Stationen

Donnerstag, 4. März 2021

Haldenwang ist parteiisch wie die italienische Justiz zu Berlusconis Zeiten

Dieser Vorgang hätte normalerweise das Zeug zu einer Staatsaffäre: Laut Medienberichten soll der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, den Landesämtern mitgeteilt haben, die AfD am 25. Februar zum Verdachtsfall erklärt und damit die Beobachtung der Gesamtpartei eingeleitet zu haben. Damit tritt eine neue Eskalationsstufe in der Auseinandersetzung mit der größten demokratischen Oppositionsfraktion im Bundestag in Kraft.

Es ist bemerkenswert, wie wenig die höchst umstrittene Praxis des Inlandsgeheimdienstes öffentlich diskutiert und in Frage gestellt wird. Es stinkt zum Himmel, daß diese Entscheidung zehn Tage vor zwei Landtagswahlen in wichtigen Flächenstaaten (Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) und ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl lanciert wird. Nicht nur Verfassungsrechtler sehen dies als einen eklatanten Eingriff in den demokratischen Wettbewerb der Parteien.
All dies muß Gegenstand von juristischen Auseinandersetzungen werden, zu denen letztinstanzlich wohl erst entschieden wird, wenn die Wahlen bereits vorüber sind und die Rufschädigung bereits gewirkt hat.

Der Vorgang ist ein Paradebeispiel dafür, wie Behörden für den innenpolitischen Kampf zwischen Parteien instrumentalisiert und dabei juristische Spielräume kreativ ausgelegt werden. Aufgrund bereits laufender Klagen der AfD vor Verwaltungsgerichten gegen die drohende Einordnung als Verdachtsfall mußte sich der Verfassungsschutz ausdrücklich verpflichten, sich nicht zu einer Beobachtung öffentlich zu äußern.
Statt sich an die Vorgabe streng zu halten, wurde die Information aus den Reihen des BfV mit demselben, vielleicht noch dramatischeren Effekt an die Medien „durchgestochen“. Die Wirkung, die massive Beeinträchtigung für die AfD, tritt auch so ein. Alleine deshalb ist der Rücktritt von Haldenwang fällig, der entweder sein Haus nicht im Griff hat oder sich als politischer Aktivist versteht.
Der Verfassungsschutzpräsident hat auf einer zurückliegenden Pressekonferenz übrigens ausdrücklich festgehalten, daß die AfD nicht wegen ihrer Programmatik, sondern wegen anstößiger Äußerungen von Funktionären und Mitgliedern unter Verdacht gestellt werde. Insbesondere geht es um einzelne Akteure des inzwischen aufgelösten „Flügels“. Mit anderen Worten: Die AfD ist mit dem, was sie im Kern politisch vertreten und durchsetzen möchte, nicht angreifbar.

Wenn der Verfassungsschutz derzeit seiner Funktion im Zusammenhang mit der AfD tatsächlich nachkommen wollte, dann müßte er die massiven gewalttätigen Angriffe in den Mittelpunkt stellen, denen Mitglieder, Funktionäre und Geschäftsstellen der Partei ausgesetzt sind. Die Bundesregierung mußte aufgrund einer AfD-Anfrage im Bundestag gerade erst einräumen, daß 2020 Politiker und Mitglieder der AfD die mit Abstand am meisten attackierten Vertreter vor allen anderen Parteien sind – die Täter kommen fast ausschließlich aus der linksradikalen Szene.
Der Verfassungsschutz könnte auch thematisieren, wie die gleichberechtigte Organisationsmöglichkeit der AfD massiv behindert wird, indem Linksextremisten systematisch Vermieter von Hallen und Tagungsorten angreifen und bedrohen, so daß die AfD beispielsweise in Berlin seit über einem Jahr gar keine Parteitage mehr durchführen kann.
Keinen medialen Aufschrei und keine Stellungnahme löste übrigens aus, als vor einigen Tagen die Welt meldete, daß 20 Abgeordnete und damit ein Drittel der Linksfraktion im Bundestag Gruppierungen unterstützen, die vom Verfassungsschutz als linksextrem beobachtet werden und die an gewalttätigen Kampagnen gegen die AfD beteiligt sind.
Für die AfD bedeutet die Lage, daß sie sich nun noch entschiedener und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln juristisch zur Wehr setzen muß. Es rächt sich, daß die Partei die drohende Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz und diese Gefahrenlage zu lange auf die leichte Schulter genommen hat. Sie wird insbesondere Beamte und Staatsbedienstete nur in der Partei halten können, wenn sie diese Abwehr überzeugend durchführt.

Es machen der AfD in dieser perfiden, unfairen Auseinandersetzung zusätzlich destruktive Kräfte in den eigenen Reihen zu schaffen, die von Anfang an im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeihung bereit waren eine Beobachtung und erfolgreiche Stigmatisierung der Partei durch den Verfassungsschutz in Kauf zu nehmen und diese Entwicklung sogar durch Auftreten und Verbalradikalismus provozieren.
Angesichts der serienweise zuvor gescheiterten Versuche, den Platz einer Partei rechts der Union zu besetzen, war schon bei der Gründung der AfD eines klar: Daß es das Schlüsselproblem sein wird, zu verhindern, daß sich die Partei in eine Isolation treiben läßt und es den Verfassungsschutzbehörden, die schon immer politisch mißbraucht wurden, sogar freiwillig erleichtert, sie unter Beobachtung zu stellen.

Die AfD ist der Prüffall für das Funktionieren unseres demokratischen Systems: Ist es möglich, neben den übrigen etablierten Parteien mit einer neuen Formation gleichberechtigt am Meinungsstreit unter fairen Bedingungen teilzunehmen oder wird diese Teilhabe eingeschränkt, sogar mit Hilfe von staatlichen Behörden?
Die AfD ist aber auch der Prüffall für die Politikfähigkeit und die realpolitische Zurechnungsfähigkeit des sie tragenden Milieus.   Dieter Stein

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre. Wie in einem Schlussverkauf räumt die SPD im eigenen Haus auf: Alles muss raus! Nun scheint es sogar Wolfgang Thierse, den treuesten der treuen Sozialdemokraten, erwischt zu haben. Weil er nicht nur die Hasskultur von rechts, sondern auch eine drohende cancel culture von links kritisiert hat, gingen sozialdemokratische Spitzenpolitiker brutal auf Distanz zu ihm. Er zeichne, heißt es ohne Namensnennung in einem Brief an die Organisation der Queeren, „ein rückwärtsgewandtes Bild der SPD, das Eure Community, Dritte, aber eben auch uns verstört“. Man schäme sich für die Haltung, die Thierse einnimmt.

Es ist noch nicht lange her, da waren es die Grünen, die mit ihren verdienstvollen Politikern – etwa Abgeordneten der ersten Stunde – ohne Respekt und Anerkennung umgingen. Nun übt sich die schrumpfende SPD in dieser rohen Disziplin. Der Katholik Wolfgang Thierse war in der DDR ein mutiger Mann, weigerte sich 1976 eine Erklärung zu unterschreiben, in der die Ausbürgerung Wolf Biermanns gutgeheißen wurde. Noch vor dem Ende der DDR wandte er sich der Sozialdemokratie zu, war Bundestagspräsident und Leiter der Grundwertekommission der SPD. Sein ostdeutsches Anderssein hat er – dafür bekam er den Spitznamen „Ossibär“ – nie verborgen. Dass das Leben etwas Ernstes ist, ist dem gläubigen Christen ins Gesicht geschrieben. Und immer warnte Thierse vor der Gefahr des Rückfalls in autoritäre Strukturen. Selbst Intellektueller, stand und steht er für eine SPD, die Beides ist: Arbeiter- und Lehrerpartei.

Man kann es nicht fassen, mit welcher Rücksichtslosigkeit Angehörige des SPD-Vorstands einen altgedienten Genossen fallen lassen, um sich beim queeren Milieu lieb Kind zu machen. Das ist unanständig. Und dumm. Die SPD versuchte in der Vergangenheit meist, liberal zu sein, aber auch jene Schichten zu vertreten, die nicht an der Spitze des Wertewandels marschieren. Dieses Konzept war nicht nur erfolgreich, sondern auch richtig. Auch wenn es damals noch nicht gebräuchlich war, das Wort dafür heißt: Inklusion. Damit scheint es auf dem Weg in den einstelligen Prozentbereich vorbei zu sein. Der Hausheilige der „Zeit“, der Raucher Helmut Schmidt, flöge heute hochkant aus der SPD.  Thomas Schmid


 

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