Stationen

Montag, 27. Juli 2020

Brainstorming - Zurück zu den Hansestädten




Seit langem beschäftige ich mich mit der Frage, wie eine funktionierende Gesellschaftsordnung aussehen sollte. Aufgewachsen als Sohn eines Berufsoffiziers und einer Lehrerin, komme ich aus einer maximal staatstragenden, bürgerlichen Familie. Bereits als Gymnasiast trat ich in die Junge Union ein, war aber schon damals eher ein Liberaler. Allerdings wusste ich nicht, was Liberalismus war, denn auch seinerzeit gab es in Schulen und Medien nur gefilterte Informationen. Ich war ein überzeugter Verfechter unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und hielt diese für so verteidigenswert, dass ich 1986 als Zeitsoldat zur Bundeswehr ging.
Später trat ich in die Liberale Hochschulgruppe ein und wurde schließlich für immerhin sechzehn Jahre FDP-Mitglied. Mit zwei Ministern der Bundesregierung per Du, lehnte ich instinktiv eine Politikkarriere ab, habe aber als langjähriger Ortsvorsitzender, Mitglied im Kreisvorstand und in diversen Gremien einen ausreichend tiefen Einblick in die real existierende Politik erhalten. Ich bin von der Ausbildung her Jurist und habe im Völkerrecht an der Universität Heidelberg promoviert.
Nach einigen Jahren als Rechtsanwalt entschied ich mich für einen Wechsel in die Wirtschaft und schließlich für eine eigene Unternehmerlaufbahn. 2006 war ich Mitgründer der international tätigen Deutsche Rohstoff AG, deren CEO ich bis Ende 2014 blieb, bevor ich auf eigenen Wunsch Deutschland verließ. In jener Funktion war ich regelmäßig bei Bundes- und Landesministerien zu Gast und nahm auch an Auslandsreisen der Regierung teil, wenn es um Rohstofffragen ging. Ich kann also behaupten, dass ich gewisse Einblicke in die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland gewonnen habe.
Ich halte das System aus sich selbst heraus für nicht mehr reformierbar. Die Strukturen haben sich derart verfestigt, gerade in Verwaltung, Medien, Erziehungsanstalten und bei sonstigen Nutznießern staatlicher Zuwendungen, dass neue Strukturen geschaffen werden müssen, bevor sich etwas Grundlegendes ändern kann. Wenn selbst ein Bundesminister nur nach massiven Drohungen in der Lage ist, einen von ihm gewünschten Fahrer (!) gegen den Personalrat seines eigenen Ministeriums durchzusetzen, dann kann man mit Fug und Recht von Deep State sprechen.
Von den Erfolgsaussichten beabsichtigter Politikwechsel ganz zu schweigen. Ich konnte über Jahrzehnte zudem das immer weitere Absinken der einstmals hohen Qualität der Verwaltung beobachten, ebenso das immer weitere Abdriften von Schulen und Medien nach links. Viele der Akteure haben niemals am freien Markt gearbeitet und haben Vorstellungen von der Wirklichkeit, die nur als Traumwelt bezeichnet werden kann.

Die bisher gehandelten Reformvorschläge überzeugen mich nicht. Weder Mehrheitswahlrecht (Großbritannien) noch eine Begrenzung der Amtszeit (USA) noch ein starker, direkt vom Volk gewählter Präsident (Frankreich) werden unsere Probleme lösen, denn sie tun es in den genannten Ländern ja auch nicht. Zwar ist die mir gut bekannte Schweiz tatsächlich in einem besseren Zustand als Deutschland. Aber auch dort werden 98 Prozent der Gesetze ohne direkte Beteiligung des Volkes gemacht, und dabei kommen dann genau die gleichen Dinge heraus wie hier (Atomausstieg, Frauenquoten, Zwangsversicherung...).
Nicht wenige Schweizer Bekannte sagen mir, dass ihnen allmählich auch die Schweiz zu dicht und zu unfrei werde. Auch die Eidgenossenschaft hat eine seit 100 Jahren steigende Staatsquote und Regelungsdichte, selbst eine Vermögenssteuer gibt es. Man kann über direktdemokratische Reformversuche durchaus diskutieren, ich habe in diesem Zusammenhang einen Blick nach Liechtenstein empfohlen. Aber grundsätzlich macht es keinen Unterschied, ob eine Teufelsraute oder die Mehrheit über Ihr Leben entscheidet. Es sind in beiden Fällen nicht Sie.
Neue Ordnungen des Zusammenlebens müssen die Fallen vermeiden, die allen bisherigen Systemen früher oder später zum Verhängnis geworden sind. Sie sollten daher weitgehend politikfrei sein, größtmögliche wirtschaftliche und persönliche Freiheiten sowie Privateigentum ermöglichen, einen echten, schriftlichen Vertrag als Grundlage haben, der Herrschaft des Rechts unterliegen, niemandem Sonderrechte zugestehen, ihre Einwanderer auswählen, nach innen und außen wehrhaft sein und sich dem Wettbewerb mit anderen Systemen stellen; die Einwohner sollten darüber hinaus einen grundsätzlichen Wertekonsens aufweisen, und schließlich muss das System seinen Regierenden beziehungsweise Verwaltern die richtigen Anreize bieten.


Der große badische Liberale Roland Baader hat seine Idealvorstellung wie folgt zusammengefasst:
Lasst mich einen festen, eindeutigen und ein für allemal fixierten Steuersatz zahlen, und bezahlt damit angemessene Sicherheitskräfte und ein verlässliches Rechtswesen, aber haltet Euch ansonsten heraus aus meinem Leben. Dies ist mein Leben; ich habe nur eines, und dieses eine soll mir gehören.
Genau darum geht es. Ein anderer, inzwischen verfemter Autor ist vor Jahren übrigens zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt.
Stellen Sie sich ein System vor, in dem Ihnen ein privates Unternehmen als „Staatsdienstleister“ Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum bietet. Diese Leistung umfasst innere und äußere Sicherheit, einen Rechts- und Ordnungsrahmen sowie eine unabhängige Streitschlichtung. Sie zahlen einen vertraglich fixierten Betrag für diese Leistungen pro Jahr. Der Staatsdienstleister als Betreiber des Gemeinwesens kann diesen „Bürgervertrag“ mit Ihnen später nicht einseitig ändern. Sie als „Vertragsbürger“ haben einen Rechtsanspruch darauf, dass er eingehalten wird und einen Schadensersatzanspruch bei Schlechterfüllung. Um alles andere kümmern Sie sich selbst, können aber auch machen, was Sie wollen, begrenzt nur durch die Rechte der anderen und die sonstigen überschaubaren Regeln des Zusammenlebens.
Das schließt ein, sich mit anderen für alle möglichen Zwecke zusammenzuschließen. Streitigkeiten zwischen Ihnen und dem Staatsdienstleister werden vor unabhängigen Schiedsgerichten verhandelt, wie im internationalen Handelsrecht üblich. Ignoriert der Betreiber die Schiedssprüche oder missbraucht er seine Macht auf andere Weise, wandern seine Kunden ab, und er geht in die Insolvenz. Er hat also ein wirtschaftliches Risiko und daher einen Anreiz, seine Kunden gut und vertragsgemäß zu behandeln.
Der Ansatz ist, der Hyperkomplexität der Gegenwart durch einfache, robuste Rahmenregelungen zu begegnen und gerade nicht durch komplexe Gesetze, die dann wieder unerwartete Nebenwirkungen haben und diverse Schlupflöcher für Missbrauch und Vorteilsnahme bieten.
Dieses System heißt Freie Privatstadt. Auf den ersten Blick mag es unerhört radikal oder utopisch erscheinen. Allerdings nutzen wir den Dienstleistungsansatz bereits sehr erfolgreich in anderen Bereichen unseres Lebens. Der Übertrag auf unsere Gesellschaftsordnung stellt lediglich den letzten Schritt einer bereits im Gange befindlichen Entwicklung dar. Das Neue ist, dass das Zusammenleben auf rein privatwirtschaftlicher Ebene stattfindet, aber das System trotzdem in der Lage ist, sämtliche von Bewohnern bisheriger Staaten nachgefragten Leistungen zu erbringen. Und zwar besser, billiger und mit weit höheren Freiheitsgraden für die Kunden bzw. Vertragsbürger. Die Hauptelemente des freien Marktes werden einfach auf das Zusammenleben übertragen, nämlich der freiwillige Leistungsaustausch, das Recht, Angebote abzulehnen und der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Machtbegrenzungsmittel und Qualitätsfilter. Da die Teilnahme an der Freien Privatstadt freiwillig ist, muss das Konzept dauerhaft attraktiv sein, sonst kommt niemand, oder die Bewohner wandern wieder ab.
Gerade die Konstruktion als Dienstleistungsvertrag hat den Vorteil, dass sie bereits erprobt und bewährt ist. Sie entspricht dem, was wir aus den privaten Geschäften des täglichen Lebens kennen. Sei es der Brötchenkauf beim Bäcker, der Abschluss einer Versicherung oder die Beauftragung eines Steuerberaters. Stets liegt ein gegenseitiger, einvernehmlich geschlossener Vertrag zugrunde. Dieser regelt, welches Produkt oder welche Dienstleistung zu welchen Bedingungen und zu welchem Preis zu liefern ist. Das gilt selbst dann, wenn der Vertrag – wie beim Bäcker – nur durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen ist. Der Käufer weiß, dass sein Vertragspartner ein wirtschaftliches Interesse hat; dieser muss ihm weder Gemeinwohl noch Menschheitsrettung als Motive vorgaukeln.
Bei Streitigkeiten kann man sich an unabhängige Gerichte oder Schiedsstellen wenden. Kein Verkäufer würde damit durchkommen, dass er nachträglich einseitig den Vertragsinhalt ändert („Sie zahlen ab jetzt das Doppelte, bekommen dafür aber eine zusätzliche Leistung, die sie nicht bestellt haben“) oder er eine Streitschlichtung ausschließlich durch eigene Einrichtungen erlaubt.


In einer Freien Privatstadt ist jeder Souverän Seiner Selbst, der aufgrund freiwilliger Vereinbarung einen echten Vertrag mit einem mehr oder weniger gewöhnlichen Dienstleister abgeschlossen hat, den Bürgervertrag. Beide Parteien sind formal gleichberechtigt und somit rechtlich auf Augenhöhe. An die Stelle des Verhältnisses Obrigkeit-Untertan tritt das Verhältnis Kunde-Dienstleister. Anders als in herkömmlichen Systemen, wo der Bürger zur Steuerzahlung verpflichtet ist, ohne ein korrespondierendes Leistungsrecht zu haben, stehen in einer Freien Privatstadt Leistung und Gegenleistung in einer direkten Beziehung.
Beide Vertragspartner haben einen Anspruch auf Vertragserfüllung, das heißt der Betreiber kann vom Vertragsbürger die Zahlung des festgesetzten Beitrags verlangen, aber eben keine zusätzlichen Beträge. Der Vertragsbürger wiederum kann vom Betreiber einklagen, dass dieser seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt, indem er etwa Sicherheit und ein funktionierendes Zivilrechtssystem gewährleistet. Wer der Betreibergesellschaft gerade vorsteht oder wem diese gehört, ist für das Funktionieren des Modells ohne Belang.
Eine Freie Privatstadt ist mithin keine Utopie, sondern vielmehr eine Geschäftsidee, deren funktionale Elemente bereits bekannt sind, und die lediglich auf einen anderen Sektor übertragen werden, nämlich den des Zusammenlebens. Im Grunde stellt der Betreiber als Dienstleister nur den Rahmen, innerhalb dessen sich die Gesellschaft ergebnisoffen im Sinne einer „spontanen Ordnung“ (Hayek) entwickeln kann.
Das Miteinander in Freien Privatstädten beruht auf wenigen Grundsätzen. Die Leitprinzipien sind Selbstbestimmung und Privatautonomie. Für das Zusammenleben gilt die Goldene Regel, wie sie in dem Sprichwort „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu“ zum Ausdruck kommt; daneben das Prinzip do ut des („Ich gebe, damit du gibst“), also die Erkenntnis, dass Leistung auf Gegenleistung beruht; schließlich das Freiwilligkeits- bzw. Nichtaggressionsprinzip, mithin der Vorrang von freiwilliger Kooperation gegenüber Zwang und Enteignung, auch für vermeintlich gute Zwecke. Zur Einhaltung dieser Grundregeln können oder müssen auch Zwangsmittel angewendet werden. Schwerwiegende oder wiederholte Verstöße führen zudem zum Ausschluss aus der Privatstadt. Zur Freiwilligkeit gehört das Recht, den Aufenthalt in der Freien Privatstadt jederzeit ohne Hürden wieder zu beenden.
Freie Privatstädte erwarten von ihren Vertragsbürgern Mündigkeit und Selbstständigkeit. Dazu gehört die Übernahme von Verantwortung für sich und andere, die Stärkung von Familie und kleinen Gemeinschaften sowie Ideen- und Erfindungsreichtum zur Überwindung von Schwierigkeiten. Dafür winken die Freude und Zufriedenheit, sein Leben aus eigener Kraft nach eigenen Vorstellungen meistern zu können. Langfristig wächst auf diese Weise eine Gemeinschaft von selbstbewussten, aufgeweckten und wirklichkeitsbezogenen Menschen heran. Auch ohne Sozialstaat ist eine Absicherung möglich, welche die Fehlanreize westlicher Wohlfahrtsstaaten zudem vermeidet.
Wenn jeder frei entscheiden kann, was er tun und wie er leben möchte, gibt es auch für Mitbestimmungsorgane wie Parlamente keinen wirklichen Bedarf. Diese laufen zudem immer Gefahr, von Interessengruppen oder der Regierung für ihre Zwecke gekapert zu werden. Mark Twain drückt es so aus: „Immer wenn das Parlament tagt, sind Eigentum und Freiheit der Bürger in Gefahr.“

So ist es. Die Veränderungssperre zugunsten von Freiheit und Selbstbestimmung in einer Freien Privatstadt ist daher der Bürgervertrag. So können sich zwar die Bewohner auf eine Interessenvertretung einigen und etwa einen Gemeinderat etablieren. Aber auch wenn 99 Prozent der Bewohner dort mitmachen und sich freiwillig den Mehrheitsentscheidungen unterwerfen, hat dieses Gremium kein Recht, den übrigen 1 Prozent, die damit nichts zu tun haben wollen, seine Ideen aufzuzwingen. Das ist genau der Punkt, an dem staatliche Systeme regelmäßig scheitern: die dauerhafte Gewährleistung der individuellen Freiheit.
In einer Freien Privatstadt ist aber von vornherein bekannt, dass es nicht möglich ist, seine eigenen Wertvorstellungen anderen aufzuzwingen. Die Legitimität dieses Systems steht dabei außer Frage. Schließlich hat jeder einzelne Bürger einen Vertrag mit dem Betreiber geschlossen, welcher die herrschende Ordnung und die dazugehörigen Regelungen abschließend beschreibt.

Während freiwillige Initiativen und Zusammenschlüsse ohne weiteres möglich sind, gibt es kein Forum, das es ermöglicht, die Rechtsposition anderer Vertragsbürger gegen deren Willen zu eigenen Gunsten oder im Hinblick auf ein selbstdefiniertes Gemeinwohl abzuändern. Politische Aktivisten, Lobbyisten oder Trittbrettfahrer, die aufgrund ihrer Nähe zur Macht nach Subventionen oder leistungslosem Einkommen streben, laufen ins Leere. Verteilungskämpfe und das Aufwiegeln gesellschaftlicher Gruppen gegeneinander gehören der Vergangenheit an: Es gibt dabei nichts mehr zu gewinnen.
Jeder Vertragsbürger kann sich in einer Freien Privatstadt vielmehr darauf verlassen, dass sein Leben, seine Freiheit und sein Eigentum keinen politischen Unwägbarkeiten ausgesetzt sind. Er braucht sich nicht in politische Streitfragen einzumischen und erleidet dadurch keine Nachteile. Er muss nicht seine Zeit und Energie darauf verwenden, Freiheitseinschränkungen abzuwehren. Jeder Einzelne hat eine weit bessere Möglichkeit, sein Leben entsprechend seinen Wertvorstellungen zu gestalten. In herkömmlichen Staaten hingegen wird er gezwungen, ein ganzes Bündel von Leistungen abzunehmen und zu finanzieren, die er möglicherweise gar nicht will. Dies verhindert, dass er freie Mittel so einsetzen kann, wie sie seinen Vorstellungen und seiner Lebenssituation besser entsprechen.


Wie kommen wir dahin? Um eine Freie Privatstadt umzusetzen, ist innere Autonomie notwendig. Dies bedeutet nicht zwingend völkerrechtliche Souveränität, aber zumindest das Recht, die eigenen Angelegenheiten selbstständig zu regeln. Zur Etablierung einer Freien Privatstadt bedarf es daher einer vertraglichen Vereinbarung mit einem bestehenden Staat. In diesem Vertrag räumt der „Gastgeberstaat“ der Betreibergesellschaft das Recht ein, auf einem abgegrenzten Territorium die Freie Privatstadt gemäß den vereinbarten Bedingungen zu errichten.
Freie Privatstädte entsprechen somit weder privat verwalteten Neubaustädten noch Gated Communities, die voll dem Recht des jeweiligen Staates unterliegen, noch autoritär regierten Stadtstaaten wie Singapur oder Dubai, welche jederzeit einseitig die Regeln ändern können. Sie gehen auch deutlich über Sonderwirtschaftszonen hinaus, sondern entsprechen eher selbstständigen Sonderverwaltungszonen, vergleichbar etwa dem Verhältnis Hong Kongs zu China.
Staaten können aus einem einzigen Grund für ein solches Konzept gewonnen werden: Wenn sie sich Vorteile davon versprechen, in der Regel durch Investitionen, Arbeitsplätze, erhöhte Einnahmen. Das können Freie Privatstädte bieten. Bestehende Staaten dazu zu bewegen, einen Teil ihrer Souveränität aufzugeben, ist sicherlich keine leichte Aufgabe. Trotzdem erscheint dieser Weg einfacher, als bestehende Systeme „von innen“ in Richtung auf mehr Freiheit, Rechtssicherheit und Selbstverantwortung zu verändern.


Staaten, die immer mehr Steuern verlangen und gängelnde Gesetze erlassen, aber gleichzeitig ihren Bürgern immer weniger Sicherheit bieten, werden irgendwann auf Widerstand stoßen. Gerade Hochsteuerländer wie Deutschland, die ihre Bürger wissentlich und willentlich sogenannten Intensivtätern aussetzen, haben in dieser Form keine Zukunft. Gegenmaßnahmen lassen sich am leichtesten auf lokaler Ebene organisieren.
So können die Bürger bestehender Kommunen etwa beschließen, ihr Zusammenleben nach dem Vorbild Freier Privatstädte zu gestalten. Dazu holen sie entweder eine Betreibergesellschaft von außen oder gründen eine entsprechende Genossenschaft, die allen gemeinsam gehört, aber gleichwohl mit jedem einen Bürgervertrag abschließt. Mit dem bisherigen Staat wird eine Vereinbarung über die künftige Einbettung in den Verwaltungsaufbau getroffen oder dieser wird schlicht finanziell abgefunden, und die Stadt wird frei.
Dafür ist die Zeit in Europa noch nicht reif, aber wer weiß, wie es in 5 bis 10 Jahren aussehen wird. Erste Projekte in der realen Welt, die zumindest in Richtung Freie Privatstädte gehen, wurden in Honduras, Myanmar und Französisch-Polynesien begonnen. Die dort gewonnenen Erfahrungen können später auch unserem Teil der Welt zugute kommen.
Die Betreibergesellschaft einer Freien Privatstadt muss nicht zwingend einem Privatunternehmer gehören, sondern kann auch im genossenschaftlichen Eigentum aller Vertragsbürger stehen, vergleichbar etwa den Volks- und Raiffeisenbanken. Doch ist das Gewinnerfordernis von zentraler Bedeutung. Viele Menschen halten Gewinnstreben für etwas Unmoralisches und wollen am liebsten nichts damit zu tun haben. Sie verkennen, dass es keinen besseren Anreiz gibt, knappe Mittel optimal einzusetzen und die Ressourcen bestmöglich auszunutzen. Außerdem sorgt es für Transparenz. Der Betreiber der Freien Privatstadt will Geld verdienen, das ist klar. Was aber sind die Motive und Beweggründe der Politiker? Die Behauptung, diese seien nur von der Sorge um das Gemeinwohl getrieben, glauben zu Recht die Wenigsten.
Gewinnerfordernis und Wettbewerb mit anderen Systemen zwingen den Betreiber einer Freien Privatstadt vielmehr dazu, sein Produkt permanent zu verbessern und die Ressourcennutzung zu optimieren. Jede Entscheidung, die er trifft, hat unmittelbare Auswirkungen. Erhöht dies die Zufriedenheit der Bewohner beziehungsweise wird diese durch Sparmaßnahmen nicht vermindert? Mit anderen Worten: Werden dadurch in letzter Konsequenz höhere Einnahmen als Ausgaben generiert? Falls ja, wird Gewinn erzielt und der Unternehmenswert der Freien Privatstadt erhöht. Falls nein, muss die Maßnahme rückgängig gemacht oder verbessert werden. Eine solche Effizienz wird von staatlichen Ordnungen niemals erreicht werden können.
Wie könnte das Leben in freien Privatstädten aussehen?
Neuartige Dienstleister wie Uber oder Airbnb sind nicht verboten, sondern eine Selbstverständlichkeit. Es gibt private Unternehmer, die vom Krankenhaus über Schulen und Kindergärten bis hin zur Müllabfuhr alles abdecken, was nachgefragt wird. Gegen sämtliche Eventualitäten des Lebens versichern sich die Bewohner auf Wunsch privat oder gründen Selbsthilfegruppen, sei es zum Schutz vor Krankheit, Tod, Pflegebedürftigkeit oder Unfällen.
Schnellstraßen, Häfen und Einkaufszentren werden von Investoren erstellt und betrieben. Jeder kann neue Produkte und Dienstleistungen ohne Genehmigung oder Lizenz anbieten und sich in jeder gewünschten Währung bezahlen lassen. Auch für Ungelernte gibt es – mangels Mindestlohnvorschriften – Verwendung.
Günstige Produkte können aus der ganzen Welt eingeführt werden, weil Freihandel und damit Zollfreiheit herrschen. Neue Medikamente und Behandlungsmethoden sind jedem Erwachsenen zugänglich, der diese in Kenntnis des möglichen Risikos testen will. Umweltgrenzwerte gelten nur für wirkliche Toxizität auf wissenschaftlicher Grundlage.
Es herrscht Meinungsfreiheit – sogar eine bestimmte Religion darf offen kritisiert werden – und volle Vertragsfreiheit. Zigaretten werden wieder ohne hässliche Warnhinweise gehandelt und beworben. Man kann leistungsstarke Staubsauger und Duschköpfe erwerben. Glühbirnen sowieso.
Die Privatstadt macht ihre Einwanderungsregeln selbst. Sie kann jeden, der kriminell wird oder zum Beispiel den Vorrang religiöser Dogmen vor den Regeln der Stadt propagiert, ohne viel Federlesens wieder hinauswerfen.
Aufgrund dieser Positivauslese benötigen Vertragsbürger für die meisten Staaten kein Visum. Freie Privatstädte, die zum selben Betreiber gehören oder anderweitig assoziiert sind, verfügen zudem über eine weltweit einheitliche Notrufnummer sowie Konsulate im Ausland, in denen Vertragsbürgern in Notfällen geholfen wird.
Kriminalität und Vandalismus sind kaum existent, man kann seine Kinder ruhigen Gewissens sogar nachts auf die Straße lassen.
Soziologen, Politologen, Kunsthistoriker und andere Geisteswissenschaftler, die üblicherweise den Staatsdienst und staatlich finanzierte NGOs bevölkern, sind selten geworden.
Da das Studium selbst bezahlt werden muss, werden eher Ausbildungsgänge bevorzugt, die Aussicht auf echte Nachfrage versprechen.
Einige Unternehmen, darunter auch bekannte Namen, sind mit ihrer Ansiedlung gescheitert. Es gibt weder neue Gesetze, die zu eigenen Gunsten beeinflusst noch Subventionstöpfe, die abgegriffen werden können.
Heerscharen von klugen Menschen, die anderswo Beamte, Steuerberater, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer geworden wären, sind in der Privatwirtschaft tätig und erhöhen Produktivität und Wertschöpfung.
Politischer Aktivismus, Missionierungseifer, Verteilungskämpfe und das Aufwiegeln gesellschaftlicher Gruppen gegeneinander sind praktisch verschwunden.
Die Vertragsbürger respektieren gegenseitig ihre unterschiedlichen Anschauungen und Einschätzungen. Die Menschen sind wieder in der Verantwortung, für sich selbst zu sorgen und dadurch automatisch selbstbewusster, stabiler und realistischer in ihren Einschätzungen.
Sind verschiedene Freie Privatstädte erst einmal weltweit verbreitet, wird das die bestehenden Staaten unter erheblichen Druck setzen, ihre Systeme in Richtung auf mehr Freiheit zu verändern, wollen sie nicht ihre Leistungsträger verlieren. Und das ist genau die positive Wirkung von Wettbewerb, die im Staatsmarkt bisher gefehlt hat.
Die Menschen haben heute schon unter unzähligen Warenangeboten die Auswahl, können zwischen verschiedensten Versicherungen für alle Lebensbereiche wählen und erhalten ständig neue technische Produkte. Warum sollten sie sich auf dem Markt des Zusammenlebens für die Beibehaltung einer Zwangslösung entscheiden, die teuer ist und schlecht funktioniert?
Die Freien Reichsstädte des Mittelalters waren Fluchtpunkte vor der absoluten Herrschaft der Monarchen, wurden aber wegen der Ausstrahlungswirkung ihres wirtschaftlichen Erfolges letztlich akzeptiert. Die Freien Privatstädte des 21. Jahrhunderts werden Fluchtpunkte vor der Bevormundung und Ausbeutung durch unsere Regierungen sein. Sie werden aus denselben wirtschaftlichen Gründen von diesen schließlich toleriert werden. Denn der Geldbedarf von Machthabern tendiert immer gegen unendlich. Stadtluft macht frei, bald wieder.

Titus Gebel ist Unternehmer und promovierter Jurist. Zusammen mit Partnern arbeitet er derzeit daran, die erste Freie Privatstadt der Welt zu verwirklichen. Der Beitrag beruht auf seinem Buch Freie Privatstädte – Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.