Die CDU hat einen neuen Vorsitzenden: im dritten Anlauf hat es Friedrich Merz geschafft, CDU-Vorsitzender zu werden. Nicht weil er am geeignetsten wäre, sondern weil er am wenigsten ungeeignet erschien angesichts zweier noch blasserer Gegenkandidaten. Merz als Parteivorsitzender zeigt sowohl den Personalmangel als auch die Ideenlosigkeit der CDU nach Merkel auf - man greift notgedrungen auf das verblasste Erinnerungsschemen einer klar konturierten Partei, symbolisiert durch Merz, zurück.
Die CDU hat unter Merkel überhaupt verlernt, politisch zu denken. Sie hat in der Regierung SPD- und Grüne-Schnapsideen kopiert und umgesetzt und sich ansonsten stets einfach nur auf den Amtsbonus verlassen. Gäbe es die CDU nicht, würde sie heute keiner neu erfinden.
Die Galionsfigur Merz steht einer CDU vor, die selbst nicht weiß, wofür sie da ist. Merz selbst hat immer wieder betont: „Zurück zu alten Zeiten ist keine Option.“ - ja, schlimmer noch, er betonte, dass Deutschland Kompetenzen in Wirtschafts-, Finanz-, Sozialpolitik an Brüssel abtreten müsse; Souveränitätsverzicht der nationalen Parlamente seien „unvermeidlich“. Vor drei Jahren war Merz sogar Erstunterzeichner des Aufrufs "Für ein solidarisches Europa": dieser warnt, "im Innern Europas breitet sich wieder Nationalismus und Egoismus" aus, und belehrt uns: "nur die Vereinigung Europas kann diesen Irrsinn beenden".
Merz sorgt für keine Aufbruchstimmung, die CDU kämpft in der Rolle der Oppositionspartei mit Selbstfindungsproblemen. Man versteht nicht so ganz, was man eigentlich falsch gemacht hat. Die erste Rede des Fraktionsvorsitzenden Brinkhaus zeigte dann auch, daß die Regierungskritik bei Nebensächlichkeiten und Formalismen blieb - wen wundert's: hatte Laschet doch selbst verkündet, mit der Union hätte man einen ganz ähnlichen Koalitionsvertrag ausarbeiten können.
Wie will die CDU gegen die selbsterklärte männliche Merkel Opposition führen?
Daß Merz völlig grundlos sich gegen die Wahl von AfD-Männern als Ausschußvorsitzende stellt, beweist, daß ihm nicht daran gelegen ist, dem linken Mainstream entgegenzuwirken, sondern daß er sich in deren ideologische Argumentation, deren Verleumdungsmaschine, einfügen will. Gestern abend kritisierte Merz noch bei Illner scheinheilig die "Entgrenzung der Sprache" - während er vergangenes Jahr noch in Bezug auf die AfD davon sprach, daß er seinen "Beitrag leisten will", daß "dieses Gesindel wieder verschwindet".
Die Halbwertszeit von CDU-Parteivorsitzenden ist gering: während AKK noch gerade so zwei Jahre im Amt bleiben konnte, war Laschet es noch nicht mal mehr ein Jahr. Es wird spannend sein, ob Merz sich überhaupt bis zu den Iden des 'Merz' wird halten können.
Ansonsten... Merz kann einem leid tun. Zu beneiden ist er trotz des überragenden Sieges nicht. Ich habe immer große Sympathie für ihn gehabt. Als er damals der Politik den Rücken kehrte, war ich mir sicher, dass er eines Tages zurückkehren würde. Ich hoffte, er wechselte in die FDP, um Leben in dieses sterile, identitätslabile Advokatenagglomerat zu bringen. Aber es lief anders, und es ging immer wieder daneben und er kam zu spät zurück und war dann viel zu isoliert unter den Peter Tauber Sprechpuppen, die sich mittlerweile an der CDU-Spitze angesammelt haben.
Die CDU ist fast tot. Merz wird sie immerhin weiter am Leben erhalten. Das ist psychologisch wichtig, um die Wählerschaft nicht völlig in die Verzweiflung zu treiben. Gleichzeitig wird dadurch erkennbar werden, wie verlottert die CDU auch unter der konservativstmöglichen Lösung inzwischen ist. Ich wünsche Merz viel Glück. Es ist schade um diesen intelligenten Mann. Die CDU-Wähler werden jetzt erst richtig anfangen, Vergleiche zwischen CDU und AfD zu ziehen. Denn vorher war das ein Tabu. Der Michel ist eine Schlafmütze. Aber er befindet sich jetzt im Halbschlaf. In dormiveglia, wie der Italiener sagt, der seiner Christdemokraten unter Martinazzoli verlustig ging.
"Merz wird vieles ändern müssen, glaubt dabei aber nur behutsam und
vorsichtig ans Werk gehen zu können. Damit wird er wichtige
Wählerschichten schnell enttäuschen. Wichtige Voraussetzungen für den
Erfolg hat er: Eine überdurchschnittliche Intelligenz, kühle
Rationalität, ein klares Wertekorsett, rhetorische Kraft sowie
Nervenstärke und Beharrlichkeit, ohne die er den Weg zurück an die
Spitze der deutschen Politik nicht geschafft hätte." Georg Gafron
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