Seit 55 Jahren warte ich darauf, endlich einmal auf eine kluge Überlegung zum Thema Sexualität zu stoßen. Voraussetzung hierfür wären drei Dinge, die bisher nicht gegeben sind:
1. Das Bewusstsein, dass der Wert der Keuschheit nicht durch die Geschichte der Jungfrauengeburt in den Evangelien in die Welt kam, sondern bereits 700 Jahre zuvor zu den Pflichten der Vestalinnen gehörte, die lebendig begraben wurden, wenn sie sich nicht daran hielten. Allein die Tatsache, dass der Stellenwert der Keuschheit in einer Hochkultur so extrem hoch angesetzt werden kann, ist ein Anzeichen, dass es sich hier vermutlich um eine anthropologische Konstante handelt, die ein sehr wirkmächtiges Sacrum ist, dem rational nicht beizukommen ist und schon gar nicht mit gedankenlosen Schlussfolgerungen, wie sie vor 55 Jahren üblich waren, als die Sexualität durch Einführung des massenhaften Gebrauchs der Antibabypille eine Art neuer Genussdroge für alle Erwachsenen wurde, deren Volljährigkeit auch noch herabgesetzt wurde.
2. Eine plausible Theorie über das Entstehen der sehr singulären Sexualität von Bonobos und Menschen. Bei Säugetieren wäre Keuschheit in den meisten Fällen ja überflüssig, weil der Trieb nur in der Brunftzeit ein oder zwei mal im Jahr treibt.
3. Die Einsicht, dass, je mehr Erfüllung die sexuellen Wünsche erfahren, desto mehr der sexuelle Appetit in den meisten Fällen nicht etwa abnimmt, sondern wächst; weshalb die sexuelle Praxis des Menschen immer behutsam in ein kluges Ensemble kultureller Leitideen und Gepflogenheiten eingebettet werden sollte, nie separat betrachtet werden darf und schon gar nicht als zentraler Mittelpunkt kulturellen Handelns gelten sollte.
Jedenfalls ist mir die Überheblichkeit, mit der in der Gegenwart über die Bräuche und Gepflogenheiten unserer Vorfahren geurteilt wird seit langem zuwider. Bisher ist Jordan Peterson der einzige, der sich angemessen zur Sexualität äußert. Vor 55 Jahren hätte ich nie gedacht, dass gesunder Menschenverstand so selten sein könnte, wie er tatsächlich ist. Immerhin ist nach Jahrzehnten des von übergeschnappten Sexuologen (diesen spezialisierten Experten, die am allerwenigsten in der Lage sind, sich qualifiziert über die Bedeutung und die existentiellen Bedingungen der menschlichen Sexualität zu äußern, weil Engstirnigkeit nicht nur ihre Berufskrankheit zu sein scheint, sondern die Voraussetzung ihrer Berufswahl) geprägten Deliriums nun eine Art Atempause zu beobachten, und die Überlegungen von Heinz Scholl deuten auf eine fruchtbare Verunsicherung.
Sonntag, 23. Juni 2024
Sexualität
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