Gestern Abend zu Gast bei der Eröffnungsveranstaltung der "Moskauer Tage
in Berlin" im Festsaal des Roten Rathauses. Bevor sechs Solisten der
Moskauer "Helikon-Oper" zum Pianoforte beliebte Gassenhauer aus ehemals
auch zur Gänze populären Opern vortrugen, hielten Vertreter der beiden
Städte kurze Ansprachen. Für Moskau sprach der stellvertretende
Bürgermeister und Minister für Außenwirtschaftskontakte, Sergej
Tscherjomin, im Namen der deutschen Haupstadt stieg vor ihm Berlins
Staatssekretärin "für Bürgerschaftliches Engagement und
Internationales", Sawsan Chebli, in die Bütt. Ich bekam also erstmals
die Gelegenheit, Frau Chebli bei der Ausübung ihrer hoheitlichen
Tätigkeit zu hospitieren. Sie hatte kaum das Podium erklommen, da war
der Boden bereits mit Spänen aus dem städtepartnerschaftlichen
Phrasenhobel bedeckt, wobei unsere Steinmeier-Protegée natürlich nicht
vergaß, den Ukraine-Konflikt zu erwähnen. Ansonsten fiel keineswegs nur
mir auf, wie keck sie den Anlass nutzte, um von sich selber zu reden:
dass sie eine halbe Stunde vor der Veranstaltung mit dem
stellvertretenden Bürgermeister gesprochen habe und früher, in ihrer
Zeit im Außenministerium, auch schon da- und dorthin gereist sei. Nun,
dachte ich mir, vielleicht schenkt man ihr im Rathaus ansonsten nicht
genügend Aufmerksamkeit, und alsogleich ließ ich meine unsteten Blicke
von ihr fort auf Anton von Werners Gemälde "Der Berliner Kongreß von
1878" schweifen, auf welchem Bismarck Peter Graf Schuwalow die Hand
schüttelt, während der russische Staatskanzler Alexander Fürst
Gortschakow mit Benjamin Disraeli plaudert und die osmanischen
Abgesandten am rechten Bildrand den diplomatischen Katzentisch umstehen.
Nur Männer!, dachte ich indigniert, sofort die nächsthöhere Meta-Ebene
erklimmend, doch wie weit sind wir inzwischen gekommen! Immerhin hätte
Frau Barley damals nicht behaupten können, in ein Meer mausgrauer Anzüge
zu schauen...
Der musikalische Teil begann, die Solisten
wechselten einander auf der kleinen Bühne ab, und nach der dritten
Nummer, Laurettas "O mio babbino caro", nutze Frau Chebli den
Zwischenapplaus, um sich halbwegs diskret und mit einer bedauernden
Geste zu absentieren, kurz bevor der Tenor das zur Situation passende
"La donna è mobile" anstimmte. Nun stellte sich für alle
Zurückbleibenden die Frage, warum die saalweit einzige Trägerin eines
echten Operettentitels die Soiree schon verlassen hatte. Geschah es,
weil
1. ihr Köpfchen nach drei Nummern bereits rappelvoll mit Noten war (Joseph II.: "Zu viele Noten, Mozart")?
2. sie am späteren Abend noch wichtige Termine mit hohen Städtevertretern aus New York und Riad hatte?
3.
man sich, wie mir eine russische Begleiterin ins Ohr raunte, den
umgekehrten Fall vorzustellen habe, also eine Session mit
palästinensischer Musik, wo unsereins doch auch schnellstmöglichst dem
"Gejaule" hätte entfliehen mögen (was ich dementierte)?
4. eine
Anweisung von (noch weiter) oben vorlag, dass sie ihre
nolens-volens-Anwesenheit auf der Fete des Feindes keinesfalls zu sehr
ausdehnen und sich ostentativ zurückziehen solle?
Wie auch immer, die Russen, nicht nur die auf der Bühne,
bekamen eine Lektion erteilt, wer das heutige Deutschland repräsentiert. MK am 14.