Stationen

Dienstag, 28. August 2018

Strategische Bestandsaufnahme

"Der Außenminister kritisiert, Deutschland habe in der Amtszeit von Frau Merkel außen- und sicherheitspolitische Probleme nicht offen diskutiert", schreibt die Welt. Die Gesellschaft sei auf diesem Politikfeld "in einem diskursiven Wachkoma" gefangen gewesen. Angesichts neuer Herausforderungen müsse die Bundesregierung nun aber "den Menschen verdeutlichen, dass wir für unsere Interessen eintreten müssen". Und das bedeutet für Maas vor allem, "eine deutlichere Distanz" zu Wladimir Putin und zur russischen Politik zu wahren, bis Donald Trump endlich abgelöst ist und irgendein Neocon-gesteuerter kriegslüsterner Demokrat wieder zur Praxis des Demokratieexports zurückkehren kann.

Wie "der Westen" sich auf einen möglichen Krieg mit Russland vorbereiten muss, beschrieb der Generalstabschef der britischen Armee, General Sir Nicholas Carter, in einer Rede am Royal United Services Institute (man hat dort offenbar sehr altmodische Vorstellungen davon, wer der Feind ist).

Dona nobis pacem. Anders gesagt: Gott schütze Donald Trump!






                                                                            ***


Leser *** "fällt immer wieder auf, dass sich im Dunstkreis liberal-konservativer Menschen, bspw. AfD-Wählern oder Lesern von Tichys Einblick, höchst merkwürdige Narrative, um es vorsichtig auszudrücken, in puncto Rußland und Putin verfestigen. Selbst aus dem Bereich der AfD-Bundestagsfraktion erreichen den geneigten Beobachter Botschaften, die ihn zweifeln lassen (z.B. Herr Lucassen über aggressive NATO-Politik). Und nun lese ich bei Ihnen was von 'neocon-gesteuert' und 'Demokratieexport'.
Und ein Link auf die Rede eines britischen Generals. Vermutlich ist es normal, das militärisches Führungspersonal über Pläne berichtet, die in der Schublade liegen und nicht sofort zur Anwendung kommen. Beklagen wir uns nicht alle lauthals über eben jene fehlenden Pläne der Bundesregierung zur Bewältigung von Problemen knapp jenseits des massiven Politbrettes vor ihren Köpfen. Über die bodenlose Richtungslosigkeit, seit Frau Merkel meint, dass Pläne durch Gefühlsausbrüche ersetzt werden können. Ich bin ganz zufrieden mit Plänen, die zumindest ein gewisses Interesse daran erkennen lassen, dass für Putin nach der völkerrechtswidrigen Eroberung der Krim und der mit nicht gekennzeichneten Kombattanten durchgeführten Destabilisierung (ich neige anscheinend zu Euphemismen) der Ostukraine nicht der Rest Europas bis Lissabon zur Verfügungsmasse wird. Gemäß des infamen Theorems 'wo Russen leben, ist Rußland'.
Haben Sie sich die Mühe gemacht, die Kommentare zu dem Pamphlet über die Rede des britischen Generals auf RT zu lesen? Der unfaßbare Unsinn, der dort aus den Leuten quillt, ist mit normalen Begriffen nicht ausreichend zu beschreiben. Nun neigen die Kommentatoren auf RT sicher nicht zu Selbstzweifeln, aber sie suhlen sich hemmungslos im Sich-Benachteiligtfühlen. Ich sehe es schon ganz anderen selbsternannten Minderheiten nicht nach, sich in die Opferrolle zu manipulieren. Bei Russen oder ihren deutschen Apologeten, vor allem aber jenen aus auch meiner neuen politischen Heimat, habe ich absolut kein Verständnis für alternative Wahrheiten (ansonsten bin ich ein großer Anhänger von Alternativen). Der ehemalige KGB-Chef in der DDR regiert einen wirtschaftlich rückständigen, auf Rohstoffverkäufe angewiesenen Staat mit Theaterdemokratie, so eine Art Theresienstadt mit Kollateralschäden bei der Opposition. Wie um Himmels Willen soll das als Argument für den Kampf gegen die Merkelatur nützlich sein? Den Rechtsstaat beschwören und dann den mit allen Wassern gewaschenen Blender und Schänder desselben mehr oder weniger, ich formuliere das Ganze wie eine Frage, als Verbündeten/Unterstützer/Vorbild/Wasauchimmer darzustellen.
Ich bin sehr zufrieden damit, nicht in Lugansk zu wohnen, und eine größere Anzahl amerikanischer Atomwaffen zwischen mir und russischen Interessen zu wissen. Ich habe in der Zeit vor Gorbatschow in einem deutschen Panzer gedient, und ich gedenke nicht, nur weil unsere derzeitige Regierung untragbar ist, die damalige Einstellung zu hinterfragen und mit Antiamerikanismus und Verschwörungstheorien zu beantworten. Nun unterstelle ich Ihnen diese Beweggründe natürlich nicht einfach, aber die Distanz 'ein Klick weit' zu RT und dem abartigen Sumpf dort in der Kommentarsektion ist so gering, dass ich mir erlaube, dazu eine Diskussion anzustoßen.
Ich muß kurz zurück zum 'Demokratieexport'. Natürlich kann Putin mangels Vorhandensein keine Demokratie exportieren, aber wieso darf er Grosny mit Artillerie umgraben und Aleppo in die Steinzeit bombardieren, aber die USA sind der Grund für den Internationalen Terrorismus, den IS und überhaupt...böse? Natürlich braucht der sendungsbewußte Orientale lediglich die Existenz von Kuffar als Entschuldigung für jede unfaßbare Untat. Sollte nicht trotzdem der Nichtorientale, ob Russe, Deutscher oder Amerikaner sich, und wenn nur zur Abgrenzung gegenüber dem Halbmondfanatiker dient, der vollständigen Wahrheit befleißigen???"


Geehrter Herr ***, ich habe in diesem Diarium mehrfach darauf hingewisen, dass ich Russland aus demografischen Gründen für außerstande halte, noch irgendwohin zu expandieren; das größte Land der Erde hat kaum mehr Einwohner als Japan, mit jedem toten Soldaten stirbt praktisch eine Familie aus, und mit den heute muslimischen ehemaligen Sowjetrepubliken am Südbauch haben sie genug Probleme und Reibereien. Auch zur Krim habe ich mich mehrfach geäußert; Sie können nicht von einer Großmacht erwarten, dass sie diese seit zweieinhalb Jahrhunderten russische, überwiegend von Russen bewohnte, mit russischem Blut als Tor und Torwächter zu den auch im Winter eisfreien Weltmeeren erkämpfte Halbinsel, die ein Diktator, der nur deswegen klein wirkt, weil sein Vorgänger eines der größten Monster überhaupt war, in einer Wodkalaune, jedenfalls als Bruch der russischen Verfassung, an die Ukraine verschenkt hat, jetzt gewissermaßen der Nato zur Verfügung stellt. 

Ansonsten ist es mir ziemlich gleichgültig, ob Russland eine Demokratie ist oder nicht, solange offenbar eine große Mehrheit der Russen gut und gerne dort lebt und sie mich in Ruhe lassen. Mit Ihrer Theresienstadt-Metapher übertreiben Sie derart maßlos, wie ich allzu Maßloser es nie tun würde, und maßlos ist auch Ihre Bewertung des russischen Syrieneinsatzes. Mir ist Assad lieber als die muslimischen Radikalen, und wer den Krieg am schnellsten beendet (und unserer Willkommensjunta keine Schäfchen bzw. Wölfe mehr zutreibt), hat Recht. Der "Demokratieexport" der Amis indes hat nur ein einziges Mal funktioniert, beim anerkanntermaßen erstaunlichsten und zugleich närrischsten Volk der Erde, doch wenn man diesem Volk bei der Selbstabschaffung zuschaut, fragt zumindest unsereiner sich, ob das nun wirklich gut war.
Ansonsten dienen die Menschenrechte den USA gemeinhin als Mittel zu umfassender Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen. Kann man mögen, muss man nicht mögen (es gibt ja auch glückliche Masochisten). Trump hat damit nicht Schluss gemacht, aber er möchte es gern tun. Sehen wir, wie weit er kommt.

Wie sich Deutschland nach meiner Ansicht außenpolitisch verhalten sollte, habe ich mit den Zitaten zu Bismarck zu illustrieren versucht.* Mehr ist meinerseits nicht zu erklären. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.    MK am 27.



*   
"Der Beitrag Bismarcks und des Reiches zur Weltpolitik bestand darin, zu versichern, dass sämtliche Konfliktzonen, in denen unruhige Nationen Kampfsport trieben, für Deutschland uninteressant seien. Bismarck kam nie auf den Gedanken, Deutschland würde am Hindukusch, in Bulgarien, im Vorderen Orient oder im Pazifik verteidigt. (...)
Die beiden Westmächte hofften zwischen 1853 und 1856 – erstmals auch ideologisch als ‚der Westen’ auftretend –, das ‚Reich der Finsternis’, also Rußland, zu ‚balkanisieren’, also in Mittelstaaten aufzulösen. (...)
Wertegemeinschaften sind stets die aggressivsten Vereinigungen, weil sie sich verpflichtet fühlen, gegen Wertlose und deren Unwerte zu kämpfen. ... Zu den großen Verdiensten Bismarcks gehört es, nach den Erfahrungen des Krimkrieges und jener ‚wertvollen’ Politik, die Europa in ziemliche Verwirrungen gestürzt hatte, eine aufgeregte Welt wieder zur Ordnung gerufen und ihr Deutschland als Ordnungsmacht empfohlen zu haben, deren Existenz von der Ruhe in Europa abhing."
Eberhard Straub, Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit, S. 248 ff.

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