Stationen

Dienstag, 26. März 2019

Mit dem Kopf im märkischen Sand

Deutsche Politik ist oft gut gemeint, doch nicht durchdacht und deshalb schlecht gemacht. Das wird sich rächen, und wir alle werden „blechen“. Die Rede ist von selbst geschaffenen Abhängigkeiten und, wohlgemerkt, nicht von Verzahnung beziehungsweise Verflechtung. Im Sinne wechselseitiger Abhängigkeit ist wirtschaftliche Verzahnung ein Gebot der Vernunft. Zwei ineinander greifenden Zahnrädern gleichend, wirkt so eine Verzahnung zudem friedensstiftend.
Das war, vereinfacht, der Grundgedanke der wirtschaftlichen und, daraus abgeleitet, außen- sowie militärpolitischen Integration und dadurch Befriedung Westeuropas, allen voran zwischen den einstigen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich. Der Schwerpunkt lag dabei zunächst auf Kohle, Eisen und Stahl, also den für Krieg oder Frieden entscheidenden Branchen.
Daraus entstanden 1950 die „Montanunion“ als Gemeinschaft dieser drei Bereiche, 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), 1993 durch den Maastricht-Vertrag die Europäische Gemeinschaft (EG) und schließlich durch den Lissabon-Vertrag 2009 die Europäische Union (EU).
Mag sein, dass die guten Erfahrungen mit diesem Verzahnungsmodell wechselseitiger Abhängigkeiten das Denken der Bundeskanzlerin, ihres Vorgängers Gerhard Schröder, die Wirtschaftsminister Gabriel und Altmaier oder die Außenminister Steinmeier, Gabriel und Maas beeinflusst haben. Aber dabei haben sie offensichtlich das Adjektiv „wechselseitig“ außer Acht gelassen. Geschaffen und geschafft haben sie nämlich einseitige Abhängigkeiten Deutschlands.

Das sind Deutschlands Irrwege

Irrweg 1: russisches Erdgas. Wie man es dreht und wendet, Deutschland und auch Westeuropa sind überproportional von russischen Erdgaslieferungen abhängig und somit im Fall des Falles von Russland erpressbar. Der Erdgasleitung Nord Stream 1 folgt nun Nord Stream 2.
Für unsere im wahrsten, sprich: geografischen Wortsinne um- und hintergangenen EU- und Nato-Partner Polen sowie die baltischen Staaten ist das eine Provokation und Lebensgefahr ersten Ranges.
Wenn Deutschland und Westeuropa nämlich von Russland abhängen, können sie Polen und das Baltikum nicht wirklich unterstützen, gar verteidigen, sollte Russland beziehungsweise Putin an seiner Westgrenze eines Tages ähnlich expansiv vorgehen wie bezüglich der Krim und der Ost-Ukraine.
Deutschland kritisiert US-Präsident Trump, der die Sorgen seiner (auf dem Papier) Verbündeten in den Wind schlage. Als Schwächere fordern „wir“ Partnerschaft vom großen Bruder USA. Gleichzeitig untergraben „wir“ die Sicherheit der, im Vergleich zu uns, schwächeren Polen und Balten. Das sehen auch andere EU-Staaten so – allen voran Frankreich.
Nicht genug der Abhängigkeit von russischem Erdgas. Statt als Ausgleich über die einst geplante Nabucco-Pipeline Erdgas aus den west- und später ostkaspischen Staaten Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan zu importieren, wird nun mit Turkstream durchs Schwarze Meer noch mehr Erdgas aus Russland eingeführt.
Zwischenstation ist (wie, unklug, auch bei Nabucco geplant) die Türkei. Deren Präsident Erdogan sowie die innenpolitische Entwicklung des Landes sind kaum langfristig oder gar zuverlässig berechenbar.
Politisch sehr wohl berechenbar wäre die Israel-Zypern-Griechenland-Pipeline. Sie könnte israelisches Erdgas nach Südeuropa transportieren. Ihre Machbarkeit wird derzeit geprüft. Von deutschen Erkundungen, gar signalisiertem Interesse keine Spur. Die Grundregel „Unabhängigkeit durch Diversifizierung der Lieferanten“ missachtet die deutsche Politik seit Jahren. Sie isoliert uns von zuverlässigen Partnern.
Irrweg 2: Ohne jegliche Wirtschaftsspionage, ganz offen und legal erwarb ein chinesischer Investor durch Kauf den deutschen Roboter-Hersteller Kuka, also ein technologie- und allgemeinstrategisches Unternehmen. In China sind, das weiß jedermann, auch Privatunternehmen alles andere als unabhängig von der dortigen Staatsdiktatur.
Für diesen GAU trägt Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister die Hauptverantwortung. Das Bundeskabinett stimmte aber zu. Hier darf Lenin zitiert werden: Die Kapitalisten seien so dumm, dass sie ihren Feinden die Stricke liefern, an denen sie gehängt würden. Die Ironie dieser Geschichte: ein Sozialdemokrat in der Rolle des klassischen Kapitalisten.
Inzwischen wurden die gesetzlichen Regelungen verschärft, um ähnliche Torheiten zu verhindern. Trotzdem besteht die Gefahr einer Einbindung des chinesischen Telekommunikationsgiganten Huawei ins deutsche 5G-Mobilfunknetz.
Nach industriellem Know-how bekämen dann Chinas Diktatoren Millionen deutscher Daten geliefert. Biedermann lädt Brandstifter ins Haus. Das ist so absurd, dass man an Wilhelm Busch denken muss: „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber.“
Irrweg 3: Der „humanitäre Imperativ“ der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik verdiente an sich Lobeshymnen. Menschlichkeit ist des Menschen höchstes Gut. Allerdings definieren sogar unsere engen europäischen Partner – nicht nur Orban & Co – Menschlichkeit keineswegs wie Merkel und der deutsche Mainstream nahezu dogmatisch. Die Folge: „Wir“ sehen uns als moralische Großmacht. Tatsächlich haben wir uns von unseren Partnern isoliert.
Irrweg 4: Die Deutschen halten ökologische Ethik und Energiepolitik für das Maß aller Dinge und meinten, die Welt würde ihrem Modell folgen. Doch sie weigert sich, am deutschen Wesen zu genesen. Faktisch sind wir auch auf diesem Gebiet isoliert, haben die selbst gesteckten Ziele klar verfehlt, fahren fröhlich SUV-Umwelt-Killer und wissen nicht einmal, ob unsere Stromversorgung langfristig sicher ist.
Irrweg 5: Unsere von übereifrigen Freundlichkeiten des Bundespräsidenten begleitete Iran-Politik wird hierzulande ebenso wie in Westeuropa und von der Uno-Mehrheit als Friedenspolitik gepriesen und wahrgenommen. Der Wirklichkeitsgehalt dieser Wahrnehmung ist eher fraglich.
Vom Libanon über Syrien, den Irak, den Jemen, Hamas-Gaza, zunehmend auch über Schiiten in Bahrain und im östlichen Saudi-Arabien umzingelt der Iran nicht „nur“ Israel, sondern auch den politischen und energiepolitischen Kern des Nahen Ostens.
Zugleich entwickelt der Iran Interkontinentalraketen. Die Kontrolle seines Atompotenzials steht auf geduldigem Papier. Wir stecken den Kopf in den Sand und buhlen um günstige Iran-Geschäfte.
Irrweg 6: Nicht erst seit Trump und Netanjahu knirscht es im deutsch-amerikanischen und deutsch-israelischen Gebälk. Man kann darüber streiten, ob deutsche Kritik an Amerika und Israel berechtigt ist. Nicht streiten kann man darüber, dass die Deutschen sich damit selbst den Ast absägen, der ihre Sicherheit nach außen und innen (Stichwort: Anti-Terror-Kampf) stützt.
Irrweg 7: Ein zweiter Ast: Stichwort innovative IT- und andere Technologien. Hiervon wäre nicht zuletzt die ohnehin schon kriselnde deutsche Autoindustrie betroffen. Wenn zudem der deutsche Verteidigungshaushalt, wie von Finanzminister Scholz vorgesehen, wieder gekürzt wird, dürften die USA die Einfuhrzölle für deutsche Autos kräftig erhöhen. Ein Doppel-Desaster, made in and by Germany.
Ohne Zorn und Eifer dokumentiert diese mehr strukturelle als personelle, eher wissenschaftliche Irrweg-Analyse die überfällige Notwendigkeit deutscher Kurskorrekturen.   Michael Wolffsohn

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.