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Mittwoch, 13. Mai 2020

Deutschlands Ahnungslosigkeit

Als die Araber Spanien eroberten, stellten sie dort eine sehr kleine Minderheit dar. Als die Engländer Indien eroberten, waren sie dort ebenfalls eine sehr kleine Minderheit (es waren nie mehr als einige zehntausend unter vielen Millionen Indern).  Als die Wikinger Europa mit ihren Überfällen heimsuchten und dann Kolonien gründeten (Irland, Sizilien, Normandie...), waren sie nur eine winzige Minderheit. Die Spanier in Mittel- und Südamerika waren eine winzige Minderheit, als sie diese Länder eroberten. Die Beispiele liessen sich ad nauseam fortsetzen, z.B. in der indischen Geschichte, aber auch im China des 19. Jahrhunderts.
 
Wie gelang es Minderheiten in der Geschichte, viel grössere Reiche zu erobern und zu beherrschen, zumindest zu tyrannisieren? Ganz einfach:
Die Eroberer waren kriegerischer, selbstbewusster, besser organisiert, entschlossener,  in einigen Fällen (aber nicht notwendigerweise) technisch überlegen... – und vor allem trafen sie auf Völker, die intern zerstritten waren (z.B. Spanien unter den Westgoten), deren Regierungs- und Sozialsysteme dekadent waren (Indien, China), oder die durch vorhergehende Kriege oder wirtschaftliche Desaster geschwächt waren (Byzanz zur Zeit des Araber-Ansturms im 7. Jhdt.). 
 
Beispiel: Die Wikinger hatten im 8. oder 9. Jahrhundert keine staatliche Macht, die derjenigen zivilisierter Länder vergleichbar war. Es gab z.B. keine Institutionen, die Recht durchsetzten, also Polizei und Justiz. Wer sicher sein wollte, musste also kriegerisch sein und sich wehren können, ganz im Sinne des Hobbes'schen Naturzustandes und des Krieges aller gegen alle. Wer sich nicht wehren konnte und vor allem, wer sich nicht wehren wollte, war ehrlos. Die persönliche Ehre spielte in dieser Gesellschaft eine dominierende Rolle. Man übte sich also permanent im Gebrauch von Waffen. Diese Tatsachen, sowie die maritime Überlegenheit der Nordmänner, führten zu ihrem Erfolg und zu der Situation, dass sie überall gefürchtet waren. Kriegerische Kompetenz, Überwiegen des Ehrgefühls über den Überlebenswillen und ihre Mobilität ermöglichten es ihnen, an Manpower und Material und Zivilisation weit überlegene Landstriche zu erobern. 
 
To make a long story short: Es ist extrem dümmlich, aus einer geringen Zahl von Invasoren zu schliessen, diese stellten keine Gefahr dar. Wenn geringe Zahlen von stolzen Invasoren aus kriegerischen Kulturen auf des- oder überorganiserte, zivilisationsmüde, dekadente, wehrunwillige Opfer treffen, spielen die Zahlen kaum eine Rolle. Wer glaubt, Minderheiten und kleine Gruppen aufgrund ihrer geringen Zahl nicht fürchten zu müssen, ist einfach nur dumm und geschichtlich ungebildet.

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