Die AfD-Experten aus den Landesverbänden, die gerade mal oberhalb der 5 Prozent stagnieren, aber den Kurs
vorgeben wollen, verstehen nicht, daß das Potential weder bei der FDP noch bei der NPD liegt, sondern bei Abermillionen Nichtwählern. Oder nicht?
Dr. Roland Hartwig ist ehemaliger Chefsyndikus des Bayer-Konzerns – und Bundestagsabgeordneter der AfD.
Wir sprachen mit ihm über die Lage in der Partei, das Verhalten des Krisen-Bundesvorstandes und den Verfassungsschutz.
Sezession: Sehr geehrter Herr Dr. Hartwig, Sie waren bis zum Dezember letzten Jahres Leiter der „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“, mit der die AfD eine Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz abwenden will. Dann setzte der Bundesvorstand der AfD Sie ab, deren Konvent, eine Art kleiner Parteitag, Ende Februar allerdings die Empfehlung an den Bundesvorstand aussprach, diese Entscheidung zu überdenken und gegebenenfalls zu korrigieren. Was hat es mit diesem Pingpong auf sich?
Hartwig: Meine durchaus an eine Nacht-und-Nebel-Aktion erinnernde Absetzung nach zwei Jahren als Leiter der "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" durch den Bundesvorstand beruht nach meiner Einschätzung auf einem fundamentalen Dissens über die strategisch richtige Vorgehensweise. Uns allen war nach der Ablösung von Herrn Maaßen als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Herbst 2018 von Anfang an klar, daß sein Nachfolger das Bundesamt politisch instrumentalisiert gegen uns einsetzen würde.
Die Arbeitsgruppe hat daher immer einen doppelten Ansatz verfolgt: Die wenigen tatsächlichen Grenzüberschreitungen innerhalb der Partei möglichst hinter verschlossenen Türen konsequent zu bereinigen, nach außen aber die Partei geschlossen mit Unterstützung der Gerichte zu verteidigen. Dem ist der Bundesvorstand zunächst auch uneingeschränkt gefolgt. Seit einiger Zeit scheint die Mehrheit dort aber zu der Ansicht gelangt zu sein, den Verfassungsschutz selbst durch "öffentliche Opfergaben" besänftigen zu können.
Ich fürchte, daß dies gegenüber einem politisch mißbrauchten Verfassungsschutz überhaupt nichts bringt. Im Gegenteil, es bestätigt höchstens den politischen Gegner, auf dem richtigen Weg zu sein, unsere Partei zu schwächen.
Sezession: Angesichts des Umstandes, daß im Bundesinnenministerium gerade eine ganze Corona von Juristen zusammensaß, um die politisch gewollte Erklärung der AfD zu einem „Verdachtsfall“ wasserdicht zu machen, könnte man solche Personalfragen für überflüssig halten. Hat die AfD eine Strategie, wie sie den Angriff zu parieren gedenkt?
Hartwig: Wir setzen zur Abwehr dieser Angriffe durch den Verfassungsschutz natürlich auf die Gerichte und können hier durchaus auch erste Erfolge verbuchen. Ich verweise nur auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Köln vom Frühjahr 2019, die es dem Bundesamt rechtskräftig untersagte, die AfD öffentlich als Prüffall auszurufen. Oder auf die erst wenige Tage alte Entscheidung desselben Gerichtes, die es dem Bundesamt verbot, unsere Partei vor einer gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren als Verdachtsfall zu beobachten.
Sezession: Der Weg über die Gerichte muß nicht zwingend zum Erfolg führen, oder er führt, wie im Fall der Republikaner, zu spät zum Erfolg. Welche Alternativen des Handelns hat die AfD für den Fall, daß die Beobachtung vor Gericht Bestand hat?
Allerdings sind die gerichtlichen Verfahren nur ein Teil unserer Abwehr. Mindestens genauso wichtig ist es, den Bürgern und Wählern klar zu machen, daß der heutige Verfassungsschutz keine neutrale Behörde ist, die nach bestem Wissen und Gewissen über die unabdingbaren Grundlagen unserer Verfassung wacht, sondern dass er von der Politik dazu mißbraucht wird, die größte politische Oppositionspartei in Deutschland rechts- und verfassungswidrig in der Öffentlichkeit zu diskreditieren und zu beschädigen.
Um es mit den Worten eines Kollegen zu sagen: Dieser Verfassungsschutz heute ist nichts weiter als die Fortsetzung der Politik mit geheimdienstlichen Mitteln. Sein entscheidender Webfehler liegt schon darin, daß er durchweg von Parteipolitikern geführt wird, mit denen wir als AfD in einem grundlegenden politischen Wettbewerb stehen. Und nicht alle können offensichtlich der Versuchung widerstehen, ihren Machtapparat Verfassungsschutz dabei mißbräuchlich auch gegen uns einzusetzen.
Sezession: Welche Folgen befürchten Sie für die AfD durch die Anfang März an die Medien durchgestochene Beobachtung durch den Verfassungsschutz? Wird es Austritte geben, werden Mandatsträger die Partei im Stich lassen? Sehen Sie dabei mögliche Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern?
Hartwig: Sollte es wirklich zu einer flächendeckenden Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz kommen, mag es den einen oder anderen geben, der aus persönlicher Vorsicht – voreilig – die Partei verläßt, und das eher in den alten als in den neuen Bundesländern. Ich erwarte hier aber keine größere Abwanderung und bin sehr zuversichtlich, daß unsere Wähler klar das einer Demokratie unwürdige Vorgehen erkennen und unsere Partei weiter und vielleicht sogar noch stärker unterstützen werden.
Sezession: Vielen parteiinternen Debatten ist bereits anzumerken, daß bereits die drohende Beobachtung zumindest einen Teil der Partei dazu verführt hat, den Gegner nicht mehr außerhalb der Partei zu suchen. Die unsichtbare Hand des Verfassungsschutz‘ scheint bereits immer dann im Spiel gewesen zu sein, wenn es darum ging, Personen oder Strömungen das Existenzrecht in der AfD abzusprechen. Sind diese Tendenzen geeignet, die AfD zu einen, oder macht sie sich auf diese Weise nicht überflüssig?
Hartwig: Ich halte es – wie bereits gesagt – für einen großen Fehler, falsche und rein politisch motivierte Argumentationslinien des Verfassungsschutzes in die Partei hinein zu tragen und diese dadurch völlig ohne Not zu belasten. Mein Eindruck der letzten Wochen ist, daß sich diese Sicht zunehmend auch in der Partei durchsetzt, der von Ihnen angesprochene Konventbeschluß zu meiner Person ist dafür nur ein weiteres Beispiel.
Es war immer die Stärke unserer Partei, verschiedene politische Strömungen unter einem Dach zusammenzufassen. Strömungen, die alle fest auf dem Boden unserer Verfassung stehen, und durch die übergeordnete Zielsetzung geeint werden, eine grundlegend alternative Politik in Deutschland umzusetzen. Zu dieser Stärke müssen und werden wir im Sinne einer Renaissance zurückfinden. Wir werden gewählt, um eine Alternative für Deutschland und nicht nur um eine Ergänzung zur etablierten Politik zu sein!
Sezession: Was ist von Ratschlägen wie denen eines Prof. Werner Patzelt zu halten, der von der AfD fordert, „sich nun erst recht so zu verhalten, daß Zweifel an der Treue zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zerstreut werden“?
Hartwig: Natürlich werden wir auch weiterhin alles tun, um die Bürger davon zu überzeugen, daß wir fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, ja daß wir die Partei sind, die sich in ganz besonderem Maße für gelebte Demokratie und konsequente Rechtsstaatlichkeit einsetzt. Aber es macht wenig Sinn, Zweifel zerstreuen zu wollen, die ohnehin jeder Grundlage entbehren. Hier wird es entscheidend darauf ankommen, den Bürgern die politische Motivation dieser "Zweifel" vor Augen zu führen und für gerichtliche Korrekturen dieser Auswüchse zu sorgen.
Sezession: Nun hat die Debatte darum, ob die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz ist, zumindest ein Gutes: Für wen es noch eines Beweises bedurfte, daß der Verfassungsschutz ein politisches Instrument der Altparteien ist, der hat ihn in den letzten Jahren erhalten. Ist der Verfassungsschutz angesichts dieses Mißbrauchspotentials reformierbar, oder sollte er ganz abgeschafft werden? Welche Vorstellungen hat die AfD dazu entwickelt?
Hartwig: Der Verfassungsschutz muss in seiner derzeitigen Ausgestaltung dringend auf den Prüfstand. Er muß neutral, d.h. losgelöst von jeder politischen Einflußnahmemöglichkeit, aufgestellt werden. Gelingt das nicht, müssen wir uns in der Tat die Frage vorlegen, ob dann kein Verfassungsschutz nicht besser ist als ein solcher, der selbst zu einer Gefahr für die Demokratie geworden ist.
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Vortrag von Dr. Roland Hartwig über die Frage »Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?«, gehalten am 1. Juni 2019 im Rahmen des »Staatspolitischen Kongresses« des Instituts für Staatspolitik:
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