Herr, unsere tägliche Illusion gib uns heute.“
Gustav Stresemann (1878-1929)
Gustav Ernst Stresemann war der bekannteste Staatsmann und wirkmächtigste Politiker der Weimarer Republik. Stresemann erhielt sein erstes Mandat in Annaberg (Sachsen), war ab 1917 Partei- und Fraktionsvorsitzender der Nationalliberalen Partei und nach der Novemberrevolution und der Gründung der DVP deren Parteivorsitzender. Im Krisenjahr 1923 war er Reichskanzler und danach bis zu seinem Tod in unterschiedlichen Kabinetten Reichsminister des Auswärtigen. In seine kurze Zeit als Reichskanzler fallen das Ende der Ruhrbesetzung, Umsturzversuche der extremen Rechten und Linken sowie die Stabilisierung der deutschen Währung. Als Außenminister hat er insbesondere zur Normalisierung der Beziehungen zu Frankreich beigetragen. Sein Ziel war es, die außenpolitische Isolierung Deutschlands zu beenden und eine Revision des Versailler Vertrages auf friedlichem Weg zu erreichen. Maßgeblich war seine Mitwirkung unter anderem 1924 beim Zustandekommen des Dawes Planes oder bei den Verträgen, die während der Locarno-Konferenz 1925 abgeschlossen wurden. Dies trug zur Aufnahme des Deutschen Reiches in den Völkerbund 1926 bei. Im selben Jahr wurde ihm zusammen mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand der Friedensnobelpreis verliehen.
Stresemanns Weltbild ist von einem fast unglaublichen Sprektrum geprägt. Als Anhänger Bismarcks kannte er die Vorteile einer (konstitutionellen) Monarchie ebenso wie später das pragmatische Bekenntnis zur Republik. Das verbindende Element dazu war aus seiner Sicht schlicht Realpolitik. Nicht die Dogmatik einer Illusion bestimmte sein Handeln sondern die Einsicht in das politisch Machbare. Die jugendliche Überzeugung, der deutschen Flotten- und Kolonialpolitik das Wort zu reden, stand in keinem Widerspruch zur späteren Unterstützung von weitreichenden Sozialmaßnahmen für die deutsche Arbeiterschaft.
Im Reichstag erklärte er, das politische Zurückbleiben Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten habe mit einem Fehler im politischen System zu tun gehabt. Alle öffentlichen Posten sollten allein nach der Leistung vergeben werden. Die in Versailles beschlossene Friedensordnung lehnte Stresemann ab. Er sah in diesem Vertrag die Entehrung Deutschlands. Bezüglich der neuen deutschen Ostgrenzen waren es Zweifel an der historischen Richtigkeit und sicherheitspolitische Überlegungen gegenüber Polen, die ihn zum Gegner der Regelungen werden ließen. Trotz dieser Positionen war er aber nicht bereit, die Verantwortung für ein Scheitern der Verhandlungen zu übernehmen, die unzweifelhaft eine militärische Intervention der Alliierten nach sich gezogen hätte. Er kam zu der Einsicht, dass die Wahrung und Durchsetzung deutscher Interessen nicht gegen, sondern nur auf der Grundlage der neuen Friedensordnung zu erreichen waren. Eine Verbesserung der deutschen Lage wollte er durch eine Verständigung mit den Westmächten, insbesondere mit Frankreich, suchen.
„Man kämpft nicht nur mit dem Schwert, sondern auch mit dem Herzen.“
Eine Woche nach dem Hitler-Putsch 1923 führte das Kabinett Stresemann die Rentenmark ein. Mit Hilfe dieses Provisoriums gelang es, den Kursverfall der deutschen Währung gegenüber dem US-Dollar zu stoppen. Das Wechselkursverhältnis von 4,2 Mark zu einem Dollar, wie es in der Vorkriegszeit bestanden hatte, war wieder hergestellt.
Zentrale Elemente von Stresemanns Außenpolitik waren die Verständigung mit den Siegermächten des Ersten Weltkrieges auf der einen Seite und die Anerkennung Deutschlands als gleichberechtigter Akteur auf der internationalen Bühne auf der anderen Seite. Für ihn waren die internationale Zusammenarbeit und die Verfechtung nationaler Interessen im wirtschaftlichen Bereich kein Widerspruch. Zur Durchsetzung der deutschen Positionen, insbesondere mit dem Ziel der Gleichberechtigung Deutschlands, hielt er Formen internationaler Kooperation zielführender als nationale Drohgebärden oder gar Krieg.
Im Februar 1925 richtete Stresemann ein Memorandum an Frankreich, das einen Sicherheitspakt zwischen England, Frankreich, Deutschland und Italien mit den USA als Garantiemacht vorsah. Frankreichs Außenminister Aristide Briand ging sofort darauf ein. Auch international stieß der Vorstoß auf Unterstützung. Dies führte schließlich zur Konferenz von Locarno. Das Vertragswerk von Locarno vom Oktober 1925 war ein großer Erfolg auch für die Politik Stresemanns. Beide Politiker erhielten dafür 1926 den Fiedensnobelpreis.
Auch nach der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund wurde Stresemann jedoch eine weitreichende Anerkennung seiner Außenpolitik versagt; er wurde vielmehr als „Erfüllungspolitiker“ beschimpft und zum Todfeind der Nationalsozialisten.
„Nur der Geist, der unverrückbar an ein fernes schönes Ziel glaubt, vermag die Lebenskraft sich zu erhalten, die ihn über den Alltag hinwegführt.“
Es ist ein Anachronismus, dass die „zu seinen Lebzeiten weltweit bekannteste und geachtetste deutsche Politikerpersönlichkeit“ (Eberhard Kolb) im politischen Berlin heute wenig Beachtung findet. Kein Denkmal, kein Museum, nur ein paar verschämte Straßen tragen seinen Namen.
Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, liberal-konservative Werte der deutschen Gesellschaft wieder zu beleben, die europäische Freundschaft auf der Grundlage souveräner Vaterländer zu entwickeln und mit dem Ende der moralischen Dogmatik des Wünschbaren der Realpolitik wieder die zentrale Gestaltungskraft zurückzugeben. All diese Elemente (und noch viele mehr) finden sich im Wirken Stresemanns in idealer Weise vereint. Die Gustav-Stresemann-Stiftung kann dem Gedenken ihres Namengebers in vielfältiger Weise Rechnung tragen. Bildungswerk, Akademie, Auslandsarbeit, Stipendien – durch das breite Spektrum von Stresemanns Arbeit, seiner international beachteten Verdienste und dem konstruktiven Anspruch an heutige Politik sind den Aufgaben kaum Grenzen gesetzt.
„Es ist ein politischer Paukenschlag!“ (FAZ)
„Lob von der falschen Seite wäre fatal, wenn es nicht aufgewogen würde durch Tadel von der richtigen.“ stresemann-stiftung
ZDF-Dokumentation