Die vergangenen zwei Monate liefen für Björn Höcke in der AfD recht
schlecht. Gleich zwei Tiefschläge hat die gemäßigt-rechte Mehrheit im
Bundesvorstand um Parteichef Jörg Meuthen gegen das Rechtsaußenlager
ausgeführt, die den Thüringer in die Magengrube trafen. Erst wurde er im
März offiziell aufgefordert, das Netzwerk „Der Flügel“ auflösen – schon
dieser Beschluss kam für ihn überraschend und demütigend. Auch wenn
Höcke es so darzustellen versuchte, als sei die „Historisierung“ des
Flügels ohnehin seine Absicht und sein Wille gewesen, wurde er erkennbar
doch dazu gezwungen. Der Flügel ist natürlich nicht verschwunden, aber
er muss verdeckt agieren, das hemmt seinen öffentlichen
Handlungsspielraum.
Noch härter traf Höckes Lager die Annullierung der
Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz vor einer Woche. Der Beschluss fiel
mit relativ knapper Mehrheit von sieben zu fünf Stimmen bei einer
Enthaltung. Kalbitz wird vorgeworfen, seine Aktivitäten und
Mitgliedschaft bei der HDJ („Heimattreue Deutsche Jugend“), einer 2009
verbotenen Organisation, bei seinem AfD-Eintritt 2013 verschwiegen zu
haben. Dem Verfassungsschutz liegt nach dessen Angabe eine
Mitgliederliste der neonazistischen Organisation vor, auf der Kalbitz‘
Name steht. Es gibt Fotos von Kalbitz in Lederhosen beim klandestinen
HDJ-Zeltlager 2007; zudem erhielt er Emails vom damaligen HDJ-Führer,
die nur an eine Handvoll enge Mitstreiter und NPD-Leute gingen.
Kalbitz bestreitet eine HDJ-Mitgliedschaft und will gegen den
Vorstandsbeschluss klagen, mit dem seine AfD-Mitgliedschaft für nichtig
erklärt wurde. Als erstes hofft er vor einem Berliner Zivilgericht eine
einstweilige Verfügung dagegen zu erreichen, doch aus der schnellen
einstweiligen Verfügung wird wohl nichts. Juristen rechnen damit, dass
sich die rechtliche Auseinandersetzung lange hinziehen wird. Auf
absehbare Zeit ist er also nicht mehr Mitglied der AfD.
Der Brandenburger Partei- und Fraktionschef war er der eigentliche
Organisator, Strippenzieher und Truppenkommandant des Flügels, dessen
Stärke in der Partei auf etwa 7.000 der fast 35.000 Parteimitglieder
geschätzt wird. Ohne Kalbitz wäre Höcke nie so weit gekommen. „Höcke
kann nicht organisieren“, sagt ein hochrangiger AfD-Politiker. Der nach
Thüringen gezogene Ex-Lehrer ist einer, der mit pathosgeladenen Reden
seine Anhänger begeistert, doch für die organisatorische Knochenarbeit
taugt er nicht. Als er jüngst vorschlug, eine große Westtour zu machen,
schlug ihm viel Ablehnung aus den West-Landesverbänden entgegen. „Ohne
Kalbitz und die bundesweiten Netzwerke fällt Höcke zurück auf seine
Rolle als Landespolitiker“, lautet eine Einschätzung in der Partei, die
vieles für sich hat.
Seit einer Woche bläst das hart rechte Lager in der AfD nun zum Sturm
gegen Parteichef Meuthen. Dem Konflikt widmet jetzt sogar der Spiegel
seine aktuelle Titelgeschichte „Die Stürmer“. Illustriert ist sie mit
blau-düster wirkenden Köpfen von Höcke, Kalbitz und vor ihnen Alice
Weidel. Tatsächlich hat sich die einst als eher liberal geltende
Fraktionsvorsitzende aus opportunistischen Gründen auf die Seite der
Flügelleute geschlagen. Inhaltlich ist die Spiegel-Geschichte
eher enttäuschend. Auf endlos vielen Seiten werden Stimmen beider Lager,
die gegenseitigen Feindschaften, Vorwürfe und (Finanz-)Affären
präsentiert. Am Ende muss das Hamburger Magazin eingestehen, dass es
nichts Genaues weiß. „Wohin sich die AfD entwickeln wird, ist offener
denn je“, heißt es dann lapidar.
Dabei gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass der Flügel derzeit zwar
viel Lärm macht, aber in Wirklichkeit eher hilflos und orientierungslos
ist seit Meuthens Coup. Höcke postet ein Facebook-Video nach dem
anderen, um Meuthen „Verrat“ vorzuwerfen, doch wirkt es wie
Kanonendonner ohne Kugeln. Höcke poltert, doch das bringt nichts. Die
Flügel-Leute können Meuthen aktuell nicht stürzen.
Ihre Idee eines Sonderparteitags scheitert daran, dass in Corona-Zeiten
eine größere Versammlung nicht zugelassen wird. Das hat auch
Kalbitz-Unterstützer Alexander Gauland erkannt. Außerdem stünden die
Chancen für die Flügel-Leute schlecht, eine Zwei-Drittel-Mehrheit für
eine Abwahl des Vorstands zu erreichen. Auf früheren Parteitagen
stellten klare Flügel-Anhänger höchstens ein Drittel der Delegierten.
Und nichts deutet darauf hin, dass in größerer Zahl
Nicht-Flügel-Delegierte für Kalbitz einspringen würden. Denn auch sie
sehen die Risiken, die mit der Person verbunden sind.
Sollte Kalbitz zurück in die Partei kommen und Meuthen gestürzt
werden, wäre eine baldige Beobachtung durch den Verfassungsschutz wohl
unausweichlich. Die AfD würde vollends zur Paria-Partei. Die Beobachtung
wäre ein Stigma, eine Art staatlicher Stempel dafür, dass es sich bei
der AfD nicht mehr um eine rechtsbürgerliche Protestpartei handelt,
sondern um eine rechtsextreme Truppe. Für Polizisten, Lehrer und andere
Beamte sowie für die in der Partei stark vertretenen Bundeswehrsoldaten
würde das zum gravierenden Problem, ihnen drohten schwere berufliche
Nachteile, wenn sie sich weiter in der AfD engagieren. Die Parteispitze
weiß, dass große Teile der Mitgliedschaft Angst vor der Beobachtung
haben. Dieses Risiko war es, dass sie nun im Fall Kalbitz handeln ließ.
Ob der Vorstandsbeschluss rechtlich zu halten ist, wird innerhalb und
außerhalb der Partei heftig diskutiert. Der Parteienrechtler Martin
Morlok glaubt, der Beschluss und der Paragraph in der AfD-Satzung, auf
den er sich stützt, seien nicht zu halten. Der Jenaer
Verfassungsrechtler Michael Brenner rechnet hingegen damit, dass der
Ausschluss von Kalbitz vor Gericht Bestand haben wird.
Brenner sagte dem
MDR: „Wenn jemand in eine Partei eintritt und dabei
Entscheidungsrelevantes verschweigt, also Dinge, die dem Parteiwillen
widersprechen, dann ist das durchaus ein Grund parteischädigendes
Verhalten anzunehmen, und den Betreffenden aus der Partei
auszuschließen.“
Julian Flak, der Vorsitzende des AfD-Satzungsausschusses, hat in
einem längeren Artikel auf seiner Webseite die juristische Grundlage
erläutert. Die Annullierung von Kalbitz‘ Mitgliedschaft erfolgt auf
Basis des Paragraph 2 der AfD-Satzung, der formal eindeutig und mit
Blick auf die einschlägige Kommentierung des Parteienrechts zulässig
ist. Flaks Fazit: „Wenn ein Anwärter im März 2013 Mitgliedschaften
in von Verfassungsschutzbehörden als extremistisch eingestuften
Organisationen nicht angibt, kann der Bundesvorstand bis zu zehn Jahre
lang die Mitgliedschaft mit Wirkung für die Zukunft widerrufen – seit
2015 technisch gelöst über den Eintritt einer ‚auflösenden Bedingung‘.“
Kalbitz will dagegen zweigleisig vorgehen: Neben der Klage vor einem
Zivilgericht wird er das AfD-Bundesschiedsgericht anrufen. Doch hier
sieht es eher schlecht aus für ihn. Das Bundesschiedsgericht unter
seiner Präsidentin, der Rechtsanwältin Ines Oppel, hat in den
vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Parteiausschlüssen
letztinstanzlich abgesegnet, zuletzt im März den Ausschluss von Wolfgang
Gedeon. Im Falle Kalbitz werden wohl gleich zwei Kammern des
Schiedsgerichts gemeinsam entscheiden. „Beim Bundesschiedsgericht wird
Kalbitz keinen Erfolg bekommen“, sagt ein parteiinterner Kenner der
Verhältnisse.
Das Gericht kann auch auf jüngere Präzedenzfälle verweisen: In
Mecklenburg-Vorpommern flog der Co-Vorsitzende Dennis Augustin aus der
Partei, weil er beim Eintritt eine frühere Mitgliedschaft in der
NPD-Jugendorganisation verschwiegen hatte. Das Landesschiedsgericht hat
den Rauswurf bestätigt.
Weil sich die rechtliche Prüfung der Affäre Kalbitz wohl länger
hinzieht, versuchen seine Flügel-Freunde politischen Druck aufzubauen.
Doch ihnen fehlt ein parteipolitisches Instrument, ein Hebel, um Meuthen
zu kippen; sie haben derzeit nur verbale Empörung zu bieten, die auf
Dauer jedoch verpufft. An der Basis brodelt es zwar, besonders im Osten,
doch Versuche etwa, eine Massenpetition zu starten, scheiterten
kläglich. Eine Petition „Solidarität mit Andreas Kalbitz“ kam nur auf
583 Unterzeichner. Im Westen sind die Vorbehalte gegen die Person
Kalbitz angesichts seiner dubiosen Vergangenheit gewachsen. Seinetwegen
möchte kaum einer eine Spaltung riskieren.
Höcke spricht zwar warnend von einer „Spaltung“, aber er weiß genau,
dass diejenigen, die sich abspalten, ins Nichts springen. Eine
„Flügel-Partei“ will er nicht gründen. Sie würde vermutlich bald im
rechtsextremen Abseits landen und verkümmern. Meuthen will und wird
seinen Posten nicht räumen. Er hat zwei harte Schläge ausgeführt, er
kann sich nun zurücklehnen. Einer aus der Parteispitze, der Meuthen gut
kennt, beschreibt, wie dieser zu ungeahnter Statur gewachsen ist, seit
er sich entschieden hat, den offenen Kampf zu wagen. Unterstützt wurde
er im Fall Kalbitz von der Vize-Parteichefin Beatrix von Storch, die
sich nie mit dem Höcke-Lager verbrüdert hat (im Gegensatz zu Weidel).
Alles zusammengenommen sieht es so aus, dass Meuthen die Sache
durchziehen kann und die Truppen des Flügels stark geschwächt sind.
Damit kann die AfD wohl auf absehbare Zeit vermeiden, als Gesamtpartei
vom Verfassungsschutz mit geheimdienstlichen Methoden beobachtet zu
werden, der sie mit V-Leuten unterwandern könnte. Pikant ist in diesem
Zusammenhang, dass der offiziell die „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“
leitende Abgeordnete Roland Hartwig, ein Ex-Chefsyndikus des
Bayer-Konzerns, seit geraumer Zeit eine auffällige Nähe zu prominenten
Flügel-Leuten zeigt und ihnen eher zuarbeitet, statt den rechtextremen
Rand einzudämmen. Die seltsamen Allianzen haben oft mit persönlichen
Karrierewünschen zu tun.
Klar ist bei alledem auch: Je länger und heftiger die AfD mit
innerparteilichem Streit beschäftigt und damit gelähmt ist, wird sie das
in den Umfragen Prozente kosten. Das freut nicht nur die linken
Parteien, sondern besonders das Adenauer-Haus. Die Merkel-Union und auch
die Söder-CSU lassen nichts unversucht, die vor sieben Jahren
gegründete Konkurrenz von rechts ins Abseits zu schieben. Im Osten gibt
es rebellische Bürger, die sich um solche Verdikte nicht scheren, im
Westen ist das breite Bürgertum aber sehr viel vorsichtiger und
furchtsamer.
Die Ironie der Geschichte dabei ist, dass ein Höcke letztlich der
beste Garant dafür ist, dass die AfD in der Ecke landet und bleibt.
Figuren wie Höcke und Kalbitz wirken auf westdeutsche bürgerliche Wähler
abschreckend; mit ihnen fällt es der AfD schwer, vor allem im Westen,
sich im bürgerlichen Lager zu verankern. Das ist auch der Grund dafür,
dass viele linke und unionsnahe Medien Höcke und seinem Flügel so
überproportional viel Aufmerksamkeit widmen. Sie machen ihn größer, als
er in Wahrheit ist. Ein kranker Flügel sorgt dafür, dass die Partei
gesamtdeutsch nicht vorankommt. Thorsten Meyer
Siehe auch "Die bürgerliche Revolution" von Markus Krall
Und: Das Unwägbare
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