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Mittwoch, 29. Dezember 2021

Man hält es nicht für möglich

Die Deutsche Welle ist eine vom Staat finanzierte Sendeanstalt, die ihren Zuhörern und Zuschauern auf der ganzen Welt eine unabhängige Berichterstattung bieten soll. Der Sender bezieht seine Existenzberechtigung aus dem Selbstverständnis einer liberalen Gesellschaft. Er ist vor allem dort attraktiv, wo die Meinungsfreiheit und eine freie Presse unbekannt sind. So wenigstens die Theorie.

Ende November veröffentlichte die «Süddeutsche Zeitung» einen Artikel über die arabische Redaktion der Deutschen Welle, der einen Einblick in die politische Gedankenwelt einiger Mitarbeiter erlaubte. So ist der Holocaust für einen Redaktor ein «künstliches Produkt», und die Juden würden weiterhin «die Gehirne der Menschen durch Kunst, Medien und Musik» kontrollieren. Für einen Korrespondenten aus Beirut ist jeder ein Kollaborateur, der «mit den Israeli zu tun» hat. Rekruten in den Reihen der israelischen Armee seien «Verräter» und müssten «hingerichtet werden».

Eine Festangestellte sah sich in den Reihen des Islamischen Staates, wenn dieser «die Israeli aus dem Heiligen Land» rausschmeissen würde. Die Verfasser bemühten sich mit dem Hinweis auf falsche Kontexte zu entschuldigen, aber das überzeugte kaum jemanden. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber nicht jede Meinung ist ein Argument für eine Tätigkeit bei der Deutschen Welle.

Deren Intendant, Peter Limburg, bemühte sich um Schadensbegrenzung, die aber schnell an ihre Grenzen geriet. Spätestens als weitere Medien wie «Vice» nachlegten, um auch den Partnersendern im arabischen Raum solche antisemitische Berichterstattung nachzuweisen. Die abenteuerlichste Wendung nahm dieser Fall, als ein Mitarbeiter der Deutschen Welle in der «FAZ» einen Artikel veröffentlichte, in dem er «Vice» vorwarf, selber mit arabischen Antisemiten zu kooperieren – als ob das an der Qualität der Vorwürfe irgendetwas ändern würde.

Der Rundfunkrats-Ausschuss der Deutschen Welle teilte mit, dass es «bisher keine Anhaltspunkte für gravierende Fehler einzelner Vertriebsmitarbeiter und für eklatante organisatorische Fehler» im Sender gebe. Er wandte sich gegen «einen Generalverdacht gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter». Mittlerweile wurde eine Untersuchungskommission mit der früheren Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und dem Psychologen Ahmad Mansour beauftragt, die Vorgänge zu untersuchen.

Nun ist die Feindschaft gegenüber Israel in der muslimischen Welt eines der wenigen Themen, wo die Meinungsfreiheit keine Grenzen kennt. Dazu gehört das gesamte Repertoire aus dem Arsenal des historischen und des modernen Antisemitismus. Insofern repräsentierten die früheren Mitarbeiter der Deutschen Welle die in ihren Heimatländern vorherrschende öffentliche Meinung .

In Iran wird von der politischen Führung sogar der Holocaust geleugnet und gleichzeitig die Vernichtung des Staates Israel gepredigt.* Das alles ist seit Jahrzehnten bekannt, lediglich nach dem Osloer Abkommen von 1993 zwischen der PLO und Israel gab es einen kurzen Moment der Hoffnung, das könnte sich ändern. Deshalb sind auch nicht die arabischen Mitarbeiter der Deutschen Welle das Problem, wenn es auch erstaunt, wie lange deren Haltung in Deutschland nicht aufgefallen sein soll.

Es gibt nämlich einen guten Grund für einen Generalverdacht, der den Umgang mit Israel betrifft. Die Deutsche Welle ist nur die Spitze eines Eisberges**, der manchmal auf der Wasseroberfläche seine deutschen Wellen schlägt. Das zeigte 2017 der Umgang von Arte und des WDR mit der Dokumentation «Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa». Damals wollten die beiden Sender den Film zunächst nicht ausstrahlen, weil man sich daran störte, dass dieser die Kooperation von NGO mit antiisraelischen und antisemitischen Gruppen thematisierte.

Antisemitismus, so suggerieren die Verantwortlichen gerne, ist ein deutsches Phänomen, «eine mit Nationalismus, Sozialdarwinismus und Rassismus begründete feindliche Ablehnung gegen Juden», die «eine zentrale Idee des Nationalsozialismus» war «und letztlich zum Holocaust führte». So definiert etwa die Deutsche Welle den Antisemitismus: Auf dieser Grundlage könnte sich wohl nur noch ein überzeugter Nazi als Antisemit titulieren. Aber selbst der Iran beabsichtigt nicht wie der Nationalsozialismus, alle Juden vom Erdball zu tilgen, so ist wenigstens anzunehmen.

So zielt der Antisemitismus-Vorwurf ins Leere, weil der Begriff zur bloßen Worthülse geworden ist. An seine Stelle trat eine Obsession namens Israelkritik, die seit der APO der 1960er Jahre das Denken vieler kritisch denkender Journalisten bestimmt. Israel symbolisiert alles, was einen am Westen stört: Der Vorwurf des Rassismus gegenüber den Palästinensern steht dabei an vorderster Front, der sich bis heute in unzähligen Deklarationen von Uno-Organisationen niedergeschlagen hat.

Es ist die Strategie, Israel zum Paria der Staatenwelt zu machen. In der Gedankenwelt von Limburg und anderen deutschen Medienmachern spielt das keine Rolle. Er ist vielmehr davon überzeugt, dass sich die arabische Redaktion seines Senders «in ihrer Gesamtheit klar gegen Antisemitismus und Israel-Hass» positionierte, wie er es in einem Interview ausdrückte. Aber wer tritt programmatisch schon für «Israel-Hass» ein? Es reicht doch, diesen Staat, halb so groß wie die Schweiz, als einzige Ursache für den Nahostkonflikt anzusehen.

Israel ist immer der Täter, die Palästinenser und Araber dessen Opfer. Der frühere Redaktor der Deutschen Welle, Peter Finkelgrün, beschrieb diese Mentalität 2014 in einem Brief an den WDR-Intendanten Tom Buhrow sehr anschaulich. Als er 1974 seinem Sender anbot, über ein Massaker an israelischen Schülern durch palästinensische Terroristen zu berichten, bekam er von seinem diensthabenden Redaktor zur Antwort: «Nein. Aber melde dich, wenn die Israeli zurückschlagen.» Diese Perspektive findet sich bis heute: Israel wird erst zur Schlagzeile, wenn es zurückschlägt.

Dieser profane Blick auf die Wirklichkeit findet in der Welt deutscher Antisemitismus-Beauftragter nicht statt. Felix Klein heißt jener der Bundesregierung. In einem Interview sah er die Deutsche Welle im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt «besonders in der Pflicht». Es sei «Fingerspitzengefühl gefragt, ausgewogen über konträre Positionen zu berichten». Zugleich müsse «eine kritische Berichterstattung zu Israel möglich sein». So halte er es «für völlig akzeptabel, wenn Genehmigungen zu weiteren Siedlungen im Westjordanland kritisch gesehen werden».

Was in deutschen Medien ausnahmslos geschieht: Die Verteidiger dieser Siedlungen muss man schon mit der Lupe suchen. Aber wenn man diese «als ‹Krebsgeschwür› bezeichnet», ist das laut Klein antisemitisch. Ob die Vermeidung solcher Metaphorik nützt, ist fraglich. Schließlich verbreitet sich nicht zuletzt der Antisemitismus wie ein Krebsgeschwür in Europa.

So lässt sich mit sprachlicher Sensibilität alles unter den Teppich kehren. Eine ausgewogene Berichterstattung ist bekanntlich immer richtig, wenn sie die journalistischen Standards meint. Außerdem gibt es nur wenige Staaten, über die so kritisch berichtet wird wie über Israel. Es gibt aber keinen anderen Staat, dessen Existenzberechtigung an seine Problemlösungsfähigkeit gebunden wird. Erst ein Israel ohne Nahostkonflikt erfüllte offenbar die Erwartungen seiner Kritiker.

Niemand käme etwa bei Russland auf eine solche Idee. Und an dieser Stelle wird der Kontext zum Antisemitismus erkennbar: Er beruht auf der Annahme, dass die Welt ohne Juden eine bessere wäre. Diese Vorstellung wird heute auf Israel übertragen, den weltpolitischen Paria. Sie bestimmt das Denken vieler Menschen in Europa, darunter viele Journalisten. Das könnte erklären, warum die politischen Überzeugungen einiger Mitarbeiter der Deutschen Welle so lange niemandem aufgefallen sind: Sie fielen auf den fruchtbaren Boden einer in Jahrzehnten internalisierten Israelkritik, die sich längst als die zeitgenössische Maskerade des Antisemitismus entpuppt hat. Und mit diesem begründeten Verdacht muss sich nicht nur die Deutsche Welle auseinandersetzen.

*Und Steinmeier gratuliert regelmäßig diesem Regime für sein Bestehen. Ich konnte es bereits 1978/79 nicht fassen, dass meine linken Freunde von Khomeinis Revolution schwärmten. Und dass Scholl-Latour damit angab, die zukünftige Verfassung des Iran verwahrt zu haben, war auch kein Ruhmesblatt. Es gibt einfach Dinge, die man nicht mitmachen kann.

**Schon vor 10 Jahren dachte ich, ich höre nicht recht, als im Advent der Deutschlandfunk einen Palästinenser in Bethlehem interviewte und dieser unwidersprochen die Mauer, mit der Israel sich gegen Terroristen zu schützen versucht, mit der Berliner Mauer verglich, nein, gleichsetzte, mit der die DDR ihre eigenen Bürger einsperrte. Und wenn man dem Deutschlandfunk heute zuhört, wie er über die Golanhöhen berichtet, möchte man sich übergeben.

 

Es war schön, als ich die Deutsche Welle nur als Kurzwellensender kannte, der mir auf der Terrasse erzählte, wie man nach dem Fall der Mauer Kreuzfahrten auf der Elbe unternehmen konnte. Oder der mich Lilly Palmer hören ließ, die über Helen Keller sagte, an ihr werde deutlich, dass niemand ein Recht hat, sich zu beklagen. Oder der Theodor Berchem interviewte, der in den 80-ern darüber sprach, wie dankbar ausländische Studenten ihr Leben lang seien, die in Deutschland studiert hätten.

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