Herr Fleischhauer, Klappe halten und
U‐Boote liefern: Auf diese Formel haben Sie einmal die von Ihnen
favorisierte Israelpolitik der Bundesregierung gebracht. Wie sehen Sie
das heute?
Noch ganz genauso. Es gibt in Deutschland die
seltsame Obsession, unbedingt Frieden in Israel stiften zu wollen. Bei
keinem Konflikt um uns herum fühlen wir uns so berufen, Ratschläge,
Belehrungen und Ermahnungen zu erteilen wie bei dem im Nahen Osten. Auch
wenn wir Deutsche uns gerne als moralische Führungsmacht sehen, sollten
wir uns mit der Erziehung Israels ein bisschen zurückhalten.
Viele Politiker sehen das anders und sagen: Gerade wir als Deutsche haben die Verpflichtung, Israel zu kritisieren.
Ja,
das ist Mainstream in der Politik. Aber wenn man es ernst nimmt mit der
deutschen Geschichte, dann sind alle anderen Nationen um uns herum
besser geeignet, sich einzumischen, als wir. Zumal wir ja selten den
Palästinensern sagen: »Freunde, lasst das mal mit den Terroranschlägen!«
Ich persönlich habe das noch nicht gehört. Die Rolle des Aggressors ist
in der deutschen Öffentlichkeit fast immer mit dem Staat Israel
besetzt. Manchmal haben die oberlehrerhaften Belehrungen aber auch etwas
unfreiwillig Komisches.
Wie meinen Sie das?
Na
ja, viele Deutsche drehen schon durch, wenn der Nachbar versehentlich
den Rasen betritt. Aber die Israelis sollen »verhältnismäßig« reagieren
und »deeskalieren«, wenn 30.000 Palästinenser aus dem Gazastreifen in
Richtung israelischer Grenze marschieren und sie niederreißen wollen.
In Israel ist folgender Ausspruch
ein geflügeltes Wort: »Wenn man wissen will, was im Nahen Osten zu tun
ist, muss man nur die Europäer um Rat fragen – und dann das genaue
Gegenteil ihrer Antwort tun« …
… würden die Israelis auf die
Europäer und die Deutschen hören, gäbe es das Land bald nicht mehr. Seit
1945 versuchen wir in Deutschland, auf der richtigen Seite der
Geschichte zu stehen. Das ist zunächst einmal nachvollziehbar und ja
auch nicht unsympathisch. Aber aus dem Satz »Nie wieder!« folgt meiner
Meinung nach ein militärisch starkes Israel, nicht eines, das bei der
ersten Attacke der Nachbarn in die Knie geht. Waffen‐ und
U‐Boot‐Lieferungen sind so gesehen existenziell wichtig. Israel ist
umgeben von arabischen Staaten, die den Tag herbeisehnen, an denen sie
alle Juden ins Meer treiben. Das blendet man bei uns gerne aus.
Stattdessen heißt es, die Israelis würden die Palästinenser
unterdrücken.
Wie erklären Sie sich diese Einseitigkeit?
Es
ist eine Art Umschuldungsmechanismus. Deutschland versucht, aus dem
Schatten der Geschichte herauszutreten, indem man die Opfer von damals
zu Tätern erklärt. Davon abgesehen, gibt es das Mitleid mit dem
schwächeren Volk, den Palästinensern. Das ist ja zunächst durchaus
löblich. Was dabei allerdings übersehen wird, ist, dass es kein anderes
Volk weltweit gibt, das über die vergangenen Jahrzehnte so viel
Fördergelder erhalten hat wie die Palästinenser. Leider sind diese
Gelder nicht in Bildung oder den Bau einer vernünftigen Infrastruktur
gegangen, sondern in den Bau der Villen der Fatah‐Funktionäre.
In den deutschen Medien wird das nur ganz selten thematisiert. Wie bewerten Sie die Israel‐Berichterstattung?
Die
meisten Journalisten sind links eingestellt, das heißt, ihr Herz
schlägt für Rot oder Grün. Je weiter sie nach links tendieren, desto
mehr gehört Israelbashing zum guten Ton.
Gibt es ein konkretes Beispiel, an dem Sie das festmachen können?
Der
neue Außenminister Heiko Maas hat vor ein paar Wochen bei seinem Besuch
in Israel erkennbar andere Akzente als sein Vorgänger Sigmar Gabriel
gesetzt. Das kam nicht so gut an. Der überwiegende Tenor in den
Kommentarspalten war: Maas biedere sich an und geriere sich als
Israelfreund. Gabriel hingegen hatte auf seiner Israelreise im
vergangenen Jahr demonstrativ den Streit mit Israel gesucht – wofür er
viel Lob einfuhr. Ich fand Gabriels Auftritt bizarr, gerade auch, wenn
man seine Familiengeschichte in Rechnung stellt.
Sein Vater war Nazi und Schoa‐Leugner.
Es
ist eine sehr deutsche Biografie. Sigmar Gabriel hat stark unter seinem
gewalttätigen Vater gelitten, der zeitlebens Nazi blieb, auch noch
lange nach Kriegsende. Warum ausgerechnet Gabriel den Eindruck hatte, er
müsse der israelischen Regierung mal so richtig die Meinung geigen,
kann man vermutlich nur individualpsychologisch erklären.
Nun ist der »Spiegel« auch nicht
gerade für seinen fairen Umgang mit Israel bekannt. Wenn über Israel
berichtet wird, dann mit großer Wahrscheinlichkeit einseitig und nicht
selten auch feindselig.
Ich weiß nicht, ob wir uns beim Thema
Israel so sehr von anderen Redaktionen unterscheiden. Es gibt Leute wie
mich, die zum Beispiel finden, dass es ein Problem ist, wenn man über
eine Million Menschen nach Deutschland holt, die von klein auf gelernt
haben, dass der Jude die Wurzel allen Übels sei. Und dann gibt es
Kollegen, die das sehr viel weniger problematisch sehen. Beides wird
gedruckt.
Bei Spiegel Online aber gibt es
regelmäßig Überschriften mit Täter‐Opfer‐Umkehr und
Terror‐Verharmlosungen wie: »Zwei Palästinenser im Westjordanland
getötet.« Dabei handelte es sich um einen terroristischen Angriff auf
israelische Soldaten, bei dem sie selbst getötet wurden.
Wir
können uns sofort darauf einigen, dass eine andere Headline besser
gewesen wäre. Aber nicht in jeder misslungenen Überschrift drückt sich
gleich unterschwelliger Antisemitismus aus. Manchmal wird die Headline
von der dpa übernommen, manchmal ist die Ungenauigkeit der Eile des
Geschäfts geschuldet.
Womöglich drückt sich hier auch die Fixierung auf das Leid der Palästinenser aus?
Die
Lesart, dass der arme Palästinenser von der Gesellschaft quasi zu
Attentaten getrieben wird, finden Sie in der gesamten westlichen Welt.
Für Menschen, die sich politisch eher links der Mitte verorten, ist
jeder Täter irgendwie ein Opfer der Verhältnisse. Das Böse ist stets ein
Produkt der Gesellschaft. Deshalb braucht es ja auch nur eine Änderung
der gesellschaftlichen Umstände, damit alle in Frieden leben können.
Welche Reaktionen erhalten Sie von Lesern, wenn Sie über Israel schreiben?
Die
typische Reaktion ist der beleidigte Oberstudienrat, der sagt, es sei
unsere moralische Pflicht, sich beim Thema Israel einzumischen.
Besonders die Zeile mit den U‐Booten und der Aufrüstung Israels hat für
Kritik gesorgt. Aber wenn Solidaritätsbekundungen mit Israel nicht nur
Sonntagsreden sein sollen, muss man eben auch U‐Boote liefern, das ist
nun einmal meine feste Auffassung.
Wenn man in die Archive des
»Spiegel« blickt und sich die Israel‐Berichterstattung der vergangenen
Jahrzehnte anschaut, stellt man überrascht fest, dass die Artikel bis
1968 ausgesprochen pro‐israelisch waren. Dann kippte die Stimmung.
Das Epochenjahr 1968 ist in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt, auch, was das Verhältnis zu Israel angeht.
Was genau kam da ins Rutschen?
Das
erste Attentat, das sich nach 1945 in Deutschland wieder gegen Juden
richtete, ist nicht von Ex‐Nazis oder der NPD ausgeführt worden, sondern
von Dieter Kunzelmann, dem Kopf der Berliner Tupamaros, einer
linksradikalen Splittergruppe. Sein Anschlag auf das Jüdische
Gemeindehaus in Berlin war der Versuch, erstmals nach dem Krieg Juden
umzubringen, weil sie Juden sind. Die Erklärung von Kunzelmann war: »Wir
müssen den Judenknax überwinden!« Zum Glück scheiterte der Anschlag,
weil der Zünder nicht funktionierte. Nun war Kunzelmann ein linker
Spinner. Aber dass er in besonders radikaler Form etwas artikulierte,
was so oder so ähnlich auch andere dachten, die aus der
Studentenbewegung hervorgegangen waren, ist evident.
Woran machen Sie das fest?
Der
Antikapitalismus, den sich die 68er auf die Fahne geschrieben hatten,
bediente sich einer Reihe antisemitischer Stereotype. Da ist die
übersteigerte Kritik an der Wall Street, die dem ehrlichen Arbeiter
angeblich keine Luft mehr zum Atmen lässt, die Unterscheidung zwischen
dem »schaffenden« und dem »raffenden« Kapital, wie man sie aus
NS‐Propagandafilmen kennt, die Figur des hässlichen Bankers mit
Glubschauge und Hakennase. Das zieht sich bis heute durch. Wenn auf dem
israelfeindlichen Al‐Quds‐Tag in Berlin auch Linken‐Politiker
teilnehmen, obwohl dort »Tod Israel!« gerufen wird, schließt sich der
Kreis.
Dabei waren die 68er angetreten, die Taten der Eltern aufzuarbeiten und ein demokratisches Deutschland zu schaffen.
Es
ist angeblich das große Verdienst der 68er, dass sie mit dem Dritten
Reich aufgeräumt hätten. Ich halte das für einen riesigen Mythos. Wenn
man in die Archive steigt und schaut, was der Beitrag der 68er zur
wissenschaftlichen Beschäftigung mit der NS‐Zeit und dem Holocaust ist,
kommt man mit leeren Händen zurück. Ich habe mir mal den Spaß gemacht
und die Ausgaben des »Kursbuches« durchforstet, des Ideengebers der
Studentenbewegung. Zum Dritten Reich finden Sie in den ersten zehn
Jahresbänden einen einzigen Artikel, anlässlich des Auschwitz‐Prozesses
in Frankfurt. Die Nazis kamen bei den 68ern ständig vor, aber nur als
Symbol für alles, was man ablehnte. Was genau den Nationalsozialismus
ausmachte, konnte kaum einer der Bewegungsteilnehmer sagen. Das zu
erkunden, blieb den Nachfolgern vorbehalten.
Setzt sich dieser Geist bis heute fort?
Die
Gleichung ist ganz einfach: Israel ist böse. Und die arabischen Staaten
sind erstens Opfer des Westens und zweitens Leidtragende des jüdischen
Stellvertreterstaates im Nahen Osten. Also doppelt unschuldig. Nein,
Israel genießt nicht wahnsinnig viele Sympathien in deutschen Medien.
Ein bisschen was trägt Benjamin Netanjahu mit seiner »In your
Face!«-Politik dazu bei. Der Rest sind Ressentiments, eine Unkenntnis
der Lage vor Ort sowie falsche Schlussfolgerungen aus der Geschichte.
Das Gespräch mit dem
»Spiegel«-Redakteur und Autor des Buches »Unter Linken. Von einem, der
aus Versehen konservativ wurde« führte Philipp Peyman Engel.
Jetzt im Advent findet sich bestimmt wieder ein deutscher Journalist, der in Bethlehem einen Palästinenser interviewt, der Sharons Terrorschutzmauer mit der einkerkernden Mauer von Berlin gleichsetzt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.