In meinem Geburtsjahr 1957 beschloß der Deutsche Bundestag das
Gleichberechtigungsgesetz, während die dunkle Seite der deutschen
Geschichte in meinem Rücken lag wie ein Wald, dem ich bei
hereinbrechender Dunkelheit nur knapp entronnen war. Gendersprache hörte
ich zum ersten mal Mitte der 1970er Jahre, als streitlustige Berliner
Feministinnen das unbestimmte Pronomen „man“ versuchsweise durch „frau“
ersetzten. Wenige Jahre zuvor hatten Feministinnen in Amerika den
Begriff „history“ in „herstory“ umgeformt.
Seitdem wird immer deutlicher, daß auf lange Sicht die weibliche
Perspektive die männliche leider nicht ergänzen, sondern ersetzen soll.
In Deutschland ist nach den historischen Erfolgen wie Reformen des Ehe-
und Familienrechts, der Einführung des Rechts auf Teilzeitarbeit u.v.m.
der Feminismus salonfähig, ja – von der breiten Öffentlichkeit
weitestgehend unbemerkt – strukturbildend geworden. Ein
Vierteljahrhundert nach der zweiten feministischen Welle ist Sprache und
ihr politisch erwünschter Gebrauch nach amerikanischem Vorbild zum
schärfsten Schwert des (sehr heterogenen) Feminismus geworden. Mit
seinen Genderidentitätspolitiken polarisiert er ganze Gesellschaften und
treibt deren Spaltung bei allen zukunftsrelevanten Themen willentlich
voran. Dabei wird er flankiert von Schwärmen immer neuer Opfergruppen,
die neben der bunten Flagge der sexuellen Vielfalt für jede sexuelle
Spielart von bi-, inter-, trans-, a-, poly oder pansexuell über
non-binär, genderqueer, genderfluid, a- oder transgender bis
intersexuell eine eigene Flagge haben.
Seit der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 heißt das politische Programm
„Gendermainstreaming“. Es gilt parteienübergreifend und ist in
Deutschland eine hochalimentierte „Querschnittsaufgabe“. Vom
institutionalisierten Geschlechterkampf und von der Abschaffung des
Allgemeinguts durch zwanghafte Sexualisierung aller Lebensbereiche
ernähren sich nicht nur radikalfeministische Gallionsfiguren wie die
Amerikanerin Judith Butler, sondern auch bei uns eine stetig wachsende
Phalanx von Gleichstellungs- und „Diversity“-beauftragten. Sachsen
präsentierte für 2020 den „ersten geschlechtergerechten Haushalt“, in
dem über 5 Milliarden Euro allein für Genderziele (GG2, GG1)
veranschlagt sind. An vorderster Front wird Sprache besonders von den
„Grün*innen“ instrumentalisiert, um Bürgern die totalitäre Ideologie des
Feminismus als Das-neue-Besser beizukloppen. Sie legten sich bei der
Delegiertenkonferenz 2015 verpflichtend auf den Genderstern fest,
IS-Kämpfer*innen und Tagelöhner*innen inklusive. Sprache sei ungerecht.
Sie mache Frauen (und andere Benachteiligte) „unsichtbar“, heißt es. Als
Entschädigung für Jahrtausende gefühlten Unrechts und angesichts der
vermeintlichen Geschlechtervielfalt wurde die Mär bzw. totalitäre
Metapher von der „geschlechtergerechten Sprache“ erfunden.
Eine Behauptung wie die von der Geschlechtervielfalt wird nicht
richtiger, je öfter man sie wiederholt. Vielmehr verweist ihre
penetrante Wiederholung auf eine versteckte Agenda, hier die Aneignung
bzw. den Missbrauch von Machtpositionen. Die Vielfaltsapostel streben
nach Erziehungsgewalt, Weisungsbefugnis, Definitions- und Budgetmacht.
Was im überholten autoritären Erziehungsmodell das Stück Seife war, mit
dem man unangepassten Kindern den Mund auswusch, sind in der heutigen
Volkserziehung Regeln für politisch korrekten Sprachgebrauch inklusive
dem (ver-)queeren Gendersprech.
Wer sich damit befasst, kommt aktuell nicht umhin, eine neue
Eskalationsstufe in der medialen Verabreichung des Neusprechs zu
bemerken. Einige Genderfunktionäre mit Arbeitsverträgen in öffentlich
rechtlichen Medien missbrauchen neuerdings ihre Sendezeit gezielt dazu,
die Ohren von unbedarften Zuschauern und Hörern mit neuen
Genderspitzfindigkeiten zu piesacken. Anstatt der bisherigen
Doppelnennungen der Geschlechter, oder neutralisierenden Verlaufsformen
wie „Studierende“ oder „Zufußgehende“, probiert man nun, wieviel mehr
Aufmerksamkeit zu erzielen ist, wenn man als generische Form
ausschließlich weibliche Formen gebraucht, nach dem hämischen impliziten
Motto: Die Männer dürfen sich gern „mitgemeint“ fühlen. Die Krönung des
Genderneusprechs ist derzeit der glottale Stop. Er soll die
„Geschlechterkluft“ hörbar machen. Die Lücke wird als kleine Pause
innerhalb eines Wortes eben da inszeniert, wo sonst die Schriftsprache
wahlweise mit Sternchen, Unterstrich oder Binnen-I gehexelt wird.
In ARD, ZDF oder DLF wimmelt es nur so von „Politiker[Pause]innen“,
„Forscher[Pause]innen“, „Künstler[Pause]innen“ usw., und wenn Anne was
will, schreckt sie nicht mal vor der Genderisierung von Eigennamen
zurück. Mit süffisantem Grinsen stellte sie einen Studiogast vom „Bund
der Steuerzahler[Pause]innen“ vor.
Gendermainstreaming ist völlig ohne Legitimation des Volkssouveräns
zum politischen Programm erhoben worden, das nun auf Biegen und Brechen
durchgeboxt werden soll. In politischen Gremien, Universitäten,
Bildungseinrichtungen und Unternehmen wird gendersprachlicher
Anpassungsdruck ausgeübt, den man nur als Nötigung bezeichnen kann:
Politisch unliebsam gewordene Begriffe wie Mann und Frau werden
(nach amerikanischem Vorbild) durch geschlechtsneutrale Begriffe wie
Person ersetzt, Mutter und Vater durch Nichtworte wie Elter 1 und 2
(parent). Anträge für Forschungsgelder, studentische Abschlussarbeiten
usw. werden nur noch in gegenderter Form zugelassen. Und dass man als
Autor in korrektem Standardhochdeutsch gedruckt wird, ist lange nicht
mehr selbstverständlich. Unlängst wollte mich ein großer
österreichischer Schulbuchverlag unter Androhung der
Nichtveröffentlichung meines Fachbeitrags zum Gendern zwingen. Der
Nötigungserfolg besteht darin, dass ich acht fragliche Stellen
neutralisieren musste, damit mein Artikel ungegendert erscheinen durfte.
Anstatt „Mitarbeiter wurden gekündigt“ schrieb ich „Personal wurde
gekündigt“ usw.. Unnötig zu erwähnen, dass „Personal“ nicht dasselbe ist
wie „Mitarbeiter“ im Plural, und nicht mal das Gleiche. Aber nur so kam
der Beitrag ins Heft. Sabine Mertens
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