verhältnisse, sondern ihre Erhaltung zum Ziel hat.
Sicher, auch die Identitären beklagen die Verdinglichung des Menschen unter den Bedingungen des grenzenlosen Kapitals – eine jüngste Neuerscheinung empfiehlt Marx von rechts zu lesen.
Auch sie stellen sich quer zur Verwertbarkeit. Auch sie beharren, durchaus subversiv, auf Störungen des Konsens. Vor allem aber beharren sie auf Grenzen und auf ethnopluralistischer Identität, auf dem je Eigenen der europäischen Kulturnationen, das für sie das richtige Leben erst möglich macht.
Es ist keine Eroberungsstrategie, der sie folgen, sondern ein Abwehrkampf gegen die Islamisierung des Abendlandes, der in einer über tausendjährigen Geschichte immer wieder zur Notwendigkeit wurde. Es ist kein elitärer Kampf, sondern ein populistischer, unterstützt von den Nachdenklichen im Lande.
Kurz vor seinem Tode übersandte Adorno seinem gelehrten Debattengegner ein Buch mit der Widmung: »Für Arnold Gehlen, in kontrapunktischer Freundschaft verbunden.«
Tatsächlich: Adorno, der Musiktheoretiker, wählte den kompositionstechnischen Begriff des Kontrapunktes, um diese Beziehung zu charakterisieren, als handelte es sich in um ein gemeinsames Werk, das ohne den gedanklichen Beitrag des anderen nicht vollständig sei.

So wie Gehlen später ausdrücklich die Verbrechen der Nazis verurteilte, so ist es, wie mir scheint, durchaus möglich, dass auch Adorno sich insgeheim bewegt hat, besonders angesichts der bildungsfernen Rabauken in den Hörsälen.
Und dass er spät erkannt haben mag, dass die anthropologische Methode seines Gegenübers doch erkenntnisreicher und realistischer ist, als die marxistische, die sich auf ein nie erreichbares, weil menschengemachtes Paradies ausrichtet.
Allerdings: Die Vorstellung, dass aus Adorno, dem Anwalt des Nicht-Identischen, ein reumütiger Vorreiter der Identitären Bewegung zu machen wäre, ist eine Pointe, die wohl jedem linken Philosophie-Seminaristen den kalten Schweiß auf die Stirn treiben muss.  Matussek