Stationen

Samstag, 23. Mai 2020

Gratwanderung in Richtung Zukunftsfähigkeit

Die vergangenen zwei Monate liefen für Björn Höcke in der AfD recht schlecht. Gleich zwei Tiefschläge hat die gemäßigt-rechte Mehrheit im Bundesvorstand um Parteichef Jörg Meuthen gegen das Rechtsaußenlager ausgeführt, die den Thüringer in die Magengrube trafen. Erst wurde er im März offiziell aufgefordert, das Netzwerk „Der Flügel“ auflösen – schon dieser Beschluss kam für ihn überraschend und demütigend. Auch wenn Höcke es so darzustellen versuchte, als sei die „Historisierung“ des Flügels ohnehin seine Absicht und sein Wille gewesen, wurde er erkennbar doch dazu gezwungen. Der Flügel ist natürlich nicht verschwunden, aber er muss verdeckt agieren, das hemmt seinen öffentlichen Handlungsspielraum.
Noch härter traf Höckes Lager die Annullierung der Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz vor einer Woche. Der Beschluss fiel mit relativ knapper Mehrheit von sieben zu fünf Stimmen bei einer Enthaltung. Kalbitz wird vorgeworfen, seine Aktivitäten und Mitgliedschaft bei der HDJ („Heimattreue Deutsche Jugend“), einer 2009 verbotenen Organisation, bei seinem AfD-Eintritt 2013 verschwiegen zu haben. Dem Verfassungsschutz liegt nach dessen Angabe eine Mitgliederliste der neonazistischen Organisation vor, auf der Kalbitz‘ Name steht. Es gibt Fotos von Kalbitz in Lederhosen beim klandestinen HDJ-Zeltlager 2007; zudem erhielt er Emails vom damaligen HDJ-Führer, die nur an eine Handvoll enge Mitstreiter und NPD-Leute gingen.

Kalbitz bestreitet eine HDJ-Mitgliedschaft und will gegen den Vorstandsbeschluss klagen, mit dem seine AfD-Mitgliedschaft für nichtig erklärt wurde. Als erstes hofft er vor einem Berliner Zivilgericht eine einstweilige Verfügung dagegen zu erreichen, doch aus der schnellen einstweiligen Verfügung wird wohl nichts. Juristen rechnen damit, dass sich die rechtliche Auseinandersetzung lange hinziehen wird. Auf absehbare Zeit ist er also nicht mehr Mitglied der AfD.

Der Brandenburger Partei- und Fraktionschef war er der eigentliche Organisator, Strippenzieher und Truppenkommandant des Flügels, dessen Stärke in der Partei auf etwa 7.000 der fast 35.000 Parteimitglieder geschätzt wird. Ohne Kalbitz wäre Höcke nie so weit gekommen. „Höcke kann nicht organisieren“, sagt ein hochrangiger AfD-Politiker. Der nach Thüringen gezogene Ex-Lehrer ist einer, der mit pathosgeladenen Reden seine Anhänger begeistert, doch für die organisatorische Knochenarbeit taugt er nicht. Als er jüngst vorschlug, eine große Westtour zu machen, schlug ihm viel Ablehnung aus den West-Landesverbänden entgegen. „Ohne Kalbitz und die bundesweiten Netzwerke fällt Höcke zurück auf seine Rolle als Landespolitiker“, lautet eine Einschätzung in der Partei, die vieles für sich hat.
Seit einer Woche bläst das hart rechte Lager in der AfD nun zum Sturm gegen Parteichef Meuthen. Dem Konflikt widmet jetzt sogar der Spiegel seine aktuelle Titelgeschichte „Die Stürmer“. Illustriert ist sie mit blau-düster wirkenden Köpfen von Höcke, Kalbitz und vor ihnen Alice Weidel. Tatsächlich hat sich die einst als eher liberal geltende Fraktionsvorsitzende aus opportunistischen Gründen auf die Seite der Flügelleute geschlagen. Inhaltlich ist die Spiegel-Geschichte eher enttäuschend. Auf endlos vielen Seiten werden Stimmen beider Lager, die gegenseitigen Feindschaften, Vorwürfe und (Finanz-)Affären präsentiert. Am Ende muss das Hamburger Magazin eingestehen, dass es nichts Genaues weiß. „Wohin sich die AfD entwickeln wird, ist offener denn je“, heißt es dann lapidar.
Dabei gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass der Flügel derzeit zwar viel Lärm macht, aber in Wirklichkeit eher hilflos und orientierungslos ist seit Meuthens Coup. Höcke postet ein Facebook-Video nach dem anderen, um Meuthen „Verrat“ vorzuwerfen, doch wirkt es wie Kanonendonner ohne Kugeln. Höcke poltert, doch das bringt nichts. Die Flügel-Leute können Meuthen aktuell nicht stürzen.

Ihre Idee eines Sonderparteitags scheitert daran, dass in Corona-Zeiten eine größere Versammlung nicht zugelassen wird. Das hat auch Kalbitz-Unterstützer Alexander Gauland erkannt. Außerdem stünden die Chancen für die Flügel-Leute schlecht, eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Abwahl des Vorstands zu erreichen. Auf früheren Parteitagen stellten klare Flügel-Anhänger höchstens ein Drittel der Delegierten. Und nichts deutet darauf hin, dass in größerer Zahl Nicht-Flügel-Delegierte für Kalbitz einspringen würden. Denn auch sie sehen die Risiken, die mit der Person verbunden sind.
Sollte Kalbitz zurück in die Partei kommen und Meuthen gestürzt werden, wäre eine baldige Beobachtung durch den Verfassungsschutz wohl unausweichlich. Die AfD würde vollends zur Paria-Partei. Die Beobachtung wäre ein Stigma, eine Art staatlicher Stempel dafür, dass es sich bei der AfD nicht mehr um eine rechtsbürgerliche Protestpartei handelt, sondern um eine rechtsextreme Truppe. Für Polizisten, Lehrer und andere Beamte sowie für die in der Partei stark vertretenen Bundeswehrsoldaten würde das zum gravierenden Problem, ihnen drohten schwere berufliche Nachteile, wenn sie sich weiter in der AfD engagieren. Die Parteispitze weiß, dass große Teile der Mitgliedschaft Angst vor der Beobachtung haben. Dieses Risiko war es, dass sie nun im Fall Kalbitz handeln ließ.
Ob der Vorstandsbeschluss rechtlich zu halten ist, wird innerhalb und außerhalb der Partei heftig diskutiert. Der Parteienrechtler Martin Morlok glaubt, der Beschluss und der Paragraph in der AfD-Satzung, auf den er sich stützt, seien nicht zu halten. Der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner rechnet hingegen damit, dass der Ausschluss von Kalbitz vor Gericht Bestand haben wird.

Brenner sagte dem MDR: „Wenn jemand in eine Partei eintritt und dabei Entscheidungsrelevantes verschweigt, also Dinge, die dem Parteiwillen widersprechen, dann ist das durchaus ein Grund parteischädigendes Verhalten anzunehmen, und den Betreffenden aus der Partei auszuschließen.“
Julian Flak, der Vorsitzende des AfD-Satzungsausschusses, hat in einem längeren Artikel auf seiner Webseite die juristische Grundlage erläutert. Die Annullierung von Kalbitz‘ Mitgliedschaft erfolgt auf Basis des Paragraph 2 der AfD-Satzung, der formal eindeutig und mit Blick auf die einschlägige Kommentierung des Parteienrechts zulässig ist. Flaks Fazit: „Wenn ein Anwärter im März 2013 Mitgliedschaften in von Verfassungsschutzbehörden als extremistisch eingestuften Organisationen nicht angibt, kann der Bundesvorstand bis zu zehn Jahre lang die Mitgliedschaft mit Wirkung für die Zukunft widerrufen – seit 2015 technisch gelöst über den Eintritt einer ‚auflösenden Bedingung‘.“
Kalbitz will dagegen zweigleisig vorgehen: Neben der Klage vor einem Zivilgericht wird er das AfD-Bundesschiedsgericht anrufen. Doch hier sieht es eher schlecht aus für ihn. Das Bundesschiedsgericht unter seiner Präsidentin, der Rechtsanwältin Ines Oppel, hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Parteiausschlüssen letztinstanzlich abgesegnet, zuletzt im März den Ausschluss von Wolfgang Gedeon. Im Falle Kalbitz werden wohl gleich zwei Kammern des Schiedsgerichts gemeinsam entscheiden. „Beim Bundesschiedsgericht wird Kalbitz keinen Erfolg bekommen“, sagt ein parteiinterner Kenner der Verhältnisse.
Das Gericht kann auch auf jüngere Präzedenzfälle verweisen: In Mecklenburg-Vorpommern flog der Co-Vorsitzende Dennis Augustin aus der Partei, weil er beim Eintritt eine frühere Mitgliedschaft in der NPD-Jugendorganisation verschwiegen hatte. Das Landesschiedsgericht hat den Rauswurf bestätigt.
Weil sich die rechtliche Prüfung der Affäre Kalbitz wohl länger hinzieht, versuchen seine Flügel-Freunde politischen Druck aufzubauen. Doch ihnen fehlt ein parteipolitisches Instrument, ein Hebel, um Meuthen zu kippen; sie haben derzeit nur verbale Empörung zu bieten, die auf Dauer jedoch verpufft. An der Basis brodelt es zwar, besonders im Osten, doch Versuche etwa, eine Massenpetition zu starten, scheiterten kläglich. Eine Petition „Solidarität mit Andreas Kalbitz“ kam nur auf 583 Unterzeichner. Im Westen sind die Vorbehalte gegen die Person Kalbitz angesichts seiner dubiosen Vergangenheit gewachsen. Seinetwegen möchte kaum einer eine Spaltung riskieren.
Höcke spricht zwar warnend von einer „Spaltung“, aber er weiß genau, dass diejenigen, die sich abspalten, ins Nichts springen. Eine „Flügel-Partei“ will er nicht gründen. Sie würde vermutlich bald im rechtsextremen Abseits landen und verkümmern. Meuthen will und wird seinen Posten nicht räumen. Er hat zwei harte Schläge ausgeführt, er kann sich nun zurücklehnen. Einer aus der Parteispitze, der Meuthen gut kennt, beschreibt, wie dieser zu ungeahnter Statur gewachsen ist, seit er sich entschieden hat, den offenen Kampf zu wagen. Unterstützt wurde er im Fall Kalbitz von der Vize-Parteichefin Beatrix von Storch, die sich nie mit dem Höcke-Lager verbrüdert hat (im Gegensatz zu Weidel).
Alles zusammengenommen sieht es so aus, dass Meuthen die Sache durchziehen kann und die Truppen des Flügels stark geschwächt sind. Damit kann die AfD wohl auf absehbare Zeit vermeiden, als Gesamtpartei vom Verfassungsschutz mit geheimdienstlichen Methoden beobachtet zu werden, der sie mit V-Leuten unterwandern könnte. Pikant ist in diesem Zusammenhang, dass der offiziell die „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ leitende Abgeordnete Roland Hartwig, ein Ex-Chefsyndikus des Bayer-Konzerns, seit geraumer Zeit eine auffällige Nähe zu prominenten Flügel-Leuten zeigt und ihnen eher zuarbeitet, statt den rechtextremen Rand einzudämmen. Die seltsamen Allianzen haben oft mit persönlichen Karrierewünschen zu tun.
Klar ist bei alledem auch: Je länger und heftiger die AfD mit innerparteilichem Streit beschäftigt und damit gelähmt ist, wird sie das in den Umfragen Prozente kosten. Das freut nicht nur die linken Parteien, sondern besonders das Adenauer-Haus. Die Merkel-Union und auch die Söder-CSU lassen nichts unversucht, die vor sieben Jahren gegründete Konkurrenz von rechts ins Abseits zu schieben. Im Osten gibt es rebellische Bürger, die sich um solche Verdikte nicht scheren, im Westen ist das breite Bürgertum aber sehr viel vorsichtiger und furchtsamer.
Die Ironie der Geschichte dabei ist, dass ein Höcke letztlich der beste Garant dafür ist, dass die AfD in der Ecke landet und bleibt. Figuren wie Höcke und Kalbitz wirken auf westdeutsche bürgerliche Wähler abschreckend; mit ihnen fällt es der AfD schwer, vor allem im Westen, sich im bürgerlichen Lager zu verankern. Das ist auch der Grund dafür, dass viele linke und unionsnahe Medien Höcke und seinem Flügel so überproportional viel Aufmerksamkeit widmen. Sie machen ihn größer, als er in Wahrheit ist. Ein kranker Flügel sorgt dafür, dass die Partei gesamtdeutsch nicht vorankommt.  Thorsten Meyer

Siehe auch "Die bürgerliche Revolution" von Markus Krall

Und: Das Unwägbare




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