Kalt war es im April, als die Vereinigten Staaten Ihrem Präsidenten
die letzte Ehre erwiesen. Die Kinderlähmung hatte Roosevelt über Jahre
gequält und eine Hirnblutung ihm schließlich das Ende beschert. Nur
wenige Tage nach dem Tod erreichte die Easy Company Landsberg und
befreite die Häftlinge aus dem Konzentrationslager Kaufering IV. Ich mag
es mir nicht ausmalen, wie scheußlich der Anblick für die teils
blutjungen GIs gewesen sein muss, als sie die toten und halbtoten
Insassen erblickten und in ihren Augen sich die blanke Entmenschlichkeit
widerspiegelte, die die Deutschen in industrieller Präzision
sprichwörtlich fabriziert hatten.
Den wackeren und treuen Amerikanern ist es zu verdanken, dass wir
heute nicht von einer Horde Nazipack regiert werden*. Der deutsche Michel
in seiner Lust am Devotismus war dazu nicht in der Lage. Sein Gemüt
schien zu bequem, seine Moralvorstellung zu modrig. Zu sehr manifestiert
war die „Befehle-müssen-ausgeführt-werden“-Mentalität im Es
implementiert, das Ausschwitz, Buchenwald, Kaufering – und wie die
Höllenlager alle hießen – erst möglich gemacht hatten. Doch statt
Respekt und, ja, auch ein klein wenig Dankbarkeit gegenüber den
Befreiern zu zeigen, sind die einzigen Emotionen nur negativ: der
kulturlose Ami ohne Manieren und mit schlechten Essensgewohnheiten. Der Zupfer,
der sich täglich gegenseitig über den Haufen schießt und Kriege zum
Vergnügen führt. Ungebildet ist er auch noch, der verfluchte Amerikaner
aus dem Land ohne Gesundheitssystem und sozialer Sicherung. Und
oberflächlich ist er obendrein. – Heimatland, wie kann man nur so
blasiert sein?
Wo besonders der gemeine Linke bei anderen ausländischen Gruppen
stets mahnt, man solle differenzieren, so kann er beim Ami mal so
richtig die Sau rauslassen. Und keinen interessiert es, weil ja jeder
mitmacht. Denn wenn die Mehrheit etwas tut, dann kann es ja nicht so
schlimm sein.
Und wenn es dann noch im Spiegel steht, braucht
man sich gar keine Sorgen zu machen. Sie stehen auf der richtigen Seite!
Ja! Kein Wort kann zu hart sein, kein Vergleich zu schief, um diesen
vermaledeiten Landstrich zu beschreiben (siehe hier und hier und hier und hier). Und
wenn man es besonders korrekt machen will, dann beginnt man einen
Kommentar so in etwa mit den Worten „Die Trumps, Putins und Erdogans“,
wahlweise noch „Orbans und Bolsonaros dieser Welt“. Dann wirkt es
besonders durchdacht.
Der Antiamerikanist kennt alle Fakten. Natürlich informiert er sich
bei den geneigten Medien über die Staaten. So ist er fest davon
überzeugt, dass Bernie Sanders der bessere Präsident gewesen wäre, da
dieser einen Sozialstaat nach europäischem Vorbild aufbauen wollte,
wofür der Zupfer bislang einfach zu doof war. So vermag er nicht zu
erkennen, wie golden das Leben mit einer Staatsquote von 44 Prozent ist.
Was ihm dadurch entgeht, dem Ami, wird der Antiamerikanist nie
verstehen. „Er kennt’s halt nicht anders“, sagt er sich.
Kopfschüttelnd bescheinigt er am heimischen Familientisch bei
französischem Wein und Schweizer Käsewürfel den kollektiven Hirntot der
USA. Trump wäre nie gewählt worden, dieser ungehobelte Faschist, wenn er
nicht in diesem Internet Fake News verbreitet hätte. Dass Obama mit
seiner „Yes, we can!“ Kampagne den Wahlkampf in Sozialen Medien völlig
neu erfand, geschenkt. In diesen Kreisen gilt es als höchst verdächtig,
wenn Politiker Politik in erster Linie für das eigene Volk machen.
Verfassungsschwur hin oder her, das tut man im Jahr 2020 einfach nicht
mehr. Ansonsten ist man nah am Faschismus. Die USA haben gefälligst
Politik für Europa zu machen, so wie Deutschland Politik für Italien und
Syrern zu machen hat.
Eine durchaus sportive moralische Flexibilität mussten die
Antiamerikanisten während der Obama-Zeit an den Tag legen. Acht Jahre
waren sie in der Lage, das verhasste Land wenigstens ein bisschen
weniger zu hassen, weil der POTUS einfach ein unglaublich cooler Typ
war, schwarz obendrein und, darunter geht schon lange nix mehr, Mitglied
der Demokratischen Partei war. Da ist es Nebensache für die eigentlich
pazifistische Linke, dass Obama drei Kriege angezettelt hat – und Trump
bisher keinen. Doch darüber wird großzügig hinweggesehen, passt es doch
nicht in die Erzählung des edlen Ritters.
Dagegen erwärmt das salonantisemitische Herz der Gedanke, wie
sehr der Ex-Präsident in seiner Amtszeit mit Israel fremdelte. Das Land
der Juden war ihnen schon immer ein Dorn im Auge, dessen Existenz man
immer wieder verbal bestätigen muss, um es damit infrage zu stellen.
Israel ist der territoriale Beweis, dass die Deutschen 1933 bis 1945
menschlich in genau der Weise versagt haben, die Historiker als
präzedenzlos bezeichnen. Dieser Schmerz sitzt tief. Das kann man den
Juden unmöglich verzeihen. Und auch nicht dem Ami, der es wagt, Israel –
zumindest im Moment – nicht zu hassen, ja es sogar schützen zu wollen.
Selbst jede zarte und rare Zustimmung zu Trumps Politik muss stets
mit einer Bewertung seines Charakters garniert werden. Negative
Bewertung versteht sich. Als wäre die Beschreibung, er sei ungehobelt
und ein Trampel (Als irre komisches Wortspiel gilt „Trumpel“), sofern
sie stimmt, in irgendeiner Form wichtig, um seine Politik einschätzen zu
können. Gleiches kam mir bei Obama nie zu Ohren, für den sich natürlich
auch negative Vorurteile finden würden. Doch fürs Messen mit gleichem
Maßstab bleibt keine Zeit für den Antiamerikanisten. Trump ist der
Proto-Ami, der in ihren Augen alles Schlechte vereint. Wenn Obama Batman
ist, dann ist Trump Bane.
Die größte Angst der Linken ist jedoch, dass „amerikanische
Verhältnisse“ herrschen. Lebten wir in diesen wüsten Gegebenheiten,
Deutschland würde im Verderben versinken. Sodom, Gomorrha und McDonalds
würden das Land prägen. Das Sozialsystem würde abgebaut, Militär dagegen
aufgebaut. Die Arbeitslosigkeit würde zwar sinken und die Qualität der
Produkte steigen. „Aber für welchen Preis“, denkt sich der
Antiamerikanist. „Heimatland, steh mir bei, dass das niemals passieren
wird!“
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Neomarius.
*Das ist übertrieben. Auch wenn die Nazis gewonnen hätten, wäre Hitler irgendwann gestorben (oder wäre beseitigt worden: viele der potentiellen Verschwörer des 20. Juli namen nicht teil, weil sie aus Furcht vor einem Super-Versailles sagten, erst müsse der Krieg gewonnen werden und dann Hitler beseitigt werden.
Es ist sogar anzunehmen, dass eine Aufarbeitung der Schuld in diesem Fall weniger neurotisch erfolgt wäre, als es durch die Niederlage geschah.
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