Neben Emil Spannocchi, Karl Popper, Peter L. Berger, Jakob Taubes, Egon Friedell, Valeru Marcu, Walter Ong und Ernst Jünger war Ivan Illich derjenige Gelehrte, dem ich mich zeitlebens am nächsten gefühlt habe. Ich hatte das Glück, ihn 1979 im Istituto Stensen als Vortragenden und Diskutanten zu erleben. Unvergesslich! Unvergesslich!! Nach seinem Vortrag forderte er das Publikum (anwesend waren etwa 120 Personen, großenteils stehend, im dicht gedrängten, eigentlich für 50 Personen gedachten Raum) auf, ihm Fragen zu stellen.
Und dann geschah etwas Außerordentliches: Nach jeweils 8 Fragen antwortete Illich mit einer kurzen, druckreifen Rede durch die er auf alle 8 Fragen präzise, ausführlich und unmissverständlich einging, indem er jeweils, wenn sein Gegenstand die diesbezüglichen Fragen betraf, mit der Hand auf die Person deutete, die die gerade thematisierte Frage gestellt hatte. Dann ließ er weitere 8 Fragen stellen und antwortete erneut, indem er 8 Antworten zu einer organischen Rede verflocht. Dabei zitierte er aus dem Gedächtnis die verschiedensten Autoren in der Originalsprache, in der sie ihre Gedanken niedergeschrieben hatten, unter anderem Cicero. Nie wieder habe ich später einen so brillanten, umfassend gebildeten, sachlichen Redner erlebt, der in freier, jedem verständlicher Rede Größeres leistete.
Besonders aktuell sind in unserer Zeit zwei seiner Bücher: Genus und Die Nemesis der Medizin (letzteres beginnt mit den Worten: "Die etablierte Medizin hat sich zu einer ernsten Gefahr für die Gesundheit entwickelt"). Die erste Hälfte von "Genus" kann hier gelesen werden. Schon 1982 analysierte Illich irritiert die geistige Verwirrung und Verirrung, die auf der Verwechslung von Sexus und Genus beruht und die heute zum Delirium geworden ist, und 1975 hatte er schon die Gefahren erkannt, die sich in der medizinischen Praxis abzeichneten.
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