Stationen

Freitag, 31. Dezember 2021

Diese Bande schreckt vor nichts zurück

Vor wenigen Tagen erschienen zwei Beiträge von Medienmanagern, in denen es um Medien als Wirtschafsunternehmen und öffentliches Geld ging. Da es als unzweckmäßig gilt, beide Themen ganz ohne Abstandsholz zu verbinden, handelten die beide Texte zwischendurch auch noch von Fake News, der Wahrheit und der Demokratie, in deren Dienst sich die beiden Repräsentanten mit ihren Medien sehen. Die Aussicht, dass sie das auch in Zukunft ungebremst tun, so lassen sich beide Texte zusammenfassen, sollte der neuen Koalition in Berlin etwas wert sein.

Bei einem der Schreiber in eigener Sache handelte es sich um David Schraven, Gründer der Plattform „Correctiv“, bei dem anderen um Philipp Welte, Zeitschriftenvorstand von Burda und stellvertretender Präsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger. Welte veröffentlichte seinen Text in Welt, wo er hinter eine Bezahlschranke gestellt wurde. Ein breiteres Publikum erreichte er möglicherweise nicht, seine beabsichtigten Adressaten aber mit Sicherheit.

“In der Corona-Krise stehen sich radikale Glaubenskrieger gegenüber“, heißt es in Weltes Meinungsbeitrag schon in der Kopfzeile: „Eine Mehrheit sieht unser Land in einem Niedergang. Gerade Journalismus muss ein Bollwerk sein gegen den manipulativen Unsinn, der im Internet verbreitet wird. Was die Ampel-Koalition dafür tun muss.“ Für die Herleitung, was genau die Regierung für den Bollwerkjournalismus und gegen manipulativen Unsinn tun sollte, braucht der Burda-Vorstand dann ein paar rhetorische Verrenkungen.

„Wohin geht die demokratische Kultur in Deutschland?“, fragt Welte (es folgen bei ihm noch einige ungeschmeidige Sätze dieser Sorte). „Diese Regierung“, erklärt er ein Stück weiter, „wird auch darüber entscheiden, ob die freie Presse, also die vierte Gewalt in unserer verfassten Demokratie, eine Zukunft hat und wie die denn aussehen könnte.“

Eigentlich könnte sein Besinnungsaufsatz hier auch schon wieder enden. Wenn Zukunft und Form der Presse wirklich in der Hand der Regierung lägen, dann gäbe es schon keine freie Presse mehr. In Wirklichkeit geht es nicht allen Medien gleich schlecht. Mehrere journalistische Plattformen, die erst in den letzten Jahren entstanden sind, wachsen sogar deutlich. Manche Medien stagnieren, andere verlieren massiv Publikum. Grundsätzlich gilt: Die meisten Leser sind gar nicht weg. Sie lesen nur woanders.

„Fakt ist“, stellt Welte fest: „Überleben ist heute für Verlage auch in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr.“ Wann war es das je? Für Unternehmen gibt es in einer Marktwirtschaft naturgemäß keine Bestandsgarantie. Als nächstes stellt der Vizeverlegerpräsident eine Frage, die außer ihm eigentlich niemand so formuliert: „Was aber würde es für unsere Gesellschaft bedeuten, wenn der Journalismus der Verlage verschwinden sollte?“ Die Existenz des Journalismus ist in Deutschland, siehe oben, bisher nicht grundsätzlich bedroht. Beim „Journalismus der Verlage“ handelt es sich um eine Wendung, die Welte regelmäßig in seinen Reden und Texten unterbringt. Gemeint ist, das darf der Leser trotz der gewollten begrifflichen Unschärfe unterstellen: etablierter Journalismus angestammter Verlagshäuser in Abgrenzung zu allem anderen. Bei etlichen Unternehmen, die schon länger hier verlegen, konzentrieren sich tatsächlich die Probleme der Branche. Und das aus Gründen, auf die der Medienmanager auch in seinem restlichen Text nicht näher eingehen wird. Abhilfe schaffen soll jedenfalls der Staat, wobei Welte auch das so verklausuliert wie möglich anspricht. Ein Vorstandsmitglied und Branchenrepräsentant möchte nämlich nicht wie ein Bittsteller klingen, vor allem dann nicht, wenn er gerade die flache Hand in Richtung Bundesregierung ausstreckt.

„Zwei Felder“ sieht Welte, „auf denen über die Zukunft der freien Presse in Deutschland entschieden wird“. Es folgt eine Klage über den miserablen Digitalisierungsstand in Deutschland und die erdrückende Übermacht nichteuropäischer Plattformen. Es trifft ja zu, dass Deutschland bei schnellen Glasfaseranschlüssen unter 38 OECD-Staaten weit hinten lieg, und dass dieser Platz zeigt, „welche Priorität Zukunftstechnologien und Digitalisierung in den letzten beiden Dekaden im Kanzleramt genossen haben“. Und tatsächlich bestimmen einige wenige amerikanische Konglomerate wie Google, Facebook und Twitter, wie und zu welchen Regeln sich Medieninhalte im Netz verbreiten, während die EU in diversen Positionspapieren einen europäischen Gegenspieler von Google für die mittlere bis ferne Zukunft ankündigt, zuletzt 2020. Die traditionellen Verlagsmedien hatten andererseits in den vergangenen Jahren jede Gelegenheit, Merkels Regierung und die Kanzlerin selbst für den technologischen Abstieg Deutschlands zu attackieren und öffentlich zu fragen, warum die EU den Charme einer Fünfjahresplanbehörde verströmt. Bekanntlich übertrieben es die traditionellen Medienunternehmen in den vergangenen Jahren nicht gerade mit ihrer Kritik.

Außerdem stellt sich die Frage, ob es den Medien, die beschleunigt Leser und Umsätze verlieren, wirklich besser ginge, und ob sie besseren Journalismus anbieten würden, wenn Deutschland dichter mit Glasfaserkabeln versorgt wäre, und wenn es neben Google und Facebook noch eine ähnliche Plattform mit Sitz in der EU gäbe.
Den Begriff „Journalismus der Verlage“ versteht der Verbandsfunktionär vor allem in Abgrenzung zu dem „Netz“, in dem es bekanntlich drunter und drüber geht.

„Nicht erst in der Pandemie haben wir erfahren, was für ein manipulativer Unsinn in den sozialen Netzwerken gezielt verbreitet wird“, warnt Welte. „Forscher der New York University haben belegt, dass Fake News im US-Wahlkampf sechsmal mehr Likes, Shares und Interaktionen bekamen als Nachrichten aus seriösen Quellen. Die Echokammern in den sozialen Netzwerken bedrohen die Demokratie. Wir Verlage verstehen unseren Journalismus als ein Bollwerk gegen diese Bedrohung der Demokratie. Wir dürfen als Gesellschaft unseren demokratischen Diskurs nicht den Fake News überlassen und jenen, die sie verantwortungsfrei auf ihren Plattformen verbreiten. Es ist die Aufgabe der freien Presse, unabhängig und wahrhaftig zu informieren – die ‚Achtung vor der Wahrheit‘ ist das erste Gebot des Pressekodex der Verlage.“

Bevor es hier gleich um die Achtung der Wahrheit und andere hochgeschätzte Werte geht: Die zitierte Untersuchung gibt es tatsächlich. Nur entspricht ihr Ergebnis nicht ganz der Zusammenfassung, die Welte vorträgt, weswegen kurz eingeschoben werden muss, was in der Datenauswertung der New York University und der Université Grenoble Alpes tatsächlich steht. Es handelt sich um eine Studie, deren Design von vorn herein den Ausschnitt aus dem Netzgeschehen sehr eng fasste: Die Forscher werteten 2551 Facebook-Seiten in der Zeit von August 2020 bis Januar 2021 aus (schon deshalb ging es nicht nur um den US-Wahlkampf), und sie interessierten sich für die Frage, wie viele Shares, Likes und andere Interaktionen Inhalte aus stark linken und rechten Plattformen erhalten, und zwar im Vergleich zu Beiträgen von CNN und der Weltgesundheitsinformation. Dabei wählten die Autoren der Studie allerdings nur eine weit links stehende Plattform aus, „Occupy Democrats“, aber zwei rechte, die Seite von Dan Bongino und die Plattform Breitbart. Das Ergebnis lautete: Auf Facebook gepostete Beiträge der politisch exponierten Seiten bekamen insgesamt sechsmal mehr Kommentare, Likes oder andere Interaktionen als die Vergleichsseiten – wobei natürlich auch jeder negative Kommentar zu den Interaktionen zählte, auch jede mit einer Kritik verbundenen Teilung. Das „sechsmal mehr“ bezieht sich auf die eine linke und die zwei rechten Plattformen insgesamt, nicht auf jeden einzelnen Beitrag. Von „Fake News“ sprechen die Studienautoren übrigens nicht, sie benutzen den wesentlich weitergefassten Begriff „misinformation“, die sie der linken und den beiden rechten Seiten grundsätzlich unterstellen.

Die Zusammenfassung müsste also lauten: Ausgewählte Facebook-Nutzer reagieren stärker auf gepostete Beiträge von drei ziemlich asymmetrisch ausgewählten Medien an den jeweiligen Enden der politischen Skala als auf Beiträge von CNN und der WHO (wobei deren mögliche Neigung zu Falschinformation nicht weiter untersucht wird). Eine Aussage über die Reichweite der jeweiligen Posts auf Facebook lässt sich daraus nicht ableiten. Dass Nutzer politisch stark polarisierende Beträge stärker kommentieren und teilen als andere – dieser Befund kommt nicht ganz überraschend. Vor allem lässt sich daraus nicht die Argumentation vom verantwortungslosen fakenewsverbreitenden Netz hier und den verantwortungsvollen Verlagen dort zusammenschustern. Jedenfalls dann nicht, wenn jemand noch halbwegs seriös wirken will.

Bevor es gleich um die Wahrheitsbollwerke geht: Was wünscht sich Welte nun eigentlich von der neuen Bundesregierung? Bevor er das verrät, schreibt er:
„Wirklich frei ist die Presse nur dann, wenn sie sich marktwirtschaftlich finanzieren kann.“ Um gleich den verlogenen Satz anzufügen: „Wir wollen keine Abhängigkeiten, weder von Mäzenen oder Potentaten noch von staatlicher Alimentation.“

Natürlich geht es um staatliche Alimentation. Und damit kommt Welte endlich zum Punkt, also zum Geschäft:
„Es ist richtig, dass die Regierung einen zweiten Anlauf nimmt, um die flächendeckende Versorgung mit periodischer Presse sicherzustellen – das sollte diesmal aber ordnungspolitisch sauber sein und diskriminierungsfrei Zeitschriften und Zeitungen umfassen. Gelingt dies nicht, stehen viele Publikationen vor dem Aus.“

Da sich der Manager und Verbandsfunktionär an dieser entscheidenden Stelle sehr diskret ausdrückt, müssen die Sätze für den unbefangenen Leser schnell gedolmetscht werden. Das Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier wollte den Verlagen 2020 neben einer so genannten Zustellungshilfe für abonnierte Zeitungen, Magazine und Werbeblätter weitere 200 Millionen Euro Steuergelder als „digitale Transformationshilfe“ zur Absatzförderung zukommen lassen, wobei im Dunkeln blieb, wofür genau dieses Geld fließen sollte. Im April 2020 stoppte der Haushaltsausschuss des Bundestages das Vorhaben, nachdem Juristen zu dem Schluss gekommen waren, dass es wahrscheinlich vor Gerichten scheitern würde. Denn die 200 Millionen, die angeblich die digitale Schlagkraft der Medien verbessern sollten, waren nur für Unternehmen vorgesehen, die gedruckte Zeitungen, Zeitschriften und auch die für Wahrheit und Demokratie so wichtigen Anzeigenblätter herstellen. Medien, die ausschließlich online publizieren – etwa Publico – wären von dem Geldsegen ausgeschlossen gewesen.

Die Verlegerverbände erklärten damals, es sei „schockierend“, dass die Alimentierung „auf den letzten Metern gescheitert“ sei, und forderten, die neue Bundesregierung müsste gleich am Anfang der neuen Legislatur endlich eine „wirksame Förderung“ einführen. Bei Weltes gewundenem Vorstoß handelt es sich also um eine Wiedervorlage. „Diskriminierungsfrei“ heißt offenbar: Entweder sollen auch reine Onlinemedien bei dem neuen Anlauf etwas abbekommen – oder die Subventionierung beschränkt sich auf die Zustellung. In beiden Fällen würde Publico übrigens eine Klagemöglichkeit prüfen. Denn dieses Medium braucht und möchte keine staatlichen Subventionen. Sein Betreiber will auch nicht einsehen, warum er mit seinem Steuergeld anderen Medienunternehmen weiterhelfen soll, in denen gutbezahlte Manager über ihre schlechten Bilanzen klagen.

Zusammengefasst lautet Weltes Plädoyer als Burda- und Branchenvertreter also: Alteingesessene Verlage sind a) unverzichtbare Bollwerke gegen Fake News, trotz ihrer gesellschaftlich wertvollen Funktion geht es ihnen aber b) aus mancherlei Gründen nicht gut, sie brauchen, Punkt c), trotzdem keine Mäzene und staatlichen Alimente, die schon versprochenen mehreren hundert Millionen Euro aus der Regierungskasse sollen aber d) subito fließen, „sonst stehen viele Publikationen vor dem Aus“.

Bei dem Geld, das 2020 die Verlage transformieren sollte, hätte es sich zwar um einen größeren, aber längst nicht den ersten Finanzstrom von der Staats- zur Medienkasse gehandelt. Die Bundesregierung senkte schon 2018 den Rentenbeitrag, den die Verlage minijobbenden Zeitungszustellern zahlen, von 15 auf fünf Prozent. Die Differenz übernahm der Steuerzahler. Für Anzeigen in Print-, Funk- und Onlinemedien gab die Bundesregierung

  • im Jahr 2018 insgesamt 26,87 Millionen Euro aus,
  • im Jahr 2019 43,59 Millionen,
  • im Corona-Jahr 2020 steigerte sich der Betrag auf gut 150 Millionen.

Dazu kommen noch reichlich Mittel, die nicht direkt an Medienunternehmen fließen, sondern in den wachsenden politisch-medialen Komplex, etwa an die Amadeu-Antonio-Stiftung, die mit ihrer Seite „Belltower“ eine eigene Publikation betreibt. Oder die „Neuen Deutschen Medienmacher“, einen Zirkel identitätspolitisch gestählter Journalismuskader, die selbstredend gegen Hass und Hetze kämpfen, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, selbst welche zu verbreiten.

Über die völlig absurde Behauptung einer staatlichen Einflussnahme auf die Medien schrieb die Amadeu-Antonio-Stiftung schon 2017: „Das Schlagwort ‚Lügenpresse‘ und seine Varianten ‚Lückenpresse‘, ‚Pinocchiopresse‘, ‚Regierungspresse‘ verweisen auf die Erzählung, die etablierten Medien würden nicht die Wahrheit über Geschehnisse im In- und Ausland berichten. Hinter diesem Schlagwort steht auch die Annahme, dass die Presse durch die Politik gesteuert sei, um die Bevölkerung zu manipulieren.“

An diesen schon sehr umfangreich durchfinanzierten Plattformen wie der Amadeu-Antonio-Stiftung, den „Neuen Deutschen Medienmachern“ oder dem finanziell völlig krisenfesten öffentlich-rechtlichen Rundfunk scheint sich ein Medienhausvertreter wie Welte also zu orientieren, wenn er feststellt, dass die bisher von der Regierung gewährten Hilfen nebst Geldern von den einen oder anderen großen Stiftungen (die Mäzene, die die Presse laut Welte genauso wenig braucht) noch längst nicht reichen, um das wettzumachen, was an Einnahmen zusammen mit den flüchtigen Lesern auf der anderen Seite verschwindet. Und das, obwohl die Qualitätsinhaltsproduzenten schon Preise reduzieren, einen großen Teil des Abonnements schenken und Geldprämien obendrauf legen.

Andere vertrauen von vornherein nicht auf den launischen Leser, der selbst auswählt, wo und wieviel er zahlt, und sich damit genau so ungerecht verhält wie der Markt als Ganzes. Zu diesen Avantgardisten gehört David Schraven, Gründer der Faktenchecker-Plattform „Correctiv“. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung, schrieb Schraven kürzlich in „eigener Sache“,

stehe in Zeile 4128 der Satz: „Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus“. Das, so der „Correctiv“-Manager, habe „die Kraft unsere Gesellschaft umzukrempeln“. Für Schraven geht es ebenfalls um den Kampf gegen Fake News und den drohenden Zerfall der Gesellschaft: „Um diesen Herausforderungen zu begegnen, reicht es nicht aus, mehr Mittel für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu fordern oder Subventionen für die Zeitungszustellung. Wenn wir diesem Verfall nicht die Idee einer neuen Gesellschaft entgegensetzen, kann unser Gemeinwesen in der Polarisierung auseinanderbrechen. […] Unser Mittel, dieses Ziel zu erreichen (in Schravens Intention natürlich nicht das Auseinanderbrechen), ist der Gemeinnützige Journalismus. Dahinter verbirgt sich kein herkömmliches Geschäftsmodell, keine Marke, die verkauft wird.“

Mit der Gemeinnützigkeit verhält es sich bei „Correctiv“ übrigens so: Über die Höhe der Zuwendungen von Facebook für seine so genannten Faktenchecks teilt „Correctiv“ trotz seiner angeblichen Transparenz nichts mit, und zwar – seinerzeit auf Anfrage von „Übermedien“ – mit einer originellen Begründung:
„Über die Höhe der Finanzierung sagen wir nichts, da diese Arbeit und Zahlung über die gewerbliche Tochterfirma von Correctiv abgewickelt wird. Und nicht über die gemeinnützige Organisation, für die das Redaktionsstatut bindend ist.“

Welte wie Schraven erwarten von der neuen Bundesregierung respektive dem Steuerzahler also Unterstützung und bessere Rahmenbedingungen. Beide unterscheiden sich dadurch, dass die klassischen Verlage erst noch das herkömmliche Geschäftsmodell abstreifen wollen, in dem die Leser ihre Medien finanzieren, während „Correctiv“ – versorgt unter anderem von Bundesmitteln und Landesgeldern aus NRW, der Omidyar Network Foundation des Ebay-Gründers Pierre Omidyar, der Open Society Society Foundation, Facebook und anderen – das neue Geschäftsmodell schon ganz gut praktiziert, in dem man den Leser nicht mehr vorrangig als Kunden sieht.

Zwischen Welte und Schraven und den von ihnen repräsentierten Medien gibt es noch eine andere Ähnlichkeit. Und hier kommen wir zu beider Kernargument, dem „epischen Kampf um die Wahrheit“ (Welte). Der Manager von Burda verantwortet eine ganze Reihe von Publikationen, beispielsweise die Bunte, die von einer Genesung Michael Schumachers erzählte („Er kann wieder gehen“), die seine Familie umgehend vor Gericht dementierte. Außerdem Freizeit-Revue, die 2017 dem damaligen Bundestrainer Joachim Löw ein „Neues Glück!“ andichtete („alles über ihre neue Beziehung“), bei der es sich allerdings nicht um die auf dem Titel suggerierte Liebesbeziehung, sondern im Wesentlichen um ein Fantasieprodukt der Redaktion handelte, die sich noch ein bisschen stärker von den Fakten unterscheidet als Weltes Nacherzählung einer amerikanischen Fakenews-Studie.

Das gleiche Blatt machte seinen Lesern 2019 weis, es hätte ein „Baby-Interview“ mit Helene Fischers Freund über den erwarteten Nachwuchs geführt. In Wirklichkeit gab es das Interview mit ihm gar nicht, dafür dann etwas später eine Gegendarstellung auf der Titelseite. Die ebenfalls unter der Verantwortung von Welte erscheinende Freizeit-Revue erzählte ihrem Publikum 2020 die unglaubliche Geschichte von einer Eizelle, die ein Arzt Prinzessin Diana gestohlen und einer Frau eingepflanzt haben soll; das mysteriöse Diana-Kind, so die Burda-Zeitschrift, sei heute eine erwachsene Frau. Das Drama um das royale Ei hatte die Freizeit-Revue fast wortwörtlich aus dem Globe Magazine abgepinselt, einem US-Fachblatt für Klatsch, Quatsch und Erfindungen. Allerdings nur fast; das Globe Magazine , das die Eieraffäre schon 2012 servierte, hatte seinen Lesern immerhin an einer unauffälligen Stelle verraten, dass es sich dabei um einen Roman („a blockbuster book that mixes fact with fiction“) handelte. Ausgerechnet dieses Detail ließen die Revue-Kopisten weg.

Neben dem Wahrheitskampf nennt Welte in seinem Text noch einen anderen unschätzbaren Nutzen der von ihm vertretenen Medien, nämlich für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Auch da liefert das von ihm repräsentierte Unternehmen. Drei Tage vor Heiligabend 2021 – also zu einem Zeitpunkt, da die Infektionsdynamik schon rückläufig war – schrieb ein Redakteur auf Focus Online aus Weltes Verlag folgendes:

„Doch nun müssen Bund und Länder härter gegen Ungeimpfte vorgehen. Auch gegen massive Widerstände dieser Unbelehrbaren. Das ganze Land ist im Omikron-Alarm – doch was Ampel und Länder planen, reicht nicht. Zu inkonsequent […] Strafen und Kontrollen müssten auf alle Fälle deutlich verschärft werden, um ein gemütliches Fondue unter zwei ungeimpften Familien mit vielen Kindern im heimischen Wohnzimmer aufzulösen […] Schluss jetzt mit freundlichen Bitten und den netten Empfehlungen! Oder glaubt Scholz tatsächlich, dass er Querdenker, Schwurbler und geistige Nichtschwimmer damit erreicht?“

Polizeiliche Fondueauflösung im Wohnzimmer – da trifft sich Focus Online vollinhaltlich mit der grünen Bundestagsabgeordneten, die ebenfalls in vorweihnachtlicher Stimmung Knüppel und Pfefferspray zum Wohl der Gesellschaft empfohlen hatte.

Fakten mit Fiktionen zu mixen, zur Not auch in einem sehr ungleichen Verhältnis, diese Fähigkeit beherrschen auch David Schraven und „Correctiv”. Bekanntheit über die Grenzen seines Publikums erwarb sich der Faktenprüfer, als er in seinem Newsletter am Morgen nach der US-Wahl 2016 Hillary Clinton zur Siegerin und Donald Trump zum „miesen Verlierer“ erklärte.

Im NRW-Landtagswahlkampf 2017 veröffentlichte Schravens „Correctiv“ – Werbespruch: „Fakten für die Demokratie“ – eine sensationalistische Geschichte über eine AfD-Kandidatin mit der sexuellen Vorliebe, sich Partnern als Prostituierte anzubieten, allerdings nicht real, sondern im Rollenspiel. Um aus der politisch völlig irrelevanten Sache ein bisschen Aufmerksamkeitskapital zu schlagen, zerrte „Correctiv“ ihre alten Kontaktanzeigen ans Licht, die zum damaligen Zeitpunkt schon lange zurücklagen, und erfand außerdem den Neologismus „Teilprostituierte“. Ein Gericht vermochte in dem Breittreten einer privaten Vorliebe allerdings weder Fakten für die Demokratie noch sonst etwas Publikationswürdiges entdecken. Ende November 2021 verbreitete Schraven auf Twitter die in eine Frage verpackte Behauptung, der frühere Bild-Chef Julian Reichelt werde zum österreichischen „Servus TV“ wechseln – was dann etliche Zeitungen in Österreich weiterkolportierten.

In Wirklichkeit war die Personalie nicht nur nicht bekannt, vor allem den Betroffenen nicht, sondern wurde von Reichelt auch umgehend dementiert. Schraven erklärte auf Nachfrage, er habe das eben gehört. Also ungefähr das, was auch Weltes Klatschblattreporter über Jogis neues Glück und Michael Schumachers Genesung vor der Pressekammer zu sagen pflegen.

Bei größtenteils aus Erfundenem und Gerüchten zusammengekochten Geschichten dieser Sorte handelt es sich zum Glück um „manipulativen Unsinn“ (Welte) der weniger schädlichen Sorte. Den deutschen Medien ginge es insgesamt wesentlich besser, wenn es an ihr nur Märchen über gestohlene Prinzessinneneier und Falschmeldungen über Wahlgewinner zu kritisieren gäbe. Aber schon ein kurzer Blick in den Verantwortungsbereich von Welte wie Schraven zeigt, dass sich die Hell-Dunkel-Aufteilung zwischen den Wahrheitsbollwerken hier und den Fakenews-Verbreitern irgendwo da draußen nicht aufrechterhalten lässt. Und dafür, sich angesichts der eigenen Verwüstungsspur öffentlich auch noch persönlich als Wahrheitskämpfer und Demokratiebewahrer anzubieten, braucht es schon ein ganz spezielles Persönlichkeitsprofil.

Selbstredend schauen die meisten Medienschaffenden auf Klatschblätter mit Diana-Geschichten herab, und vermutlich gilt auch Schraven mit seinem Faktencheckergestus bei vielen Journalisten als lästiger Selbstvermarkter. Allerdings hat ein großer Teil der Branche mit dem, was Welte und Schraven repräsentieren, sehr viel mehr gemein, als er sich selbst eingesteht.
Um ein Beispiel herauszugreifen: Was vereint folgende Medienbeiträge? 1. Nach dem Silvesterabend in Köln 2016 haben etliche Frauen womöglich Übergriffe nur aus rassistischen Motiven behauptet, um für eine schnellere Abschiebung von Flüchtlingen zu sorgen, 2. Die sexuellen Übergriffe zu Silvester in Köln entsprachen im Umfang denen, die üblicherweise auf dem Münchner Oktoberfest stattfinden, 3. in einem Rindersteak stecken 70 Liter Erdöl, und 4. hinter der Schauspieler-Aktion „#allesdichtmachen“ steht ein klandestines rechtes Netzwerk mit dem Berliner Unternehmer und Verfassungsrechtsaktivisten Paul Brandenburg als führenden Kopf.

Es handelt sich bei dieser Serie um entweder auf haltlosen Spekulationen basierende Artikel oder freie Erfindungen, wobei die Behauptung zum Rindersteak von einem interviewten Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung stammte, der Rest von der Redaktion selbst. Und die genannten Texte erschienen alle im Tagesspiegel, einem Medium, das natürlich jede strukturelle Ähnlichkeit mit der Neuen Revue zurückweisen würde. Die erste 2016, die letzte, albernste und perfideste, die Geschichte von dem rechten Schauspieler-Netzwerk, 2021.

Nicht nur beim Tagesspiegel gilt mittlerweile das Prinzip, wonach Journalisten vor allem eine Erzählung liefern sollen, das so genannte Narrativ, und Nachhilfe bis zur völlig freien Schöpfung erlaubt ist, wenn es der guten Sache dient. Dass Journalisten damit einer Sache dienen möchten, macht diese Fälle im Vergleich zu einer reinen Krawallgeschichte über Dianas Eier schlimmer, auch deshalb, weil der Tagesspiegel trotz aller Bemühungen immer noch größere Glaubwürdigkeitsreserven besitzt als Royal-Klatschblätter. Aber in dem Verfahren, die ewiggleichen Grundmuster – Flüchtling mit goldenem Herzen, böses Fleisch, gemeine Rechte und ihre Netzwerke – immer wieder mit neuen und notfalls eben erfundenen Versatzstücken aufzufüllen, gleichen sich die Blätter mit Demokratierettungsgehabe in bemerkenswerter Weise der verachteten Herzschmerzabteilung an.

Wie weit die Ähnlichkeit beider Bereiche schon geht, demonstrierten Medien 2021 gleich im Dutzend bei ihrer, nun ja, Berichterstattung über die Kanzlerkandidatur der Annalena Charlotte Alma Baerbock. Das Bild, das Süddeutsche, Spiegel, Zeit und andere von der Politikerin entwarfen, hatte mit ihr ungefähr so viel zu tun wie die Berichte der Klatschpostillen mit dem tatsächlichen Leben der Familie Windsor. Erst entstand bekanntlich das Bild der Perfektionistin „mit der Lizenz zum Weltendeutertum“ (Süddeutsche), die schon mal die Möbel fürs Kanzleramt aussuchte. Als sich dann herausstellte, dass sie zwar diejenige war, die „aus dem Nichts kam“ (Tagesschau), „Eine wie keine“ (Zeit) aber eher in Bezug auf ihre Biografie und dann ihr Buch, fing das wohlmeinende Kommentariat der Republik nicht etwa an zu recherchieren, sondern verteidigte ihre Damsel in Distress bis zur würdelosesten Verrenkung.

Eine ganze Spiegel-Journalistentruppe kam sich offenbar nicht zu dumm dabei vor, aus Behauptungen und Geraune die Geschichte von einem russisch-chinesisch-rechten Geheimplot gegen die Grünenkandidatin zusammenzuquirlen. Ein WDR-Journalist erzählte seinen Zuschauern zur besten Sendezeit die Quatschgeschichte, hinter der Filetierung von Baerbocks Kopierwerk durch einen österreichischen Plagiatsjäger stünde in Wirklichkeit eine Kampagne von „CDU-Influencern und Springerkonzern“.
Da es weiter oben um Faktenchecker und Fakenews-Bekämpfer ging: Dass Baerbock im Wahlkampf mit frei erfundenen Behauptungen operierte, etwa der, bis zum Ende des Jahrhunderts drohe ein Meeresspiegelanstieg von sieben Metern über dem heutigen Niveau – darum kümmerten sich Correctiv und die anderen Insassen der Wahrheitsbollwerke genau so wenig wie um die Bildungsbiografie der Kandidatin.

Auch das eher bescheidene Ergebnis der Kanzlerkandidatin führte nicht etwa zu einer Selbstkorrektur bei ihren Jubelmedien, sondern eher zu der in der Branche mittlerweile weit verbreiteten Jetzterstrecht-Stimmung. Dass manchmal kein buntes Blatt mehr zwischen die herkömmlichen Klatsch-und-Quatschzeitschriften und die Abteilung der Haltungsschaffenden passt, demonstrierte auch das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ vor kurzem besser, als es der Autor dieses Textes hätte parodieren können.

Es steht, wie gesagt, nicht gut um weite Teile der Medienbranche. Die meisten Blätter verloren auch 2021 zahlende Leser. Redaktionen ehemals großer Titel und erst recht von Regionalzeitungen schrumpfen, was schon seit längerem dazu führt, dass die Frontseiten verschiedener Blätter manchmal so aussehen:

Zum fünften Jahrestag der Silvesterübergriffe in Köln, im Januar 2021, veröffentlichten Medien statt eigener Texte und der Aufarbeitung ihres eigenen Versagens ein und denselben dpa-Text, dessen Autor das Medienschweigen von 2016 und die Oktoberfestlügen beiseiteließ, und sich stattdessen über den bedenklichen „Sicherheits- und Fremdheitsdiskurs“ ausließ, der mit den Kölner Ereignissen begonnen hätte.

In dem Wahl- , Black-Lives-Matter- und und Pandemiejahr 2021 sind etablierte Medien noch einmal ein gutes Stück uniformer geworden, auch sehr viel verbissener. Das seit Jahren anschwellende Lob von Diktatur, Verbot und Zwang erreichte 2021 einen vorläufigen Höchststand.

 

 

Wenn ein Verlegerverbandsfunktionär um Regierungsgeld bittet, weil sonst angeblich die Gesellschaft auseinanderfällt,

 

dann heißt das nicht, dass die Regierung die Medien lenken würde. Sie lenken sich schon selbst auf ihrem Weg der Verarmung und des Gewichtsverlustes. Natürlich geht diese Entwicklung nicht überall gleichmäßig voran. In der Welt gibt es nach wie vor liberale Stimmen, beim Tagesspiegel und der Zeit sogar das unwoke Relikt Harald Martenstein. Bei RND dagegen finden sich nur noch Spuren von traditionellem Journalismus.
Der wirtschaftliche Abstieg trifft auch nicht alle gleichmäßig. Die Zeit findet weiter ihr Publikum, das es offensichtlich hinnimmt, wenn seine Redakteure das Lob der unbegrenzten Staatsschulden und des bedingungslosen Grundeinkommens singen, wenn eine Redakteurin den Lesern „Menschen mit Nazihintergrund“ als hilfreiche „Selbstbezeichnung“ empfiehlt,

und ein Autor sich Gedanken macht, wie die Spaltung der Gesellschaft – nicht vergessen, ohne wohlmeinende Medien kein Zusammenhalt – technisch am besten zu bewerkstelligen wäre:

„Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet. Wenn davon die Rede ist, entsteht schnell ein Zerrbild im Kopf, als würde das Land in zwei gleich große Teile zerfallen. Doch so ist es nicht. Richtig und tief eingeschlagen, trennt er den gefährlichen vom gefährdeten Teil der Gesellschaft.“

Dass er nicht zum gesellschaftsgefährdenden Teil gehört, nimmt der Autor völlig grundlos an.

Aber wie gesagt: Es gibt durchaus einen Meinungsmarkt für die Mischung aus linker Vodooökonomie, Selbsttherapie von Redakteurinnen und autoritären Machtfantasien. Die Zeit bedient ihn offenbar gut.
Dem Stern dagegen – ganz früher einmal ein Organ für gelegentlich gute Reportagen, Bilderstrecken und großzügige Oberweiten – ist die Transformation zu einem Klima- und Antirassismus-Wachturm („Wie rassistisch bin ich? Eine Anleitung zur Selbsterkundung“) weniger gut bekommen. Das Blatt, das in seinen goldenen Zeiten einmal eine gute Million und mehr Exemplare pro Woche verkaufte, schafft heute mit vielen Nummern noch nicht einmal 100.000; die gefledderten Reste wurden nach Auflösung der Politik- und Wirtschaftsredaktion zusammen mit anderen Gruner + Jahr-Teilen gerade an RTL verklappt. Der aktuelle Stern-Chefredakteur meinte, klassischen Journalismus wolle die Redaktion in Zeiten der Klimaapokalypse nicht mehr abliefern. Aber vielleicht könnte sich das Magazin in eine Art Hilfsorganisation verwandeln. Eine Hilfsorganisation der Windkraftbranche ist es mittlerweile auf jeden Fall.

Auch viele regionalen Tageszeitungen, oft nicht mehr als ein Trägerpapier für dpa– und RND-Serienware, bewegen sich heute an der Existenzgrenze.
Nur: Diejenigen, denen es gut geht, brauchen ganz offenkundig kein zusätzliches Staatsgeld. Und warum ausgerechnet sieche Blätter, denen das Publikum wegläuft, für Demokratie und Gesellschaft wichtig sein sollen, dafür liefert bisher weder Welte noch sonst jemand ein Argument. Es fällt außerdem ein bisschen schwer, sich auch nur theoretisch eins zu denken.

Überhaupt zuckt in dem Aufsatz des Burda-Managers und anderen ähnlich gelagerten Vorträgen von Medienvertretern über ihre Wichtigkeit für den Zusammenhalt und die förderliche Wirkung von Staatsgeld nirgends auch nur der Ansatz zu der Frage auf, warum sich mittlerweile derart viele ehemalige Leser von den guten Zusammenhaltsmedien abwenden, dass es trotz aller redaktioneller Sparrunden und Abopreissenkungen eben hinten und vorn nicht mehr für alle reicht. Es liegt natürlich nicht an Weltes albernen Strohmännern wie Facebook und fehlenden Glasfaserkabeln. Auch nicht in erster Linie an erfundenen Geschichten über Oktoberfestvergewaltigungen und Geheimdienstverschwörungen gegen Annalena Baerbock. Und noch nicht einmal an der Klima-Trump-Rassismus-Nazis-Gender-Dauerschleife. Den letzten Anstoß, der selbst bisher geduldigste alte Leser forttreibt, gibt etwas, das noch über der politischen Berichterstattung schwebt: Die Penetranz, in der sich die Zusammenhaltspublikationen inzwischen tief in das private Leben ihrer Leser vorfräsen, in ihre Essvorlieben, in ihre Sprache bis zu den Empfehlungen, den Kontakt zu falschdenkenden Familienmitgliedern abzubrechen, sich zu trennen und Familienfeste zu meiden, gerade und vor allem zu Weihnachten, weil am heimischen Tisch garantiert irgendeine Person mit Nazihintergrund hockt, die nicht so denkt und spricht wie eine Zeit-Redakteurin.

Vorgetragen werden diese Empfehlungen üblicherweise im Tonfall einer Kreissäge, die auf Blech trifft. Und diesen Ton ertragen viele in diesem Land einfach nicht mehr. Auch Gutwilligste nicht. Auch zunehmend gestandene Linke nicht. Auch Leute nicht, die viel über die Klimafrage nachdenken. Sie fliehen vor diesem Ton, um ihre Gesundheit zu schützen. Um mit Karl Kraus zu sprechen: „Gut und Blut für das Vaterland. Aber die Nerven?“ Selbst der allerbeschränkteste alte weiße Mann in seinem Provinzhobbykeller kann nicht unerträglicher sein als eine dreißigjährige Berliner Wokismussirene, die es an einen Redaktionslaptop geschafft hat.

Es gibt Ausnahmen, gewiss, aber in sehr vielen Redaktionen dieser Republik gibt heute die dümmste, untalentierteste, provinziellste, illiberalste, selbstgefälligste, bildungsfernste, humorloseste und kritikresistenteste Journalistengeneration der Geschichte den Ton an. Von Claas Relotius unterscheiden sich junge woke Medienschaffende vor allem durch ihren Phantasiemangel. Sollten sie mangels wirtschaftlicher Basis irgendwann gezwungen sein, sich ganz auf Twitter zurückzuziehen, dann wäre das ein Segen für das Klima im Land.

In Weltes Bittgang zum Staat steckt die Botschaft: Wenn die Leute nicht mehr freiwillig genügend Geld für viele Publikationen herausrücken wollen, dann müssen sie eben über die Steuerkasse dazu gezwungen werden. Deutlicher kann man seinen Restlesern nicht das Misstrauen aussprechen.

Es ist gut möglich, dass die neue Koalition auf diese Unverschämtheit eingeht. Sogar, dass die Gerichte ein entsprechendes Gesetz durchwinken. Aber jemanden zum Lesen dieser Blätter und Seiten zwingen – so weit gehen die Möglichkeiten noch nicht.
Nicht alle werden sich von subventionierten Medien abwenden. Harte Kerne gibt es immer. Aber viele, sehr viele mehr als bisher werden sich fragen, warum sie dafür auch noch ihre Lebenszeit und ihre Würde hergeben sollen.

Staatsmedien – diesen Stempel wird das Organ, das ihn einmal trägt, nie wieder los.


Dieser Text erscheint auch auf Tichys Einblick.


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