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Montag, 8. März 2021

Patzelts faule Ausreden

Kositza und ich hatten mit dem CDU-Mitglied und AfD-Erklärer Werner Patzelt bisher ein einziges Mal das Vergnügen.

Er saß neben dem Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz auf einem Podium, das unser Lieblingsumzugsunternehmer aus Schkopau ausrichtete. Es ging um die innere Verfassung unserer zum Teil fassungslosen Gesellschaft: Der erste Lockdown war überstanden, der zweite kündigte sich an, die Frage nach dem Widerstandspotential wurde ebenso laut wie hilflos gestellt, Maaz und Patzelt sollten sich dazu äußern.

Der fragende, die deutsche Psychose ergründende und erklärende Maaz; der joviale, redegeschulte, nah ans Gemüt der Zuhörer angeschmiegte Patzelt: der eine fast selbst hilflos, der andere der beruhigende Ratgeber, der noch einmal die Spielregeln erklärte.

Patzelt: Er verglich das Parteiensystem, die parlamentarische Demokratie mit einem Fußballplatz. Es gebe dort Spielregeln, an die sich alle weitestgehend hielten. Aber auch er nehme Fouls war, ruppige Gangarten, Regelverstöße, aber zum Glück gebe es Schiedsrichter, und über kurz oder lang werde dieses Schiedsrichtergespann und werde vor allem die Tribüne anerkennen, daß hier die eine Seite fair spiele und die andere herumholze.

Voraussetzung dafür: fair spielen, fair weiterspielen, den Musterknaben geben, sich nicht dazu hinreißen lassen, selbst zurückzufoulen oder – noch schlimmer – das ganze Spiel und sein Regelwerk infrage zu stellen. Dies geschehe nun leider schon, und dem Schiedsrichter werde es dadurch fast unmöglich gemacht, die Fairneß der einen Seite anzuerkennen und ihr Recht auf regelkonformen Ablauf des Spiels durchzusetzen.

Das Spiel: unser politisches System; die foule Sau: der politisch-mediale Komplex, also auch Patzelts Partei; die Gefoulten: AfD, Vorfeld, wir, im Rückstand, nur noch mit neun Mann auf dem Platz, zwei rote Karten gab's schon; die Tribüne: der Wähler, und die Schiedsrichter? Die Schiedsrichter? Wenigstens einer, irgendwo?

Erster Impuls nach Patzelts Vortrag: Müdigkeit. Da spielt einer seine gemütliche, seine publikumsnahe Tuba, entfernt Reibungsflächen, bedient die Konfliktscheue, die in jedem von uns eine Heimstatt hat, rät zu Geduld, spricht von Ausrutschern, mal gwinnt mer, mal verliert mer, so is halt, gell?

Zweiter Impuls: Widerspruch, vehementer Widerspruch, gerade auch deshalb, weil Patzelt Abschwächungsargument Nummer 1 vortrug: das Foul in einer Demokratie sei nicht dasselbe wie der Folterkeller in einer Diktatur. Recht hat er, bloß: Was soll dieser Vergleich, was soll das heißen? Das ist doch im Grunde die Sahel-Zone-Argumentation: Es ist immer irgendwo gerade schlechter als dort, wo man ist. Aber: Diese Forderung nach Überprüfung der eigenen Privilegien (Kühlschrank, Auto, Demokratie) wird meist von Leuten vorgetragen, die damit von ihren "Fouls" ablenken wollen.

Patzelt also, und so kam es dann auch zum Widerspruch, wobei unsere Grundfragen immer dieselben sind: Ist das alles ein Spiel, mit einem Fußballspiel vergleichbar, einem Platz, den man, egal wie geknüppelt wurde, nach dem Schlußpfiff verlassen wird, um beim Biere sich noch einmal gründlich über die bösen Szenen und vertanen Chancen aufzuregen, dann aber Schwamm drüber?

Sind das bloß Fouls, foult der Verfassungsschutz bloß, senst der Staatsfunk, sensen staatliche Stellen unsere Leute um, und danach gehen wir alle vom Platz und teilen uns einen Kasten Bier? Und wenn: Wo wäre der Schiedsrichter? Ich sehe keinen.

Widerspruch also, ein seltsamer Dialog mit Patzelt, und hinterher kamen etliche Leute auf uns zu und sagten, daß es ein irres Gefühl gewesen sei: zunächst vor der schelmischen Vernunft Patzelts zu kapitulieren und sich zu fragen, ob man die Fouls der Gegner nicht doch überbewerte – und dann aufgeschreckt durch unseren Widerspruch zu begreifen: Da ist ein Einschläferungs-, ein Beschwichtigungs-, ein Verharmlosungsprofi am Werk.

Wir haben's in unserem 15. Podcast vom "Rande der Gesellschaft" aufgedröselt, noch einmal, also eigentlich bis zum Erbrechen mittlerweile: da bekommt man (bekommt die AfD) ununterbrochen auf die Knochen (wenn man bei dieser blöden Spiel-Metapher einmal bleibt), und wenn man dann stehen bleibt, den Ball auf die Tribüne drischt und sagt: Das ist nicht mehr Fußball – dann kommen die Erklärer, dann tritt das Schiedsgericht zusammen und schnappt sich das Stadionmikrophon: Habt ihr das gesehen? Die wollen die Regeln ändern, die wollen das System ändern, die bedrohen unser Spiel, runter vom Platz mit denen, Ausschluß, Verbot (undsoweiter).

Das ist wohl das Entscheidende, und damit ein letztes Bild aus diesem verharmlosenden Fußballspiel-Vergleich: Mit dem Befund, den Patzelt liefert, berät er keineswegs die AfD. Vielmehr weist er den Verfassungsschutz und seine eigene Partei, die CDU, darauf hin, daß man die AfD in eine Bringschuld gezwungen habe und nun darauf warten solle, bis sie auf allen Vieren zurückgekrochen käme auf ein Spielfeld, auf dem nach den Regeln nicht eines Gegners, sondern ihrer Feinde gespielt werde.

Leider, leider haben sich unter anderem Jörg Meuthen und Dieter Stein diese vermeintliche Rettungsstrategie zu eigen gemacht. Patzelt durfte jüngst in der JF erneut erklären, warum er die AfD in einer Bringschuld sehe. Er behauptete allen Ernstes und ohne die Nennung eines einzigen Namens oder einer einzigen Fundstelle, daß es Teilen der AfD darum gehe, das System abzuschaffen:

Doch in der AfD meinen inzwischen viele, nicht nur das ihnen verhaßte System der „Altparteien“ gehöre auf den Müllhaufen, sondern unsere ganze politische Ordnung. Warum nur erkennen die nicht, daß solches zur nachträglichen Bestätigung derer gerät, die schon Bernd Luckes AfD als Wiedergängerin der Nazis ausgaben? Offenbar sind der AfD allzu viele Leute zugelaufen, die gut in die NPD paßten, wichtigtuerische Selbstdarstellung mögen oder biographische Wunden durch Beifall eines rhetorisch angefixten Publikums zu heilen versuchen.

Das sind ungeprüfte Feindzuschreibungen (und den VS können wir in diesem Zusammenhang getrost unter diese Feinde rechnen). Ich will es Schwarz auf Weiß: Wer von denen, die es in der AfD zu etwas gebracht haben, will die politische Ordnung unseres Landes "auf den Müllhaufen der Geschichte" werfen? Wer von uns, wer aus dem Vorfeld dieser Partei, will das? Namen, Herr Patzelt, Namen, Fundstellen, Bedeutungszusammenhang - und wenn Sie das nicht beibringen können: aufhören mit der Argumentationsweise, mit der Unterstellungstechnik, die man aus totalitären Staaten kennt.

Roger Köppel (Schweiz, Weltwoche) hat das vor drei Tagen noch einmal auf den Punkt gebracht. Wir wiesen in den Netzfundstücken schon darauf hin, aber der Befund ist so wichtig, daß er eine zweite Nennung verdient hat. Köppel kommentiert die bundesweite Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als Verdachtsfall:

Meuthen hat den Feinden, den Gegnern der AfD, der Konkurrenz der AfD, die Instrumente, die Waffen in die Hand geliefert.

Dieser Parteivorsitzende ist jetzt vermutlich auch blockiert in der Verteidigung seiner Partei. Also, was man daraus ableiten kann, vielleicht auch als Schlußgedanke: Wenn Sie in der Opposition sind, egal in welchem Land, wenn Sie in der Opposition sind, dann werden Sie angegriffen. Das ist völlig klar. Sie können nicht Oppositionspolitik machen und glauben, Sie sind der Liebling der Medien, oder der anderen Parteien, im Gegenteil.

Opposition bedeutet Nachteile auf sich nehmen. In Deutschland bedeutet das, daß man die Mittel der Staatssicherheit, der Bespitzelung, daß die Regierung alles aufbietet, um die Opposition, die jetzt von rechts kommt, das ist natürlich im neurotischen Politzusammenhang dieser ganzen Moralisierung und Geschichtsinterpretation und Geschichtsmißbrauchs irgendwo nachvollziehbar, aber trotzdem nicht zu rechtfertigen, in diesem Kontext heißt es eben auch, daß man dies als AfD in Kauf wird nehmen müssen, daß sie der Verfassungsschutz angreift, und Meuthen versucht hier, durch Appeasement-Politik, durch Beschwichtigungspolitik, quasi die oppositionelle Rolle etwas zurückzudrängen.

Damit ist alles gesagt: Es geht um einen Kampf, um eine Auseinandersetzung mit ungleichen Waffen, nicht um ein Spiel und ein paar Fouls. Es geht darum, dem Vernichtungswillen der Altparteien nicht durch Anpassung zu entgehen und damit so zu werden, wie sie sind.

Dieselben Leute, die diesen Staat noch immer wie eine geölte Maschine am Laufen halten, ziehen den moralpolitisch-gesellschaftlichen Überbau mit wie ein lästiges, überflüssiges Schleppnetz, in dem sich alles verfangen hat, was nicht selbst schwimmen kann.

Und wenn das Wort von der bürgerlichen Revolte, vom Aufstand der Ausgequetschten einen Platz hat, dann dort, wo der fleißige, hart arbeitende, leistungsbereite Teil unsrer Landsleute ratlos und entfremdet vor dem quasselnden, korrupten und schamlosen politisch-medialen Komplex steht – und sich abwendet: nein, nicht so werden wie die!  GK

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