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Samstag, 16. Mai 2020

Bevor Carlos Quintero Rom plünderte

Bis heute ist mit dem Deutschen Bauernkrieg, der zwischen 1524 und 1526 Teile des Reiches in Aufruhr versetzte, der Name Florian Geyer und seines Schwarzen Haufens verbunden. Der Reichsritter aus dem fränkischen Adelsgeschlecht Geyer von Giebelstadt rüstete zu Beginn der Unruhen 100 bis 200 Mann auf eigenen Kosten aus. Ihre schwarze Kleidung gab seinem Heerhaufen fortan den Namen.
Durch seine Ausbildung konnte der Ritter seinen Männern auch militärische Grundfähigkeiten beibringen. So waren sie im Vergleich zu anderen Bauernarmeen dieser Zeit besser ausgebildet und ausgerüstet. Durch sein Verhandlungsgeschick konnte Geyer einige Städte im Gebiet des heutigen Baden-Württembergs zur Aufgabe gegenüber der anwachsenden Bauernheere bewegen. Mit der Zeit stießen weitere Trupps zu Geyer und seinen Männern und so schwoll ihre Zahl auf bis zu 10.000 Aufständischen an.
Dabei waren die Bauernheere keinesfalls eine Armee im klassischen Sinne. Vielmehr waren es temporäre Zusammenschlüsse verschiedener regionaler Kontingente, die unter dem Kommando ihrer jeweiligen Anführer standen. Ein koordiniertes Vorgehen fehlte ebenso wie eine langfristige Strategie. Bewaffnet waren sie oft nur mit dem, was sie auf ihren Höfen vorfanden: Äxte, Mistgabeln, Dreschflegel.

Geyer hoffte, die Erhebung würde zu einer Reichsreform führen, die die Beseitigung der geistlichen und adligen Vorrechte zur Folge habe. Die angestrebten Veränderungen sollten sich an den Lehren des Reformators Martin Luther orientieren, der in Teilen des Volkes beliebt war. Doch wegen Geyers adliger Herkunft blieben seine Gefolgsleute ihm gegenüber stets mißtrauisch.
Daher konnte er sein Bauernheer auf Dauer nicht kontrollieren. Plünderungen, Brandschatzungen, sinnlose Zerstörungswut und Gewalt hielten mit dem Schwarzen Haufen und den ihn begleitenden Bauerntruppen Einzug. So gingen beispielsweise die Schlösser von Öhringen und Mergentheim sowie mehrere reiche Klöster in Flammen auf. Auch bei der sogenannten Weinsberger Bluttat im April 1525 war der Schwarze Haufen dabei.
Die anfänglichen Erfolge erwiesen sich für den Heerhaufen der aufständischen Bauern als zweischneidiges Schwert. Da ihnen immer mehr Orte in die Hände fielen, hatten sie genug Nahrung und auch Zugang zu Wein, was die Disziplinlosigkeit noch weiter steigerte. Zudem verließen Teile der Bauern ihre Haufen und gingen nach Hause, wenn sie ihre Ziele verwirklicht sahen.

Um zu verhindern, daß der Aufstand so in sich zusammenfiel, setzten die Bauern einen weiteren Reichsritter, Götz von Berlichingen, unter Druck, die Führung des Odenwalder Bauernhaufens zu übernehmen. Zuvor hatte der Adlige sich nur widerwillig dem Aufstand angeschlossen.
Die Bauern unter Geyer und von Berlichingen zogen weiter nach Würzburg. Zwar gelang es ihnen, die Stadt ab dem 7. Mai zum größten Teil zu besetzen, doch die Feste Marienberg konnten sie nicht erobern. Sie wurde von Truppen des zuvor nach Heidelberg geflohenen Erzbischofs gehalten. Am 15. Mai sollte ein Sturmangriff der Bauern die Entscheidung erzwingen. Doch die Verteidiger schlugen die Bauern als ein Entsatzheer des Schwäbischen Bundes zu ihrer Hilfe eintraf. Der Schwarze Haufen erlitt bei dieser Niederlage schwere Verluste.
Geyer zog sich mit seinen verbliebenen Männern zurück. Anfang Juni wurden sie und weitere Bauern vom Heer des Schwäbischen Bundes bei Ingolstadt schließlich zum Kampf gestellt. Hier zeigte sich erneut, daß die Bauern gegen professionelle Söldner keine Chance hatten. Angesichts der überlegenen Truppen der Adligen gerieten sie in Panik und suchten das Weite. Laut zeitgenössischer Überlieferungen verloren in einer Stunde bis zu 4.000 Bauern ihr Leben, als sie auf der Flucht niederstreckt wurden.
Die wenigen Überlebenden schlossen sich zunächst noch den Gaildorfer Bauern an. Doch die immerhin 7.000 Mann lösten sich bereits kurz darauf auf, als sie die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erkannten. Geyer ereilte wenige Tage später am 9. Juni 1525 unter letztlich nie ganz aufgeklärten Umständen der Tod. Vermutlich wegen Differenzen mit seinem Schwager Wilhelm von Grumbach töteten ihn dessen Knechte in der Nähe von Würzburg.
Im 20. Jahrhundert erfuhr das Andenken an Geyer eine Renaissance. So entstand 1920 das Volkslied „Wir sind des Geyers Schwarzer Haufen“. Im Dritten Reich erhielt die 8. SS-Kavalleriedivision der Waffen-SS den Namen des Bauernanführers. Auch in der DDR war Geyer populär, wie die Benennung von Straßen und Landwirtschaftlicher Produktionsgemeinschaften zeigte. Auch ein Regiment der Grenztruppen war nach ihm benannt.
Im Sommer 1525 begann sich das Blatt gegen die Bauern zu wenden. Während im Südwesten die alte Ordnung wieder hergestellt wurde, stand die Entscheidung in Thüringen, dem Herzland der Reformation, noch aus. Dort leistete Thomas Müntzer, ein Weggefährte Luthers, mit seinen Anhängern noch Widerstand.




Was als Aufbegehren gegen die adlige Obrigkeit begann, verselbständigte sich rasch in unkontrollierbare Raubzüge der Bauern (die anders, als gemeinhin erzählt wird, damals eben gerade nicht im Elend lebten) im südlichen Teil des Deutschen Reiches. Im Rückblick mag es überraschen, wie es den Aufständischen im Bauernkrieg ab 1524 gelingen konnte, eine Reihe von Städten unter ihre Kontrolle zu bringen und über mehrere Monate plündernd durch die Lande zu ziehen. Dabei kam ihnen die Auseinandersetzungen des deutschen Kaisers Karl V. zugute.

Denn die Kämpfe auf dem italienischen Kriegsschauplatz banden dort zu jener Zeit die Truppen des Habsburgers. Die fehlten im Reich, um dort die Unruhen im Keim zu ersticken. Nach dem Sieg Karls bei Pavia am 24. Februar 1525 kehrten die nun beschäftigungslosen Veteranen wieder nach Norden zurück. Im Auftrag der Schwäbischen Reichsstände warb der Truchseß von Waldburg, Georg von Waldburg-Zeil, die ins Reich strömenden Landsknechte für den Kampf gegen die Bauern an. Zuvor hatte er mit unterlegenen Kräften die offene Schlacht gegen die Bauernhaufen vermieden und hatte sie durch Verhandlungen hingehalten. Doch im Frühjahr 1525 konnten die Werber des Truchseß aus den Vollen schöpfen und genügend Söldner verpflichten. Die deutschen Landsknechte waren im 15. und 16. Jahrhundert als Söldner in ganz Europa wegen ihrer disziplinierten Kampfweise geschätzt, auch wenn sie bei ausbleibendem Sold zu Plünderungen neigten. Mit ihren Piken, Schwertern und frühen Handfeuerwaffen waren die gerüsteten Kämpfer den ungeordneten Bauernhaufen weit überlegen.
Georg von Waldburg-Zeil machte sich mit seinem Söldnerheer daran, in Schwaben die Bauernhaufen nach und nach zu zerschlagen. Er verfolgte auch die fliehenden Bauern bis in ihre Dörfer, ließ sie foltern und hinrichten. Wegen seines selbst für die damalige Zeit harten Vorgehens, bekam er bald den Spitznamen Bauernjörg.

Während im Südwesten des Reiches der Aufstand niedergeschlagen wurde, hatte sich Thüringen nicht nur zum Zentrum der Reformation, sondern auch zu einem Widerstandshort der Bauern entwickelt. Eine besondere Rolle kam dabei dem Theologen und Revolutionär Thomas Müntzer zu.
Müntzer, ein Weggefährte von Martin Luther, war mit Fortschreiten der einsetzenden Reformation immer radikaler geworden. Nach seiner Auffassung erfahre nur das einfache Volk Gott. Priester und Obrigkeit geißelte er als Gottlose, die bekämpft werden mußten.
Unter Berufung auf die Bibel legitimierte er den Bauernaufruhr. „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ (Mt. 10,34), predigte er. Noch deutlicher wurde Müntzer, als er aus der Heiligen Schrift ableitete: „Ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben, wo er die Frommen behindert […] wie uns essen und trinken ein Lebensmittel ist, so ist es auch das Schwert, um die Gottlosen zu vertilgen.“ In diesem Glauben führte ihn sein Weg nach Frankenhausen, wo es am 16. Mai 1525 zu einer der bedeutendsten Schlachten des Bauernkrieges kam.
In der Stadt hatten sich Ende April neben den Bauern auch die Kleinbürger und Salzarbeiter erhoben. Sie erhielten Zulauf aus der Region und schon bald sammelten sich dort rund 4.000 Mann. Die Grafen von Schwarzburg und Stollberg unterwarfen sich den Aufständischen. Angespornt wurden sie von Müntzers Ankündigung, mit weiteren 10.000 Mann nach Frankenhausen zu ziehen. Jedoch traf der Prediger am 11. Mai nur mit einem 300köpfigen Aufgebot ein, das unter der Regenbogenfahne marschierte. Sie sollte den Bund Gottes mit seinem auserwählten Volk symbolisieren, wie er sich nach der Überlieferung der Sintflut im Alten Testament gezeigt hatte (aber Noah war gar kein Jude!! Der Regenbogen symbolisiert nicht den Bund des auserwählten Volkes mit Gott, sondern ein Verprechen Gottes gegenüber der Menschheit).
Weitere Verstärkung für die Aufständischen blieb aus. Denn inzwischen führten Landgraf Philipp von Hessen und Herzog Georg von Sachsen bereits ihre Truppen heran, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Zwar gelang es den Bauern am 14. Mai noch drei Angriffe eines hessisch-braunschweigischen Heeres abzuwehren, doch sie ließen die Gelegenheit ungenutzt, dem Feind nachzustellen.

Landgraf Philipp hatte Müntzer und seine Männer offensichtlich zunächst unterschätzt. Er bot daraufhin Verhandlungen über einen Abzug der Bauern an, wenn sie ihm den Theologen auslieferten. Währenddessen nutzte er die Gelegenheit, ließ seine Geschütze in Stellung bringen und wartete auf weitere Einheiten. Die Bauern hatten nach ihren Anfangserfolgen eine Wagenburg außerhalb der Stadt gebildet und sich dort verschanzt.
Am 15. Mai war die Streitmacht Philipps bei voller Stärke und bereit zum Angriff. Seinen 6.000 Landsknechten und Reitern standen 8.000 Bauern gegenüber, die zumeist nur mit Sensen, Sicheln und Dreschflegeln bewaffnet waren. Immerhin hatten sie 15 Geschütze in ihren Besitz bringen können. Zunächst herrschte noch Uneinigkeit, ob man das Angebot des Adligen annehmen und Müntzer ausliefern sollte. Sie entschieden sich dagegen und der revolutionäre Theologe wandte sich mit einer Predigt an die Männer.
Trotz mangelhafter Bewaffnung würden sie den Sieg davontragen, versprach er den Bauern. Wie schon David über Goliath triumphierte, so würden auch sie ihre Feinde zerschlagen. „Laßt euch nicht erschrecken und greift die Feind kühnlich an, dörft das Geschütz nit förchten“, rief er ihnen zu. „Ja ihr sehent, daß Gott auf unser Seiten ist, denn er gibt uns jetzund ein Zeichen. Sehent ihr nicht den Regenbogen am Himmel? Der bedeut, daß Gott uns, die wir den Regenbogen im Banner führen, helfen will und dreuet den mördrischen Fürsten Gericht und Strafe. Darum seind unerschrocken und tröstet euch göttlicher Hilf und stellt euch zu Wehre“, appellierte er an ihren Kampfgeist.
Doch als der Angriff der Landsknechte mit Artilleriebeschuß begann, war vom Widerstandswillen der Bauern nicht mehr viel übrig. Die Attacke der fürstlichen Infanterie und Reiter traf sie unvorbereitet und Panik brach aus. Statt ihre Position zu halten, versuchten die Aufständischen, zu fliehen. Was folgte, war ein Gemetzel.
Schätzungen gehen davon aus, daß mindestens 6.000 Bauern an dem Tag zumeist ohne Gegenwehr beim Fluchtversuch getötet wurden. Nur wenige stellten sich überhaupt dem Feind. Einige gelangten noch in die Stadt, nur um dort in der Falle zu sitzen. Von insgesamt 600 Gefangenen ließen die Sieger noch am gleichen Tag 300 hinrichten. Unter den Gefangenen befand sich auch Thomas Müntzer, der von Landgraf Philipp an den Grafen Ernst von Mansfeld übergeben wurde und ihm nun ausgeliefert war. Hybris wird nicht nur von Gott bestraft, sondern von den Göttern. Und wenn die gerade unabkömmlich sind, vom Schicksal.



Als der Reformator und Bauernprediger Thomas Müntzer in der zweiten Maihälfte 1525 im thüringischen Heldrungen eingekerkert war, neigte sich eine bemerkenswerte Biographie ihrem Ende zu. Dem Mittdreißiger mußte klar gewesen sein, daß er für seine Rolle im Deutschen Bauernkrieg mit dem Leben bezahlen würde. Denn die Obrigkeit im Reich ließ keinen Zweifel aufkommen, wie sie mit den Aufständischen zu verfahren gedachte.
Nach der verlorenen Schlacht von Frankenhausen war Müntzer als einer der wenigen Überlebenden des Bauernhaufens von den Landsknechten der Adligen gefangen genommen worden. Durch die Folter sollte der Reformator zunächst dazu gebracht werden, seine Überzeugungen, wonach das einfache Volk sich gegen die Obrigkeit auflehnen sollte, zu widerrufen. Doch er blieb standhaft.
Der 1513 zum Priester geweihte Müntzer, der 1521 eine ehemalige Nonne heiratete, gab sich keinen Illusionen über die Erfolgsaussichten des Aufstands mehr hin. In seinem Abschiedsbrief rief er die Bauern dazu auf, das Blutvergießen zu beenden. Dabei dürfte er noch unter dem Eindruck des eigenen Schlachterlebnisses gestanden haben, das ihm die Chancenlosigkeit der schlecht bewaffneten Rebellen gegen professionelle Soldaten vor Augen geführt hatte. In Erwartung seiner Strafe vertraute er sein Leben seinem Schöpfer an. So heißt es in seinen letzten Zeilen: „Nachdem es Gott also wohlgefällt, daß ich von hinnen scheiden werde in wahrhaftiger Erkenntnis des göttlichen Namens“.

Am 27. Mai wurde Thomas Müntzer vor den Toren der Stadt Mühlhausen hingerichtet. Nachdem er enthauptet wurde, spießte man seinen Körper und seinen Kopf auf Pfähle und stellte sie zur Abschreckung auf.

Der vormals von ihm bewunderte Reformator Martin Luther fällte ein vernichtendes Urteil über ihn. Der Begründer des Protestantismus nannte Müntzer vor dessen Tod den „Erzteufel, der zu Mühlhausen regiert und nichts denn Raub, Mord, Blutvergießen anrichtet“. Zuvor hatte Müntzer wiederum Luther vorgeworfen, daß er „durch den Diebstahl der heiligen Schrift die Christenheit also ganz jämmerlich besudelt hat“. Denn Luther hatte die radikale Lehre Müntzers und den Aufruf zum Kampf gegen die Herrscher nicht mitgetragen.
Nach Schätzungen verloren im Deutschen Bauernkrieg bis zu 75.000 Menschen ihr Leben. Die überlebenden Aufständischen mußten die Strafgerichte ihrer Landesherren fürchten. Wer als einfacher Teilnehmer der Erhebung nur ein Bußgeld zahlen mußte, war gut bedient. Oft bestanden die Strafen in Verstümmelungen wie Augenausstechen oder Fingerabschlagen. Als Kollektivstrafen büßten Orte ihre Rechte ein, wenn sie im Verdacht standen, den Aufstand unterstützt zu haben. Waffen mußten abgeliefert werden, Feste und der Besuch der Dorfschenken wurde verboten.

Wie schon der Bauernanführer Florian Geyer erlebte auch Thomas Müntzer im 20. Jahrhundert eine kurzzeitige Renaissance. Marxistische Historiker in der DDR bemühten sich darum, ihn als radikalen Revolutionär zu stilisieren und im Sinne ihrer Ideologie zu vereinnahmen. Ihrer Deutung nach habe Müntzer danach gestrebt, eine klassenlose Gesellschaft zu verwirklichen. So deuteten Marxisten den Deutschen Bauernkrieg als frühbürgerliche Revolution.
Doch dabei handelte es sich um eine irrige Annahme. Denn ein Blick auf die Ereignisse der Jahre 1524-1525 zeigt, daß die unterschiedlichen Bauernhaufen noch nicht einmal untereinander eine dauerhafte Vereinigung, geschweige denn eine neue Gesellschaftsordnung anstrebten.*
Überzeugender ist die Deutung, daß es sich bei den vielen regionalen Aufständen, die unter dem Begriff Bauernkrieg zusammengefaßt werden, um räumlich begrenzte Ereignisse handelte. Dabei verfolgten die Rebellen ganz unterschiedliche Ziele. Aber ein Streiten für eine umfassende Gesellschaftsreform waren sie nicht. Nichts macht das deutlicher als der Umstand, daß einzelne Bauernhaufen sich auflösten, sobald sich die von ihnen bedrängten Herren scheinbar ihren Forderungen beugten.
Der Obrigkeit gelang es schließlich, bis 1526 mit harter Hand die Ordnung wiederherzustellen. Die Gewaltausbrüche der Bauern gegen Kirchen und Klöster hatte jedoch schon gezeigt, welches Konfliktpotential die Reformation geweckt hatte. Sie gaben einen Vorgeschmack auf eine Krise bis dato ungekannten Ausmaßes. Denn weniger als ein Jahrhundert später sollte das Deutsche Reich für dreißig Jahre zum Schauplatz eines europäischen Staats- und Religionskrieges werden, gegen den die Bauernaufstände wie ein Geplänkel wirkten.

 *in Memmingen strebten sie eine solche sehr wohl an. Solche Artikel fallen doch nicht vom Himmel! Da steckt politischer Wille dahinter. Und wenn man die Artikel durchliest, stellt man fest, dass sie von selbstbewussten, klugen Köpfen niedergeschrieben wurden. So artikuliert sich nicht das Elend, sondern ein Mindestmaß von Bildung und Wohlstand. Der Gedanke, dass es zum Bauernkrieg nicht wegen schreiender Ungerechtigkeit kam, sondern wegen Lust auf mehr, liegt daher nahe.
 

Carlos V.

Loggia dei Lanzi

Sacco di Roma


Allgemein wird der französischen Nationalversammlung das Lob zuteil, nach der Revolution im August 1789 mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte die grundlegendsten Bestimmungen über den Menschen und seine Rechte im Staat verkündet zu haben. Dieser Akt fügt sich nur zu gut in das Heldenepos ein über die mit der Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ durchgesetzte Erhebung der Massen. Dabei hatten die Menschenrechte bereits rund 260 Jahre zuvor ihren schriftlich fixierten Vorläufer in Süddeutschland. Dort wurden sie damals allerdings nicht durchgesetzt.

Seit 1524 kam es in Teilen des Deutschen Reiches zu Aufständen der Bauern gegen ihre Herren. Die Unruhen erstreckten sich dabei vom Gebiet des heutigen Baden-Württembergs und Bayerns bis nach Thüringen, Österreich und in die Schweiz. Der Wunsch nach wirtschaftlicher Besserung und mehr Rechtssicherheit ließ die Bauern zu den Waffen greifen.
Die sich ausbreitende Reformation bestärkte die Landbevölkerung in ihrem Bestreben. Sie beriefen sich dabei auf die Schrift des Reformators Martin Luther „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Darin heißt es: „Daß ein Christenmensch ein Herr über alle Dinge und niemandem untertan“ sei. Daraus leiteten die Aufständischen die Legitimation für ihre Taten ab.

Anfang März 1525 schlossen sich drei Bauernhaufen, wie die Zusammenrottungen der Aufständischen genannt wurden, zur Oberschwäbischen Eidgenossenschaft zusammen. Am 20. März verkündeten sie in Memmingen die Zwölf Artikel, die als erste Niederschrift von Menschen- und Freiheitsrechten in Europa gelten.
Zu ihren Forderungen zählten untern anderem die Abschaffung der Leibeigenschaft und der Jagdprivilegien für den Adel sowie eine Neuregelung der Pachtabgabe. Dabei beriefen sich die Verfasser auf die Bibel. Denn sie wollten nur von ihren Punkten abrücken, wenn sie durch die Heilige Schrift widerlegt würden.
Luther selbst stand den Bauernaufständen skeptisch gegenüber. Er fürchtete, sie könnten der Reformation schaden. Jedoch räumte er ihren Forderungen in einem Brief an Adelsvertreter ihre Berechtigung ein. „Sie (die Bauern – Anm.) haben zwölf Artikel aufgestellt, unter denen einige so gerecht sind, daß sie euch vor Gott und der Welt zur Schande gereichen. […] Nun ist’s ja auf die Dauer unerträglich, die Leute so zu besteuern und zu schinden.“
Doch schon weniger als einen Monat nach der Bekanntgabe der Zwölf Artikel verspielten einige der aufmüpfigen Bauern ihren Kredit beim Reformator durch die sogenannte Weinsberger Bluttat. Ausgerechnet am Ostersonntag, dem 16. April 1525, töteten sie den Grafen Ludwig von Helfenstein und sein Gefolge in Weinsberg. Das wiederum veranlaßte den Schwäbischen Bund, ein Zusammenschluß örtlicher Adliger, zur Aufstellung eines Heeres aus 9.000 Landsknechten und 1.500 Reitern, das nach und nach die Bauernhaufen zerschlug und so den Bauernkrieg in Süddeutschland beendete.
Dabei war ihnen auch die Unterstützung Luthers sicher. Aufgebracht über den Mord an Ludwig von Helfenstein und seinen Rittern, verfaßte er seine Schrift „wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“. In zeittypisch drastischen Worten rief er zum Kampf gegen die widerständige Landbevölkerung auf: „[…] man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muß.“
Nachdem der Adel und der Klerus ihre Herrschaft gesichert hatten, wagten es ihre Untergebenen für Jahrhunderte nicht mehr, gegen sie aufzubegehren. Doch ihre Wünsche überdauerten die Niederlage. So wurde die Leibeigenschaft in deutschen Territorien flächendeckend schließlich zu Beginn 19. Jahrhunderts aufgehoben.
Weitere Forderungen aus den Zwölf Artikeln der Oberschwäbischen Eidgenossenschaft setzten sich schließlich im Zuge der Revolution von 1848/49 durch. Elemente der Ideen von 1525 lassen sich auch in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 wiederfinden. Was die Bauernanführer in Memmingen forderten, verbreitete sich über die Welt.



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