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Montag, 6. Juli 2020

Mille Grazie Signor Morricone!




Einundneunzig ist er geworden, ein Alter, das wohl keine Figur aus Filmen erreichte, für die er komponierte, sieht man einmal ab von John Hustons „Die Bibel“ (1964), in der Noah oder Abraham auf 950 Jahre beziehungsweise 175 Jahre kommen. Allerdings wurde sein Soundtrack für „Die Bibel“ dann am Ende wegen irgendwelcher Streitereien nicht genommen. Von daher ist es nicht angebracht, Noah und Abraham heran zu ziehen, um das Durchschnittsalter von Filmfiguren, die bei Morricones Klängen starben, anzuheben. Das lag dann doch eher deutlich unter 40.
Mein üppiger Morricone-Bildband vom Ausmaß 30 x 30 cm zählt mehr als 500 Filme auf, für die der 1928 bei Rom geborene Meisterkomponist die musikalische Untermalung geschrieben hat. Darunter befinden sich erstaunlicher Weise nur ein paar Dutzend Italo-Western. Dabei ist gerade mit diesem Filmgenre der Name Ennio Morricone für die meisten verbunden. Doch Morricone fand für viele Geschichten die passenden Klänge, sei es für „Ein Käfig voller Narren“, „Lolita“, „Die Unbestechlichen“„Cinema Paradiso“, für „Malena“, „Der Clan der Sizilianer“ oder „Die Mission“, „Der Profi“ oder „Es war einmal in Amerika“, darin das überirdisch schöne „Deborah’s Theme“ (das ich mir, nur am Rande erwähnt, früher einmal als Soundtrack zu meiner eigenen Beerdigung gewünscht habe, inzwischen aber im Testament durch Henri Mancinis „Peter Gunn Theme“ ersetzte).
Bis ins hohe Alter ging Ennio Morricone auf Konzert-Tournee. Seine Werke eignen sich dank ihrer kompositorischen Komplexität auch für die Aufführung mit großem Orchester im klassischen Rahmen. Hier in einer konzertanten Aufnahme von „The Extasy of Gold“ aus Sergio Leones Klassiker „The Good, The Bad and The Ugly“ und hier mit den Bildern des Films.
Dass man Ennio Morricone vor allem mit Italo-Western verbindet, liegt ohne Frage daran, dass gerade dieses Genre in der Erzählweise seiner besten Regisseure wie Leone oder Corbucci einen opernhaften Charakter besitzt und die Musik dazu einen unverzichtbaren, dramaturgischen Beitrag leistet, ohne den „Laßt uns töten, Companeros“, „Il Mercenario“  oder „Todesmelodie“ heute vermutlich vergessen wären. Sergio Leone sah Morricone nicht alleine als Komponist, sondern auch als Drehbuchautor, der durch seine Musik die Handlung vorantreiben konnte, ohne dass der Regisseur alles in Bilder umsetzen musste.
Die Kongenialität Morricones mit den Visionen der großen Western-Regisseure lässt sich vor allem in den Anfangssequenzen und dem stets dramatischen Ende der Filme erkennen. So wie in dieser sowohl musikalisch, als auch dramaturgisch grandiosen Szene aus „Mein Name ist Nobody“, in welcher, Sie werden es erkennen, der Komponist einem großen Kollegen aus der Oper einen ironischen Tribut zollt. Auch die Anfangssequenz von „For a Few Dollars More“ ist visuell wie musikalisch ein Meisterwerk. Wenn sich damals, als diese Filme ins Kino kamen, nach der Langnesewerbung endlich der Vorhang ganz öffnete und die ersten Bilder und Töne zu vernehmen waren, schob man sich ganz tief in den plüschenen Kinosessel und wusste: Für die nächsten Stunden möchte ich nicht gestört werden.
Unter allen Western, für die Ennio Morricone die Musik schrieb, habe ich, bei harter Konkurrenz mit vielen anderen Epen, einen eindeutigen Favoriten. Sergio Corbucci drehte ihn 1968 in den italienischen Dolomiten. Wenn es etwas gibt, das mir zuverlässig Gänsehaut beim Zuschauen bereitet, ist es „Leichen pflastern seinen Weg“ (Il Grande Silencio). Der Film spielt durchgehend im tiefsten Winter, also in meterhohem Schnee. Und er hat, im Gegensatz zum üblichen Geschehen in vergleichbaren Filmen, kein Happy End. Das Böse siegt.
Stellenweise erinnert die Musik zu „Il Grande Silencio“ an zeitgenössische, „neue Musik“; so finden sich Passagen, die mich an György Ligetis Orchesterwerk „Atmosphères“ erinnern. Was gewiss kein Zufall ist – Ligetis Komposition fand weltweite Beachtung durch ihre Verwendung in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“, und dieses Werk entstand zur gleichen Zeit wie Corbuccis Film. Anderswo kommt eine Sitar zum Klingen, und in „Mein Name ist Nobody“ erklingen einige Takte, die der Orgel in Iron Butterflys „In A Gadda da Vida“ wie aus der Klaviatur geschnitten sind.
Morricone war stets auf der Höhe der Zeit und ließ viele Einflüsse in seine Kompositionen einfließen. Was seine Genialität beweist: Alles aus seiner Feder hat auch heute noch Gültigkeit und kann bedenkenlos gehört werden. Naja, nicht alles. Auch er war einmal jung und brauchte das Geld, das er manchmal mit cineastischen Highlights wie „Als die Frauen noch Schwänze hatten“ machte. Senta Berger spielte, durchaus ansehnlich, eines der Schwanzwesen, zeigte sich anschließend empört über den darin offen verborgenen Sexismus und ließ sich nicht davon abhalten, zwei Jahre später den zu Recht vergessenen Sodbrenner „Toll trieben es die alten Germanen“ zu drehen. Ebenfalls mit Morricones klanglicher Untermalung, die er vermutlich zwischen zwei Gläschen Grappa auf einen Bierdeckel notierte.
Es ist natürlich unfair, einen Nachruf auf Ennio Morricone und sein Gesamtwerk, zu dem auch symphonische Werke gehören, mit den zuletzt genannten Verirrungen zu beenden. Der Maestro wird zu Recht von Musikkennern mit Mozart oder Rossini auf eine Stufe gestellt. Erinnern wir uns also lieber an „Spiel mir das Lied vom Tod“, seine dramatischen Werke, seine vielen wunderschönen, melancholischen Melodien und an den feinen Menschen, dessen Musik so unvergessen bleiben wird wie andere Weltkulturgüter. Den letzten Oscar – bei etlichen Nominierungen - erhielt er vor vier Jahren. Nicht den für das Lebenswerk, den gab es schon 2007, sondern als 87-Jähriger für die Musik zu „The Hateful Eight“ von Quentin Tarrantino, einem seiner größten Fans.
Vor wenigen Tagen erlitt Ennio Morricone, bis zuletzt musikalisch aktiv, bei einem Sturz einen Oberschenkelbruch. An dessen Folgen ist er heute in Rom verstorben.
Mille grazie, Signor Morricone!   Bechlenberg

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