Stationen

Mittwoch, 22. Juli 2020

Wer hätte gedacht, dass der gesunde Menschenverstand so fragil sein könnte?

In meinem Geburtsjahr 1957 beschloß der Deutsche Bundestag das Gleichberechtigungsgesetz, während die dunkle Seite der deutschen Geschichte in meinem Rücken lag wie ein Wald, dem ich bei hereinbrechender Dunkelheit nur knapp entronnen war. Gendersprache hörte ich zum ersten mal Mitte der 1970er Jahre, als streitlustige Berliner Feministinnen das unbestimmte Pronomen „man“ versuchsweise durch „frau“ ersetzten. Wenige Jahre zuvor hatten Feministinnen in Amerika den Begriff „history“ in „herstory“ umgeformt.
Seitdem wird immer deutlicher, daß auf lange Sicht die weibliche Perspektive die männliche leider nicht ergänzen, sondern ersetzen soll. In Deutschland ist nach den historischen Erfolgen wie Reformen des Ehe- und Familienrechts, der Einführung des Rechts auf Teilzeitarbeit u.v.m. der Feminismus salonfähig, ja – von der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt – strukturbildend geworden. Ein Vierteljahrhundert nach der zweiten feministischen Welle ist Sprache und ihr politisch erwünschter Gebrauch nach amerikanischem Vorbild zum schärfsten Schwert des (sehr heterogenen) Feminismus geworden. Mit seinen Genderidentitätspolitiken polarisiert er ganze Gesellschaften und treibt deren Spaltung bei allen zukunftsrelevanten Themen willentlich voran. Dabei wird er flankiert von Schwärmen immer neuer Opfergruppen, die neben der bunten Flagge der sexuellen Vielfalt für jede sexuelle Spielart von bi-, inter-, trans-, a-, poly oder pansexuell über non-binär, genderqueer, genderfluid, a- oder transgender bis intersexuell eine eigene Flagge haben.
Seit der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 heißt das politische Programm „Gendermainstreaming“. Es gilt parteienübergreifend und ist in Deutschland eine hochalimentierte „Querschnittsaufgabe“. Vom institutionalisierten Geschlechterkampf und von der Abschaffung des Allgemeinguts durch zwanghafte Sexualisierung aller Lebensbereiche ernähren sich nicht nur radikalfeministische Gallionsfiguren wie die Amerikanerin Judith Butler, sondern auch bei uns eine stetig wachsende Phalanx von Gleichstellungs- und „Diversity“-beauftragten. Sachsen präsentierte für 2020 den „ersten geschlechtergerechten Haushalt“, in dem über 5 Milliarden Euro allein für Genderziele (GG2, GG1) veranschlagt sind. An vorderster Front wird Sprache besonders von den „Grün*innen“ instrumentalisiert, um Bürgern die totalitäre Ideologie des Feminismus als Das-neue-Besser beizukloppen. Sie legten sich bei der Delegiertenkonferenz 2015 verpflichtend auf den Genderstern fest, IS-Kämpfer*innen und Tagelöhner*innen inklusive. Sprache sei ungerecht. Sie mache Frauen (und andere Benachteiligte) „unsichtbar“, heißt es. Als Entschädigung für Jahrtausende gefühlten Unrechts und angesichts der vermeintlichen Geschlechtervielfalt wurde die Mär bzw. totalitäre Metapher von der „geschlechtergerechten Sprache“ erfunden.
Eine Behauptung wie die von der Geschlechtervielfalt wird nicht richtiger, je öfter man sie wiederholt. Vielmehr verweist ihre penetrante Wiederholung auf eine versteckte Agenda, hier die Aneignung bzw. den Missbrauch von Machtpositionen. Die Vielfaltsapostel streben nach Erziehungsgewalt, Weisungsbefugnis, Definitions- und Budgetmacht. Was im überholten autoritären Erziehungsmodell das Stück Seife war, mit dem man unangepassten Kindern den Mund auswusch, sind in der heutigen Volkserziehung Regeln für politisch korrekten Sprachgebrauch inklusive dem (ver-)queeren Gendersprech.
Wer sich damit befasst, kommt aktuell nicht umhin, eine neue Eskalationsstufe in der medialen Verabreichung des Neusprechs zu bemerken. Einige Genderfunktionäre mit Arbeitsverträgen in öffentlich rechtlichen Medien missbrauchen neuerdings ihre Sendezeit gezielt dazu, die Ohren von unbedarften Zuschauern und Hörern mit neuen Genderspitzfindigkeiten zu piesacken. Anstatt der bisherigen Doppelnennungen der Geschlechter, oder neutralisierenden Verlaufsformen wie „Studierende“ oder „Zufußgehende“, probiert man nun, wieviel mehr Aufmerksamkeit zu erzielen ist, wenn man als generische Form ausschließlich weibliche Formen gebraucht, nach dem hämischen impliziten Motto: Die Männer dürfen sich gern „mitgemeint“ fühlen. Die Krönung des Genderneusprechs ist derzeit der glottale Stop. Er soll die „Geschlechterkluft“ hörbar machen. Die Lücke wird als kleine Pause innerhalb eines Wortes eben da inszeniert, wo sonst die Schriftsprache wahlweise mit Sternchen, Unterstrich oder Binnen-I gehexelt wird.
In ARD, ZDF oder DLF wimmelt es nur so von „Politiker[Pause]innen“, „Forscher[Pause]innen“, „Künstler[Pause]innen“ usw., und wenn Anne was will, schreckt sie nicht mal vor der Genderisierung von Eigennamen zurück. Mit süffisantem Grinsen stellte sie einen Studiogast vom „Bund der Steuerzahler[Pause]innen“ vor.
Gendermainstreaming ist völlig ohne Legitimation des Volkssouveräns zum politischen Programm erhoben worden, das nun auf Biegen und Brechen durchgeboxt werden soll. In politischen Gremien, Universitäten, Bildungseinrichtungen und Unternehmen wird gendersprachlicher Anpassungsdruck ausgeübt, den man nur als Nötigung bezeichnen kann: Politisch unliebsam gewordene Begriffe wie Mann und Frau werden (nach amerikanischem Vorbild) durch geschlechtsneutrale Begriffe wie Person ersetzt, Mutter und Vater durch Nichtworte wie Elter 1 und 2 (parent). Anträge für Forschungsgelder, studentische Abschlussarbeiten usw. werden nur noch in gegenderter Form zugelassen. Und dass man als Autor in korrektem Standardhochdeutsch gedruckt wird, ist lange nicht mehr selbstverständlich. Unlängst wollte mich ein großer österreichischer Schulbuchverlag unter Androhung der Nichtveröffentlichung meines Fachbeitrags zum Gendern zwingen. Der Nötigungserfolg besteht darin, dass ich acht fragliche Stellen neutralisieren musste, damit mein Artikel ungegendert erscheinen durfte. Anstatt „Mitarbeiter wurden gekündigt“ schrieb ich „Personal wurde gekündigt“ usw.. Unnötig zu erwähnen, dass „Personal“ nicht dasselbe ist wie „Mitarbeiter“ im Plural, und nicht mal das Gleiche. Aber nur so kam der Beitrag ins Heft.   Sabine Mertens

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