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Mittwoch, 1. Juli 2020

Zum besseren Verständnis der deutschen Justiz

Meinetwegen sollen sich „Experten“ darüber streiten, ob Fernsehen bildet oder eher verblödet. Wenn ich als Jurist und jemand, der fast sechs Jahre in der Polizeiabteilung des Innenministeriums in Stuttgart gearbeitet hat, mir einen Krimi oder einen Gerichtsfilm ansehe, dann jedenfalls nicht der Bildung wegen, sondern ausschließlich zur Unterhaltung. Wenn der Verteidiger in einem solchen Film den Vorsitzenden mit „Euer Ehren“ anredet und gegen Fragen des Staatsanwalts mehrfach „Einspruch“ einlegt, dann buche ich diese Anleihe an den amerikanischen Strafprozess unter eben diese Unterhaltung in der stillen Hoffnung, dass die Zahl der Zuschauer möglichst gering ist, die das für eine Abbildung der Wirklichkeit in deutschen Gerichtssälen hält.
Vor vier Jahren schrieb ich auf der Achse einen Beitrag unter dem Titel „Es gibt für alles einen Begriff, der kurz, beliebt und falsch ist“, in dem es im Wesentlichen um juristische Termini ging, die im Alltag nicht selten falsch verwendet werden.
In diesem Beitrag geht es ebenfalls um Gegenstände unserer Rechtsordnung, die im Laufe der Zeit zwar keinen Bedeutungswandel erfahren haben, aber mit einem anderen Etikett versehen wurden, sei es durch den Gesetzgeber selber, sei es durch den praktischen Gebrauch. Eine Entwicklung, die wir unter dem Einfluss der Political Correctness auch in anderen Lebensbereichen beobachten können. Wenn man die Dinge schon beim Namen nennen muss, dann sollen sie wenigstens nicht ganz so schlimm klingen.

Zahlungsbefehl / Mahnbescheid

Während unsere Nachbarn in Österreich und der Schweiz noch den Zahlungsbefehl fürchten müssen, verwendet der deutsche Gesetzgeber seit 1982 den weniger bedrohlichen Begriff des Mahnbescheids, der von dem zentralen Mahngericht jedes Bundeslandes bei Geldforderungen im Zuge eines Mahnverfahrens erlassen wird (§§ 688 ff., 692 Zivilprozessordnung, ZPO). Versäumt es der Schuldner, dagegen rechtzeitig Widerspruch einzulegen, ergeht ein Vollstreckungsbescheid, der früher Vollstreckungsbefehl hieß.
„Für Antragsteller, die ihren Wohnsitz in Baden-Württemberg haben, werden die Mahnsachen grundsätzlich ausschließlich vom Amtsgericht Stuttgart als zentralem Mahngericht im automatisierten Verfahren bearbeitet.“ Im Europäischen Mahnverfahren wird dagegen weiterhin der Begriff Zahlungsbefehl verwendet (Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der VERORDNUNG (EG) Nr. 1896/2006 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens – European order for payment, injonction de payer européenne). „Für die Bearbeitung von Anträgen auf Erlass und Überprüfung sowie die Vollstreckbarerklärung eines Europäischen Zahlungsbefehls nach der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 ist das Amtsgericht Wedding in Berlin ausschließlich zuständig“ (§ 1087 ZPO). Das gleiche gilt für Antragsteller, die im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand haben (§ 689 Absatz 2 ZPO). Eine Liste der zentralen Mahngerichte in Deutschland finden Sie hier).

Offenbarungseid / Eidesstaatliche Versicherung

Bis 1970 hieß die Vermögensauskunft durch den Schuldner offiziell Offenbarungseid. Danach wird der unverfängliche Begriff der Eidesstattlichen Versicherung oder der Versicherung an Eides Statt verwendet, die uns auch sonst in anderen Zusammenhängen begegnet. Nach dem Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29. Juli 2009 spricht man schlicht von Vermögensauskunft (§ 802c ZPO). Allerdings hat der Schuldner zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, dass er die Angaben zu seinem Vermögen nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe (Vermögensauskunft und Eidesstattliche Versicherung verhalten sich also zueinander wie Inhalt und Form).

Uneheliches / Nichteheliches Kind

Bis 2011 war das Kind einer unverheirateten Frau ein uneheliches Kind, früher (noch in meiner Schulzeit) ein fürchterlicher nicht selten lebenslanger Makel für Mutter und Kind. Dazu braucht man nicht auf Gretchen in Goethes Faust zu rekurrieren, die aus Verzweiflung zur Mörderin ihres unehelichen Kindes wird („Meine Mutter, die Hur, die mich umgebracht hat“ – Kerkerszene im Urfaust). Noch Willy Brandt musste sich als Regierender Bürgermeister von Berlin von keinem Geringeren als Konrad Adenauer vorhalten lassen: „Wenn einer mit der größten Rücksicht behandelt worden ist von seinen politischen Gegnern, dann ist das der Herr Brandt alias Frahm.“
„Mit diesem Ausspruch ... spielte der Kanzler mit der ihm eigenen Delikatesse auf den Umstand an, daß der Bürgermeister als uneheliches Kind einer kleinen Konsumverkäuferin geboren wurde und seinen Mutternamen Frahm, Vorname Herbert, trug, bis er nach 1933 zur Täuschung der Gestapo den Namen Willy Brandt annahm“ (Spiegel am 23.08.1961).
Nach 2011 spricht man vom nichtehelichen Kind, das aber rechtlich dem ehelichen vollkommen gleichgestellt ist und auch gesellschaftlich keine Nachteile mehr zu befürchten hat. Lediglich in Artikel 6 Absatz 5 Grundgesetz (GG) ist der Begriff uneheliche Kinder stehen geblieben. Der darin enthaltene Auftrag an den Gesetzgeber führte auf Druck des Bundesverfassungsgerichts am 19. August 1969 zur Verabschiedung des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder.

Armenrecht / Prozesskostenhilfe

Und wenn heute manch einer die Situation von Kindern als Armutszeugnis für unseren Sozialstaat ansieht, so weiß kaum noch jemand, dass dieser Begriff aus dem Prozessrecht stammt. Hier konnte jemand bis 1980 das Armenrecht beantragen, wenn seine Wohngemeinde ihm ein Armutszeugnis ausstellte, wonach er nicht in der Lage sei, die Kosten für Gericht und Rechtsanwalt selbst zu tragen. Ab 1. Januar 1981 bekommt er bei Nachweis seiner Bedürftigkeit Prozesskostenhilfe, „wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint“ (§ 114 Absatz 1 Satz 1 ZPO).
Die Vorschriften der ZPO gelten entsprechend im arbeitsgerichtlichen (§ 11a Absatz 1 ArbGG), verwaltungsgerichtlichen (§ 166 Absatz 1 Satz 1 VwGO), sozialgerichtlichen (§ 73a Absatz 1 Satz 1 SGG) und finanzgerichtlichen Verfahren (§ 142 Absatz 1 FGO). Auch im Strafverfahren kann ein Verletzter als Nebenkläger Prozesskostenhilfe beantragen (§§ 397a, 404 StPO), während dem Angeklagten dieser Weg versperrt ist. Zwar kann er sich nach § 137 Absatz 1 StPO in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen, wobei die Zahl der gewählten Verteidiger drei nicht übersteigen darf. Für deren Kosten muss er jedoch, außer im Fall der „notwendigen Verteidigung“ / Pflichtverteidigung (§ 140 StPO), selbst aufkommen (führt das Verfahren zu einem Freispruch, trägt die Staatskasse die Kosten, allerdings nur die nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, früher Rechtsanwaltsgebührenordnung, nicht die vertraglich vereinbarten).
Für Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gilt folgendes: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist im Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den Beschwerdeführer entsprechend §§ 114 ff. ZPO möglich. Allerdings wird Prozesskostenhilfe nur unter strengen Voraussetzungen gewährt, weil das Verfahren kostenfrei ist und kein Anwaltszwang besteht. Sie wird daher nur gewährt, wenn dies unbedingt erforderlich erscheint, weil die betroffene Person nicht in der Lage ist, sich selbst zu vertreten“ (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer [3 Richter] des Zweiten Senats vom 9. Juni 2017).

Entmündigung / rechtliche Betreuung

Gerhart Hauptmann behandelt in seinem Schauspiel „Vor Sonnenuntergang“ den tragischen Fall einer Liebesbeziehung eines vermögenden Siebzigjährigen mit einer jungen Frau, gegen den die eigenen Kinder einen Antrag auf Entmündigung stellen, weil sie um ihr Erbe fürchten. Bis 1992 hätten sie dies in einem Verfahren der streitigen Gerichtsbarkeit vor dem Amtsgericht durchsetzen müssen (§§ 645–687 ZPO a. F.). Heute müssten sie einen Antrag auf rechtliche Betreuung stellen, über den im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom Familiengericht entschieden wird (Betreuungsgesetz und §§ 1896 ff. BGB sowie Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) = Artikel 1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG).
Kehren wir abschließend zum Strafverfahren zurück, mit dem diese Betrachtung begonnen hat.

Durchsuchungsbefehl / Durchsuchungsbeschluss – Haftbefehl

Auch der Durchsuchungsbefehl im Laufe eines Ermittlungsverfahrens, der in keinem Krimi fehlen darf, ist dem harmloser klingenden Durchsuchungsbeschluss gewichen (§§ 102, 103, 105 Strafprozessordnung, StPO), während richtigerweise von Durchsuchungsanordnung gesprochen werden müsste.
Dagegen ist der Haftbefehl terminologisch erhalten geblieben, wobei vermutlich nicht allgemein bekannt ist, dass er nicht nur als Untersuchungshaftbefehl (§ 112 StPO) auftritt, sondern häufig auch als Vollstreckungshaftbefehl und zwar nicht nur zur Vollstreckung einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe (§ 457 Absatz 2 StPO), sondern auch zur Erzwingung einer Vermögensauskunft (§ 802g Absatz 1 ZPO). Der sogenannte internationale und europäische Haftbefehl ist dagegen ein Auslieferungshaftbefehl: Während der Betroffene sich in Haft befindet, wird geprüft, ob er an das Land ausgeliefert werden darf oder muss, das ihn beantragt hat. Untersuchungshaft setzt dringenden Tatverdacht und einen Haftgrund voraus (Flucht oder Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr, § 112 StPO). Bei besonders schweren Straftaten gegen das Leben darf U-haft auch ohne Haftgrund angeordnet werden.
Neben dem dringenden Tatverdacht kennt das Strafverfahrensrecht noch den Anfangsverdacht und den hinreichenden Tatverdacht. Anfangsverdacht ist zu bejahen, wenn sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat ergeben (§ 152 Abs. 2 StPO). Er ist erforderlich, damit die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleiten darf, aber auch muss (Legalitätsprinzip). Hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn es nach Beweislage wahrscheinlich ist, dass der Beschuldigte wegen einer Straftat verurteilt wird. Er ist erforderlich, damit die Staatsanwaltschaft Anklage erheben beziehungsweise einen Strafbefehl beantragen kann (§ 170 Abs. 1 StPO).

Hilfsbeamte / Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft

In den meisten Krimis agiert der Staatsanwalt nur im Hintergrund (etwa um beim zuständigen Richter einen Durchsuchungsbeschluss oder Haftbefehl zu beantragen – eine Ausnahme bildet nur Oberstaatswalt Bernd Reuter aus Wiesbaden, gespielt von Rainer Hunold in der Serie „Der Staatsanwalt“, der die Kriminalbeamten Kerstin Klar und Christian Schubert tatsächlich nicht selten zu seinen Hilfsbeamten degradiert), obwohl er Herr des Ermittlungsverfahrens ist. Wegen dieser Rechtslage nannte das Gesetz bis 30. August 2004 die ermittelnden Polizisten „Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft“ (§ 152 Gerichtsverfassungsgesetz, GVG a.F., §§ 98, 105 u.a. StPO a.F.).
Da dies nicht der Sachlage entsprach und zudem wenig schmeichelhaft klang, werden sie seitdem als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bezeichnet (§ 152 GVG):
„Der Begriff der „Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft“ wird der heutigen Funktion der Polizei im Ermittlungsverfahren sprachlich wie tatsächlich nicht mehr gerecht. Zwar obliegt die Sachleitungsbefugnis im Ermittlungsverfahren weiterhin uneingeschränkt der Staatsanwaltschaft. Im Hinblick auf den inzwischen erreichten Aus- und Fortbildungsstand der Polizeibeamten und der daraus folgenden Tatsache, dass die Polizei aus einer lediglich untergeordneten Hilfsfunktion herausgewachsen ist, wird durch die Ersetzung des nicht mehr zeitgemäßen Begriffs der ‚Hilfsbeamten‘ durch den Begriff ‚Ermittlungspersonen‘ das heutige Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei zutreffend charakterisiert und der Ermittlungswirklichkeit Rechnung getragen.“
– Begründung zur Änderung von § 152 GVG (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BT-Drs. 15/3482 S. 25 l.Sp.).

Schwurgericht / Große Strafkammer

Einen Bedeutungswandel hat auch das Schwurgericht erfahren, das von 1871 bis 1924 aus drei Berufsrichtern und 12 Geschworenen bestand, die getrennt von der Richterbank saßen, wie heute noch in den USA. Dabei entschieden die Geschworenen ohne die Richter über die Schuldfrage und mit den Richtern über das Strafmaß. Ab 4. Januar 1924 bestand das Schwurgericht aufgrund der sog. Emminger-Novelle aus drei Berufsrichtern und 6 Geschworenen, die gleichrangig auf der Richterbank saßen. Heute unterscheidet sich das Schwurgericht nur dem Namen nach von der Großen Strafkammer des Landgerichts, die mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt ist (§ 76 Absatz 2 Satz 3 Nummer 1 GVG).

Amerikanisches/deutsches Strafverfahren

Das amerikanische und das deutsche Strafverfahren unterscheiden sich grundlegend. Der amerikanische criminal trial ist ein Parteienprozess (zum Beispiel „The People of the State of Tennessee vs. John Thomas Scopes“, the Scopes Monkey Trial, der berühmt-berüchtigte „Affenprozess“ 1925), in dem der Staat / die Anklage durch den Staatsanwalt, der Angeklagte durch seinen Verteidiger vertreten werden, während der Richter auf Initiative der Parteien („Objection, Your Honour“) darüber wacht, dass die Prozessregeln eingehalten werden und die Geschworenen nach Abschluss der Beweisaufnahme über Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheiden und der Richter gegebenenfalls das Strafmaß festlegt.
Der deutsche Strafprozess ist dagegen ein Offizialverfahren, bei dem das Gericht, insbesondere der Vorsitzende, die zentrale Rolle spielt. Die korrekte Anrede lautet „Hohes Gericht“ oder einfach „Herr Vorsitzender“ oder „Frau Vorsitzende“. Eines Einspruchs von Staatsanwalt oder Verteidiger gegen bestimmte Fragen der „Gegenseite“ bedarf es nicht: Der Vorsitzende entscheidet von Amts wegen über die Zulässigkeit einer Frage (§ 241 Absatz 2 sowie § 68a StPO). „Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet in allen Fällen das Gericht“, also unter Beteiligung der Laienrichter (§ 242 StPO). Es hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Absatz 2 StPO).

Während im amerikanischen Strafprozess das Kreuzverhör (cross examination) die regelmäßige Form der Zeugenvernehmung ist, bestimmt § 238 StPO „Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.“
Der Vorsitzende hat allen Prozessbeteiligten, einschließlich des Angeklagten selbst und der Schöffen, auf Verlangen zu gestatten, Fragen an den Angeklagten, die Zeugen und die Sachverständigen zu stellen. Nur die unmittelbare Befragung eines Angeklagten durch einen Mitangeklagten ist unzulässig (§ 240 Absatz 2 Satz 2 StPO). „Die Vernehmung von Zeugen unter 18 Jahren wird allein von dem Vorsitzenden durchgeführt“ (§ 241a Absatz 1 StPO); dieser kann jedoch die unmittelbare Befragung durch die anderen Prozessbeteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen gestatten.
Das Kreuzverhör ist ebenfalls zulässig. § 239 StPO bestimmt hierzu:
„(1) Die Vernehmung der von der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten benannten Zeugen und Sachverständigen ist der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger auf deren übereinstimmenden Antrag von dem Vorsitzenden zu überlassen. Bei den von der Staatsanwaltschaft benannten Zeugen und Sachverständigen hat diese, bei den von dem Angeklagten benannten der Verteidiger in erster Reihe das Recht zur Vernehmung.
(2) Der Vorsitzende hat auch nach dieser Vernehmung die ihm zur weiteren Aufklärung der Sache erforderlich scheinenden Fragen an die Zeugen und Sachverständigen zu richten.“
Der Beschluss der Jury im amerikanischen Strafprozess muss einstimmig erfolgen, wobei die Geschworenen nur die Wahl zwischen schuldig (guilty) und nicht schuldig (not guilty) haben. Im deutschen Strafverfahren kann dagegen auch eine Mehrheitsentscheidung (zwei Drittel) zur Verurteilung oder zum Freispruch führen. Dabei können die Laienrichter sowohl beim Schöffengericht (ein Berufsrichter, zwei Schöffen, mit einem Entscheidungsrahmen bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe, §§ 24, 25 StPO), als auch bei der Großen Strafkammer und beim Schwurgericht, das die Kapitalverbrechen verhandelt, die Berufsrichter überstimmen. § 263 Absatz 1 StPO schreibt nämlich vor: „Zu jeder dem Angeklagten nachteiligen Entscheidung über die Schuldfrage und die Rechtsfolgen der Tat ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen erforderlich.“
Dabei gilt: Kein Richter oder Schöffe darf die Abstimmung über eine Frage verweigern, weil er bei der Abstimmung über eine vorhergegangene Frage in der Minderheit geblieben ist (§ 195 GVG). Wer also für „unschuldig“ gestimmt hat, aber damit allein geblieben ist, kann beim Strafmaß daher durchaus für die höchste Strafe stimmen (da er gemäß Mehrheitsbeschluss von „schuldig“ ausgehen muss).
Die Verhandlung ist geschlossen.
Übrigens: Würde der amerikanische Strafprozess in Film und Fernsehen eins zu eins gezeigt, könnte es schnell ermüdend und langweilig werden, weil alle Dokumente, die als Beweis eingeführt werden, von A bis Z verlesen werden müssen, und wenn sie 1.000 Seiten haben. Wer Gelegenheit hatte, den O.J. Simpson-Prozess im Jahr 1995 unter Richter Lance Ito in Sky News zu verfolgen, konnte sich davon überzeugen. Die Preliminary Hearings („trial before the trial“ – Voruntersuchung) sind in fünf Folgen heute noch auf Youtube verfügbar, ebenso wie zahlreiche Phasen aus dem Hauptverfahren (vgl. zum Beispiel OJ Simpson Trial – January 24th, 1995 – Part 1, Dauer gut zwei Stunden). Das Volk wurde u.a. von der Staatsanwältin Marcia Clark, der Angeklagte u.a. von Rechtswalt Gerald Uelmen vertreten.   Rainer Grell

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