Stationen

Dienstag, 9. März 2021

Derblecken

Mit den aktuellen Kabarettisten können Sie mich in aller Regel jagen. Ob „Extra 3“, oder „Neues aus der Anstalt“. Ob Pispers, Rether und wie sie alle heißen. Nicht nur, weil die Themenauswahl so selektiv ist und andere wichtige Themen nicht vorkommen. Mehr noch nervt mich das gewollt Ernste in den Nummern, wenn die Künstler vor Bedeutung triefend ihre völlig unmaßgebliche moralische Agenda abspulen.

Auch viele Beiträge von Dieter Nuhr oder Lisa Eckhart hauen mich nicht um. Sie sind nett, ja, ja. Aber Sie wissen ja, wie die Schwester von „nett“ heißt. Einzig die skurrilen Interviews mit der Eckart unterhalten mich sehr, da sie auf eine unglaublich authentische und gleichzeitig so künstlich-sterile Weise eine Originalität an den Tag legt, an die vielleicht nur noch Monika Gruber und die andere Lisa (Fitz) und die beiden Andreasse (Reber und Giebel) in einer Sternstunde manchmal heranreichen. Gerhard Polt ist nicht ganz so penetrant wie die Gebrüder und Geschwister Well, die aus ihrer Rolle als Evangelisten eines angeblich grundsätzlich immer linken Volkstums nicht mehr hinausfinden werden. Polt ist zu intelligent, um bei diesem Kurs nicht nachdenklich zu werden. Aber bekennen wird er sich nicht zu seiner Nachdenklichkeit. Er weiß, wie man in diesem Land mit Leutenumgeht, die die verkehrte Meinung haben, und so widerspruchsfreudig wie in seiner Jugend ist er sicher nicht. Das juste milieu der linken Bourgeoisie, das um ihn, die Wells und die Schwabinger Schickeria herum entstanden ist, würde ihm eine Kertwende nicht verzeihen und ihn ausspucken, so wie Matthias Matuschek ausgespuckt wurde. Falls er sogar umdenken sollte, wird man es vermutlich nur daran erkennen, dass er schweigsam werden wird.

Der regelmäßige Shitstorm um Lisa Eckhart von Leuten, die tatsächlich nicht in der Lage sind, zwischen Person und Kunstfigur zu unterscheiden, dagegen erheitert mich nicht. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die es genießen können, intelligenter als hoi polloi zu sein. Es bedrückt mich seit 2013 zusehends.

Deutsches Kabarett war auch zu Zeiten von Hanns Dieter Hüsch, Wolfgang Neuss und Dieter Hildebrandt nicht viel wert. Aber es versuchte wenigstens das zu sein, was es eigentlich sein müsste: die Kunst, den herrschenden Herrschaften mit Satire und Biss wenigstens für einen Moment das selbstgerechte Grinsen aus dem Gesicht zu zaubern.

Wo Hüsch das selbstgefällige Establishment auf seine Art verhöhnte, wollen die heutigen Spaßerzeuger einem noch selbstgefälligeren Establishment plötzlich gefallen. Offenbar sehen sie sich in der Rolle eines Hofnarren, der als Minister für gute Laune mit zur Herrschaft gehört.

„Derblecken“ ist Bayrisch und heißt kritisieren, verspotten. Gerne laut und gerne derb. Klassischerweise sitzen die Großkopferten vor Wurschtplatten, Riesenbrez’n und Metallkrügen voll Starkbier und lachen sich bei jeder noch so schiefen Pointe ostentativ ein Loch in den Bauch. Mit hochroter Visage schütteln sich die Politiker durch den Abend. Jaaa nicht den Anschein erwecken, man verstehe keinen Spaß. Am besten gefiel mir das Derblecken, als Dschango Asül sich zum ersten Mal darum kümmerte. Inzwischen müsse Akif Pirincci das übernehmen.

Nachdem der Nockherberg 2020 aus lauter Schreck vor dem pandemischen Massensterben ausgefallen war, was dann selbst ausfiel, fand das Derblecken 2021 nun ohne Zuschauer statt. Maxi Schafroth führte in einem Solo den Zuschauer durch das Programm, bei dem die Politiker, vom Aiwanger bis zur Schulze via Webcam zugeschaltet waren. Jeder hatte seinen eigenen Bildschirm und jede Partei war auch vertreten. Schön. Moment, jede Partei? Leider hatte der Bayerische Rundfunk die größte Oppositionspartei im Bundestag vergessen. Dafür sah man Dietmar Bartsch, DIE LINKE, von einer Partei, die überhaupt nicht im Maximilianeum sitzt! Söder ist offenbar gereift, seit er Straußposter über dem Bett hatte. Wird Zeit, dass der Apfel vom Ross fällt.

Der Standard will doppelt sein! Gerade radikalisierte sich die Linke mit ihren beiden neuen Vorsitzenden. Susanne Hennig-Wellsow unterzeichnete den Appell für eine antikapitalistische Linke, eine Gruppierung, die der Regierungsschutz als verfassungsfeindlich, aber nicht regierungsfeindlich einstuft. Ebenso wie Marx 21, ein Bündnis, das die Co-Vorsitzende Janine Wissler mitgründete. All das wären Steilvorlagen fürs Derblecken, wenn schon mal der Fraktionsvorsitzende Bartsch „vor Ort“ ist. 

Kein Wort davon. Auch der Versuch, die AfD per Verfassungsschutz zu beobachten, was vorerst krachend scheiterte, fand im Programm keinen Platz, ebenso wie die 20 Abgeordneten der Ex-SED, die verfassungsfeindliche Gruppierungen unterstützen.

 

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