Deutschland ist eine Konsensgesellschaft. Wir lieben keine
Polarisierung, keinen Dauerstreit. Wir schätzen Ruhe, Ordnung,
Verbindlichkeit und Ausgleich. Diese Tendenz prägt unseren
Nationalcharakter, und die Gründe hierfür reichen weit zurück. Unsere
geographische Mittellage spielt eine Rolle, Deutschlands
jahrhundertelange Zersplitterung, nicht zuletzt der verheerende
Dreißigjährige Krieg, bei dem sich im 17. Jahrhundert Millionen Deutsche
gegenseitig wegen unterschiedlicher Konfession und Landeszugehörigkeit
die Köpfe einschlugen. Dieses Trauma hat sich tief in unser kollektives
Unterbewußtes gesenkt.
Liest man den öffentlichen Liebesbrief, den die beiden Grünen-Chefs
Annalena Baerbock und Robert Habeck an die CDU geschrieben haben, so
sieht man frei nach Goethe bestätigt: „Zur Mitte drängt, an der Mitte
hängt doch alles“. In dieser in der FAZ veröffentlichten
Lobeshymne („Liebe CDU, alles Gute zum 75. Geburtstag!“) findet sich
formvollendet, wie die beiden derzeit stärksten Parteien darum buhlen,
wer am überzeugendsten den Platz in der Mitte besetzt.
Baerbock und Habeck treiben dabei das von Angela Merkel
perfektionierte Prinzip der „asymmetrischen Demobilisierung“ auf die
Spitze: Die CDU sei die „Grundversorgung im Kanzleramt“, flöten sie, die
Union sei das „Bayern München der Politik“, „euer Pragmatismus ist
Legende“, jubeln die Grünen-Chefs und freuen sich auf „die nächsten
Jahre des fairen Wettstreits“.
Merkels prinzipienloses Abräumen von Grundsätzen beim Atomausstieg,
bei der Grenzöffnung, der Aufgabe der Wehrpflicht, der Kapitulation vor
der Homo-Ehe wird zur politischen Maxime geadelt: Der „Tanker CDU“ sei
„beweglicher als manches Schnellboot“, wenn „große Ereignisse und
Zeitenwenden“ (Tsunami in Japan?) die „Koordinaten unseres politischen
Handelns“ verschöben.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wahlen werden am Ende in
der Mitte gewonnen. Wem gelingt es aber, gesellschaftlich jene
„Koordinaten unseres politischen Handelns“ (Baerbock/Habeck) zu
verschieben und die Begriffe zu prägen, die den Diskurs der Mitte
wesentlich bestimmen?
Da in den letzten Jahrzehnten die Funkhäuser, die
Zeitungsredaktionen, die wichtigsten Vertreter gesellschaftlich
relevanter Gruppen durch eine linksliberale Schule gegangen sind,
verwundert es nicht, daß Schwarz-Grün bis zu Welt, FAZ
und nun auch Merkel-Erbe Friedrich Merz als „bürgerliches Bündnis“
gefeiert wird. Die CDU hat sich schlicht stets darauf beschränkt,
verzögert die Agenda nachzuvollziehen, die von links
gesellschaftspolitisch definiert wurde.
So entstand ein politisches Vakuum. Wer dieses Vakuum markieren und
füllen will, provoziert einen Kulturkampf. Zur politischen Macht kommt
er am Ende aber nur, wenn es ihm wiederum gelingt, die Mitte zu erobern. Dieter Stein
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