Das war, vereinfacht, der Grundgedanke der wirtschaftlichen und, daraus abgeleitet, außen- sowie militärpolitischen Integration und dadurch Befriedung Westeuropas, allen voran zwischen den einstigen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich. Der Schwerpunkt lag dabei zunächst auf Kohle, Eisen und Stahl, also den für Krieg oder Frieden entscheidenden Branchen.
Daraus entstanden 1950 die „Montanunion“ als Gemeinschaft dieser drei Bereiche, 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), 1993 durch den Maastricht-Vertrag die Europäische Gemeinschaft (EG) und schließlich durch den Lissabon-Vertrag 2009 die Europäische Union (EU).
Das sind Deutschlands Irrwege
Irrweg 1: russisches Erdgas. Wie man es dreht und wendet, Deutschland und auch Westeuropa sind überproportional von russischen Erdgaslieferungen abhängig und somit im Fall des Falles von Russland erpressbar. Der Erdgasleitung Nord Stream 1 folgt nun Nord Stream 2.
Für unsere im wahrsten, sprich:
geografischen Wortsinne um- und hintergangenen EU- und Nato-Partner
Polen sowie die baltischen Staaten ist das eine Provokation und
Lebensgefahr ersten Ranges.
Wenn Deutschland und Westeuropa nämlich von Russland
abhängen, können sie Polen und das Baltikum nicht wirklich
unterstützen, gar verteidigen, sollte Russland beziehungsweise Putin an
seiner Westgrenze eines Tages ähnlich expansiv vorgehen wie bezüglich
der Krim und der Ost-Ukraine.
Deutschland kritisiert US-Präsident Trump,
der die Sorgen seiner (auf dem Papier) Verbündeten in den Wind schlage.
Als Schwächere fordern „wir“ Partnerschaft vom großen Bruder USA.
Gleichzeitig untergraben „wir“ die Sicherheit der, im Vergleich zu uns,
schwächeren Polen und Balten. Das sehen auch andere EU-Staaten so –
allen voran Frankreich.
Nicht genug der Abhängigkeit von russischem Erdgas. Statt als
Ausgleich über die einst geplante Nabucco-Pipeline Erdgas aus den west-
und später ostkaspischen Staaten Aserbaidschan, Kasachstan und
Turkmenistan zu importieren, wird nun mit Turkstream durchs Schwarze
Meer noch mehr Erdgas aus Russland eingeführt.
Irrweg
2: Ohne jegliche Wirtschaftsspionage, ganz offen und legal erwarb ein
chinesischer Investor durch Kauf den deutschen Roboter-Hersteller Kuka,
also ein technologie- und allgemeinstrategisches Unternehmen. In China sind, das weiß jedermann, auch Privatunternehmen alles andere als unabhängig von der dortigen Staatsdiktatur.
Für diesen GAU trägt Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister die
Hauptverantwortung. Das Bundeskabinett stimmte aber zu. Hier darf Lenin
zitiert werden: Die Kapitalisten seien so dumm, dass sie ihren Feinden
die Stricke liefern, an denen sie gehängt würden. Die Ironie dieser
Geschichte: ein Sozialdemokrat in der Rolle des klassischen
Kapitalisten.
Inzwischen wurden die gesetzlichen Regelungen
verschärft, um ähnliche Torheiten zu verhindern. Trotzdem besteht die
Gefahr einer Einbindung des chinesischen Telekommunikationsgiganten
Huawei ins deutsche 5G-Mobilfunknetz.Nach industriellem Know-how bekämen dann Chinas Diktatoren Millionen deutscher Daten geliefert. Biedermann lädt Brandstifter ins Haus. Das ist so absurd, dass man an Wilhelm Busch denken muss: „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber.“
Irrweg 3: Der „humanitäre Imperativ“ der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik
verdiente an sich Lobeshymnen. Menschlichkeit ist des Menschen höchstes
Gut. Allerdings definieren sogar unsere engen europäischen Partner –
nicht nur Orban & Co – Menschlichkeit keineswegs wie Merkel und der
deutsche Mainstream nahezu dogmatisch. Die Folge: „Wir“ sehen uns als
moralische Großmacht. Tatsächlich haben wir uns von unseren Partnern
isoliert.
Irrweg 4: Die Deutschen halten ökologische Ethik und
Energiepolitik für das Maß aller Dinge und meinten, die Welt würde ihrem
Modell folgen. Doch sie weigert sich, am deutschen Wesen zu genesen.
Faktisch sind wir auch auf diesem Gebiet isoliert, haben die selbst
gesteckten Ziele klar verfehlt, fahren fröhlich SUV-Umwelt-Killer und wissen nicht einmal, ob unsere Stromversorgung langfristig sicher ist.
Irrweg 5: Unsere von übereifrigen Freundlichkeiten des Bundespräsidenten begleitete Iran-Politik
wird hierzulande ebenso wie in Westeuropa und von der Uno-Mehrheit als
Friedenspolitik gepriesen und wahrgenommen. Der Wirklichkeitsgehalt
dieser Wahrnehmung ist eher fraglich.
Vom Libanon über
Syrien, den Irak, den Jemen, Hamas-Gaza, zunehmend auch über Schiiten in
Bahrain und im östlichen Saudi-Arabien umzingelt der Iran nicht „nur“
Israel, sondern auch den politischen und energiepolitischen Kern des
Nahen Ostens.
Zugleich entwickelt der Iran Interkontinentalraketen. Die
Kontrolle seines Atompotenzials steht auf geduldigem Papier. Wir stecken
den Kopf in den Sand und buhlen um günstige Iran-Geschäfte.
Irrweg 6: Nicht erst seit Trump und Netanjahu knirscht es im deutsch-amerikanischen und deutsch-israelischen Gebälk.
Man kann darüber streiten, ob deutsche Kritik an Amerika und Israel
berechtigt ist. Nicht streiten kann man darüber, dass die Deutschen sich
damit selbst den Ast absägen, der ihre Sicherheit nach außen und innen
(Stichwort: Anti-Terror-Kampf) stützt.Irrweg 7: Ein zweiter Ast: Stichwort innovative IT- und andere Technologien. Hiervon wäre nicht zuletzt die ohnehin schon kriselnde deutsche Autoindustrie betroffen. Wenn zudem der deutsche Verteidigungshaushalt, wie von Finanzminister Scholz vorgesehen, wieder gekürzt wird, dürften die USA die Einfuhrzölle für deutsche Autos kräftig erhöhen. Ein Doppel-Desaster, made in and by Germany.
Ohne
Zorn und Eifer dokumentiert diese mehr strukturelle als personelle,
eher wissenschaftliche Irrweg-Analyse die überfällige Notwendigkeit
deutscher Kurskorrekturen. Michael Wolffsohn
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