Kiesewetter hat immer noch nicht gemerkt, dass Papier geduldig ist. Wahrscheinlich hat er nicht einmal gemerkt, dass er sich nicht mehr in der Bonner Republik befindet. Damals waren die Lügen, den Vietnamkrieg betreffend, ähnlich haarspalterisch, lavierend, widersprüchlich und weltfremd (und das deutsche Vertrauen in die Bereitschaft Amerikas, Deutschland auch dann zu beschützen, wenn es ernst wird, sogar noch größer als heute). Jedenfalls ist die forma mentis eines Kiesewetter oder Wulff die spezifisch evangelische Variante weltfremder Verlogenheit. Ich hätte wetten können, dass dieser Mann evangelisch ist. Mit der Behauptung aufzuwarten, die USA wollten Atomraketen in der Ukraine stationieren, die nicht nach Moskau zeigen, sondern nach Teheran und man könne sie niemals in die andere Richtung drehen oder gar ein anderes Flugziel in sie einprogrammieren, erinnert an Ulbricht, der kurz vor dem Mauerbau sagte: "Niemand will eine Mauer bauen!". Die CDU wird schon noch merken, wo sie hinkommt, wenn sie die Wähler weiterhin dermaßen unverschämt verarscht.
Kiesewetter glaubt, die Ukraine sei näher am Iran als die Türkei (oder weiter von Moskau entfernt als die Türkei!!). |
Nicht dass das katholische Schema der Scheinheiligkeit besser wäre! Es ist nur insofern harmloser, als es in einem überwiegend lutherisch geprägten Land leichter zu erkennen und durchschauen ist. Es fällt auf! Zur Zeit ist allerdings auch mehr Vernunft und Weisheit unter Katholiken zu finden als unter Evangelischen, zum Beispiel hier und auch hier (ab 02:00). Die katholische forma mentis zeichnet sich in negativer Hinsicht vor allem dadurch aus, dass die menschliche Unzulänglichkeit immer wieder (und wirklich fast ausnahmslos) zum Anlass genommen wird, um über cui bono nachzudenken, den Schwarzen Peter unbedingt einem geeigneten Sündenbock in die Schuhe schieben zu wollen und einen Schuldigen auch dann zu vermuten und zu suchen, wenn ganz einfach ein technisches oder menschliches Versagen vorliegt, das niemand beabsichtigte. Und dennoch ist die katholische forma mentis unter dem Strich letztlich menschlicher, vor allem weil Katholiken auf irgendeinem verschlungenen Weg dazu fähig wurden, sich bewusst zu werden, dass man jemandem auch ohne dies beabsichtigt zu haben Unrecht tun kann und dafür Abbitte leisten muss, falls man diesen Fehltritt beging, und zwar auch dann, wenn man ihn "nicht wissentlich" beging bzw. gerade dann. Die Evangeliken entschuldigen sich nur, wenn sie sich blamiert haben, da fällt die Kaltschnäuzigkeit von ihnen ab.
Solange sie sich nicht gegenüber Dritten blamiert haben versteifen sich evangelisch erzogene Menschen lieber darauf, sich "nicht wissentlich" unrecht verhalten zu haben und beharren starrköpfig darauf, unschuldig zu sein, falls ihnen jemand etwas nahelegen sollte, worauf sie von alleine nie kämen: sich zu entschuldigen. Mit den Worten "nicht wissentlich" bezeichnet der vorgeblich unmotivierte evangelische Sünder die Umstände, unter denen er sich versündigte und erhebt sie zum Hauptkriterium, an welchem er seine Unschuld misst bzw. auf Grund dessen er seine Sündhaftigkeit aus dem Bewusstsein wischt: Böse ist in seinen Augen nur der, der "wissentlich" böse ist. Schon Nietzsche, dieser epigenetisch slawische Denker, urteilte: Deutsch sein heißt, die eigenen Lügen glauben. Katholiken wissen, dass man sich gerade für die Kaltschnäuzigkeit entschuldigen muss, die dazu führte, dass man jemanden "nicht wissentlich" verletzte; zumindest italienische Katholiken wissen, dass gerade die Tatsache, dass man nicht einmal bemerkte, wie sehr man jemanden verletzt hat, das Schlimme ist (aber auch in Deutschland hatte ich immer mehr katholische und jüdische Freunde als evangelische; diese Neigung zeigte sich früh).
Ende einer wichtigen Abschweifung, deren Länge viele erstaunen mag, die aber in Wirklichkeit sehr kurz war. Es gäbe viel über Mentalitäten zu berichten in einer Zeit, die sich an dem Wort "Diversity" berauscht, während sie jeden wahren Unterschied versucht einzuebnen, auszumerzen oder wegzuleugnen. Ein besonders klares Beispiel hierfür erzählt Sören Sieg hier (ab Minute 11:08).
Maischbergers dumme Frage, ob die Bedrohung Moskaus einen grausamen Angriffskrieg rechtfertigt, ist eine Unverschämtheit, mit der die Vernünftigen dämonisiert und demoralisiert werden sollen (denn es traut sich niemand, auch Lafontaine und Köppel nicht, gegenüber dem weltfremden, sentimentalen, moralisch zerknirschten und gleichzeitig dauerentrüsteten, tranigen deutschen Publikum einzugestehen, dass die Bedrohung Moskaus selbstverständlich einen grausamen Angriffskrieg rechtfertigt. Bedrohung rechtfertigt Grausamkeit immer! Außerdem war nach westlicher Lesart ein Blitzkrieg beabsichtigt, der aber aus dem Ruder lief und so über den Point of no return hinausgeriet, übrigens nachdem Selenskij in München, noch kurz vor dem Angriff, wortwörtlich Nuklearwaffen gefordert hatte... Kiesewetter würde jetzt sagen, "aber er bekam sie ja nicht". Warum sollte er sie auch bekommen, wo es doch viel praktischer ist, gegen den Iran gemeinte Raketen in der Türkei zu stationieren, die erstens schon in der Nato ist und zweitens viel näher am Iran und drittens Putin nicht unnötig durch Drehmanöver nervös macht.
Jeder gewinnbare Krieg ist für denjenigen, der ihn führt, in dem Maße gerechtfertigt, in dem eine für sein Land unerträgliche Lage dadurch abgewendet wird. Daran kann auch die UNO nichts ändern. Nur träumen wir Deutschen ständig davon, anderen vorwerfen zu können, was uns seit 45 vorgeworfen wird. Da kommt ein "grausamer Angriffskrieg" gerade recht. Wir lasen beglückt Christopher Clark und schieben nun tiefenentspannt wieder dem 20-jährigen Bosnier, der, halb noch ein Kind, seinen Mut zusammenraffte, um Franz Ferdinand zu erschießen, die Schuld für den Großen Krieg in die Schuhe, um uns nur 1 Sekunde später über die Unverhältnismäßigkeit im Fall der Ukraine zu ereifern.
Kriege sind im Industriezeitalter leider sehr unangenehm für die Zivilbevölkerung. Das war zwar auch bei der Eroberung Galliens so, aber es hielt sich eben vergleichsweise sehr in Grenzen. Wir müssen auch heute damit leben, dass es dennoch kein Grund sein kann, auf Kriegsführung zu verzichten, so sehr wir Kants Traum vom "ewigen Frieden" auch weiterträumen und uns nach der ultimativen Verweichlichung sehnen und immer wieder mal beglückt für ein paar Jahrzehnte die Abwesenheit von Krieg genießen, weil eine Melange aus frommem Wunsch, Kalkül, Abmachungen und Erschöpfung wenigstens ein territorial und zeitlich begrenztes Stillhalten bewirkt. Nur der Nuklearkrieg ist letztlich überhaupt nicht zu rechtfertigen (aber die Abschreckung durch die Atombombe kann ihre Wirkung nur dann entfalten, wenn ihr Besitzer glaubhaft macht, dass, was durch nichts gerechtfertigt werden kann, er trotzdem bereit ist zu tun). Der Nuklearkrieg ist keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern eine Dimension, in der der Krieg selbst zum Hauptgegner wird. Wenn man so schwach wie Europa ist, hat es jedenfalls keinen Sinn, gegen die vielleicht größte Atommacht des Planeten die Ukraine zu bewaffnen und sich hinter ihr zu verstecken. Und schon gar nicht, sie durch Kriegseintritt zu flankieren, so sympathisch einem die polnische Charakterfestigkeit auch sein mag, die es (im Gegensatz zu den evangelisch sozialisierten Baerbockverstehern) offenbar nicht erträgt, dass die Ukraine kaltschnäuzig verheizt wird. Das einzige, was man durch Ausstattung der Ukraine erreichen kann, ist Zeitgewinn, um selber so schnell wie nur möglich bestens bewaffnet zu werden, möglichst, indem man selber Atombomben baut und sich all der Offiziere entledigt, die von den letzten mindestens 4 Verteidigungsministern in Stellung gebracht wurden. Aber auch das ist eine zweischneidige Strategie. Nicht umsonst wollen Finland und Schweden in die NATO, aber ohne Stationierung von Nuklearwaffen: Die beiden Länder möchten nicht unnötig zur Zielscheibe werden. Nicht Fisch und nicht Fleisch, wie so vieles an diesem Krieg und an unserer Zeit.
Putin hat mehrmals wiederholt, die NATO-Erweiterung sei unproblematisch, mit Ausnahme der Ukraine.
Die Worte "mit Ausnahme der Ukraine" verschweigt Maischberger geflissentlich - übrigens auch "wissentlich"! - außerdem unterbricht sie Kiesewetter nie, Lafontaine dagegen immer wieder. Fairer Journalismus ist im ÖRR seit spätestens 2013 nicht mehr zu finden. Maischberger ist deshalb so geschickt, eine pseudofaire Situation vorzutäuschen, weil die Zuschauer in Deutschland immer noch zu einfältig sind, um die niederträchtigen Manipulationstechniken der Schickerialinken zu durchschauen. Dass Deutschland nicht wehrhaft ist, ist natürlich seit Jahrzehnten das Hauptproblem. Auch das ist Ergebnis der linken Gehirnwäsche durch die Medien, in einem Land, in dem die Konservativen so gut wie ausgestorben sind und amerikanische Handlanger wie Kiesewetter und Merzel Konservatismus simulieren. Es sind Typen wie sie, die in Deutschland die Kultur des Konservatismus vernichtet haben. Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich Merz einst für einen klugen, aufrechten Politiker hielt.
Der Westen wird sich wohl damit abfinden müssen, Russland in die Arme Chinas getrieben zu haben.
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