Stationen

Donnerstag, 15. November 2018

Ethnologische Wandlung

Gestern Abend zu Gast bei der Eröffnungsveranstaltung der "Moskauer Tage in Berlin" im Festsaal des Roten Rathauses. Bevor sechs Solisten der Moskauer "Helikon-Oper" zum Pianoforte beliebte Gassenhauer aus ehemals auch zur Gänze populären Opern vortrugen, hielten Vertreter der beiden Städte kurze Ansprachen. Für Moskau sprach der stellvertretende Bürgermeister und Minister für Außenwirtschaftskontakte, Sergej Tscherjomin, im Namen der deutschen Haupstadt stieg vor ihm Berlins Staatssekretärin "für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales", Sawsan Chebli, in die Bütt. Ich bekam also erstmals die Gelegenheit, Frau Chebli bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit zu hospitieren. Sie hatte kaum das Podium erklommen, da war der Boden bereits mit Spänen aus dem städtepartnerschaftlichen Phrasenhobel bedeckt, wobei unsere Steinmeier-Protegée natürlich nicht vergaß, den Ukraine-Konflikt zu erwähnen. Ansonsten fiel keineswegs nur mir auf, wie keck sie den Anlass nutzte, um von sich selber zu reden: dass sie eine halbe Stunde vor der Veranstaltung mit dem stellvertretenden Bürgermeister gesprochen habe und früher, in ihrer Zeit im Außenministerium, auch schon da- und dorthin gereist sei. Nun, dachte ich mir, vielleicht schenkt man ihr im Rathaus ansonsten nicht genügend Aufmerksamkeit, und alsogleich ließ ich meine unsteten Blicke von ihr fort auf Anton von Werners Gemälde "Der Berliner Kongreß von 1878" schweifen, auf welchem Bismarck Peter Graf Schuwalow die Hand schüttelt, während der russische Staatskanzler Alexander Fürst Gortschakow mit Benjamin Disraeli plaudert und die osmanischen Abgesandten am rechten Bildrand den diplomatischen Katzentisch umstehen.





Nur Männer!, dachte ich indigniert, sofort die nächsthöhere Meta-Ebene erklimmend, doch wie weit sind wir inzwischen gekommen! Immerhin hätte Frau Barley damals nicht behaupten können, in ein Meer mausgrauer Anzüge zu schauen...

Der musikalische Teil begann, die Solisten wechselten einander auf der kleinen Bühne ab, und nach der dritten Nummer, Laurettas "O mio babbino caro", nutze Frau Chebli den Zwischenapplaus, um sich halbwegs diskret und mit einer bedauernden Geste zu absentieren, kurz bevor der Tenor das zur Situation passende "La donna è mobile" anstimmte. Nun stellte sich für alle Zurückbleibenden die Frage, warum die saalweit einzige Trägerin eines echten Operettentitels die Soiree schon verlassen hatte. Geschah es, weil

1. ihr Köpfchen nach drei Nummern bereits rappelvoll mit Noten war (Joseph II.: "Zu viele Noten, Mozart")?
2. sie am späteren Abend noch wichtige Termine mit hohen Städtevertretern aus New York und Riad hatte?
3. man sich, wie mir eine russische Begleiterin ins Ohr raunte, den umgekehrten Fall vorzustellen habe, also eine Session mit palästinensischer Musik, wo unsereins doch auch schnellstmöglichst dem "Gejaule" hätte entfliehen mögen (was ich dementierte)?
4. eine Anweisung von (noch weiter) oben vorlag, dass sie ihre nolens-volens-Anwesenheit auf der Fete des Feindes keinesfalls zu sehr ausdehnen und sich ostentativ zurückziehen solle?

Wie auch immer, die Russen, nicht nur die auf der Bühne,



bekamen eine Lektion erteilt, wer das heutige Deutschland repräsentiert.   MK am 14.